Wie ein Kleber haftet das Image als Verbotspartei an den Grünen, so Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte von der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen. Auch andere politische Parteien setzen auf Verbote. Trotzdem eilt allein den Grünen der Ruf als Verbotspartei voraus. Warum werden die Grünen mit diesem Label versehen, während anderen Parteien Verbote nicht zur Last gelegt werden?
CDU und SPD sind in Hessen auf dem Weg, zukünftig das Gendern an Universitäten zu verbieten. Die FDP will Geldauszahlungen an Geflüchtete verbieten. Die Liste kann man beliebig fortsetzen. Viele politische Parteien haben zur Problemlösung nicht nur generelle Regulierungsvorschläge und Anreizmodelle im Angebot, sondern auch massive Verbotskataloge. Aber nur einer Partei heftet immerwährend die Marke „Verbotspartei“ an: den Grünen.
Wie ein Kleber
Die Grünen gelten als Verbieter und Besserwisser – obwohl ihre Konkurrenten ebenfalls Verbotsparteien sind
Autor
Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen und Direktor der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Regierungs-, Parteien- und Wahlforschung. Seine aktuelle Publikation „Wählermärkte – Wahlverhalten und Regierungspolitik in der Berliner Republik“ erscheint am 17. Januar 2024 im Campus Verlag.
Hinweis: Dieser Text erschien zuerst in der Süddeutschen Zeitung vom 25.11.2023 auf S. 5.
CDU und SPD sind in Hessen auf dem Weg, zukünftig das Gendern an Universitäten zu verbieten. Die FDP will Geldauszahlungen an Geflüchtete verbieten. Die Liste kann man beliebig fortsetzen. Viele politische Parteien haben zur Problemlösung nicht nur generelle Regulierungsvorschläge und Anreizmodelle im Angebot, sondern auch massive Verbotskataloge. Aber nur einer Partei heftet immerwährend die Marke „Verbotspartei“ an: den Grünen. Doch die Wahlkampfforschung liefert keine empirischen Belege, dass Grüne in ihren Programmen mehr verbieten als andere Parteien. Auch die Regierungsforschung kann kein Politikmanagement nachweisen, dass Grüne in Regierungsverantwortung mehr als andere dazu neigen, politische Vorhaben über Verbote mehrheitsfähig zu machen.
Das Image einer Verbotspartei klebt dennoch an den Grünen. Verdachtsbestimmt sortieren wir grüne Wortmeldungen sofort in die Schublade: „Verboten!“. Reflexartig wird den Grünen in der Öffentlichkeit und auf dem Wählermarkt unterstellt, dass ihr Weg bei der Problemlösung primär mit Verboten gepflastert ist. Natürlich existieren auch für dieses Muster Belege, der Vorwurf ist nicht aus der Luft gegriffen. Das Gebäudeenergiegesetz sollte mit einem Verbot traditioneller fossiler Heizungen den Klimaschutz vorantreiben. Auch Grüne regulieren also durchaus mit Verboten, aber eben nicht üppiger als andere. Wo liegen die Ursachen für diese einseitige Projektion?
Das Label „Verbotspartei“ kann mit einem besonders sensiblen Typus politischer Entscheidungen zusammenhängen. Gemeint sind Entscheidungen, die in unseren privaten, familiären Alltag eingreifen. Die Grünen wirken damit übergriffig. Sie legen sich mit dem Zuhause-Gefühl an. Nichts ist wirkungsmächtiger für Wahlentscheidungen als das, was zu Hause besprochen oder erlebt wird. Mit dem Heizungsgesetz verlagerte sich die Klimakrise in den privaten Keller. Es ist insofern nicht die Dosis der Verbote, welche die Grünen öffentlich zur Verbotspartei macht, sondern die private Durchschlagskraft der Vorhaben auf den individuellen Lebensalltag der Bürgerinnen und Bürger.
Noch etwas kommt hinzu: Sie gelten auch als Besserwisser. Sie scheinen ihre Argumente oftmals von moralischen Hochsitzen aus vorzutragen. Aktuelle Studien unterstellen den Grünen und ihrer Wählerschaft, sich in „entkoppelten Lebenswelten“ zu bewegen. Sie sind mehr unter sich; im eigenen Lager muss die Notwendigkeit bestimmter Maßnahmen nicht nachdrücklich begründet werden. Sie ergibt sich aus der Logik der Sachlage der besserverdienenden und höher gebildeten Wählerschaft. Das wirkt auf alle, die nicht zum Lager gehören, arrogant-besserwisserisch.
Grüne, belehrend daherkommende Moralität verstellt den Blick auf wichtige demokratische Vorhaben. Die Dosis an Moralität überfrachtet die eigentlichen Argumente. Denn dabei stehen dann nicht Verteilungsfragen im Zentrum, sondern kulturelle Konfliktlagen. Sie scheinen im eigenen Milieu gesetzt, wirken auf Dritte aber dogmatisch, geradezu unverhandelbar.
Privatheit und überlegene Moralität müssen mit einem dritten Deutungsangebot erweitert werden. Danach überfordert grüne Politik die Wählerinnen und Wähler oft. Auch das führt häufig dazu, dass den Grünen das Etikett „Verbotspartei“ aufgeklebt wird. In unserer Trägheitsdemokratie belohnen die Sicherheitsbewussten den Status quo, nicht die Veränderung. Grüne aber wollen der Rettung stets eine Richtung geben – oft auch im Modus des Veränderungsfurors. Sie favorisieren die Transformation. Sie zielen auf die digitale und postfossile Nachhaltigkeitsgesellschaft.
Das ist anstrengend und überfordert viele. Die meisten Bürgerinnen und Bürger sehnen sich nach einem funktionierenden Staat. Idealerweise soll dieser ein klug schützender Vorsorgestaat sein; sie kennen dagegen vielmehr den sehr reparaturbedürftigen Nachsorgestaat. Insofern ist klar: Der Umbau wird zeitintensiv und mühselig. Gleichzeitig sind die Menschen krisenbedingt enorm veränderungsmüde. Und die Grünen treffen auf ein Wählerreservoir in Deutschland, das in der Mehrzahl politisch-kulturell sicherheitskonservativ votiert: ängstlich, status-quo-orientiert.
Die Veränderungszuversicht ist mehrheitlich nicht ausgeprägt. Grüne brauchen für die Transformation insofern nicht nur politische Mehrheiten, sie müssen mit Zumutungsmut auch gesellschaftliche Mehrheiten formen. Zumal wenn eine inklusive Veränderung angestrebt wird, die die Bürgerinnen und Bürger teilhabend mitnimmt. Jede Veränderungsidee führt zu Störungen der Gewohnheiten, was bürgerliche Lebenswelten durchkreuzt. Ein Triumph an Sesshaftigkeit kann dabei nur schwer verteidigt werden. So ist es einfach, jede Veränderung, welche die Grünen andenken, gleich als Verbot zu titulieren. Es entlastet von der Selbstverantwortung, die Zukunft aktiv mitzugestalten. Das Unbequeme bekommt das Etikett „verboten“.
Privatheit, Moralität, Überforderung, dieser Dreiklang kann durch den Begriff Ehrlichkeit ergänzt werden. Grüne sagen transparent ehrlicher, dass eine enkelfähige Politik nur mit Einschränkungen und Verlusten am Wohlstandsniveau erreichbar sein wird. Sie verstecken diese Botschaft nicht, sondern werben geradezu offensiv mit ihr. Andere Parteien agieren zumutungs- und anstrengungsfrei. Sie suggerieren, alles werde schon gut und niemand werde dabei zurückgelassen. Bestenfalls kommunizieren sie souverän-unscharf, um Mehrheiten zu behalten. Grüne Offenheit bestrafen deshalb viele mit dem Etikett einer von Verboten umstellten Zukunft.
Die Projektion der Grünen als Verbotspartei hat insofern vielfältige Hintergründe, die mit der Empirie tatsächlicher Verbote anstatt alternativer Regulierungsarten wenig zu tun haben. Dass die Grünen damit strukturell in der Defensive sind, ist dennoch ungewöhnlich. Denn die Deutschen haben durchaus ein Faible für Verbote und Vorschriften. Sie zu befolgen oder gar herbeizuwünschen, gilt vielen als Gebot der Stunde. Denn Verbote suggerieren funktionierende Staatlichkeit und gesicherte Ordnung. Verbote bieten Sicherheit, was auf dem Wählermarkt in Deutschland wichtiger ist als Freiheit.
Wenn das so ist, dann wird klarer, dass es offenbar nicht am jeweiligen konkreten Vorschlag der Grünen liegt, wenn er sofort als Verbot wahrgenommen wird. Vielmehr sind es die Verpackung des Politischen und die damit verbundene Projektionen, die es den Grünen auf dem Wählermarkt so schwer machen, langfristig und nicht nur in Wahljahren als Bündnis- und nicht als Klientelpartei wahrgenommen zu werden.
Zitationshinweis
Korte, Karl-Rudolf (2023): Wie ein Kleber, Die Grünen gelten als Verbieter und Besserwisser – obwohl ihre Konkurrenten ebenfalls Verbotsparteien sind, Essay, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online verfügbar: https://regierungsforschung.de/wie-ein-kleber/
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