Klimaretter oder Klimaextremisten?

Die Protestaktionen und der Aktivismus der Letzen Generation polarisieren. 2022 nahm die Klimaschutzbewegung aufgrund diverser unkonventioneller Protestformen einen zentralen Stellenwert in zahlreichen Diskussionen auf unterschiedlichsten Ebenen ein. Wie argumentieren Medien in der Berichterstattung über die Letzte Generation? Wie werden der Nutzen und die Gefährdung durch die Protestaktionen bewertet? Tom Höpfner und Aryan Shooshtari, die an der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen studiert haben, werfen einen Blick auf die mediale Berichterstattung zur Letzten Generation.

Mit der zu Beginn des Jahres 2023 verlautbarten Meldung, dass die Bezeichnung „Klimaterroristen“ zum Unwort des Jahres auserkoren wurde, hat die entsprechende Kommission die Bedeutung der Klimaschutzbewegung für den gesamtgesellschaftlichen Diskurs im Jahre 2022 gewürdigt und zugleich gemahnt, dass friedlicher Protest in zunehmender Tendenz mit Terrorismus gleichgesetzt und damit „gewaltlose Protestformen zivilen Ungehorsams und demokratischen Widerstands in den Kontext von Gewalt und Staatsfeindlichkeit“ gestellt werden (SAUJ 2023).

Klimaretter oder Klimaextremisten?

Eine Untersuchung der medialen Resonanz auf die Protestaktionen der Letzten Generation

Autoren

Tom Höpfner ist seit Oktober 2023 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte mit dem Schwerpunkt Politisches System der Bundesrepublik Deutschland und moderne Staatstheorien.  Am Lehrstuhl fungiert er als Lehrkoordinator für den Masterstudiengang Politikmanagement, Public Policy und öffentliche Verwaltung, den er selbst zuvor absolviert hat.

Aryan Shooshtari ist als Studiengangskoordinator des berufsbegleitenden Master of Public Policy an der NRW School of Governance tätig. Zuvor war er Student des Masterstudiengangs Politikmanagement, Public Policy und Öffentliche Verwaltung.

1 Vorwort

Mit der zu Beginn des Jahres 2023 verlautbarten Meldung, dass die Bezeichnung „Klimaterroristen“ zum Unwort des Jahres auserkoren wurde, hat die entsprechende Kommission die Bedeutung der Klimaschutzbewegung für den gesamtgesellschaftlichen Diskurs im Jahre 2022 gewürdigt und zugleich gemahnt, dass friedlicher Protest in zunehmender Tendenz mit Terrorismus gleichgesetzt und damit „gewaltlose Protestformen zivilen Ungehorsams und demokratischen Widerstands in den Kontext von Gewalt und Staatsfeindlichkeit“ gestellt werden (SAUJ 2023). In der Tat lässt sich für das Jahr 2022 konstatieren, dass die Klimaschutzbewegung aufgrund diverser unkonventioneller Protestformen einen zentralen Stellenwert in zahlreichen Diskussionen auf unterschiedlichsten Ebenen einnahm, was sicherlich auch darauf zurückzuführen ist, dass besagte Proteste nicht nur am Rande stattfanden, sondern auch das Alltagsleben vieler Menschen beeinflussten. Eine besondere Rolle dürften hierbei die Aktivisten der sogenannten Letzten Generation eingenommen haben, welche viele der thematisierten Proteste initiierten und durchführten, sodass unkonventionelle Protestformen gewissermaßen als zentrales Kennzeichen dieser Gruppierung gesehen werden können.

Aus einem politikwissenschaftlichen Blickwinkel erscheint der dadurch erzeugte Diskurs deswegen interessant, weil zahlreiche grundlegende Fragestellungen tangiert werden. Dies gilt auch für solche aus dem Bereich der Partizipations- und Medienforschung, auf welche im Rahmen der hier vorliegenden Arbeit näher eingegangen werden soll. Dabei drängt sich hinsichtlich Ersterer beinahe selbstständig die Frage auf, inwiefern besagte Protestformen überhaupt als politische Teilhabe verstanden werden können. Bezüglich Letzterer stellt sich wiederum die Frage, ob und wie der obengenannte Diskurs geführt wird. Dementsprechend untersucht die vorliegende Forschungsarbeit die mediale Resonanz hinsichtlich der Protestaktionen der Letzten Generation im Jahr 2022. Hierbei haben sich folgende vier Argumentationsmuster herauskristallisiert:

  • Nutz(losigkeit): Welchen Nutzen haben die Protestformen der Letzten Generation und wirken sie letztlich gar kontraproduktiv?
  • Gefahr: Stellen die Protestformen der Letzten Generation eine Bedrohung für die Gesellschaft dar?
  • Korrespondenz: Besteht ein Sinnzusammenhang zwischen Protestform und Protestaussage?
  • Rationalität: Erlaubt die wissenschaftliche Evidenz des Klimawandels die Außerkraftsetzung (vermeintlich) gesellschaftlicher Konventionen?

2 Politische Partizipation

Wie bereits dargelegt, bedarf es für weitergehende Untersuchungen zunächst der Beantwortung der Frage, inwiefern Protest als legitime Form politischer Partizipation betrachtet werden kann. Wird nämlich aus der wissenschaftlichen Perspektive von politischer Partizipation gesprochen, so ist damit ein Gegenstandsbereich tangiert, für den im Laufe der Zeit unterschiedlichste Taxonomien entwickelt wurden (vgl. Hoecker 2006, S. 9).  Allgemein können hierunter alle

„freiwilligen Handlungen der Bürger mit dem Ziel, politische Sach- und Personalentscheidungen auf verschiedenen Ebenen des politischen Systems zu beeinflussen oder unmittelbar an derartigen Entscheidungen mitzuwirken“ (Gabriel u. Brettschneider 1998, S. 285)

verstanden werden. Hierbei handelt es sich jedoch um eine Definition, die lediglich grundlegende Merkmale politischer Partizipation nennt (Walk 2008, S. 89) und damit eine erhebliche Bandbreite an potenziellen Partizipationsformen umfasst. Diese lassen sich auf einem Kontinuum anordnen, wobei an einem Ende ein sehr enges Partizipationsverständnis feststellbar ist, wohingegen am anderen Ende sehr offene Definitionen vorzufinden sind, „die nahezu alles Denken und Handeln von Individuen als politische Partizipation ansehen“ (Steinbrecher 2009, S. 27-28).

Enge Partizipationsverständnisse zeichnen sich grundsätzlich dadurch aus, dass hauptsächlich die Beteiligung an Wahlen sowie durch Parteien vermittelte Tätigkeiten unter den Begriff der politischen Partizipation subsumiert werden (vgl. Gabriel 2022, S. 54). Zwar handelt es sich hierbei nach heutigen Maßstäben um ein sehr enges Verständnis, doch lässt sich die Fokussierung auf ebengenannte Beteiligungsformen auf die zentrale Stellung von Wahlen und Abstimmungen als „Grundgerüst der politischen Mitwirkungsrechte und der Demokratie insgesamt“ zurückführen (Bätge 2021, S. 31). Die Tatsache, dass nur wenige Aktivitäten als legitime Formen politischer Partizipation anerkannt werden, kommt zwar der Übersichtlichkeit zugute, schließt jedoch einen Großteil möglicher Aktivitätsformen aus, was angesichts des technologischen und gesellschaftlichen Wandelns mittlerweile kaum noch hinnehmbar erscheint (so auch Woyke 2021, S. 751).

Dementsprechend verwundert es nicht, dass sich das Verständnis von politischer Partizipation im Verlauf der letzten Jahrzehnte sukzessive ausgeweitet hat, sodass das tradierte politische Beteiligungsrepertoire mit seiner konventionellen Ebene um ein unkonventionelles Pendant erweitert wurde (Woyke 2021, S. 752): Mittlerweile lassen sich etwa 70 verschiedene Ausprägungen von politischer Partizipation feststellen (siehe auch van Deth 2003, S. 175-177). Dabei erscheint die Begrenzung auf solche Beteiligungsformen sinnvoll, die einen gewissen politischen Zusammenhang aufweisen und damit zumindest das Kriterium einer solchen Kausalität erfüllen, wie es beispielsweise bei Milbrath vorzufinden ist, der als politische Partizipation „those actions of private citizens by which they seek to influence or to support government and politics“ versteht (1981, S. 196; vgl. auch Deimel 2023, S. 12). Ein solches Verständnis behält die prinzipielle Offenheit für neue – respektive unkonventionelle – Partizipationsformen bei, ohne jedoch der Problematik einer Undifferenziertheit zu unterliegen.

Doch selbst unter Berücksichtigung eines offeneren Partizipationsverständnisses stellt sich die Frage, inwiefern politischer Protest als legitime Ausprägung politischer Partizipation betrachtet werden kann. Definieren wir politischen Protest als

„kollektive, direkte Aktionen, deren Teilnehmer durch die Mobilisierung öffentlichen Drucks Einfluss auf politische Entscheidungsträger zu nehmen versuchen und dabei die Verletzung breit anerkannter politischer Verhaltensregeln in Kauf nehmen“ (Gabriel 2022, S. 70, eigene Hervorhebung),

zeigt sich eine offensichtliche Konfliktlinie dergestalt, dass solche Aktivitäten aufgrund ihrer bewussten Regelverletzung zwangsläufig sowohl mit verfassten als auch ungeschriebenen Gesetzmäßigkeiten kollidieren. Rucht weist in diesem Zusammenhang jedoch darauf hin, dass Protest mangels anderer Möglichkeiten politischer Einflussnahme insbesondere für Soziale Bewegungen die „zentrale Form der Selbstdarstellung und Einflussnahme“ darstellt (2003, S. 23). Hingegen steht Manow einer solchen Einordnung kritisch gegenüber, da das repräsentative Element immer weiter in den Hintergrund geriete und hierdurch prinzipiell jede Gruppierung mit dem scheinbaren Anliegen, demokratisch garantierte Grundrechte wahrnehmen respektive schützen zu wollen, agieren könne (2020, S. 47 ff.). Unserer Ansicht nach erscheint es überzeugend, Protest als grundsätzlich legitime Ausprägung politischer Partizipation anzuerkennen: Zum einen handelt es sich um eine Beteiligungsform, welche als valide Ergänzung der Willensbekundung außerhalb der konventionellen Aktivitäten gesehen und deren Potenzial zur Förderung politischer Aufmerksamkeit kaum noch bestritten werden kann. Zum anderen lässt sich über den längeren Zeitverlauf eine Zunahme der Teilnehmerzahlen feststellen (ausführlich Rucht 2006, S. 184-208), sodass eine Delegitimierung der Tendenz als „akzeptierte und gebräuchliche Beteiligungsform“ (Szukala u. Oeftering 2020, S. 8) zuwiderlaufen und in letzter Konsequenz die in den jeweiligen Protesten geäußerten Willensbekundungen übergreifend nicht anerkennen würde.

3 Die Rolle der Medien

Lässt sich die Diskussion hinsichtlich der Einordnung von Aktivitäten als politische Partizipation primär aufseiten der Wissenschaft verorten, lassen sich entsprechende Prozesse auch bei den Medien feststellen. Dies gilt insbesondere aufgrund der Tatsache, dass die Medien sowohl für die Zivilgesellschaft als auch für die Politik eine entscheidende Rolle bei der Meinungsbildung einnehmen und damit – direkt oder indirekt – Einfluss auf den politischen (Einordnungs-)Prozess genommen werden kann.

Eine plausible Erklärung hierfür stellt der sogenannte Agenda-Setting-Ansatz dar, dessen Grundannahme darin gesehen werden kann, dass über die Schwerpunktsetzung der Medien in ihrer Berichterstattung die Relevanz der behandelten Themen auch auf Seiten der Rezipienten steigt (Maurer 2010, S. 10). Obgleich es sich um ein recht simples Kausalmodell handelt, lässt sich die Evidenz eines solchen Effekts in diversen Studien bestätigen (Fawzi 2014, S. 443-444) und kann daher als gesichert angesehen werden. Flankiert wird dieser Ansatz durch sogenannte Framing-Effekte, also die Annahme, dass Informationsvermittlung von vornherein nicht als objektiv betrachtet werden kann und dementsprechend ein Second-Level-Agenda-Setting erfolgt. Dieses kann als „konzeptuelle Erweiterung“ des erstgenannten Ansatzes gesehen werden und geht davon aus, dass nicht nur die Prioritätensetzung der Themen, sondern darüber hinaus auch die Einstellungen gegenüber diesen beeinflusst werden. Auch diese Annahme wurde mittlerweile in mehreren Studien bestätigt (exemplarisch Golan u. Wanta 2001 sowie Son u. Weaver 2005), sodass der Einfluss der Medien auf die (politische) Wahrnehmung der Öffentlichkeit als gesichert gelten dürfte. Es verwundert daher auch nicht, dass Luhmann festhält, „[w]as wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien“ (2017, S. 9) und auch Vierecke et al. den Medien „die weitgehende Definitionshoheit darüber, was politisch wichtig (und richtig) ist“ (2019, S. 101), zusprechen.

Gelten diese Modelle auf einer allgemeineren Ebene, existieren auch zum Verhältnis zwischen dem Medien- und dem Politiksystem diverse (idealtypische) Modelle, welche die jeweiligen Abhängigkeiten unterschiedlich bewerten. Eines der am meisten vertretenen stellt mittlerweile das sogenannte Interdependenzmodell dar, welches kein eindeutiges Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen den Systemen sieht, sondern einen gegenseitigen Austausch der Systeme vertritt, sodass letztlich von einer „reflexiven Verschränkung“ gesprochen werden kann (Kaase 1986, S. 370; vgl. für weitere Modelle Borucki 2014). Eine solche Sicht auf das Beziehungsgeflecht zwischen Medien und Politik erscheint nicht nur theoretisch wesentlich naheliegender, sondern lässt sich auch faktisch in diversen Fällen nachweisen (ausführlich Merkle 2019, S. 84-92).

Angesichts der obigen Ausführungen sowohl zu den Protestformen, zur Funktion der Politik als auch zur Rolle der Medien erscheint es nach Ansicht der Autoren konsequent, diese in direkter Beziehung zueinander zu setzen. Hierzu dient eine schematisch vereinfachte Darstellung der drei Elemente Politik, Protest und Medien als Dreiecksbeziehung, wie Abbildung 1 verdeutlicht.

Abbildung 1: Dreiecksbeziehung von Politik, Medien und Protest; eigene Darstellung.

Zwei der drei Kanten lassen sich theoretisch erklären (s.o.). Erstens: Das Verhältnis von politischem Protest als Spielart legitimer politischer Partizipation und Politik als jenem menschlichen Handeln, das auf die Herstellung und Durchsetzung allgemein verbindlicher Regeln und Entscheidungen in und zwischen Gruppen von Menschen abzielt (Patzelt 2001, S. 23), wurde bereits geklärt. Protest wird verstanden als ein wesentliches Element von Partizipation und zielt insbesondere darauf, „durch die Mobilisierung öffentlichen Drucks Einfluss auf politische Entscheidungsträger“ und mithin „die Politik“ auszuüben (Gabriel 2022, S. 70). Andersherum ist politisches (Nicht-)Handeln regelmäßig Ursache für neu aufkommenden oder sich verändernden Protest. Zweitens sind Medien und Politik wechselseitig miteinander verschränkt; das Verhältnis wird wahlweise als interdependent bzw. symbiotisch beschrieben (Sarcinelli 2011, S. 123-125) oder über den Begriff der Mediendemokratie definiert (Donges 2016; Korte u. Fröhlich 2009, S. 100-103). Die dritte Kante, also das Verhältnis von Medien zu Protest und vice versa, unterliegt seltener einer wissenschaftlichen Betrachtung als die Beziehungen Politik-Medien bzw. Politik-Protest. In dieser Arbeit steht daher das Verhältnis von Protest und Medien am Beispiel der Medienberichterstattung über die Aktionen der Letzten Generation im Fokus. Dabei muss unter Berücksichtigung der oben ausgeführten Definitionsbestimmungen des medialen Systems sowie des Protests stets von einer reziproken Beziehung beider ausgegangen werden: Das Mediensystem ist ein relativ unabhängiges, seine Akteure können eigene Agenden verfolgen; die Berichterstattung über Protestaktionen hat ebenso einen (wie auch immer gearteten) Effekt auf die Protestbewegung, wie die Protestbewegung einen Effekt auf das Mediensystem hat, indem sie dieses zu einer (wie auch immer gearteten) Form der (Nicht-)Berichterstattung veranlasst.

Aus Sicht der Autoren ist die Betrachtung dieser Beziehung nicht zu vernachlässigen. Eine zentrale Annahme der Dreiecksheuristik ist, dass Veränderungen in der einen Ecke oder in dem Verhältnis zweier Ecken immer auch zu Reaktionen der dritten Ecke und unter Umständen zu Veränderungen in den übrigen Beziehungen führen. Dieser Effekt gilt in besonderer Weise für das hier untersuchte Verhältnis, da die (massen-)mediale Darstellung des Protests auch auf die politische Deliberation wirkt (Ertl 2015, S. 12). Dies spricht für die Annahme, dass Veränderungen einzelner Elemente des Dreiecks Auswirkungen auf die übrigen Elemente haben und unterstreicht die politikwissenschaftliche Relevanz einer Untersuchung der medialen Darstellung des Protests.

4 Die mediale Berichterstattung als Gegenstand einer qualitativen Einzelfallstudie über die Letzte Generation

Entsprechend der obigen Ausführungen stellt sich nunmehr die Frage nach einem geeigneten Forschungsdesign und des hierauf abgestimmten methodischen Vorgehens. Dabei ist zunächst zwischen dem „Fall“ und dem „Untersuchungsgegenstand“ zu differenzieren. Die vorliegende Arbeit untersucht die mediale Darstellung der Protestaktionen und –formen der Gruppierung Letzte Generation in Deutschland. Es geht mithin nicht um die Aktivistengruppe als solche, sondern um deren mediale Darstellung. Eine methodisch begründete Auswahl an Meinungsartikeln in den Medien bildet den Untersuchungsgegenstand, anhand dessen die Darstellung des (Einzel-)Falls – der Letzten Generation – analysiert und Erkenntnisse generiert werden.

Die vorliegende Arbeit ist demnach als (Einzel-)Fallstudie angelegt. Stellt man sich die Anzahl der Fälle als ein Kontinuum vor, bilden die qualitative Einzelfallstudie und die variablenbasierte, quantitative large-N-Studie jeweils die Extrempole (Ragin 2007, S. 2). Gemäß dieser groben Zweiteilung verortet sich die Arbeit aufseiten der qualitativen Einzelfallstudie. Theoretisch wäre auch eine Untersuchung der medialen Darstellung verschiedener klimaaktivistischer Gruppierungen vorstellbar gewesen. Die Letzte Generation dient hier hingegen als Fallauswahl für die Einzelfallstudie im Sinne eines influential case (hierzu Gerring u. Cojocaru 2016). Ein influential case ist ein Fall, der in irgendeiner Art und Weise besonders „wichtig“ für die Grundgesamtheit ist (Seawright u. Gerring 2008, S. 303) und der theoretisch relevante Erwartungen bestätigt (Gerring u. Cojocaru 2016, S. 403-404). Im untersuchten Fall handelt es sich bereits aus einer rein zeitlichen Perspektive um einen influential case, da mit Blick auf den Untersuchungszeitraum (das Jahr 2022) die Letzte Generation viel aktiver und damit in der generellen Wahrnehmung relevanter war, als das bspw. in den Jahren zuvor der Fall war, für die etwa der Bewegung Fridays for Future (FfF) diese Rolle zugesprochen werden dürfte.

Um eine möglichst große Bandbreite abzubilden, erfolgt die Analyse der Medieninhalte anhand vier großer Zeitungsverlage, von denen zwei eher dem linksliberalen und zwei eher dem konservativen Spektrum zuzuordnen sind. Bei Ersteren handelt es sich namentlich um die ZEIT und die Süddeutsche Zeitung (SZ), bei Letzteren um die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) und die BildZeitung. Neben der Auswahl anhand des Links-Rechts-Spektrums erfolgte eine solche auch aufgrund der Tatsache, dass es sich im Vergleich zu den anderen Wettbewerbern um (vergleichsweise) auflagenstarke Zeitungen handelt und damit um solche, die gemeinhin als „meinungsrelevant“ betrachtet werden müssen.

Wie bereits geschildert, wurde das erhobene Datenmaterial mithilfe einer qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet, wobei es nicht die eine Form der Inhaltsanalyse gibt, sondern vielmehr zahlreiche Ausgestaltungen existieren. Da es sich hier um eine recht einfache Form der Inhaltsanalyse mit hoher Kategorienorientierung handelt, lässt sich die vorliegende Untersuchung am ehesten als eine Mischung der sogenannten inhaltlich-strukturierenden sowie der evaluativen qualitativen Inhaltsanalyse zuordnen (vertiefend zu diesen und anderen Formen Schreier 2014). Diese Formen der Inhaltsanalyse erscheinen am ehesten als geeignet, um Antworten auf das zugrundeliegende Forschungsinteresse, welches insbesondere auf die Frage nach eventuellen Tendenzen sowie Veränderungen in der Berichterstattung gerichtet ist und dabei auch Argumentationsstränge ausfindig machen will, zu generieren.

5 Ergebnisse: Insgesamt negative Resonanz und vier dominierende Argumentationsmuster

Zwecks Darstellung der Untersuchungsergebnisse erscheint ein zweigestuftes Vorgehen sinnvoll: Zunächst erfolgt eine deskriptive Darstellung, bei der insbesondere die quantitativen Verhältnisse, gleichsam die „Kode-Statistik“ des Gesamtkorpus kodierten Materials, im Vordergrund stehen. Hieraus lassen sich bereits erste Annahmen und Rückschlüsse ziehen für den zweiten Schritt, die qualitative Interpretation der Ergebnisse. Hierbei geht es um den Kern der qualitativen Inhaltsanalyse und im engeren Sinne um die Auswertung der Kategorien. Die Darstellung der Ergebnisse erfolgt entlang vierer Argumentationsmuster (siehe bereits Kapitel 1).

5.1 Überwiegend negative Resonanz in der medialen Berichterstattung

Das deduktiv erstellte Kategoriensystem berücksichtigend, konnten über die Gesamtheit der Auswertungseinheiten bereits aussagekräftige Ergebnisse für die untersuchte Zeitungslandschaft insgesamt festgestellt werden. Es lässt sich dabei die Mehrheit der kodierten Textstellen der Kategorie eher negative Äußerung zuordnen (137 kodierte Segmente). Dahinter folgen die Kategorien sehr negative Äußerung (124 kodierte Segmente) sowie eher positive Äußerung (85 kodierte Segmente). Ebenfalls wie erwartet lassen sich vergleichsweise wenige Ausprägungen der Kategorie sehr positive Äußerungen feststellen (18 kodierte Segmente). Sieben Segmente wurden der Kategorie unklar zugeordnet; es handelt sich hierbei um Textstellen, die weder eindeutig eine (eher/sehr) positive noch eindeutig eine (eher/sehr) negative Äußerung bzw. Argumentation erkennen lassen. Angesichts von insgesamt 371 kodierten Segmenten (und damit einem Anteil unklarer Passagen von unter zwei Prozent) handelt es sich hier um eine Randerscheinung, die für die Interpretation der Ergebnisse nicht von Bedeutung ist. Insgesamt stehen damit 261 eher oder sehrnegative Äußerungen 103 eher oder sehr positiven Äußerungen gegenüber, wie Abbildung 2 zusammenfasst.

Für alle Zeitungen zusammengenommen kann also festgehalten werden, dass die Protestform bzw. spezifische Aktionen der Letzten Generation im Jahr 2022 mehrheitlich (72 Prozent) negativ rezipiert werden.

Abbildung 2: Kategorien der kodierten Textstellen; eigene Darstellung.

Abbildung 3: Oberkategorien nach Zeitung, eigene Darstellung.

Differenziert man die Oberkategorien nach den verschiedenen untersuchten Zeitungen, werden teils signifikante Häufungen erkennbar (siehe Abbildung 3). Die sehr positiven Äußerungen lassen sich in 14 von 18 Fällen der ZEIT zuordnen (78 Prozent). Demgegenüber finden sich die meisten mit sehr negativ kodierten Textstellen im Korpus der BILD-Artikel, nämlich 71 von 124 Segmenten (57 Prozent). Etwas konformer verteilen sich die eher negativen sowie eher positiven Äußerungen. Spitzenreiter bei Letzteren ist die SZ mit 41 von 85 Segmenten (48 Prozent), dicht gefolgt von der ZEIT mit 34 von 85 (40 Prozent). Die einheitlichste Verteilung zwischen den vier Zeitungen liegt indes bei mit eher negativ kodierten Textstellen vor. Mit 48 von 137 Segmenten (35 Prozent) ist die FAZ hier zwar Spitzenreiterin; von einer Häufung relativ zu den übrigen Zeitungen kann allerdings keine Rede sein.

5.2 Vier Argumentationsmuster dominieren den medialen Diskurs

An die Darstellung der Häufigkeitsverteilung der deduktiv erstellten Kodes schließt im Folgenden mit der Interpretation der Ergebnisse die zweite Auswertungsphase. Diese vollzieht sich entlang der vier Argumentationsmuster Nutz(losigkeit), Gefahr, Korrespondenz sowie Rationalität.

5.2.1 Nutz(losigkeit): Die Protestform als sinnlose oder gar kontraproduktive Form politischer Partizipation?

Angesichts der Benennung naheliegend, umfasst diese Kategorie all jene Aussagen, die sich mit der Frage des Nutzens und der Sinnhaftigkeit der Protestaktionen der Letzten Generation befassen. Ein wiederkehrendes Argument ist, dass die Protestaktionen grosso modo nicht notwendig seien, da keine Überzeugungsarbeit mehr geleistet werden müsse. Damit wird den Protesten ihre Sinn-und Zweckhaftigkeit abgesprochen:

„Es gibt beim Klimaschutz kein Aufmerksamkeits-, sondern ein Handlungsdefizit. Und damit stellt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Störaktionen der ‚Letzten Generation‘ […].“ (SZ)

Noch häufiger findet sich eine Ablehnung der Protestform mit Verweis auf ihren fehlenden Nutzen. Der Tenor dabei ist, dass die Aktivistinnen und Aktivisten mit den Protestaktionen ihren Zielen nicht näher kämen, der Protest allgemein also „nichts bringe“:

„Wenn sich Klimaschützer mit Sekundenkleber auf dem Asphalt fixieren und den Berufsverkehr blockieren, hilft das der Umwelt nichts.“ (FAZ)

Das ist insofern eine bemerkenswerte (und bisweilen polemische) Argumentation, als sie die eigentlichen Ziele der Gruppierung ignoriert und stattdessen das allen klimaaktivistischen Initiativen übergeordnete (abstrakte) Anliegen Klima- und Umweltschutz als Forderung darstellt, die die Letzte Generation mit ihren Aktionen durchzusetzen suche. Tatsächlich aber hatte die Gruppierung zu diesem Zeitpunkt bereits einige konkrete Forderungen verlautbaren lassen: Ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen, ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket für den ÖPNV sowie inzwischen auch die Einberufung eines Gesellschaftsrates (RND 2023; Letzte Generation 2023a). Dass das Festkleben auf einer Straße keinen unmittelbaren Kausalzusammenhang mit dem Schutz des Klimas ergibt, ist richtig. Dass es den Aktivisten jedoch im Kern vielmehr um konkrete Maßnahmen geht, die mithilfe der Herstellung von Aufmerksamkeit und Druck auf politische Entscheiderinnen und Entscheider getroffen werden sollen, ignoriert diese Argumentation.

Etwas präziser beobachtet ein Kommentator die Bewegung, wenn er auf ebendiese Strategie der Erzeugung von politischem Handlungsdruck eingeht und kritisiert:

„Unerfindlich ist aber, inwiefern ihre Aktionen den behaupteten Druck ausüben. Denken die Protestierer ernsthaft, in der Koalition gebe es jemanden, der durch Monet mit Kartoffelbrei zu Einsicht kommt und nun entschlossen die Besteuerung von Flugbenzin oder ein Tempolimit in Angriff nimmt? Gar den Verkehr ‚dekarbonisiert‘, wie gefordert wird? Dazu haben einstweilen weder ausgetrocknete Flüsse noch Gletscherschmelzen und Hochwasser ausgereicht. Und jetzt sollen es ein paar aggressive Gesten in Museen oder Autosalons leisten.“ (FAZ)

Dennoch wird auch hier die Sinnhaftigkeit der Proteste in Zweifel gezogen; die Begründung ist aus Sicht der Letzten Generation beinahe wohlwollend: Wenn selbst katastrophale und sichtbare Folgen des Klimawandels kein ausreichendes Gegensteuern induzieren – wieso sollten es einzelne Störaktionen einer Protestgruppe tun?

Diese Beobachtung eines vermeintlich nicht-reagierenden politischen Systems teilt auch ein Autor in der ZEIT, woraus er einen Abnutzungseffekt und mithin einen mangelnden Nutzen der Protestaktionen ableitet:

„Im Prinzip befindet sich die Letzte Generation schon jetzt in einer Sackgasse. Sie kann nicht militanter werden, ohne in erhebliche Selbstwidersprüche zu geraten. Klebt sie sich hingegen einfach immer weiter irgendwo fest, wird das absehbar an Nachrichtenwert verlieren. Insofern erledigt sich diese Protestform und mit ihr die Empörung über sie womöglich bald von selbst. Die drohende Klimakatastrophe bleibt hingegen bestehen.“ (ZEIT)

Besonders häufig findet sich insbesondere ein Argument, das dem Muster folgt, die Protestform sei moralisch abzulehnen oder bringe jedenfalls nichts, weil sie die Bürgerinnen und Bürger verärgere.

„Sie zündeln mit solchen Worten nicht nur, sondern sie sorgen auch dafür, dass sich immer mehr Menschen von der Klimabewegung abwenden, obwohl sie eigentlich wissen, dass jetzt gehandelt werden muss. Aber eben nicht so.“ (FAZ)

Aus der Beobachtung, mit den Aktionen verprelle die Letzte Generation die nötige Mehrheit der Menschen, leiten viele Autorinnen und Autoren ab, die Proteste seien nicht bloß sinn- und nutzlos, sondern zugleich kontraproduktiv. Hierbei bezieht sich der vermeintlich kontraproduktive Effekt der Proteste auf zwei Bereiche. Einerseits erwüchsen aus den Protesten, insbesondere den Sitzblockaden auf Verkehrsstraßen, unmittelbar negative Folgen für das Klima und damit kontraproduktive Effekte für ein zentrales Anliegen der Aktivistinnen und Aktivisten:

„CO2-belastete Umwege für die von Blockaden geplagten Autofahrer dürften übrigens nicht im Sinne der Klima-Aktivisten sein…“ (BILD)

Diese Argumentation erinnert an das Sinnlosigkeits-Motiv, mit dem einige Autorinnen und Autoren den Protestierenden vorwerfen, mit ihren Aktionen der Umwelt nicht zu helfen. Insofern ist es eine plakative Kritik, die wiederum die öffentlich bekundeten Forderungen der Letzten Generation ignoriert und insinuiert, das Ziel der Protestierenden sei eine unmittelbare Verbesserung des Weltklimas durch ihre Blockadeaktionen. Andererseits verweisen mehrere Kommentatoren auf die kontraproduktiven Effekte nicht für den Klimaschutz, sondern für das Bündnis als solches:

„Damit jedoch erweisen er und andere Radikale dem Engagement für den Klimaschutz einen Bärendienst. So schaden sie der Sache.“ (FAZ)

Die Vehemenz der Aktionen erschwert zudem eine Anschlussfähigkeit für andere Akteure und schränkt damit das Potenzial ein, gesellschaftliche Bündnisse zu schließen, die über verschiedene Milieus hinweggehen:

„Sorgt man mit umstrittenen Aktionen für neuen Schwung und Aufmerksamkeit, gefährdet das den Schulterschluss mit der Wissenschaft und den anderen Partnern.“ (FAZ)

Vereinzelt wird auch auf den paradoxen Effekt verwiesen, welchen das Generieren von (zumeist negativer) Aufmerksamkeit bewirkt: Dass nämlich kein Druck auf politische Entscheidungsträger ausgeübt wird, sondern diese geradezu entlastet werden.

„Aber sie entlasten zugleich die politischen Eliten von ihrer Verantwortung. Denn Gegenstand des Streits ist jetzt nicht mehr das unzureichende Regierungshandeln, sondern die Regelverletzung.“ (ZEIT)

Das ist insofern interessant, als das Klima-Bündnis dafür naturgemäß nicht die alleinige Verantwortung trägt. Die „Diskursverschiebung“ vom mangelhaften Regierungshandeln in Klimafragen hin zur Frage der Legitimität und Rechtmäßigkeit der Protestaktionen findet schließlich maßgeblich in Leitmedien statt. Gleichwohl zielen viele Aktionsformen der Letzten Generation von vornherein bewusst auf eine hohe mediale Resonanz (Rucht 2023, S. 9). Der Vorwurf, die Letzten Generation bewirke sehenden Auges eine Verschiebung des Diskurses, erscheint insofern berechtigt.

Die oben angesprochene Regelverletzung wird der Letzten Generation mitunter jedoch auch positiv ausgelegt. Konträr zu dem Argument, die Proteste seien nutzlos, etwa weil sie die Menschen verärgerten, liegt die Vorstellung, gerade aus diesem Störpotenzial speise sich der Nutzen des Bündnisses:

„Anstatt zu überzeugen, will die Letzte Generation Bewusstsein schaffen. Das funktioniert eher über Gefühle als über Argumente. Es geht darum, Gewissheiten zu erschüttern, indem Aktionen vom Akzeptierten abweichen.“ (ZEIT)

„Ja, Klimaaktivismus muss nerven, damit er erfolgreich sein kann.“ (ZEIT)

Verglichen mit der Häufigkeit der negativen Argumente (81 kodierte Segmente) fand sich das positive Argument, aus dem Störpotenzial ergebe sich bereits ein Nutzen, deutlich seltener (13 vergebene Kodes).

5.2.2 Gefahr: Die Protestform als Bedrohung für die öffentliche Sicherheit?

Beschränken sich die im vorangegangenen Kapitel behandelten negativen Ausprägungen lediglich auf die Sinnlosigkeit der Protestaktionen der Letzten Generation, gehen die hier ausgemachten Fundstellen darüber hinaus und implizieren eine Gefährdung der Gesellschaft als solche. Hierbei wird insbesondere auf eine Beeinträchtigung der inneren Sicherheit hingewiesen, wobei sich allerdings unterschiedliche „Abstufungen“ finden lassen. Die wohlwollendste Einordnung zeichnet sich dadurch aus, dass die Sinnhaftigkeit des Anliegens zwar nicht bezweifelt wird, allerdings die durch die Protestaktionen hervorgerufenen Störungen als Überschreitung der Verhältnismäßigkeitsgrenze betrachtet werden.

„Wer Menschenleben riskiert, auch ohne es zu wollen, der schadet seiner Sache. Und mag die noch so wichtig sein.“ (SZ)

Die hier aufgeführten Begründungen sind unter dem Eindruck des Todes einer Radfahrerin zu verstehen, zu der ein Rettungsfahrzeug nur verzögert gelangen konnte, da sich ein Stau aufgrund einer Protestaktion der Letzten Generation gebildet hatte (vgl. Deutschlandfunk 2022). Obgleich sich schnell herausstellte, dass keine Verantwortlichkeit der Aktivisten vorlag, hatte sich die Debatte um diese Problematik verselbstständigt und schlug eine neue Richtung ein: Die Aktionen wurden nicht mehr nur als „nervig“ oder „störend“ empfunden, sondern nunmehr als „gefährlich“.

Lässt sich die soeben vorgenommene Einordnung der Protestaktionen noch als wohlwollend klassifizieren, zeichnet sich die nächste Stufe dadurch aus, dass den Aktivisten die aktive Herbeiführung einer Gefahrenlage oder bewusste politische Erpressung vorgeworfen wird.

„Aber wenn kleine Gruppen ihre Ziele mit Ultimaten durchsetzen wollen, überschreitet das die Grenze vom legitimen Protest zur politischen Erpressung.“ (SZ)

Die hier vorzufindenden Ausführungen stechen deswegen heraus, weil neben der objektiven Gefährlichkeit der Protestformen auch das subjektive Element gesondert hervorgehoben wird. Bestenfalls handelt es sich um eine gefährliche Naivität der Protestierenden, schlimmstenfalls um Vorsatz und damit um die bewusste Herbeiführung eines gefährlichen Zustandes. Eine solche Argumentation ist aus demokratietheoretischer Sicht insbesondere aufgrund zweier Punkte relevant: Erstens wird eine Missachtung demokratischer Meinungsbildungs-respektive Entscheidungsprozesse durch die Protestformen der Letzten Generation suggeriert. Dies ist insofern bemerkenswert, weil eine solche Einstufung diametral dem Verständnis der Aktivisten gegenübersteht, welche sich gerade auf diese Elemente des demokratischen Rechtstaats berufen und ihre Proteste als Ausdruck dessen verstehen (Letzte Generation 2023b). Zweitens zeigt die hier verwendete Argumentationsstruktur deutliche Parallelen zu denjenigen Stimmen, die nicht nur härtere Strafen für die Aktivisten, sondern darüber hinaus auch die verstärkte Anwendung der sogenannten Präventivhaft gegenüber diesen fordern, wobei ebenfalls eine Bezugnahme auf die vermeintliche Gefährlichkeit der Protestaktionen erfolgt. Dies ist deswegen beachtenswert, weil hierdurch die eigentlich garantierte Versammlungsfreiheit (zu der auch das Demonstrationsrecht gehört, Art. 8 Abs. 1 GG) bereits in präventiver Hinsicht unterminiert wird.

Auffällig ist insgesamt die Häufung des Gefahren-Motivs bei den untersuchten konservativen Medien gegenüber den linksliberalen. 49 der 59 mit Gefahr kodierten Passagen (83 Prozent) gehen allein auf das Konto von FAZ und BILD. Hier liegt weniger eine Steigerung im zeitlichen Verlauf vor (die ist marginal) als vielmehr entlang der Trennlinie konservativ/linksliberal. Noch tiefer ist der Graben zwischen diesen Strömungen mit Blick auf etwaige diffamierende Aussagen: Bei einer Gesamtzahl kodierter Passagen von 77 finden sich allein 66 Prozent solcher Äußerungen in BILD- und immerhin 25 Prozent in FAZ-Artikeln, zusammen also 91(!) Prozent. Bei SZ und ZEIT sind diffamierende Aussagen eine Randerscheinung und überdies nicht von beleidigender und ausfallender Qualität, wie dies mitunter bei FAZ und insbesondere BILD der Fall ist. Wenngleich quantitativ bedeutsam, handelt es sich zumeist allenfalls um schlagwortartige Polemik, deren argumentative Überzeugungskraft bezweifelt werden darf: Schlagwörter wie „Klima-Apokalyptiker“, „Klima-Kleber“, „Klima-Chaoten“, „Klebstoff-Chaoten“, „Klima-Spinner“, „Blöker“, „Eine Schande für ihre Generation“ oder „wohlstandsverwahrloste Rotzlöffel“ (alle BILD) sind da exemplarisch. Angesichts der schieren Vielzahl an diffamierenden Bezeichnungen drohen sexistische Titulierungen („Halbstarke Klima-Gören“, BILD) im Meer der Diffamierungen geradezu unterzugehen.

Bedeutsamer indes sind diffamierende Aussagen insbesondere dann, wenn sie dem Eindruck Vorschub leisten, es gehe irgendeine Art von Gefahr von der Letzten Generation aus:

„Droht eine Grüne Armee Fraktion?“ (FAZ)

„Bild-Terroristen“ (FAZ)

„Ihr Fanatismus ist grenzenlos und trägt die gefährlichen Züge einer Sekte.“ (BILD)

Das alles zeigt, dass bei den konservativen Zeitungen abwertende und beleidigende Äußerungen über die Aktivistinnen und Aktivisten an der Tagesordnung sind und dass sich damit sehr häufig ein Narrativ verbinden lässt, von dem Bündnis Letzte Generation gehe eine (wie auch immer geartete) Gefahr aus.

5.2.3 Korrespondenz: Kein Sinnzusammenhang zwischen Form und Inhalt des Protests?

Ein wiederkehrendes, die Protestformen der Letzten Generation kritisierendes Argumentationsmuster besagt, dass

„ein Sinnzusammenhang zwischen den Aktionen und dem, was sie bezwecken wollen, […] nicht zu erkennen [ist].“ (FAZ)

Es handelt sich mithin um einen klar erkennbaren „Riss, der durch die Argumentation geht“ (SZ) oder, könnte man etwas humoristisch auf die Spitze getrieben fragen:

„Was aber haben Gemälde verbrochen, dass sie mit Speisen beworfen werden?“ (SZ)

Diese Kritik findet sich häufig im Zusammenhang mit Aktionen des Aktivisten-Bündnisses in Museen, bei denen sich an Gemälden festgeklebt wurde oder bei denen ebendiese Gemälde mit verschiedenen Speisen beworfen wurden. Aber auch mit Bezug zu anderen Protestaktionen im Straßen- oder Flugverkehr findet sich das Argument:

„In den meisten Fällen berühren die Tat und das, wogegen die Tat sich richtet, sich nicht einmal. Auch die Störung des Flugbetriebs ist symbolisch, richtet sich gegen viel mehr als das Fliegen (und behauptet zugleich nicht, jedes Fliegen sei Unrecht).“ (ZEIT)

Es handelt sich mithin um eine mangelnde Übereinstimmung von proklamierten Anliegen und der Form bzw. Methodik des Protestes, die wiederkehrend kritisiert wird. Ein Autor versucht die stellenweise selbstgerechten und nicht zu Ende gedachten Begründungen der Letzten Generation für ihre Aktionen zu entlarven:

„Währenddessen proklamierte die Protestjugend lauthals, die Klimakatastrophe sei wichtiger als Kartoffelbrei auf einem Bild. Das ist richtig, würde es umgekehrt aber auch nicht ausschließen, Grüne Soße über den Protestlern auszugießen, denn die Klimakatastrophe wäre ja auch wichtiger als deren Sauberkeit.“ (FAZ)

Die Klimakatastrophe dürfte unbestreitbar ein „wichtigeres“ und „drängenderes“ Problem sein als jede Form von Vandalismus. Der Autor beschreibt hier jedoch eine selbstgerecht anmutende Begründung, da ja der „Kartoffelbrei auf einem Bild“ durch die Gruppierung selbst zugefügt worden war. Was diese rhetorische Figur bedeutet, welche logischen Schlüsse sie zulässt, aber auch welche Gefahren sie beherbergt, analysiert der Autor folgender Zeilen:

„Umgekehrt hantieren allerdings auch viele Klimabewegte bei der Begründung ihrer Aktionen mit viel zu großkalibrigen und daher untauglichen Argumenten, etwa so: ‚Was ist die Beschädigung eines Kunstwerks gegen die Zerstörung der Welt?‘ Die Antwort kann hier nur lauten: Ja, nichts. Allerdings trifft das auch auf fast alles andere zu: Was ist der demokratische Rechtsstaat gegen die Zerstörung der Welt? Ja, nichts. Und so weiter. Mit diesem Argument erteilt man sich selbst einen Blankoscheck, der für einen demokratischen Rechtsstaat so niemals akzeptabel sein kann, weil er die Mehrheitsregel zugunsten einer Minderheitenanmaßung aushebelt.“ (ZEIT)

Eng damit verbunden ist das das Argument, der Zweck heilige nicht jedes Mittel. Ähnlich wie oben argumentiert auch dieser Journalist:

„Törichter noch als die Protestierer sind ihre Verteidiger. Verteidigungslinie Nummer eins: Der Klimawandel ist so katastrophal, wie kann man sich da nur über ein bisschen Suppe auf Bildern beschweren? Nicht nur könnte man sich dann über keinen Rechtsbruch mehr beschweren, der sich als Zeichen im Kampf um die Natur ausgibt. Das Argument öffnet das Aktionsspektrum des Protests überdies in alle Richtungen. Der alles überragende Zweck heiligt jedwedes Mittel, selbst das untaugliche.“ (FAZ)

5.2.4 Rationalität: Sachzwänge als Legitimationsgrundlage für die Protestform?

Eine häufig vorzufindende Argumentationslinie läuft darauf hinaus, dass das Klimaschutzanliegen der Letzten Generation eine unwiderlegbare Erkenntnis beinhaltet, sodass selbst die Durchführung unkonventioneller Protestformen als gerechtfertigt angesehen wird.

„Diese Klimaaktivisten beziehen sich nicht auf ein zurückliegendes, nur im Wahn noch änderbares Menschheitsverbrechen, sondern auf eine tatsächliche und mit wissenschaftlicher Evidenz drohende, aber noch verhinderbare Menschheitskatastrophe beziehungsweise auf den überproportionalen deutschen Beitrag dazu.“ (ZEIT)

Deutlich wird hier besagte Rechtfertigung qua wissenschaftlicher Evidenz. Darüber hinaus zeigt sich auch eine weitere Argumentationsstruktur, die oftmals kumulativ mit der ebengenannten Verwendung findet, nämlich die des Zeitdrucks.

„Es geht also gar nicht darum, die Menschen zu überzeugen. Es geht darum, das als richtig Erkannte, von Gerichten verfügte und von Parlamenten beschlossene endlich durchzusetzen. Und es geht darum, die Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten und die Leute daran zu erinnern, dass bloß, weil Krieg und Inflation gerade dringlicher zu sein scheinen, die Erderwärmung keine Pause macht.“ (FAZ)

Zusammengenommen ergeben diese beiden Begründungen eine bemerkenswerte Argumentationsstruktur dergestalt, dass sowohl auf objektiver als auch subjektiver Ebene Rechtfertigungsgründe für das Verhalten der Protestierenden ausgemacht werden. Eine solche Logik steht damit diametral gegenüber der negativen Betrachtung solcher Proteste als schlichte Gefahr, welche zwar in objektiver Hinsicht eine vermeintliche Gefahrensituation begründet, diese aber nicht näher ausführt sowie das subjektive Element weitestgehend vernachlässigt und dieses nur heranzieht, um den Protestierenden geradezu narzisstische Motive vorzuwerfen. Abgesehen von der Eigenschaft als argumentatives Gegenstück ist die hier festzustellende Begründung jedoch insbesondere deswegen interessant, weil sie eine rechtliche Ebene tangiert: Konkret die Diskussion einer Erfüllung des Straftatbestandes der Nötigung:

„Die Straftaten, die sie bislang begangen haben, beschränken sich auf Nötigung und Widerstand gegen die Staatsgewalt, beides gewaltlos. Und selbst diese Urteile sind umstritten. Das Vorgehen des Rechtsstaats wirkt da wie der bedenkliche Versuch, krampfhaft aus Klimaschützern Kriminelle zu machen.“ (SZ)

Doch selbst bei Erfüllung des Straftatbestandes werden entschuldigende Faktoren aufgeworfen:

„Die Protestierenden sagen selbst, ihre Aktionen seien Akte der Verzweiflung. Das ist keine Prokura, Recht zu brechen, aber zumindest haben die Aktivisten valide wissenschaftliche Erkenntnisse auf ihrer Seite.“ (SZ)

Die hier genannten Beispiele verdeutlichen die tiefergehende Argumentation zwecks Darstellung einer Straflosigkeit der Aktivisten und stehen damit auch auf argumentativer Ebene ihren Pendants aus der Dimension Gefahr gegenüber, welche sich lediglich darauf beschränken, die Protestierenden etwa als Gefährder von Menschenleben zu bezeichnen. Dies ist deswegen erwähnenswert, weil ein solcher Vorwurf – einmal in den Raum gestellt – wesentlich schwieriger zu entkräften ist als eine ausgefeilte Rechtfertigungsanalyse.

Beschränken sich die ebengenannten Argumentationsmuster noch auf die einfachgesetzliche Ebene, lässt sich bei zahlreichen Autoren darüber hinaus auch eine verfassungsrechtliche Legitimierung der Protestaktionen feststellen:

„Jedenfalls sollte man diese jungen, ungehorsamen Menschen lieber nicht als kriminell bezeichnen, sonst könnten sie einen selbst im Gegenzug womöglich ebenfalls als Verfassungsbrecher bezeichnen.“ (SZ)

Die Bezugnahme auf diese Ebene ist deswegen von besonderer Relevanz, weil damit zwangsläufig auch Fragestellungen partizipations- und demokratietheoretischer Art angesprochen werden. Den Protestierenden wird damit nicht nur das Recht zu protestieren, sondern darüber hinaus eine Wiederbelebung des demokratischen Diskurses zugestanden.

„Das recht umfassende Unverständnis diesen Demonstranten gegenüber zeigt auf traurige Weise, dass wir hierzulande im Augenblick eines ganz sicher nicht wollen: politisch denkende junge Menschen, die für ihre Sache eine Menge riskieren, andere stören und dabei, ja das tun sie, auf rührend treue Weise hinter dem Staat und seiner Ordnung stehen. Denn sie suchen ja das Gespräch mit Politikern, sie bitten um Diskussion, und was bekommen sie serviert? Spott und Lehrerlämpeltum.“ (SZ)

Es zeigen sich hier erstaunliche Parallelen zu denjenigen Argumenten, welche direkt von der Letzten Generation stammen. Hierzu gehört unter anderem die Berufung auf die verfassungsrechtlich verankerte Pflicht des Staates, in Verantwortung für künftige Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen (Art. 20a GG). Zudem findet sich seitens der Aktivisten oftmals der Vorwurf, dass die Politik ihnen keine andere Wahl lasse als durch Straßenblockaden ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen.

Es bedarf an dieser Stelle keiner besonderen Beobachtungsgabe, um zu erkennen, dass hier eine fundamental andere Sichtweise auf die Protestaktionen vorliegt, als sie in den negativ ausgemachten Artikeln vorzufinden ist. Während diese die Aktionen der Letzten Generation als demokratiegefährdend ansehen, laufen die hier behandelten Textpassagen auf eine demokratieförderndeArgumentation hinaus. Gleichzeitig verweisen einige positiv gesinnte Autoren darauf, dass eine Kriminalisierung der Protestierenden nicht nur ungerechtfertigt, sondern auch gefährlich ist.

„Die von der Polizei verhängte Vorbeugehaft gegen die Klimakleber ist unverhältnismäßig; die notwendigen politischen Auseinandersetzungen, der Dialog mit Klimaschützern, kann nicht mit solchen Sanktionen geführt werden; das riecht nach politischer Haft.“ (SZ)

Diese Argumente sind insofern von besonderer Bedeutung, als dass sie die insbesondere auf diejenigen Vorbehalte rekurrieren, welche bei der Verabschiedung verschärfter Polizeigesetze zwecks Prävention von terroristischen Straftaten vorgebracht wurden. In der Tat zeigt sich insbesondere am Beispiel Bayerns und der Verhängung der sogenannten Präventivhaft gegen Aktivisten der Letzten Generation, dass diese Vorbehalte sich zu bewahrheiten scheinen – die Argumentation der bayerischen Landesregierung lief nämlich darauf hinaus, dass die Präventivhaft selbstverständlich nur zum Schutz vor schweren Straftaten verhängt werde (Poscher u. Werner 2022). Auch hier zeigt sich also ein deutlicher Konflikt zwischen verfassungsrechtlich garantierten Demonstrationen auf der einen und dem Bedürfnis nach Sicherheit auf der anderen Seite.

Letztlich sei noch auf eine weitere Rationalitätsebene verwiesen, welche sich insbesondere dem Argument der Kontraproduktivität gegenüberstellen lässt: Diese läuft darauf hinaus, die Proteste gerade deswegen als notwendig zu erachten, weil allein hierdurch die Aufmerksamkeit der Gesellschaft im Allgemeinen und der Politik im Besonderen gewonnen werden kann.

„Klar ist: Protest, der nicht stört, ist witzlos. Irgendwie muss man ja Aufmerksamkeit erregen.“ (SZ)

An dieser Stelle sei erneut auf die für Soziale Bewegungen zentrale Bedeutung von Protest als Form der Selbstdarstellung und Einflussnahme verwiesen (vgl. Rucht 2003, S. 23).

6 Fazit

Kein anderes klimaaktivistisches Bündnis war im Jahr 2022 so präsent wie die sogenannte Letzte Generation. Zu diesem Eindruck dürfte die mediale Aufmerksamkeit maßgeblich beigetragen haben: Schließlich war an Berichterstattung und Kommentaren zu Aktionen des Klimabündnisses kein Vorbeikommen. Doch inwiefern wurde über die Protestaktionen der Letzten Generation berichtet? Und welche Besonderheiten sowie Muster zeigen sich in der medialen Resonanz?

Ein zeitungsübergreifender Blick zeigt zunächst, dass die weitaus überwiegende Anzahl der untersuchungsrelevanten Äußerungen negativer Natur sind. Insgesamt kann konstatiert werden, dass die Protestaktionen der Letzten Generation zu 72 Prozent negativ rezipiert werden. Auffällig hierbei ist indes, dass dies nicht in gleicher Weise für alle Zeitungen gilt: 68 Prozent der negativen Äußerungen entfallen auf die konservativen Zeitungen. Umgekehrt verhält es sich mit den positiven Äußerungen, von denen gar 89 Prozent auf die linksliberalen Medien entfallen. Wenngleich die Medienresonanz insgesamt überwiegend negativ ist, zeigt sich hier eine signifikante Häufung aufseiten der konservativen relativ zu den linksliberal ausgerichteten Zeitungen, welche für sich betrachtet eine überwiegend positive Resonanz aufweisen. Eine etwaige „Tendenz“ im Zeitverlauf hin zu einer zunehmend positiven bzw. negativen Resonanz findet sich indessen bei keinem der untersuchten Medienhäuser.

Häufig findet sich das ablehnende Motiv der Sinnlosigkeit oder Nutzlosigkeit von Protestaktionen der Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten. Regelmäßig wird moniert, mit den Aktionen bewirke man nichts zugunsten des Klimaschutzes und erzeuge keinen politischen Handlungsdruck. Damit einher geht das Argument, die Aktionen verärgerten lediglich die Mehrzahl der Menschen, bewirkten darüber hinaus aber nichts. Viele Meinungen kaprizieren sich aus genannten Gründen auf die Schlussfolgerung, die Aktionsformen seien letztlich kontraproduktiv sowohl für die Bewegung an sich als auch das Anliegen, für das sie eintritt. Gerade aus diesem Störpotenzial wird dagegen regelmäßig auch ein maßgeblicher Nutzen der Bewegung abgeleitet. Es zeigt sich jedoch deutlich häufiger eine negative Resonanz.

Ein weiteres negatives Argumentationsmuster besagt, dass zwischen dem Anliegen und den Methoden der Letzten Generation eine Asymmetrie bestehe. Damit einher geht regelmäßig das Argument, auch der beste Zweck (Klimaschutz) heilige nicht jedes (Protest-)Mittel. Es zeigt sich, dass diesem Argument insbesondere in konservativen Zeitungen mithilfe der Suggestion von Gefahr Nachdruck verliehen wird: Wenn der Zweck jedes Mittel rechtfertige, so die rhetorische Frage, welchen Stellenwert hätten dann Güter wie der Rechtsstaat angesichts des alles überragenden Zwecks Klimaschutz?

Damit zeichnet sich ein weiteres zentrales Analyseergebnis ab: Ein Großteil der negativen Aussagen verweist implizit oder explizit auf ein Gefährdungspotenzial für die Gesellschaft durch die Letzte Generation, wobei insbesondere die innere Sicherheit tangiert sei. Allen voran mit Blick auf die konservativen Zeitungen zeigt sich: Die Aktionen werden über den Verlauf des Jahres, spätestens in Folge einer tödlich verunglückten Radfahrerin im Zusammenhang mit einer Protestaktion der Letzten Generation, zunehmend als gefährlich und nicht mehr als bloß störend oder sinnlos rezipiert. Dabei finden sich 83 Prozent solcher Aussagen allein bei BILD und FAZ. Bei eben diesen Medienhäusern zeigt die Auswertung zudem eine signifikante Häufung diffamierender Bemerkungen, welche oftmals mit dem Insinuieren eines Gefährdungspotenzials einhergehen. Die Auswertung zeigt hier also, dass zwar sowohl bei linksliberal als auch bei konservativ geprägten Zeitungen negative Argumente vorgebracht werden – im Gegensatz zu den konservativen Medien handelt es sich bei linksliberalen Zeitungen allerdings nicht um diffamierende oder eine Gefahr insinuierende Aussagen.

Letztlich kann auch die Argumentationsdimension der Rationalität ausgemacht werden, welche sich dadurch auszeichnet, dass hier ausschließlich Fundstellen positiver Ausprägung vorzufinden sind. Auffällig ist hierbei die kumulative Betrachtungsweise von wissenschaftlicher Evidenz und Zeitdruck, welche sich wiederum auf die einfach- als auch verfassungsrechtliche Ebene auswirken: Im Gegensatz zu zahlreichen Argumentationsmustern in den anderen Dimensionen werden die Proteste oftmals nicht nur als gerechtfertigt und damit tolerierbar, sondern darüber hinaus sogar als demokratiefördernd und damit wünschenswert angesehen.

Dass es sich bei den hier festgestellten medialen Resonanzen nicht nur um solche im luftleeren Raum handelt, sondern diese vielmehr das Stimmungsbild der Öffentlichkeit im Allgemeinen als auch der Politik im Speziellen wiedergeben, lässt sich mit einem Blick auf die Entwicklungen im Untersuchungszeitraum als auch danach bestätigen: Zwar besteht weiterhin eine grundsätzliche Bereitschaft für „mehr Klimaschutz“, gleichzeitig werden jedoch immer härtere Strafen gefordert und auch die Präventivhaft erwächst zu einem immer akzeptableren Instrument. Schließlich scheint sich zunehmend der Eindruck zu erhärten, dass neben der Mehrheit der Bevölkerung auch die Mehrzahl an politischen Akteuren der Protestform kritisch gesinnt ist: Neben den meisten Parteien – darunter alle drei Regierungsparteien sowie CDU und CSU – lehnen auch Klimabewegungen wie Fridays for Future die Aktionen ab. All dies kann als Symptomatik eines eskalierenden Diskurses gesehen werden, bei dem sich die Fronten zunehmend verhärtet haben mit der Folge, dass der Raum des Dialogs immer kleiner und damit die Wahrscheinlichkeit für die Letzte Generation, politischen Handlungsdruck zu erzeugen, immer geringer wird.1

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Zitationshinweis:

Höpfner, Tom und Aryan Shooshtari (2024): Klimaretter oder Klimaextremisten? Eine Untersuchung der medialen Resonanz auf die Protestaktionen der Letzten Generation, Student Paper, erschienen auf: regierungsforschung.de. Online Verfügbar: https://regierungsforschung.de/klimaretter-oder-klimaextremisten/

This work by Tom Höpfner und Aryan Shooshtari is licensed under a CC BY-NC-SA license.

  1. Handelte es sich zum ursprünglichen Veröffentlichungszeitpunkt des Textes lediglich um eine Mutmaßung der Autoren, so lässt sich mittlerweile festhalten, dass der schwindende Einfluss auf politische Akteure in Sachen Klimaschutz auch von der Letzten Generation eingestanden wurde: Im Februar 2024 wurde von dieser angekündigt, die Durchführung von Straßenblockaden zu beenden. []

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