Die Resilienz der Gesellschaft in Pandemiezeiten und Thomas Druyens „Die ultimative Herausforderung“

Die Ereignisse der Corona-Pandemie eröffnen eine neue, erweiterte Interpretationslinie für die Lektüre von Thomas Druyens „Die ultimative Herausforderung – über die Veränderungsfähigkeit der Deutschen“, so Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte, der an der NRW School of Governance der Universität Duisburg-Essen lehrt und forscht. Die Gesellschaftsanalyse im Buch trägt auch zu einem Verständnis bei, warum wir in der derzeitigen Situation so reagieren, wie wir reagieren.

Es lohnt sehr, sich nochmals die Daten und Interpretationen der sogenannten „Vermächtnis-Studie“ anzusehen, welche die Wochenzeitung Die ZEIT 2017 umfangreich dokumentierte. Jutta Allmendiger hatte dazu in ihrem Buch „Das Land, in dem wir leben wollen“ die Ergebnisse bereits präsentiert. Das Buch von Thomas Druyen und sechs weiteren Autorinnen und Autoren knüpft daran an. Drei zentrale Fragen treiben alle an: Wie ergeht es uns in der Welt von heute? Welche Gesellschaft wünschen wir uns für zukünftige Generationen? Und was erwarten wir von der Welt von morgen?

Thomas Druyen (Hrsg.): Die ultimative Herausforderung – über die Veränderungsfähigkeit der Deutschen

Springer VS Verlag, Wiesbaden, 2018, 348 Seiten, ISBN: 978-3-658-19761-2, 39,99 Euro

Autor

Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen und Direktor der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Regierungs- , Parteien- und Wahlforschung.

 

Es lohnt sehr, sich nochmals die Daten und Interpretationen der sogenannten „Vermächtnis-Studie“ anzusehen, welche die Wochenzeitung Die ZEIT 2017 umfangreich dokumentierte. Jutta Allmendiger hatte dazu in ihrem Buch „Das Land, in dem wir leben wollen“ die Ergebnisse bereits präsentiert. Das Buch von Thomas Druyen und sechs weiteren Autorinnen und Autoren knüpft daran an. Drei zentrale Fragen treiben alle an: Wie ergeht es uns in der Welt von heute? Welche Gesellschaft wünschen wir uns für zukünftige Generationen? Und was erwarten wir von der Welt von morgen?  Das Buch ist eine Fortsetzung und neuere Einordnung zu den zentralen Fragestellungen.

Durch den Corona-Fundamentaleinschnitt bekommen die Ergebnisse eine neue, erweiterte Interpretationslinie. Orientierungssinn und Kohärenzgefühle zu bewahren oder sie aufzubauen ist schwer, wenn eine komplett neuartige Lebenserfahrung sowohl in der Bedrohung als auch im LockDown Gefühl uns alle erreicht. Druyen und andere Autoren belegen eindrucksvoll, wie in Deutschland eine Veränderungsbereitschaft nicht präventiv, antizipativ oder prospektiv, sondern eher reaktiv und konkret besteht. Das knüpft an das an, was wir heute als resiliente Gesellschaft erfahren und was uns offenbar zu Wettbewerbs- und Krisengewinnern im Kampf gegen Corona macht.

Die Bundeskanzlerin ließ bereits bei ihrer Fernsehansprache durchblicken, dass ihr Politikmanagement vom Prinzip, „in der Lage zu lernen“, getragen ist. Strategiefähigkeit beruht auf der Fähigkeit, permanent neue Lageeinschätzungen über Frühwarnsysteme zu erhalten. Da politische Macht immer stimmungsabhängig und fluide ist, wird die Lageeinschätzung zum Dreh- und Angelpunkt der politischen Führung. Wie ist die politische Lage? Das Führungsverhalten hängt elementar von der informierten Einschätzung ab. Die Entscheidungen unter Bedingungen von Unsicherheit sind der Regelfall in Krisenzeiten. Insofern ist der wichtige Hinweis, lernend Lageeinschätzungen zu verändern, ein kluger Modus für die Entscheidungsfindung in Krisenmomenten. Es ist die strategische Antwort auf ein „auf Sicht fahren“. Offensives Lernen und antizipierte Vorsicht reichen aber nicht vollständig für das Politikmanagement in der Krise aus. Vielleicht sollte man noch Coping hinzufügen. Gemeint ist ein Gestaltungshandeln, das nicht vorgibt, anspruchsvoll Problembewältigung oder gar Problemlösung zu betreiben. Coping-Gefühle stellen sich ein, wenn die Pandemie überwunden zu sein scheint. Coping eignet sich als ein Instrument des Politikmanagements für extreme Komplexität von Entscheidungssituationen, wie es sich ab März 2020 abzeichnete.

Wie die Bürger mit diesen Veränderungen umgehen und auf sie reagieren, hängt von der Kommunikation ab, wie, wann, von wem erklärt und begründet wird, warum bestimmte Maßnahmen erfolgen. Die vom Druyen-Team im Buch präsentierten Ergebnisse legen dies nahe. Die Bereitschaft mit Veränderungen umzugehen, bemisst die Resilienzforschung. Den Deutschen wird politisch-kulturell nachgesagt, dass sie Weltmeister in Resilienz seien. Sie haben ganz offensichtlich die Fähigkeit zu großen Veränderungen. Anders wären auch die internationale hohen Wohlfahrts- und Wohlstandsgewinne der prosperierenden deutschen Wettbewerbsgesellschaft kaum erklärbar. Konkret löst die Aussicht auf Veränderungen Leidenschaft aus. Aber weder die Aussicht auf noch die Fähigkeit zur Veränderung sind gleichzusetzen mit einer Bereitschaft, Veränderungen zügig und idealerweise vorausplanend anzunehmen. Resilienz eignet sich für das Politikmanagement als Strategie des Komplexitätsmanagements. Wie bereitet man sich als Regierung auf Krisen vor, von denen man weiß, dass sie kommen werden, aber nicht wann und wie? Resilientes Lernen ist mehr als Krisenmanagement. Es ist eher die Fähigkeit der Akteure im System kontinuierlich Veränderungen zu antizipieren und proaktiv darauf zu antworten. Das System bleibt im aktiven Lern-Modus der Transformation.

Zu den Konturen moderner Resilienz gehören neben dem Modus des Lernens auch die Anerkennung von Heterogenität und Pluralität. Wer Unterschiede kennt, sozusagen eine Einübung ins Fremde alltäglich praktiziert, ist nicht nur toleranter bei Abweichungen, sondern auch zukunftstauglicher. Je vielfältiger eine Gesellschaft ist, desto widerstandfähiger ist sie gegen populistische Herausforderungen, aber auch krisenresilienter. Wer Vielfalt und Differenz kennt, findet schneller beste Reaktionsmodelle für Lösungen. Sozialpsychologisch lässt sich zudem nachweisen, dass Diversität im Alltagserleben auch deren Akzeptanz bei den Bürgern fördert.  Dort, wo es Ungleichheit in vielfältigen Bezügen und Formaten gibt, sind die Bürger toleranter. Homogenität schadet der Akzeptanz von Unterschiedlichkeit. Die für einen liberalen Rechtsstaat wichtige und notwendige Versöhnung der Differenz gelingt unter den Alltagsbedingungen von gelebter Vielfalt. Wichtig bleibt, dass diese Zugehörigkeit als Solidarität nur belastbar ist, wenn die Solidarität unter Ungleichen auch zivilisiert erstritten und parlamentarisch abgebildet wird. Wer Solidarität gerade in der Krise anordnet und kommunikativ nur auf ein Verordnungsregime setzt, verliert die Zustimmung der Bürger und die Chance, Vielfalt als Garant von Sicherheit einzusetzen.

Der Föderalismus, im besten Sinne als Wettbewerbsföderalismus angelegt, offenbart in dieser Logik des klugen Vorteils von Heterogenität, einen Ausweg tastend zu lernen. Der sogenannte „Flickenteppich“ an 16-facher Unterschiedlichkeit (agile Infrastrukturen) in der Pandemie-Bekämpfung ist dann nicht das Problem, sondern die Lösung. Der starke Verwaltungsunterbau – mit den Gesundheitsämtern – und die föderalen Strukturen ermöglichen die Krise gerade dort intensiver, anpassungsfähiger, und regional robuster zu bekämpfen, als es vom Bund aus steuerbar wäre.

Es sind insofern die klugen strategischen Verbindungen von gelebter und akzeptierter Vielfalt, von Resilienz-Erfahrungen und offensiven Lernstrategien, die prinzipiell dem bundesdeutschen Politikmanagement in der Krise aus Ausweg zur Verfügung stehen. Es sind Prinzipien einer Vorsorgestrategie, die Sicherheit schafft auch für kommende Herausforderungen.

Integriert in die elf Beiträge sind auch ausführliche Gespräche mit Jutta Allmendiger und dem Risikoforscher Gerd Gigerenzer. Hier wird nochmals dokumentiert, wie Heuristiken im Umgang mit Unsicherheit individuell ausgeprägt sind, aber zu den Prozessen von lernender Resilienz subsummiert werden können.

Wer sich die Gesellschaftsanalyse, die im Buch entwickelt wird, vergegenwärtigt, glaubt zu erkennen, warum wir so reagieren, wie wir gerade reagieren. Ob dies gelernt, erfahren, erarbeitet ist, sei dahingestellt, aber diese offenbar pragmatisch geläuterte Sicht auch auf die Zukunft, schafft demokratische Erdung, die sich in Zeiten der Pandemie bewährt.

Zitationshinweis:

Korte, Karl-Rudolf (2020): Thomas Druyen (Hrsg.): Die ultimative Herausforderung – über die Veränderungsfähigkeit der Deutschen, Rezension, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online Verfügbar: https://regierungsforschung.de/thomas-druyen-hrsg-die-ultimative-herausforderung-ueber-die-veraenderungsfaehigkeit-der-deutschen/

 

This work by Karl-Rudolf Korte is licensed under a CC BY-NC-SA license.

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  1. Raul Praatz

    Ich habe aus der Rezension nicht verstanden, ob im Buch die Art, wie in Deutschland Veränderungen eingeführt werden, eher als reaktiv oder als proaktiv dargestellt wird. Im ersten Absatz der Rezension geht es mehr um reaktiv, in einem der folgenden dann um proaktiv.

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