Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte von der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen analysiert die Ausgangslage für die FDP in diesem Superwahljahr. Die FDP beweist in drei Landesregierungen, dass sie mulitkoalitionsfähig ist. Darüber hinaus könnten Missmanagement im Umgang mit der Pandemie und die kippende Stimmung der Oppositionspartei zu Gute kommen und vergrößert sich ihr liberales Potential für Wähler, die einen besser arbeitenden und effizienteren Staat wünschen.
Bricht wieder Gelb-Fieber vor der Bundestagswahl aus? Das war 2017 durchaus messbar, wenngleich es damals kein Virus war, sondern leidenschaftliche Begeisterung. Die FDP lag vor den Grünen! Lindner hatte mit einer modernen, stellenweisen kultigen Mobilisierungskampagne, die außerparlamentarische, gedemütigte FDP in den Bundestag zurückgeführt. Doch der Lindnerismus endete abrupt nach dem unerwarteten Rückzug aus den turbulenten Jamaika-Verhandlungen.
Die FDP, nach allen Seiten offen
Autor
Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen und Direktor der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Regierungs‑, Parteien- und Wahlforschung.
Hinweis: Dieser Text erschien zuerst in der Welt am Sonntag vom 21. März 2021, S. 11.
Bricht wieder Gelb-Fieber vor der Bundestagswahl aus? Das war 2017 durchaus messbar, wenngleich es damals kein Virus war, sondern leidenschaftliche Begeisterung. Die FDP lag vor den Grünen! Lindner hatte mit einer modernen, stellenweisen kultigen Mobilisierungskampagne, die außerparlamentarische, gedemütigte FDP in den Bundestag zurückgeführt. Doch der Lindnerismus endete abrupt nach dem unerwarteten Rückzug aus den turbulenten Jamaika-Verhandlungen. Er enttäuschte damit alle, die von der FDP kraftvolles Regieren für wirtschaftspolitischen Sachverstand erwarteten. Die Repolitisierung der Mitte hielt seitdem an, aber die Liberalen spielten bislang keine besondere Rolle. Das hat sich geändert. Die Landtagswahlen in Mainz und Stuttgart dokumentierten eindrucksvoll, dass die FDP für viele Wähler eine neue Rolle im Parteienwettbewerb einnehmen soll. Und das hing nicht ausschließlich mit landespolitischen Einschätzungen zusammen.
Die FDP besetzt in der Corona-Politik eine öffentlich wahrnehmbare Nische, die offenbar auf Resonanz stößt. Vor allem hat sich der Kommunikationsstil von Lindner öffentlich verändert. Der schneidigen Selbstgewissheit folgt keineswegs neue Sanftheit. Aber die vormals oft heroische und forsche Geste des Besserwissens und der zackigen Entschiedenheitsprosa blinkt nur noch extrem selten auf. Die Corona-Politik führt Lindner zu seinem im Düsseldorfer Landtag bewährten Stil zurück: Jede Kritik an der Regierung wird wertebasiert liberal begründet und eingeordnet. Sie ist dadurch nicht tagesaktuell-willkürlich ein Reflex der Opposition. Sie ist dem Ziel zuzuordnen, die individuelle Entscheidungsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Ergänzt wird diese grundliberale Position mit konstruktiven Vorschlägen zur Corona-Politik, die nicht so tun, als hätte man einen Masterplan für das Managen des Unwahrscheinlichen.
So gelang es der FDP, sichtbar und hörbar zu bleiben und sich gleichzeitig in der kooperativen Oppositionsarbeit klar von der stellenweise Corona-leugnenden AfD zu distanzieren. Dabei ist der Gegenwind für die FDP in der Pandemie heftig. Denn niemals zuvor war in Deutschland die Staatsgläubigkeit so hoch und das akzeptierte Verständnis für die massiven Einschränkungen von Freiheiten so breit. Der Eingriff in die bürgerlichen Freiheiten wurde von den Bürgern mehrheitlich widerspruchslos hingenommen. Das Coronavirus hat dem Staat nicht nur mehr Regelungsmacht im Katastrophenfall gegeben, sondern katapultierte ihn auch zum rhetorisch-emotionalen Krisengewinner. Die Bürger sehnen sich in der Krise nach einem starken Staat und erwarten dann mit verlässlicher Autorität die entschlossene Umsetzung des Primats der Politik. Gegen bürgerliche Staatsfrömmigkeit und den Wunsch nach dem regelnden, lenkenden, schützenden Vorsorgestaat kommt die FDP, die sich immer für „weniger Staat“ eingesetzt hat, programmatisch schwer an. Datenschutz und Seuchenschutz sind dilemmatisch verbunden. Auch hier fiel die Güterabwägung der Liberalen immer zugunsten des Datenschutzes aus, was auf wenig Resonanz stößt.
Doch die Stimmung kippt. Im Moment scheint der Staat in der Beurteilung der Bürger zu versagen und im Missmanagement der Pandemie selbst Schaden zu nehmen. Niemand fordert im neoliberalen Umkehrschluss, dass nunmehr privat vor Staat besser wäre. Aber ein gut arbeitender, modern aufgestellter Vorsorgestaat agiert sicher anders als der, den wir gerade erleben. Hier liegt eine Kraftquelle der FDP. Ihr liberales Potential für Wähler, die einen besser arbeitenden und effizienteren Staat wünschen, vergrößert sich. Neue machtpolitische Avantgarde der Bürgerlichen? Sie erwarten moderne Autonomie, moralischen Ernst, Solidität und gemeinwohlorientierten Kaufmannsgeist. In elf Landesparlamenten sitzt die FDP. In drei Landesregierungen ist sie vertreten. In Kiel im Jamaika-Format (zusammen mit CDU und Grünen), in Düsseldorf in der Klassiker-Formation schwarz-gelb und in Mainz in einer Ampel – zusammen mit rot-grün. Das macht sie multikoalitionsfähig.
Ein Wahlkampf unter Wütenden steht auch der FDP nicht bevor. Die Bundestagswahl wird aller Voraussicht nach in einer geimpften Republik erfolgen. Trotz Müdigkeit und Protest erweist sich das Virus bislang als ein stabiles Macht-Revitalisierungsprogramm. Wir erlebten das gerade bei den aktuellen Landtagswahlen: In Mainz und in Stuttgart siegten die bewährten Krisenlotsen. Wähler wählen auch in der Pandemie das Bekannte, nicht das Unbekannte. Die Bundestagswahl setzt dieses Wahlverhalten allerdings unter Druck: Das Bekannte, die Kanzlerpräsidentin als Soliditäts-Garantin, tritt nicht mehr an. Der Merkel-Bonus, das Plus für die resolute Corona-Heldin, katapultierte die CDU ab April 2020 zu neuen Höchstwerten bei der Sonntagsumfrage. Dieser Sockel schmilzt täglich. Die Koalitionsvarianten lauten deshalb für den Bund: Schwarz-Grün als mögliche Fortsetzung einer Großen Koalition, gedacht als Bündnis der beiden größten Bundestagsfraktionen; Schwarz-Grün-Gelb als Jamaika-Revival; Grün-Rot-Gelb als grüne Ampel – in dieser Formation ein Unikat.
Parteimitglieder sind in allen Parteien konservativer als deren progressivere Wähler. Die Ampel wurde in Mainz seitens der FDP vor allem von jüngeren Wählern gewählt. Die gehobenen Mittelschichtswähler wiederum favorisieren den liberalen Block – grün und gelb, trotz unterschiedlicher Werteausprägung in beiden Parteien. Die traditionellen Vorbehalte aus den Ur-Kampfzeiten von Trittin (Grün) und Westerwelle (gelb) sind überwunden. Deren Kohorten spielten zeitgleich in getrennten Ecken der Schulhöfe nie zusammen. Ihre Unterschiede im Habitus, der Expressivität, der Stilisierung hätten gegensätzlicher nicht sein können. Heute sind sich die grün-gelben Aktivisten und die Wähler viel näher in der arrivierten Mitte. Beides sind Abiturientenparteien. Auch die sozialliberale Variante lebt kräftig. Einem sozialen Aufstiegsversprechen aller gesellschaftlichen Gruppen durch Leistung würde sich die FDP nicht mehr entziehen. Die FDP wird sicher nicht zur Arbeiterpartei, aber verbindet stärker als früher die freiheitliche Leitidee der offenen Gesellschaft mit sozialer Mobilität von unten nach oben.
Auf dem Wählermarkt der kommenden Bundestagswahl bindet die FDP keine Orientierungsnomaden. Sie braucht die Fans des Erfolgs. Und dazu zählt der garantierte Wiedereinzug in den Bundestag. Wähler brauchen den Rausch des Gewinnens. Sie verschenken keine Stimme an Parteien, die keine Chancen auf Parlamentarisierung haben. Die Fans des Erfolgs suchen sich ebenso Parteien aus, die Führungsverantwortung übernehmen wollen. Ob dies am Ende in eher linken (SPD) oder rechten (Union) Koalitionen erfolgen könnte, spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Die FDP punktet, wenn sie den Inzidenzwerten eine kritische Freiheitsbilanz entgegensetzt.
Zitationshinweis:
Korte, Karl-Rudolf (2021): Die FDP, nach allen Seiten offen, Essay, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online Verfügbar: https://regierungsforschung.de/die-fdp-nach-allen-seiten-offen/
This work by Karl-Rudolf Korte is licensed under a CC BY-NC-SA license.