Wie lässt sich die Demokratie in Deutschland verstärken? Dieser Frage gehen 21 Beiträge in dem Herausgeberband von Elisabeth Niejahr und Grzegorz Nocko nach. Das Besondere ist auch die Aufmachung, so Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte von der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen. Denn am Ende eines jeden Beitrags werden Pointen zusammengefasst: Idee, Effekt und Umsetzbarkeit. Dabei sticht die Breite und Vielfalt der Vorschläge heraus: Willensbildung, Partizipation und Willensbildung sind nur drei von vielen Bereichen, zu denen Vorschläge unterbreitet werden.
Das Vertrauens-Reservoir ist im Jahr 2021 herausgefordert. Die Pandemie hat aufklärerische Wirkung. Was funktioniert gut und was läuft schlecht in unserer Demokratie? Die Distanz-Demokratie provoziert. Damit ist nicht der Widerstand einer stets kleinen Minderheit gegen die Corona-Maßnahmen gemeint. Vielmehr provoziert uns täglich die überlebensnotwendige Übersetzung demokratischer Spielregeln und Praktiken in neue Formate der Distanz und des Abstands. Das gilt besonders im Superwahljahr 2021.
Elisabeth Niejahr und Grzegorz Nocko (Hg.): Demokratieverstärker: 12 Monate, 21 Ideen: Eine Politikagenda für hier und jetzt
Campus Verlag, Frankfurt/New York, 2021, 245 Seiten, ISBN 978-3-593-51383-6, 22,95 Euro
Autor
Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen und Direktor der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Regierungs‑, Parteien- und Wahlforschung.
Demokratieverbesserungen in einem Jahr
Das Vertrauens-Reservoir ist im Jahr 2021 herausgefordert. Die Pandemie hat aufklärerische Wirkung. Was funktioniert gut und was läuft schlecht in unserer Demokratie? Die Distanz-Demokratie provoziert. Damit ist nicht der Widerstand einer stets kleinen Minderheit gegen die Corona-Maßnahmen gemeint. Vielmehr provoziert uns täglich die überlebensnotwendige Übersetzung demokratischer Spielregeln und Praktiken in neue Formate der Distanz und des Abstands. Das gilt besonders im Superwahljahr 2021, in dem eine strategische politische Kommunikation der Mobilisierung für Parteien und Personen zwingend notwendig ist. Wir fühlen uns bei den Kulturtechniken der Demokratie in außergewöhnlicher Weise herausgefordert, oft auch überfordert. Informieren, organisieren, erinnern, kommunizieren, partizipieren, mobilisieren, debattieren – all das gilt in der Früh-Digitalisierung unseres Alltags ohnehin schon seit einigen Jahren als neues Betriebssystem unserer Gesellschaft. Altanaloge Kulturtechniken der Demokratie sind durch digitale Formate ergänzt oder auch vollständig überführt worden. Aber die Distanz-Formate galten nie ausschließlich. Das Virus veralltäglicht rasant diese Praktiken des Virtuellen. Das ist durchaus auch positiv, denn dank der Digitalisierung können wir auch politisch weiter agieren, wenn Bewegungen und Begegnungen eingeschränkt sind oder Protestversammlungen coronabedingt beschränkt werden. Um so mehr benötigen wir Übersetzungshelfer und Moderatoren, die das neue Zeichensystem für die Bürgerinnen und Bürger anwendbar machen. Das Kommunikations-Repertoire ist vielfältiger. Immer weniger sind wir Mitglieder des Gemeinwesens. Immer häufiger Follower. Die neue Grammatik der Politik steckt noch in Erprobungsräumen, um die neuen Muster für alle verständlich und nachvollziehbarer zu machen.
Und zeitgleich wächst die Sehnsucht nach verlässlicher Autorität, das große Ganze stellvertretend zu ordnen und idealerweise neue Orte des Gemeinwohls zu schaffen. Wer bietet Moral-Währungen als Ressourcen des Vertrauens in diesem neuen Betriebssystem an? Wo ist mein Ort, an dem ich wertgeschätzt werde, wo ich das Gefühl habe, meinen Platz zu finden? Wo bestehen Möglichkeiten, gemeinsame Einschätzungen von Problemen und Priorisierungen wahrzunehmen? Was tun Parteien im Bundestagswahljahr, um diese Fragen zu beantworten? Auch Meinungsbildung ist in der Distanz sehr schwer. Willensbildung geht oft einher mit Group-Thinking. Die Logik des Sozialen, die interpersonale Kommunikation, das Erlebnis der Begegnung formt Meinungen. Auch das fehlt uns im Moment, sodass wir umso mehr mit uns selbst beschäftigt sind. Orientierungsnomaden garantieren aber keine verlässliche Stimmabgabe bei Wahlen, die im Ergebnis in der Regel seit Jahrzehnten die politische Mitte in Deutschland stärkten und ausdifferenzierten.
Prägt sich in diesen Konturen des Neuen, mit diesem veränderten Betriebssystem des Politischen, in einer digitalen Eiligkeitsgesellschaft eine Zukunft aus? Kehren wir nach der Pandemie zur Nähe-Demokratie zurück? Ist das Bundestagswahljahr dafür ein Kipp-Punkt?
Man ist insofern neugieriger als sonst, wenn Ideen zur Verstärkung der Demokratie – gemeint ist die liberale Qualität der Demokratie in Deutschland vorgeschlagen werden. Die Hertie-Stiftung hat hierzu im Campus Verlag 21 Vorschläge gesammelt. Das Besondere ist auch die Aufmachung. Sie gleicht Managerbüchern, weniger sozialwissenschaftlichen Texten. Denn am Ende eines jeden Beitrags werden Pointen zusammengefasst: Idee, Effekt und Umsetzbarkeit. Dabei gehen die Herausgeber – Elisabeth Niejahr (Geschäftsführerin der Hertie Stiftung) und Grzegorz Nocko (Leiter des Hauptstadtbüros des Fellow Programms der Stiftung) – fest davon aus, dass alle Ideen in einem Jahr auch umsetzbar sind. Darin liegt die besondere Blickrichtung, denn Vorschläge sind heute keine Seltenheit. Lebenslange Weiterbildung für Parlamentarier schlägt Johannes Vogel von der FDP vor. Dazu sollten die Mandatsträger bis zu drei Monate ihr Mandat in einer Legislaturperiode ruhen lassen. Für viele Parlamentarier wäre dies ganz sicher eine Bereicherung, nicht nur permanent neue Infos im politischen Alltag aufzusaugen, sondern in einem komplett neuen Umfeld auch selber zu agieren. Peter Siller setzt sich für die Stärkung des öffentlichen Raums ein. Er schlägt ein konkretes Infrastrukturprogramm vor, um öffentliche Räume neu zu gestalten. Das sind keine Baumaßnahmen an sich. Vielmehr bringt der Platz mit Sogwirkung Menschen heterogen zusammen und verhindert Echokammer-Isolierungen. Nico Hofmann und Thomas Laue von der UFA setzen auf die Macht der Bilder und Geschichten. Sie favorisieren ab sofort diverse Teams in Sendern und Produktionsfirmen. Lebensrealitäten könnten so besser abgebildet werden, bestimmte Gruppen weniger marginalisiert werden.
Die Beispiele zeigen die Breite des Herangehens, um die Qualität der Demokratie zu sichern bzw. ihr einen neuen Vitalisierungsschub zu geben. Willensbildung, Partizipation, institutionelles Setting, Meinungsbildung, Repräsentation, Arbeit und Freizeit, Öffentlichkeit – das sind zentrale Bereiche, zu denen Vorschläge gemacht werden. Es bleibt zu wünschen, dass die Hertie-Stiftung diese Bereiche weiter aufgreift, anstößt, Verbündete sucht, mit Projekten steuert, um einige der Buchideen auch in 12 Monaten realisieren zu können.
Zitationshinweis:
Korte, Karl-Rudolf (2020): Elisabeth Niejahr und Grzegorz Nocko (Hg.): Demokratieverstärker, 12 Monate, 21 Ideen: Eine Politikagenda für hier und jetzt, Rezension, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online Verfügbar: https://regierungsforschung.de/elisabeth-niejahr-und-grzegorz-nocko-hg-demokratieverstaerker-12-monate-21-ideen-eine-politikagenda-fuer-hier-und-jetzt/
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