Gewinnt eine Minderheit bei Wahlen?

Steven Levitsky und Daniel Ziblatt zeichnen in ihrem Buch Die Tyrannei der Minderheit erschienen bei DVA präzise nach, wie sich eine zahlenmäßig unterlegene republikanische Minderheit eine politische Mehrheit sichern konnte. Die Autoren zeigen auf, wie diese Minderheit in den USA unverhältnismäßig viel politische Macht ausübt. Lernt die offene Demokratie in den USA zu wenig, fragt Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte von der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen. Levitskys und Ziblatts Band bietet eine spannende Lektüre für alle, die sich für die US-Wahlen interessieren.

Das Buch schockiert mit seinen Ergebnissen. Denn die Autoren weisen präzise nach, wie sich letztlich die Minderheit der Republikaner systemisch eine Mehrheit sichern konnte. Zwar gehen die Abstimmungen im Wahlmännerkollegium häufig knapp aus, aber: „[N]immt man die amerikanischen Wähler in den Blick, kann von Parität keine Rede sein: Wie erwähnt, haben die Demokraten seit den 80er-Jahren, abgesehen von einer, bei allen Präsidentschaftswahlen eine Wählerstimmenmehrheit und seit den 90ern auch jeden Sechs-Jahres-Zyklus im US-Senat gewonnen. Das ist keine Parität. Dass in Washington nahezu ein Gleichstand entsteht, liegt daran, dass unsere Stimmen durch die verzerrenden Kanäle unserer Institutionen geschleust werden“ (S. 209).

Gewinnt eine Minderheit bei Wahlen?

Steven Levitsky und Daniel Ziblatt: Die Tyrannei der Minderheit. Warum die amerikanische Demokratie am Abgrund steht und was wir daraus lernen können, DVA, München, 2024, 349 Seiten, ISBN: 978-3-421-07003-6, 26,00 Euro

Autor

Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen und Direktor der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Regierungs-, Parteien- und Wahlforschung. Seine aktuelle Publikation „Wählermärkte – Wahlverhalten und Regierungspolitik in der Berliner Republik“ ist am 17. Januar 2024 im Campus Verlag erschienen.

Das Buch schockiert mit seinen Ergebnissen. Denn die Autoren weisen präzise nach, wie sich letztlich die Minderheit der Republikaner systemisch eine Mehrheit sichern konnte. Zwar gehen die Abstimmungen im Wahlmännerkollegium häufig knapp aus, aber: „[N]immt man die amerikanischen Wähler in den Blick, kann von Parität keine Rede sein: Wie erwähnt, haben die Demokraten seit den 80er-Jahren, abgesehen von einer, bei allen Präsidentschaftswahlen eine Wählerstimmenmehrheit und seit den 90ern auch jeden Sechs-Jahres-Zyklus im US-Senat gewonnen. Das ist keine Parität. Dass in Washington nahezu ein Gleichstand entsteht, liegt daran, dass unsere Stimmen durch die verzerrenden Kanäle unserer Institutionen geschleust werden“ (S. 209).

Nach Steven Levitsky und Daniel Ziblatt bedeutet „Minderheitenherrschaft“ eine politische Situation, in der eine zahlenmäßig unterlegene Gruppe unverhältnismäßig viel Macht und Einfluss ausübt, wodurch sie die Mehrheit der Bevölkerung dominiert und ihre Interessen durchsetzt. In ihrem Buch Die Tyrannei der Minderheit beschreiben beide Autoren, dass dies in den USA durch mehrere institutionelle Mechanismen geschieht:

  1. Das Electoral College: Die Autoren bemängeln, dass das Wahlsystem der Präsidentenwahl nicht auf dem Prinzip der direkten Mehrheitswahl basiert. Stattdessen wird der Präsident durch Wahlmänner bestimmt, was dazu führen kann, dass ein Kandidat wie Donald Trump 2016 trotz weniger Stimmen die Wahl gewinnt. Dieses System führt zu einem Ungleichgewicht, das insbesondere kleinere und weniger bevölkerungsreiche Staaten bevorzugt​.
  2. Ungleichgewicht im Senat: Jeder Bundesstaat entsendet zwei Senatoren, unabhängig von der Bevölkerungszahl. Dies führt dazu, dass kleinere Staaten wie Wyoming mit weniger als einer Million Einwohnern genauso viel Einfluss im Senat haben wie Kalifornien mit über 40 Millionen Einwohnern. Diese Überrepräsentation kleinerer Staaten verstärkt das Machtungleichgewicht​.
  3. Lebenslange Ernennung von Richtern: Beide Autoren kritisieren auch, dass Richter des Supreme Court auf Lebenszeit ernannt werden. Diese Praxis gibt einer Minderheit die Möglichkeit, langfristig politischen Einfluss auszuüben, selbst wenn sich die politischen Mehrheiten im Land ändern​.
  4. Hürden für Verfassungsänderungen: Zudem weisen sie auf die extrem hohen Hürden hin, die eine Anpassung der Verfassung erschweren, selbst wenn sich die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse stark verändern​.
  5. Fabrizierte Mehrheiten: Die geografische Wählerverteilung und die nachgewiesenen Bezirksmanipulationen haben immer wieder sogenannte „fabrizierte Mehrheiten“ hervorgebracht.

Die Autoren kritisieren am US-Wahlsystem insbesondere dessen strukturelle Verzerrungen, die es ermöglichen, dass Minderheiten unverhältnismäßig viel politische Macht ausüben. Die Probleme sind in der Wissenschaft und in der politischen Öffentlichkeit bekannt. Ob Reformvorschläge, die im Buch auch gemacht werden, greifen, bleibt offen. Lernt die offene Demokratie in den USA zu wenig?

Zitationshinweis:

Korte, Karl-Rudolf (2024): Gewinnt eine Minderheit bei Wahlen?, Steven Levitsky und Daniel Ziblatt: Die Tyrannei der Minderheit. Warum die amerikanische Demokratie am Abgrund steht und was wir daraus ler-nen können, DVA, München, 2024, 349 Seiten, ISBN: 978-3-421-07003-6, 26,00 Euro, Rezension, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online Verfügbar: https://regierungsforschung.de/gewinnt-eine-minderheit-bei-wahlen/

This work by Karl-Rudolf Korte is licensed under a CC BY-NC-SA license.

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