Prof. Dr. Jürgen Rüttgers, Ministerpräsident a.D., Bundesminister a.D. und Professor an der Universität Bonn, wirft einen Blick auf die Zusammenarbeit in Europa angesichts der Corona-Krise. Über die Unfähigkeit, in der Krise zusammenzuarbeiten, solle sich Europa schämen. Statt europäischer Solidarität dominieren nationalstaatlichen Lösungen wie die Schließung der Grenzen. Welche Impulse für die Zukunft kann die Krise bieten?
Wenige Tage vor Ostern lobte Amerikas wichtigste Zeitung, die New York Times, die Erfolge der deutschen Politik im Kampf gegen die Corona-Seuche. „Was machen die anders als wir“, war die unausgesprochene Frage.
In Deutschland begann derweil eine Debatte über Lockerungen bei den beschlossenen Einschränkungen für das öffentliche und private Leben der Menschen.
Politik ohne ‚Zukunft‘?
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Jürgen Rüttgers war Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie. Er arbeitet als Anwalt in der Rechtsanwaltsgesellschaft Beiten Burkhardt und als Professor am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn. Die Europäische Kommission berief ihn 2017 zum Vorsitzenden der Independent High Level Strategy Group on Industrial Technologies und 2018 zum Sonderberater der EU-Kommission.
Dieser Beitrag erschien in gekürzter Form am 04.05.2020 als Gastkommentar auf Welt.de.
Wenige Tage vor Ostern lobte Amerikas wichtigste Zeitung, die New York Times, die Erfolge der deutschen Politik im Kampf gegen die Corona-Seuche. „Was machen die anders als wir“, war die unausgesprochene Frage.
In Deutschland begann derweil eine Debatte über Lockerungen bei den beschlossenen Einschränkungen für das öffentliche und private Leben der Menschen. Viele Wissenschaftler erwarten, dass es noch eine „zweite Welle“ der Seuche geben wird. Dabei wusste jedermann, dass wahrscheinlich frühestens im kommenden Jahr Medikamente und Impfstoffe zur Verfügung stehen werden.
Mancher in der Politik sprach sich gegen die Aufhebung der Kontaktsperren aus. Andere argumentierten, dem Wunsch der Bevölkerung und dem Druck der Wirtschaft müsse nachgegeben werden, um die Akzeptanz der Politik zu retten. Die Bundeskanzlerin verbat sich, weiter „Öffnungsdiskussionsorgien“ zu führen. Sofort meldete sich eine Fülle von Lobbyisten, um noch rechtzeitig für die eigene Klientel neue oder weitere Subventionen zu fordern. Auch in der Politik begann ein Wettlauf um das beste Ausstiegsprogramm. Auffällig war dabei, dass im Kern nur über die finanziellen Zuschüsse und die Lockerungen von Verboten und Einschränkungen diskutiert wurde.
Einige forderten wie immer die Bierdeckelsteuer, die FDP die Abschaffung des Soli. Die SPD-Vorsitzenden forderten höhere Steuern für Besserverdienende, zu denen in Deutschland Facharbeiter gehören. Die Grünen forderten, das Klima nicht zu vergessen. Die Rechtspopulisten waren sprachlos, nachdem sie vorher die Gefahren dieser Pandemie heruntergespielt hatten. Der Finanzminister sagte zu, weitere Subventionen zu prüfen. Der Arbeitsminister kündigte abwechselnd die Erhöhung des Kurzarbeitergeldes zu Lasten der Rücklagen der Arbeitslosenversicherung, die Einführung der Grundrente und schärfere Kontrollen der Betriebe an. Teile der Union waren kategorisch gegen Corona-Bonds. Die Bundesregierung blockierte gleichzeitig Hilfen aus dem EU-Haushalt für besonders von der Pandemie betroffene Länder wie Italien, Spanien, Griechenland und Portugal. Aus dem vorbildlichen Deutschland wurde das ungeliebte Deutschland. Statt zu helfen, wurden die offenen Grenzen von Schengen-Europa geschlossen, Quarantänen verhängt.
Der große alte Europäer Jacques Delors appellierte an die Vernunft der Verantwortlichen. „Der Mangel an ‚europäischer Solidarität‘ sei eine tödliche Gefahr für die Europäische Union“, sagte er. Henry Kissinger glaubt, dass die politischen und wirtschaftlichen Folgen noch über Generationen zu spüren sind: „Die Welt wird nach dem Coronavirus nie wieder dieselbe sein.“
Der Kampf gegen die Corona-Pandemie ist noch nicht gewonnen. Überall in unserer global vernetzten Welt entstehen neue Seuchenherde. Sie sind gefährlicher je schlechter das nationale Gesundheitssystem, je maroder die örtliche Infrastruktur, je größer die Armut ist.
Das Virus ist überall, unsichtbar, immer bereit, weitere Länder, Städte und Landschaften zu infizieren. Das Virus macht nicht alle Menschen gleich: Der alte, in allen Jahrhunderten gleiche Unterschied zwischen den Armen und Reichen bleibt auch bei dieser Seuche virulent.
Statt gemeinsam die Seuche zu bekämpfen, wurden Grenzen wieder hochgezogen, Zäune mit Mauern gebaut aus Steinen, aus Draht, aber auch aus Nationalismus und aus Angst. Europa wird sich den Herausforderungen der Krise stellen müssen, sonst bleiben die einzelnen Staaten allein. Spätestens mit der Rezession, die der Pandemie folgen wird, müssen die EU-Mitgliedstaaten solidarisch sein. Wer jetzt nicht solidarisch ist, wird in der Rezession alleine sein. Es wird ein „Zivilisationstest, der liberale Demokratien im Innersten erschüttert“ (B. Pörksen). Jeder muss wissen: Wer sich verweigert, kann beim Wiederaufbau nach der Rezession keine Mittel der Europäischen Union erwarten.
Überall herrscht Angst. Wenn Alleinherrscher (Xi Ping) und Diktatoren (Putin) oder Selbstdarsteller (Trump) über Macht verfügen, spüren die Menschen, dass sie getäuscht werden: Über das Ausmaß der Seuche, die Unwahrheit der verkündeten Zahlen, die Hohlheit der Versprechungen. Wir dürften nicht zulassen, dass die Angst über uns die Macht gewinnt. Stefan Kornelius hat recht, dass „zentralistische Systeme krisenanfälliger sind. Hingegen führen föderale Strukturen zu besseren Ergebnissen […] auch wenn der Entstehungsprozess von außen chaotisch anmutet.“ Freiheit und Föderalismus, der Rechtsstaat und die Gewaltenteilung, also liberale Demokratien, sind erfolgreicher, weil sie den Menschen verpflichtet sind. Das hat die ‚Große Europäische Freiheitsrevolution von 1989/90‘ bewiesen. Der Sozialismus ist damals untergegangen, weil er nicht in der Lage war, den Menschen ein gutes Leben und eine sichere Zukunft zu garantieren. Am Ende des Jahrzehnts kollabierte mit Lehman Brothers auch der Hyperkapitalismus, weil die Gier der Broker und Banker keine Grenzen mehr kannte.
Natürlich ist die Weltfinanzkrise nicht mit der Pandemiekrise zu vergleichen. Damals war ein Wirtschaftszweig, nämlich der Finanzsektor, Ausgangspunkt der Krise. Anders, als oft behauptet, waren die Auswirkungen dieser Krise nicht nur sektoral von Bedeutung. Auch damals litten viele Menschen überall auf der Welt unter den Folgen. In den USA verloren viele Menschen Haus und Hof, ihren Arbeitsplatz und ihre Krankenversicherung. Auch in Europa, speziell in Deutschland, waren harte Sparmaßnahmen erforderlich. Viele Menschen, die im wirtschaftlich prosperierenden Norditalien in unseren Tagen unter einer schlechten Krankenversorgung leiden, zahlen bis heute den Preis, den alle europäischen Mitgliedstaaten seitdem zahlen. Diejenigen Mitgliedstaaten, die das letzte Jahrzehnt nicht genutzt haben, ihre staatlichen Strukturen zu erneuern und den Staatshaushalt zu konsolidieren, stehen deshalb vor einer extrem großen Aufgabe. Sie brauchen unsere Hilfe.
Jedenfalls war es richtig, dass wir in Deutschland konsequent mit der ‚schwarzen Null‘ den Schuldenstand zurückgefahren haben. Nur so ist Deutschland in der Lage, bis zu einer Billion Euro für den Kampf gegen die Corona-Seuche zur Verfügung zu stellen. Um die Liquidität zu sichern, wollen die EU-Staaten öffentliche Garantien und Steuerstundungen zur Verfügung stellen. Die EU hat die Regeln für Staatsbeihilfen gelockert. Es wurden Ausnahmeregeln beim Stabilitäts- und Wachstumspakt eingeführt. Die EU-Kommission hat eine ‚EU-Arbeitslosenrückversicherung‘ eingeführt. Mittel aus dem Strukturfonds wurden bereitgestellt. Die Europäische Investitionsbank stellt 200 Milliarden Euro zur Finanzierung kleinerer und mittlerer Unternehmen zur Verfügung.
Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM), die Europäische Investitionsbank (EIB) und die EU-Kommission wollen eine Billion Euro zur Verfügung stellen. Anleihen der Europäischen Zentralbank helfen ebenfalls in großem Umfang. All das sind große Zeichen der europäischen Solidarität. Dass es bisher auch wegen des Widerstandes der Bundesregierung nicht gelungen ist, eine gemeinsam finanzierte Hilfe zu organisieren, obwohl viele renommierte Ökonomen, und sogar Bundesbankpräsident Jens Weidmann inzwischen europäische Gemeinschaftsanleihen für möglich halten, ist bedauerlich. Gerade wir Deutschen haben ein eigenes Interesse daran, dass es unseren Partnern in Italien, Spanien, Portugal und Griechenland in dieser Krise genauso gut geht wie uns. Besonders wichtig ist es, dass unverzüglich die neuen EU-Haushaltsbeschlüsse für 2020 – 2027 in Berlin nicht mehr blockiert werden. Dabei geht es um das neue Forschungsrahmenprogramm ‚Horizont Europa‘ im Umfang von 120 Milliarden Euro, durch das neue Medikamente und Impfstoffe, aber auch eine CO2-freie Industrie, eine gemeinsame Energieunion, ein sicheres Internet, eine bessere digitale Infrastruktur u. v. a. erforscht und entwickelt werden können.
Dieses Programm ist für die Schaffung neuer Arbeitsplätze in Europa unverzichtbar. Nur so können wir Produktionslinien für unsere Energie-, Kommunikations- und Medizinsysteme aus dem Ausland nach Europa zurückholen und so neue industrielle Arbeitsplätze schaffen. Das ist nicht das Ende der globalen Handels- und Industriekooperation. Es garantiert jedoch die Souveränität unserer Kommunikationsinfrastruktur, unserer Krankenversorgung und unserer High-Tech-Wirtschaft.
Die Menschen in Europa und anderswo sind mit einer weltweit verbreiteten Seuche konfrontiert. Sie haben Angst. Das Virus ist unsichtbar. Viele wünschen sich die Kontrolle über das eigene Leben zurück. Lockdown, Homeoffice, Social Distancing – alles ist neu und ungewohnt. Sie wissen um ihre Hilflosigkeit. Es gibt keinen Impfstoff, kein Medikament. Die Fernsehbilder aus dem Krankenhaus in Bergamo haben sich in ihr Gedächtnis eingegraben.
So sehr wir mit Recht auf die Bekämpfung der Seuche stolz sein können, so sehr müssen wir uns über unsere Unfähigkeit zur Zusammenarbeit in Krisenzeiten schämen. Nur zusammen sind die Europäer stark.
Bevor der Kampf gegen die Pandemie gewonnen ist, begann die Debatte über den Ausstieg. Die Politik diskutierte einen Exit, hat aber keine Exitstrategie. Über To-do-Listen wurde gestritten, keiner kannte Weg noch Ziel. Die Beteiligten verengten den Horizont auf die Rücknahme von Geboten und Verboten. Niemand diskutierte über die Zukunft: Über die Rolle Europas in der neuen Weltordnung, über die Aufgaben der Zivilgesellschaft in unserer Demokratie, über die soziale Marktwirtschaft und ihren Platz in der globalen und digitalen Welt.
Angst ist ein schlechter Ratgeber, so ein bekanntes Sprichwort. Angst verhindert auch ein neues Denken. Die Bundeskanzlerin ärgert sich über die planlose Ausstiegsdebatte. Der Vizekanzler wünscht sich eine „neue Normalität“, was immer das heißen mag. Der Arbeitsminister versucht, alte Parteiforderungen umzusetzen. Politik ist nicht die Verlesung immer neuer To-do-Listen mit Belastungen oder Entlastungen. Wer das Vertrauen der Bürger in die Zukunft stärken will, muss eine Strategie erarbeiten, die diese verstehen und mittragen.
Es geht nicht, die Grenzen innerhalb des vereinten Europas zu schließen und gleichzeitig einen gemeinsamen Binnenmarkt zu fordern. Wer einen Binnenmarkt hat, muss die Außengrenzen der Europäischen Union verteidigen. Hier hat das Bundesinnenministerium versagt. Wir müssen mit einem überarbeiteten Nachbarschaftsprogramm im Osten Europas, im Norden Afrikas und im Nahen Osten helfen, eine eigenständige Zulieferindustrie für die europäischen Industrien aufzubauen. Auch unsere Partner in Rumänien, Bulgarien, Zypern und auf dem Balkan können Teil unserer Wertschöpfungskette sein. Das gab es schon einmal, bevor China die Märkte mit Billigwaren flutete, vielfach von europäischen Unternehmen bestellt.
Wer ein schnelles Ende der Corona-Rezession will, der darf nicht nur Subventionen verteilen. Nach der Spanischen Grippe, die vor rund 100 Jahren nach dem Ende des ersten Weltkrieges ausbrach, gab es wieder Wachstum, weil die Elektrifizierung unserer Wirtschaft neue Märkte und Produkte erforderte.
Heute kann die Digitalisierung unserer Wirtschaft und unserer Lebenswelt neue Wachstumsimpulse geben. Wir brauchen eine europäische Datensouveränität und ein sicheres Internet. Niemand in Europa will einen Überwachungsstaat wie in China und eine Datenoligarchie wie in den USA.
Ebenso wichtig ist die Energiewende. Unser Ziel muss eine CO2-freie Wirtschaft sein, wie die High Level Strategie Group on Industrial Technologies in ihrem Bericht für die EU-Kommission vorgeschlagen hat. Dies erfordert einen gemeinsamen europäischen Energiemarkt und massive Investitionen in Forschung und Innovation. Schon jetzt sollten wir in neue 5G/6G-Technologien und neue Biotechnologien investieren. Um eine gleichwertige Versorgung der Kranken und Pflegebedürftigen europaweit sicherzustellen, brauchen wir ein europäisches Bioinformatiksystem und eine Wasserstoffwirtschaft. Notwendig ist auch, um schnellere und preisgünstige Investitionen in ein digitales Europa zu ermöglichen, eine Reform der europäischen Ausschreibungsverfahren. So können wir nach Asien verlagerte Arbeitsplätze zurück nach Europa holen. Das gilt insbesondere für Medizinprodukte, für eine sichere Energieversorgung und die Kommunikationswirtschaft.
Um die Zukunft des ‚Vereinten Europas‘ zu gestalten, brauchen wir stabile politische Verhältnisse in Deutschland und Europa. Wer wie die ungarische und die polnische Regierung die Kopenhagener Kriterien für eine Mitgliedschaft in der EU nicht mehr erfüllt, kann kein Geld aus dem EU-Haushalt für den Wiederaufbau nach der Krise bekommen. Wer z. B. die Freiheit von Forschung und Lehre an den Universitäten einschränkt, kann nicht Mitglied des europäischen Hochschulverbands sein. Parteien, die solche Entwicklungen befürworten, gehören nicht in die Familien europäischer Parteien.
Auch in Deutschland müssen wir nach der Pandemie zurück zu stabilen politischen Verhältnissen. Unter der Angst vor einem kollabierenden Gesundheitssystem, dem Druck der täglichen Statistiken über die aktuell Infizierten, die Genesenen und die Verstorbenen, die Zahlen der angesteckten Ärzte und Krankenpfleger, der verstorbenen Priester, den Bildern von Krankenbetten auf überfüllten Fluren und den Massengräbern in New York haben Bund und Länder harte Maßnahmen ergriffen.
Es war richtig, dass die deutsche Politik nach einer kurzen öffentlichen Debatte entschieden hat, dass allen Erkrankten, gleich ob alt oder jung, arm oder reich, Deutscher, Flüchtling oder europäischer Nachbar ein Recht auf Hilfe zusteht. Im Artikel 1 des Grundgesetzes heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“
Wahr ist aber auch, dass massive Einschränkungen der Grundrechte beschlossen wurden. Dies betrifft vor allem die Freiheitsrechte. In Art. 2 Abs. 2 GG heißt es: „Die Freiheit der Person ist unverletzlich.“ Zwar wurde in dieses Recht jedes Menschen in Deutschland „aufgrund eines Gesetzes eingegriffen.“ Die Debatte darüber, welche Konsequenzen die Übertragung von solchen fundamentalen Grundrechten auf Regierungen und Administrationen hat, wurde jedoch nicht sorgfältig geführt. Das Grundrecht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit, die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses wurde zwar mit Zustimmung der Bischöfe beider christlichen Konfessionen eingeschränkt (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG). Dass aber bundesweit keine Gottesdienste mehr stattgefunden haben, war zu weitgehend. Fernsehgottesdienste sind keine „ungestörte Religionsausübung“, die vom Staat gewährleistet werden muss. Auch die Freiheit der Meinung, von Kunst und Wissenschaft ist zurzeit in Deutschland nicht gewährleistet (Art. 5 GG). Wenn der Staat als Bund, Länder und Kommunen die Messen, die Theater, die Opern und die Kinos schließt sowie die freien Szenen und selbständigen Künstler auf Übergangsprogramme und Hartz IV verweist, setzt diese für die Zivilgesellschaft wichtigen Freiheiten vielleicht nicht rechtlich, aber tatsächlich außer Kraft.
Auch die Versammlungsfreiheit ist ausgehöhlt worden. Art. 8 Abs. 1 GG sagt: „Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.“ Die Freizügigkeit, die in Art. 11 GG im ganzen Bundesgebiet gilt, gilt auch in Europa (Art. 21 AEUV). Auch die Grundrechte auf Bildung und Ausbildung und im Verfolg das Grundrecht auf freie Wahl des Berufes, des Arbeitsplatzes und der Ausbildungsstätte war in den letzten Monaten nicht gewährleistet. Da die Schulen in Deutschland noch nicht digital vernetzt sind, gab es auch keine Alternative.
Auch die Soziale Marktwirtschaft, die durch die Verfassungsverträge und Art. 20 Abs. 1 GG geschützt wird, ist durch die Pandemie und die Billionen neuer Schulden stark unter Druck geraten.
Da eine Demokratie die Legitimation ihrer Gesetze und Verordnungen aus den Grundrechten ableitet, müssen die Gesetzesänderungen, die zur Bekämpfung der Pandemie formal korrekt beschlossen wurden, überprüft und die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger wiederhergestellt werden.
Wenn das Virus die Weltordnung verändert, dann muss nicht nur Europa solidarisch die Pandemie bekämpfen. Das ‚Vereinte Europa‘ muss seine Rolle in der Welt jetzt neu definieren. Europa ist heute schon staatlich organisiert. Europa kann und muss also eventuell zusammen mit den USA und notfalls gegen China und Russland Verantwortung für den Frieden, die Freiheit, den Rechtstaat und die Gewaltenteilung, das Klima, die Digitalisierung, den Kampf gegen die Armut und Bildung für alle Menschen übernehmen.
Zitationshinweis:
Rüttgers, Jürgen (2020): Politik ohne ‚Zukunft‘?, Essay, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online Verfügbar: https://regierungsforschung.de/politik-ohne-zukunft/
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