Die Debatten-Serie, die es nicht gab

Auch hierzulande stieß der Schlagabtausch zwischen Kamala Harris und Donald Trump auf großes Interesse. Dabei ist der Begriff Debatte durchaus ernst zu nehmen und haben die presidential debates durchaus einen Bildungsanspruch. Doch wie steht es um die Bedeutung der Debatten in diesem Wahlzyklus? So lieferte der damalige Kandidat Biden im ersten Duell nicht nur eine üble Vorstellung und übergab er schlussendlich den Staffelstab an Harris, sondern fehlt auch (erneut) das traditionelle Townhall Meeting mit Bürger:innen. Gleichzeitig konkurriert das traditionelle Fernsehen mit sozialen Medien um die Aufmerksamkeit der Zuschauer:innen. Prof. Dr. Christoph Bieber vom Center of Advanced Internet Studies in Bochum und der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen wirft einen Blick auf die Bedeutung der Debatten.

Vieles ist anders im Präsidentschaftswahljahr 2024 und das gilt auch für die televised presidential debates, die hierzulande ja gerne als „TV-Duell“ übersetzt werden. Hier handelt es sich aber um einen klassischen „Übersetzungs-“ oder besser „Übertragungsfehler“ bezüglich des Formats – es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass der Begriff der „Debatte“ tatsächlich Ernst zunehmen ist. Er betont den Bildungsanteil und -anspruch des Formats, wohingegen das „Duell“ sehr viel stärker auf den Wettbewerbscharakter und die Konfrontation zwischen den Bewerber:innen verweist.

Die Debatten-Serie, die es nicht gab

Endet im Wahljahr 2024 die Ära der Televised Presidential Debates?

Autor

Prof. Dr. Christoph Bieber ist Inhaber Welker-Stiftungsprofessur für Ethik in Politikmanagement und Gesellschaft an der NRW School of Governance. Zu seinen Forschungsinteressen gehören Ethik und Verantwortung in der Politik, Ethik-Management, Transparenz und öffentliche Kommunikation, Politische Kommunikation und Neue Medien. Zurzeit ist er beurlaubt und arbeitet als Forschungsprofessor für digitale demokratische Innovationen am Center für Advanced Internet Studies (CAIS) in Bochum.
Vieles ist anders im Präsidentschaftswahljahr 2024 und das gilt auch für die televised presidential debates, die hierzulande ja gerne als „TV-Duell“ übersetzt werden. Hier handelt es sich aber um einen klassischen „Übersetzungs-“ oder besser „Übertragungsfehler“ bezüglich des Formats – es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass der Begriff der „Debatte“ tatsächlich Ernst zunehmen ist. Er betont den Bildungsanteil und -anspruch des Formats, wohingegen das „Duell“ sehr viel stärker auf den Wettbewerbscharakter und die Konfrontation zwischen den Bewerber:innen verweist. Natürlich gehört letzteres auch dazu, aber gerade die Medienberichterstattung setzt den Fokus überaus stark auf die Performance der Teilnehmer:innen und verliert dabei manchmal den eigentlichen Hintergrund der presidential debates aus dem Blick.

Der diesjährige Debatten-Zyklus ist gleich aus mehreren Gründen interessant: Zunächst hat die üble Vorstellung von Joe Biden in der CNN-Runde Ende Juni gezeigt, dass TV-Debatten sehr wohl noch ihre Wirkung entfalten können. Das müde, unsichere Auftreten des Präsidenten hat letztlich eine Folge von Ereignissen ausgelöst, an deren Ende die Übernahme der Kandidatur durch Kamala Harris stand. Gleichzeitig war die frühsommerliche Debatte jedoch auch ein Hinweis auf den allmählichen Verfall des Formats selbst, denn üblicherweise bespielt die Serie von vier Debatten (drei für die Präsidentschaftskandidat:innen, eine für die running mates) den herbstlichen Hauptwahlkampf im September und Oktober. Die Hintergründe dafür erschließen sich keineswegs für das gesamte Debattenpublikum, denn über die Arbeit der Commission on Presidential Debates wird längst nicht so viel berichtet wie über die Fehler, Ausfälle oder Diskussionsstile der Kandidat:innen (und das gilt ganz besonders für die deutschen Medien). Die Kommission hat seit 1988 die Vorbereitung und Durchführung der Debatten übernommen und dabei schrittweise den Rahmen für das reichweitenstärkste Einzelformat im US-Wahlkampf entwickelt. Von Zugangsregeln für Teilnehmer:innen über die Auswahl der Austragungsorte und Sendeplätze, die Formate der Befragung und das Moderationspersonal, bis zu den Inhalten und die Gestaltung des Bühnenaufbaus – über all diese Punkte hatte die Kommission die Aufsicht und in den Aushandlungen mit den politischen Lagern funktionierende Kompromisse ausgehandelt. Bis zum Jahr 2024.

Sicher ist dieser Stabilitätsanker im Kampagnen-Fegefeuer schon vor vier Jahren ins Wanken geraten; die Verbindung aus Corona-Pandemie und Trump-Präsidentschaft hatte bereits 2020 zu einer reduzierten Serie aus nur drei Debatten geführt. Damals fehlte das Townhall Meeting als offenere Form des Dialogs, bei dem Bürgerinnen und Bürger als Fragesteller:innen zu Wort kommen und so eine größere Nähe zur Politik hergestellt werden soll. Mit Trump war dies nicht zu machen und es zeigte sich die Verwundbarkeit der Non-Profit-Organisation im Hintergrund – wenn eine Kandidatin (oder eben der Amtsinhaber) nicht willens ist, an den Debatten teilzunehmen, sitzt er (oder sie) am längeren Hebel. Es gibt keine formale Regel, die Wahlkämpfer:innen zu einer Teilnahme verpflichtet – vor allem die sprichwörtliche „Macht der Gewohnheit“ und der Sog der großen öffentlichen Aufmerksamkeit hatten in den vergangenen Jahrzehnten dafür gesorgt, dass sich alle Kandidat:innen der Debattenbühne gestellt haben. Eine Weigerung, an den presidential debates teilzunehmen, hätte umgehend für massiven Gegenwind durch die gegnerische Kampagne, aber auch die breite US-amerikanische Öffentlichkeit gesorgt. Die Spekulationen um die Gründe wären groß: Fehlendes Vertrauen in die eigenen rhetorischen Fähigkeiten? Angst vor dem verbalen Schlagabtausch? Misstrauen gegenüber den Medien? Oder etwa Arroganz gegenüber den Wähler:innen?

Als zusätzlicher Grund für den Bedeutungsverlust der TV-Debatten wird häufig die schwindende Bedeutung des Fernsehens als Medienumgebung angesehen. Ein Blick auf die Entwicklung der Einschaltquoten zeigt jedoch, dass dies nicht unbedingt zutrifft – zwei der drei meistgesehenen Debatten stammen aus den Jahren 2016 und 2020, als der digitale Medienwandel längst flächendeckend vollzogen war. Und auch die Debatte zwischen Kamala Harris und Donald Trump war ein Quoten-Hit: Mit 67,1 Millionen Zuschauer:innen rangiert sie in den Top Ten aller Debatten seit 1976, gemessen werden die Größe des Live-Publikums und die Online-Aufrufe am Tag der Ausstrahlung.

Taylor Swift und „The Kiffness”

Inzwischen fungieren die TV-Debatten als medialer Ausgangsreiz, der immer noch ein großes Publikum anzieht, dann aber auf den digitalen Ausspielwegen ein Nachleben führt – als Texttafel, Bild, oder Reel bei Facebook, Insta und X, als Clip bei TikTok oder als Edit bei YouTube. Dadurch erfolgt aber eben auch eine Kondensierung des Langformats in kurze, knappe Snippets, die besonders auffällige Passagen herausgreifen – im guten wie im schlechten Sinn. Verloren geht dabei jedoch (oft) der Kontext der Äußerungen und auch die Kohärenz der Debatte. Nicht selten entstehen so Fehldarstellungen und (gewollte) Desinformation, die zwar die Reichweite erhöhen, aber inhaltlich gegenläufige Wirkung zeigen. In diesem Jahr sind besonders zwei Elemente aus dem Nachleben der Debatte hervorzuheben. Zunächst hatte unmittelbar nach dem Ende der TV-Übertragung die Sängerin Taylor Swift mit einem präzise formulierten Statement auf Instagram ihre Unterstützung für Kamala Harris signalisiert. Das Posting enthielt nicht nur eine Begründung für ihre Wahlentscheidung, sondern auch Hinweise zur Registrierung für Wähler:innen in den USA. Daraufhin erlebten die entsprechenden Websites einen enormen Ansturm, in den Tagen nach der Debatte hatten sich die Zugriffe auf diese Informationsseiten etwa verzehnfacht. Das zweite „Nachbeben“ zur Debatte erfolgte in Gestalt eines Memes, einem hoch verdichteten Info-Brocken, der aus dem langen Debatten-Geschehen herausgegriffen wurde. Es handelte sich dabei um die Aussage von Donald Trump, dass in Springfield (Ohio) Migrant:innen die Haustiere der Einwohner essen würden.1 Bereits unmittelbar nach der Debatte wurde dieser Schnipsel durch die sozialen Netzwerke gereicht, kommentiert und als Grundlage für Bearbeitungen genutzt. Der Höhepunkt der Verbreitung wurde aber erst einige Tage später erreicht, als der südafrikanische Musiker David Scott (Künstlername „The Kiffness“) den Ausschnitt als Grundlage für den Song „Eating the Cats“ nutzte und somit die Sichtbarkeit dieser abstrusen, rassistischen Aussage vervielfachte. Zu diesem Zeitpunkt hatten zahlreiche US-Medien bereits Hintergrundberichte veröffentlicht, die die Aussage als haltlos und auf Fehlinformationen basierend entlarvt hatten (vgl. die entsprechende Episode des New York Times-Podcasts „The Daily“ vom 13. September 2024).

Elon, Donald und die creators

Dass die Debatten auf den digitalen Plattformen eine Verlängerung erfahren, ist nichts Neues: Seit 1996 werden US-Wahlkämpfe als Testumgebungen für innovative Medienformate genutzt, schon damals wurde die Debatte zwischen Bill Clinton und Bob Dole in das Internet übertragen – jedoch nicht als Videostream, sondern als Patchwork aus Online-Radio und Live-Mitschrift. In den Obama-Wahlkämpfen von 2008 und 2012 erlebte die „Onlive-Debatte“ als Parallelveranstaltung auf Twitter ihre Höhepunkte, hier etablierte sich der second screen als wichtiges Werkzeug zur unmittelbaren Begleitung und Ergänzung des TV-Ereignisses. Aus dieser Zeit resultieren auch frühe Versuche einer computational social science, als findige Forscher:innen versuchten, Schlüsselbegriffe und Hashtags aus der Masse der Online-Kommentare herauszufiltern und in Bezug zu den Debatteninhalten zu setzen.

Im aktuellen Kampagnenzyklus erlebte die zum rechtslastigen Lautsprecher „X“ mutierte Plattform mit dem Treffen von Eigentümer Elon Musk mit dem Kandidaten Donald Trump ein Comeback. Das Interview – eher eine Art „Dialogsituation“ mit deutlich erhöhtem Sprechanteil für den republikanischen Präsidentschaftskandidaten – fand im space des Ex-Präsidenten statt. Der weitestgehend stressfreie und unkritische Austausch zwischen den beiden Herren ist ein gutes Beispiel für die wachsende Macht von Online-Services, die die öffentlichkeitsgestaltende Funktion von Medien übernehmen, sich aber der gesellschaftlichen Verantwortung im Sinne des fourth estate entziehen. Für die öffentlichkeitswirksame Gesprächsveranstaltung wurden immerhin 1,3 Millionen Nutzer:innen gezählt – zum Vergleich: Die für Biden verhängnisvolle TV-Debatte bei CNN sahen mehr als 50 Millionen Menschen. Gleich am Folgetag wurde deutlich, dass das Medienereignis aber auch außerhalb von X sichtbar ist und durchaus Wellen schlagen kann.2

Dieser „Auszug“ der Kandidat:innen aus den traditionellen Qualitätsmedien in Richtung digitaler Nischenangebote, die inzwischen längst auch ein Millionenpublikum erreichen können, ist ein wichtiger Aspekt des Wahlkampfs im Jahr 2024. So suchte Donald Trump immer wieder die Nähe von Content Creators, die zwar nicht als Teil einer politischen Öffentlichkeit gelten können, aber hohe Reichweiten in den umkämpften jungen Zielgruppen haben, die für herkömmliche Kampagnen-Angebote unempfänglich geworden sind. Nicht selten sind auch zwielichtige Akteur:innen am rechten Rand darunter, wie etwa Logan Paul oder Laura Loomer. Die Aufmerksamkeit für solche neuartigen Medienakteur:innen ist kein exklusives Phänomen im republikanischen Spektrum, sondern findet sich auch bei den Demokraten. Beide Parteien hatten sich während ihrer Nominierungsparteitage aktiv um junge Influencer:innen bemüht und ihnen privilegierten Zugang zu den conventions gewährt. In früheren Jahren waren es die Blogger, die als Neulinge begrüßt wurden, nun erfährt das arrivierte press corps mit Instagram-, Twitch- und TikTok-Stars eine neue Konkurrenz. Im Wahlkampf unternehmen die Kandidat:innen den Versuch, die neuen Öffentlichkeitsakteur:innen an sich zu ziehen und so ihre Sichtbarkeit in der Wählerschaft zu steigern. Inhalte und Wahlkampfthemen spielen dabei nur noch selten eine Rolle, wenn Trump sich mit Bekanntheiten aus der Tech- und Gamer-Szene umgibt oder Harris die Online-Stars aus dem Fashion- und Entertainment-Sektor anspricht. Damit vollzieht sich ein schleichender, vermutlich unaufhaltsamer Wandel der Öffentlichkeit, der von einer fortschreitenden Fragmentierung in zahllose Teilpublika gekennzeichnet ist. Umgeleitet werden dabei auch die Geldströme aus den Kampagnen: Während üblicherweise das meiste Geld für Sendezeiten für die TV-Spots in den zahlreichen regionalen US-Fernsehmärkten ausgegeben wird, findet eine Umschichtung statt – die Demokraten versorgten während des Parteitags in Chicago etwa 200 creators nicht nur mit exklusiven Einblicken, sondern auch mit Hotelübernachtungen und einem eigenen Veranstaltungsprogramm.

Walz und Vance

In einer Phase, in der sich immer deutlicher abzeichnet, dass es kein zweites Aufeinandertreffen der Präsidentschaftskandidat:innen mehr geben wird, bäumte sich das Format der TV-Debatten zur Überraschung vieler noch einmal auf. Als am 1. Oktober die running mates Tim Walz und J.D. Vance beim Sender CBS an die Rednerpulte traten, fühlten sich viele Beobachter:innen in die gute alte Zeit der presidential debates zurückversetzt. Der Dialog wirkte ruhig und (größtenteils) sachorientiert, die Kontrahenten verzichteten auf persönliche Anfeindungen oder Beleidigungen und zeigten bisweilen sogar Empathie für ihr Gegenüber. Kurz: Sie verhielten sich so normal und „staatsmännisch“ wie es bis 2012 die Regel war. Zugesehen haben dabei gut 43 Millionen Menschen – das liegt in der Nähe des Durchschnittswerts von 46,5 Millionen seit 1976, aber um gut 25 Prozent unter dem Wert der Debatte zwischen Kamala Harris und Mike Pence vor vier Jahren (58 Millionen).

Gewiss, es gab auch hier Auffälligkeiten – so wirkte Tim Walz in der ersten Hälfte der Debatte unsicher, aufgeregt und unpräzise in seinen Antworten. Der Umgang mit der durchaus gepfefferten Einstiegsfrage, wie er im Situation Room auf einen massiven Militäreinsatz Israels gegen Iran reagieren würde, schien ihn schlichtweg zu überfordern. J.D. Vance hingegen wirkte über weite Strecken rhetorisch sicher, antwortete souverän und fand durchaus einen Weg, auch abstruse Ideen Donald Trumps nach „normaler“ konservativer Politik klingen zu lassen. Erst ab etwa der Hälfte der Debatte wendete sich das Blatt – beim für die Demokraten wichtigen Abtreibungsthema fand Walz den Weg zurück in seine Argumentationsspur und beim Debattenabschluss zum Demokratieverständnis der Kandidaten setzte er Vance massiv zu. Er stellte ihm die Frage, ob Donald Trump die Wahl 2020 verloren habe – und erhielt keine Antwort. Walz´ schneidender Hinweis auf diese „damning non-answer“ machte sich unmittelbar nach Ende der Sendung auf den Weg durch die Weiten der digitalen Netze. An dieser Stelle wurde klar, dass Vance zwar vieles kann, eines aber nicht: eine vier Jahre zurückliegende Wahlniederlage eingestehen. Hätte er dies getan, wäre es in Mar-a-Lago wohl als unverzeihlicher Affront angekommen und hätte möglicherweise das Ende der Vizepräsidentschaftskandidatur bedeutet.

Trotz der „Zivilität“, die sich durch weite Teile der Debatte zog, ist dieser weiche, friedliche Ton nicht gleichzusetzen mit einer Kehrtwende im Wahlkampf. Kandidaten für die Vizepräsidentschaft sind üblicherweise einer breiten Wählerschaft kaum bekannt und sollen sich zunächst einmal vorstellen – insbesondere im Fall Vance kommt die wichtige Funktion als Ausgleich für den Hardliner an der Spitze des Wahlzettels hinzu. Die kommenden Wochen werden eine Rückkehr zu gegenseitigen Angriffen, persönlichen Beleidigungen, haarsträubenden Falschaussagen, böswilligen TV-Spots und KI-generierten Ablenkungsmanövern bringen – die 90 Minuten policy talk mit Tim und J.D. werden dann schnell in Vergessenheit geraten.

Was von den Debatten übrig bleibt

Trotz der großen Popularität digitaler Versatzstücke und Meme-Auskopplungen bleibt die Debatten gerade in der Langform von 90 Minuten ein besonderes Zeitdokument. Näher als im National Constitution Center in Philadelphia dürften sich Harris und Trump im gesamten Wahlkampf nicht mehr kommen – und auch Walz und Vance werden ihre Unterhaltung nicht fortsetzen. Selbst wenn Kamala Harris ihre Teilnahme für eine weitere Debatte mit ihrem Herausforderer am 23. Oktober bei CNN auffallend öffentlich zugesagt hat, ist bislang nicht davon auszugehen, dass der republikanische Kandidat einer weiteren Konversation zustimmen wird. Der Zeitfaktor der Veranstaltung ist dabei nicht zu unterschätzen – schließlich war es gerade die Länge der Debatte im Juni, die Präsident Biden zum Verhängnis wurde. Die bis dahin längst bekannten Video-Schnipsel mit rhetorischen, kognitiven und physischen Auffälligkeiten hatten immer nur eine punktuelle Wirkung gezeigt – die wiederholten Aussetzer in einer nicht nur für Joe Biden quälend langen Livesendung verdeutlichten die Übermacht des Gegners, gegen den auch er nicht gewinnen kann: das Alter.

Sichtbar wurde aber in allen drei Debatten, was solche Veranstaltungen immer auch sind – nämlich Tests auf Öffentlichkeitstauglichkeit und die Fähigkeit, sich in zähen und langwierigen politischen Verhandlungen zu behaupten. Wie soll sich jemand, der auf die knappen Fragen der Journalist:innen nicht klar und dezidiert äußern kann, wohl im Gespräch mit politischen Kontrahent:innen von internationalem Format behaupten? Zumal in langen, kräftezehrenden Verhandlungsrunden, die sich über mehrere Tage hinziehen können? Oder in Extremsituationen wie im Situation Room? Im Juni profitierte Donald Trump noch vom Versagen des amtierenden Präsidenten und gerieten seine eigenen „Testergebnisse“ in den Hintergrund – in der Debatte mit Kamala Harris war dies anders.

Für die Demokratin barg das Debattenformat dagegen andere Tücken. Sie durfte nicht zu sehr in ihre Rolle als Staatsanwältin verfallen und den Gegner ins Verhör nehmen – zu viel Strenge (mit sich und ihrem Gegenüber) wurde Hillary Clinton 2016 zum Verhängnis. Für Harris ging es darum, einen guten Mittelweg zu finden, um sich selbst und ihre inhaltlichen Standpunkte an ein breites Publikum zu vermitteln – und sich dabei nicht von Donald Trump aus der Ruhe bringen zu lassen. Für Harris fielen die Zeugnisse gemischt aus: Gelobt wurde sie für ihre Strategie, Donald Trump mit gezielten Provokationen von seinem Plan abzubringen und zu unbeherrschten Reaktionen zu verleiten. Das ist ihr gelungen, etwa mit dem Verweis auf seine zunehmend langweiligen campaign rallies, bei der sogar Menschen vorzeitig die Veranstaltung verlassen würden. In seiner Eitelkeit gepackt, reagierte Trump mit einer Gegenrede und versäumte es, Argumente und Kritik gegen Harris ins Feld zu führen. Genau diese erfolgreiche Strategie wurde der Demokratin jedoch auch negativ ausgelegt – denn durch dieses „Sprechtheater“, bei dem sie als kluge Stichwortgeberin für ihren unbeherrschten Dialogpartner agierte, gerieten ihre eigenen Aussagen ein wenig in den Hintergrund. Kritischere Beobachter:innen suchten nach der Debatte weiter nach einer genaueren Profilierung von Kamala Harris, die in nicht allen Fällen deutliche Antworten auf die Fragen der Moderation geliefert hatte.

Mit ein wenig Abstand vom konkreten Debatten-Geschehen erscheint jedoch der schleichende Niedergang der Commission on Presidential Debates als der wichtigste Effekt der aktuellen Debatten-Serie, die streng genommen keine ist. Eine über viele Jahre gewachsene Institution, die für einen Interessensausgleich zwischen den Kampagnen, aber auch den übertragenden TV-Stationen und
-Netzwerken gesorgt hat, die sich um die Entwicklung und Umsetzung angemessener journalistischer Formate gekümmert und einen möglichst gerechten Organisationsrahmen garantiert hat, steht vor einem Scherbenhaufen. Wohl und Wehe der presidential debates sind mehr denn je abhängig von den Kandidat:innen und deren Berater:innen – wenn sie es für günstig erachten und sich Vorteile versprechen, dann werden sie eine Debatte fordern. Wenn nicht, dann werden sie sie meiden. Mit dem aktuellen Jahrgang erhalten vor allem die Skeptiker:innen eine Vorlage, wie sie sich diesem Format entziehen können. Dadurch verliert die Commission on Presidential Debates – zumindest vorerst – ihre Existenzgrundlage.

Ergänzendes Material (Interviews, Podcast):

„Die Macht der Mattscheibe“, ein Gespräch mit Magdalena Pulz im DLF-Podcast „Der Rest ist Geschichte“ zur Entstehung und Entwicklung der Debatten seit 1960 (5. September 2024).

Vorschau auf die Debatte zwischen Kamala Harris und Donald Trump am 10. September 2024 im „Morgenecho“ bei WDR 5 .

Interview zum „Nachleben“ der Debatte (und das Endorsement von Taylor Swift) für die Sendung „Resonanzen“ bei WDR 3 am 11. September.

Zitationshinweis:

Bieber, Christoph (2024): Die Debatten-Serie, die es nicht gab, Endet im Wahljahr 2024 die Ära der Televised Presidential Debates?, Essay, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online Verfügbar: https://regierungsforschung.de/die-debatten-serie-die-es-nicht-gab/
This work by Christoph Bieber is licensed under a CC BY-NC-SA license.
  1. Im Original: „In Springfield, they are eating the dogs. The people that came in, they are eating the cats. They are eating – they are eating the pets of the people that live there.” []
  2. For use at your own risk: hier ist der Link zur Veranstaltung. []

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