Der EUROMAT zur Europawahl 2024

Digitale Wahlhilfen sind ein beliebtes Tool für Wählerinnen und Wähler, um sich vor einer Wahl niedrigschwellig über die Standpunkte von Parteien zu informieren. Zur kommenden Europawahl gibt es neben den nationalen Wahlhilfen nun auch den Euromat, der die Positionen der europäischen Parteien mit den Positionen der Nutzerinnen und Nutzer vergleicht. Manuel Müller, Senior Research Fellow am Finnish Institute of International Affairs in Helsinki, erklärt, wie der Euromat funktioniert und welche spannenden Erkenntnisse sich daraus gewinnen lassen.

Digitale Wahlhilfen (voting advice applications) wie der deutsche Wahl-O-Mat oder der niederländische StemWijzer erfreuen sich seit Jahren immer größerer Beliebtheit – sowohl bei nationalen, regionalen und kommunalen Wahlen als auch bei der Europawahl, die am 6.-9. Juni 2024 zum nächsten Mal stattfindet. Allerdings schlägt sich die nationale Fragmentierung des Europawahlsystems auch in diesem Bereich nieder: 2019 gab es in fast jedem EU-Mitgliedstaat ein eigenes nationales Europawahl-Tool mit jeweils eigenen nationalen Thesen, die von den jeweils eigenen nationalen Parteien beantwortet wurden

Der EUROMAT zur Europawahl 2024

 

Autor

Manuel Müller ist Senior Research Fellow am Finnish Institute of International Affairs (FIIA) in Helsinki. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf Fragen der supranationalen Demokratie sowie der institutionellen Reform der Europäischen Union.

Digitale Wahlhilfen (voting advice applications) wie der deutsche Wahl-O-Mat oder der niederländische StemWijzer erfreuen sich seit Jahren immer größerer Beliebtheit – sowohl bei nationalen, regionalen und kommunalen Wahlen als auch bei der Europawahl, die am 6.-9. Juni 2024 zum nächsten Mal stattfindet.

Allerdings schlägt sich die nationale Fragmentierung des Europawahlsystems auch in diesem Bereich nieder: 2019 gab es in fast jedem EU-Mitgliedstaat ein eigenes nationales Europawahl-Tool mit jeweils eigenen nationalen Thesen, die von den jeweils eigenen nationalen Parteien beantwortet wurden – und in denen sich oft auch jeweils eigene nationale Themen niederschlugen. Um diese Zersplitterung zu überwinden, gibt es verschiedene Ansätze: So haben die Projekte EUandI.eu und VoteMatch.eu jeweils einen europaweiten Thesenkatalog entwickelt, zu dem sie die Positionen einer großen Anzahl nationaler Parteien aus allen Mitgliedstaaten zusammentragen.

Einen anderen Weg geht ein neues interaktives Tool zur Europawahl: der EUROMAT. Hier werden die Positionen der Nutzer:innen nicht mit denen von nationalen Parteien verglichen, sondern mit denen der gesamteuropäischen Parteifamilien. Der EUROMAT zur Europawahl 2024 ist in vier Sprachen erschienen (Deutsch, Englisch, Französisch und Finnisch) und hier zu finden.

Wer steht hinter dem Projekt?

Der EUROMAT ist ein gemeinsames Projekt der Vereine Pulse of Europe und Polis 180 sowie des Blogs Der (europäische) Föderalist. Pulse of Europe ist eine Bürgerinitiative, die europäische Öffentlichkeit in vielfachen Formaten und Projekten wirksam macht. Polis180 ist ein Berliner Graswurzel-Thinktank zur Außen- und Europapolitik. Der (europäische) Föderalist ist ein von dem Politikwissenschaftler Manuel Müller (Finnish Institute of International Affairs) betriebenes Blog über europäische Verfassungspolitik und supranationale Demokratie. Alle drei Partner sind parteipolitisch unabhängig.

Wie funktioniert der EUROMAT?

Die grundsätzliche Funktionsweise des EUROMAT entspricht derjenigen von anderen Wahlhilfen wie dem deutschen Wahl-O-Mat. Nutzer:innen können 20 Thesen zu verschiedenen Fragen der europäischen Politik mit „stimme zu“, „stimme nicht zu“ oder „neutral“ bewerten. Anschließend werden die Antworten mit den Positionen der europäischen Parteien abgeglichen und ein Ranking auf Basis der prozentualen Übereinstimmung erstellt. Inhaltlich deckt der EUROMAT ein breites Spektrum ab, das wirtschafts-, finanz- und sozialpolitische ebenso wie migrations- und asylpolitische, klimapolitische und institutionelle Fragen umfasst.

Die Besonderheit des EUROMAT ist sein Fokus auf die politischen Parteien auf europäischer Ebene. Für eine Selbstauskunft zu den Thesen angefragt wurden folgende europäische Parteien: die Europäische Volkspartei (EVP), die Sozialdemokratische Partei Europas (SPE), die Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE), die Europäische Grüne Partei (EGP), die Europäische Demokratische Partei (EDP), die Europäische Freie Allianz (EFA), die Europäischen Konservativen und Reformer (EKR), die Europäische Linke (EL) sowie die Partei Identität und Demokratie (ID). Ebenfalls angefragt wurden Volt Europa und die Europäische Piratenpartei (PPEU), die von der Europäischen Union nicht offiziell als politische Partei anerkannt werden, aber ebenfalls europaweite Wahlprogramme verabschiedet haben.

Von diesen Parteien und Parteifamilien reichten EVP, SPE, ALDE, EGP, EDP, EFA und Volt Antworten ein. Für EKR und EL wurden die Positionen auf Grundlage einer Analyse der europaweiten Wahlprogramme, anderer programmatischer Texte und politischer Stellungnahmen oder dem Abstimmungsverhalten in der vergangenen Wahlperiode ergänzt. Die ID-Partei (die kein europaweites Wahlprogramm hat) und die PPEU wurden letztlich nicht in den EUROMAT aufgenommen.

Warum europäische Parteien?

Dass ein Europawahl-Tool auf europäische statt auf nationale Parteien ausgerichtet ist, klingt auf Anhieb einleuchtend, muss bei genauerer Betrachtung aber doch näher begründet werden.

Europäische Parteien (offiziell „politische Parteien auf europäischer Ebene“) sind europaweite Dachverbände, die nationale Mitgliedsparteien mit ähnlicher politischer Ausrichtung vereinigen. Die Voraussetzungen für ihre formale Anerkennung – und öffentliche Finanzierung aus dem EU-Haushalt – sind europarechtlich geregelt und werden von der europäischen Parteienbehörde APPF überwacht. Unter anderem müssen europäische Parteien in mindestens sieben EU-Mitgliedstaaten mit Mitgliedern des Europäischen Parlaments, des nationalen Parlaments oder regionaler Parlamente vertreten sein oder bei der letzten Europawahl in mindestens sieben Mitgliedstaaten drei Prozent der Stimmen erreicht haben. Außerdem müssen sie bei ihren Tätigkeiten im Einklang mit den EU-Grundwerten stehen und die Absicht haben, an Europawahlen teilzunehmen.

Im Europäischen Parlament bilden die Abgeordneten einer europäischen Partei in der Regel eine gemeinsame Fraktion; in einigen Fällen bilden auch mehrere europäische Parteien eine Fraktionsgemeinschaft. Vor der Europawahl verabschieden die meisten europäischen Parteien europaweite Wahlprogramme („Manifestos“) und ernennen Spitzenkandidat:innen für das Amt der Kommissionspräsident:in. Direkt wählen kann man die europäischen Parteien bis jetzt allerdings nicht: Bis heute findet die Europawahl nach Mitgliedstaaten getrennt statt, sodass auf dem Wahlzettel nur die verschiedenen nationalen Parteien aus dem jeweiligen Land aufgeführt sind. Auch im Wahlkampf sind die europäischen Parteien deshalb kaum sichtbar.

Hinzu kommt, dass manche europäische Parteien in einigen Mitgliedstaaten nicht nur eine, sondern zwei oder mehr Mitgliedsparteien haben, die mit unterschiedlichen Kandidatenlisten antreten. Wer etwa in den Niederlanden die liberale Europapartei ALDE wählen will, kann seine Stimme entweder der rechtsliberalen VVD oder der linksliberalen D66 geben, die nicht in allen Fragen dieselben Positionen vertreten. Wähler:innen tun also gut daran, sich über die Positionen der europäischen Parteien hinaus auch über diejenigen ihrer jeweiligen nationalen Mitgliedsparteien zu informieren.

Dennoch bietet der EUROMAT wertvolle Informationen, die bei den rein nationalen Europawahl-Wahlhilfen verloren gehen. In der praktischen Arbeit des Europäischen Parlaments kann eine nationale Einzelpartei ohne ihre Schwesterparteien aus anderen Mitgliedstaaten nur wenig bewirken. Europapolitische Kompromissbildung beginnt oft schon in der eigenen Fraktion. Die Positionen der europäischen Parteien – wie sie sich in den europaweiten „Manifestos“ und in den Antworten des EUROMAT widerspiegeln – bieten einen Einblick, auf welche Positionen sich die unterschiedlichen nationalen Mitgliedsparteien einigen können.

Trennlinien zwischen Links und Rechts

Vergleicht man die Antworten der verschiedenen europäischen Parteien, so zeigt sich zudem ein interessantes Muster. Mehrheiten im Europäischen Parlament werden traditionell meist im Rahmen einer „informellen großen Koalition der Mitte“ gebildet, also auf Grundlage von Kompromissen zwischen der konservativen EVP, der sozialdemokratischen SPE, der liberalen Renew-Fraktion (die die Europaparteien ALDE und EDP umfasst) sowie der grünen EGP. Dies könnte zu der Vermutung führen, dass diese Parteien europapolitisch auch besonders nahe beieinander liegen und gemeinsame Positionen vertreten, die sich von den Parteien der Ränder, also der rechten EKR und der linken EL, unterscheiden.

Doch ein solches „Hufeisen“ zeigt sich im EUROMAT nur bei sehr wenigen Thesen – hauptsächlich in der Außen- und Sicherheitspolitik. Die meisten Antworten weisen hingegen einen deutlichen Links-Rechts-Gradienten auf, bei dem linke und rechte Parteien jeweils entgegengesetzte Positionen einnehmen. Wo genau die Trennlinie zwischen den Lagern verläuft, unterscheidet sich dabei je nach Themengebiet. Speziell ALDE und EDP stimmen mal mit den linken, mal mit den rechten Parteien überein, was ihrer traditionellen Funktion als „Zünglein an der Waage“ im Europäischen Parlament entspricht. In einigen Fragen, etwa der Kritik am europäischen Rechtsstaatsmechanismus, steht die EKR allein gegen den Rest. Insgesamt aber zeigen sich zwischen EVP und EKR deutlich größere Übereinstimmungen als zwischen EVP und SPE – in der Migrations- wie in der Wirtschafts- und der Klimapolitik.

Im stark konsensorientierten politischen System der Europäischen Union dürfte es bei der Entscheidungsfindung auch in Zukunft kaum Alternativen zu einer Zusammenarbeit der „informellen großen Koalition der Mitte“ geben. Doch die Antworten der Parteien auf den EUROMAT geben einen Vorgeschmack, dass die Kompromissbildung in diesem Rahmen nach der Europawahl nicht unbedingt einfacher wird.

Zitationshinweis:

Müller, Manuel (2024): Der EUROMAT zur Europawahl 2024, Kurzanalyse, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online Verfügbar: https://regierungsforschung.de/der-euromat-zur-europawahl-2024/

This work by Manuel Müller is licensed under a CC BY-NC-SA license.

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