Schäuble als Monument des politischen Gestalters

Wolfgang Schäuble ist einzigartig. Er hat nicht nur die Kanzlerschaften von Helmut Kohl und Angela Merkel aus der Nähe erlebt, sondern viele politische Entscheidungen aus verschiedenen hochrangigen Positionen heraus gestaltet. Mit einer Mischung aus persönlicher Reflexion, politischem Bericht und historischem Überblick bietet die Autobiografie Schäubles eine einzigartige Perspektive auf das politische Geschehen in Deutschland und Europa, so Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte von der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen.

Mit einem der Co-Autoren konnte ich mittlerweile mehrmals über das Buch von Wolfgang Schäuble sprechen. Hilmar Sack und Jens Hacke, die ein Nachwort liefern, konnten über mehrere Jahre mit Wolfgang Schäuble am Text arbeiten. Jens Hacke berichtete von tagelangen Gesprächen, die dann in Texte überführt wurden. Wolfgang Schäuble wollte unbedingt noch das Erscheinen erleben, was ihm aber nicht gelang. Immerhin schärft das die Tonalität.

Schäuble als Monument des politischen Gestalters

Wolfgang Schäuble: Erinnerungen – Mein Leben in der Politik, Klett-Cotta, Stuttgart, 2024, 656 Seiten, ISBN: 978-3-608-98704-1, 38 Euro

Autor

Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen und Direktor der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Regierungs-, Parteien- und Wahlforschung. Seine aktuelle Publikation „Wählermärkte – Wahlverhalten und Regierungspolitik in der Berliner Republik“ ist am 17. Januar 2024 im Campus Verlag erschienen.

Mit einem der Co-Autoren konnte ich mittlerweile mehrmals über das Buch von Wolfgang Schäuble sprechen. Hilmar Sack und Jens Hacke, die ein Nachwort liefern, konnten über mehrere Jahre mit Wolfgang Schäuble am Text arbeiten. Jens Hacke berichtete von tagelangen Gesprächen, die dann in Texte überführt wurden. Wolfgang Schäuble wollte unbedingt noch das Erscheinen erleben, was ihm aber nicht gelang. Immerhin schärft das die Tonalität. Denn das Buch ist an keiner Stelle eine Abrechnung mit politischen Gegnern, die er im Berliner Alltag weiterhin getroffen hätte. Dennoch wird klar, wen er erwähnt und wen er nicht erwähnt im Buch. Das ist Kalkül und kluge Rationalität. Wir können davon ausgehen, dass die Nicht-Erwähnten eher im Konflikt mit Schäuble lagen. Andere wie den Deutschen Bank Chef, Josef Ackermann, verschont Schäuble nicht. Sein neoliberales politisches Profil vertrug sich an keiner Stelle mit dem Gemeinwohl-Akteur aus Baden-Württemberg.

Das Besondere an dieser Autobiographie kann man auf vier Punkte reduzieren:

  1. Politische Karriere und Erfahrung: Wolfgang Schäuble ist eine der prägendsten Persönlichkeiten in der deutschen Politik der Nachkriegszeit. Er war über Jahrzehnte hinweg in verschiedenen hochrangigen Positionen tätig, darunter als Innenminister, Finanzminister und Bundestagspräsident. Seine Einblicke und Erfahrungen in der deutschen Politik, insbesondere während der Wiedervereinigung und der Eurokrise, machen das Buch zu einer wertvollen Quelle für das Verständnis dieser historischen Ereignisse.
  2. Persönliche Einblicke: Er gewährt auch Einblicke in sein persönliches Leben, einschließlich der Herausforderungen, die er nach einem Attentat im Jahr 1990 zu bewältigen hatte, das ihn in den Rollstuhl zwang. Er spricht offen über die Auswirkungen auf sein Leben und seine Arbeit, was dem Buch eine tiefe persönliche Note verleiht.
  3. Reflexion über politische Entscheidungen: Das Buch bietet eine Reflexion über zentrale politische Entscheidungen und Entwicklungen in Deutschland und Europa. Wolfgang Schäuble beschreibt nicht nur seine Sichtweise auf diese Ereignisse, sondern erklärt auch die Hintergründe und Überlegungen, die zu bestimmten Entscheidungen geführt haben. Dies gibt Lesern ein besseres Verständnis der politischen Mechanismen und der oft schwierigen Entscheidungsprozesse.
  4. Geschichtlicher Kontext: Erinnerungen gibt auch einen Überblick über die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen in Deutschland und Europa von den 1960er-Jahren bis in die Gegenwart. Schäuble beleuchtet dabei zentrale Themen wie die deutsche Wiedervereinigung, die Europäische Integration und die Finanzpolitik.

Das Buch ist eine Mischung aus persönlicher Reflexion, politischem Bericht und historischem Überblick. Es bietet eine einzigartige Perspektive auf die jüngere Geschichte Deutschlands und Europas aus der Sicht eines Insiders, der viele der Ereignisse maßgeblich mitgestaltet hat. Das Buch eignet sich als Fundgrube und Case Study für die moderne Regierungsforschung. Vor allem wird sichtbar, intensiv am Beispiel der Deutschlandpolitik und der Zeit des Finanzministers, welchen Möglichkeitsraum Politik einnimmt. Politik muss nicht nur reagieren, sondern kann mit vielen Alternativen gestalten. Diese Alternativen zeigt Schäuble auf. Nicht immer war er völlig frei im Handeln, aber auf dem Weg dorthin. Die Offenheit musste kämpferisch erarbeitet werden.

Andere Bücher und Texte von Wolfgang Schäuble sind im Gesamtstoff in Auszügen mit eingewoben worden, was aber stimmig wirkt. Problematisch bleibt seine Sicht, die sich leitmotivisch durchzieht: Er wollte nichts von sich aus werden, es ergab sich immer. Da kommen Zeitzeugen in ihrer Erinnerung an bestimmte Situationsdramaturgien mit ihm zu ganz anderen Schlussfolgerungen.

Wolfgang Schäuble bleibt einzigartig: Wer kann schon von sich behaupten, 16 Jahre Helmut Kohl als Kanzler aus der Nähe erlebt zu haben und zugleich 16 Jahre mit Angela Merkel?

Zitationshinweis:

Korte, Karl-Rudolf (2024): Schäuble als Monument des politischen Gestalters, Wolfgang Schäuble: Erinnerungen – Mein Leben in der Politik, Klett-Cotta, Stuttgart, 2024, 656 Seiten, ISBN: 978-3-608-98704-1, 38 Euro, Rezension, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online Verfügbar: https://regierungsforschung.de/schaeuble-als-monument-des-politischen-gestalters/

This work by Karl-Rudolf Korte is licensed under a CC BY-NC-SA license.

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