Dr. Matthias Lemke, der an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Lübeck lehrt, analysiert an der Hand des Katastrophenfalls in Bayern und des Epidemiegesetzes in Nordrhein-Westfalen die Notstandspolitik der Bundesländer während der Corona-Pandemie. Gleichzeitig wirft er einen Blick auf die gesetzlichen Grundlagen für das Katastrophenmanagement im deutschen Föderalismus.
Im Unterschied zu den Regelungen der meisten anderen Staaten verfügt Deutschland über zwei Besonderheiten, wenn es um den Ausnahmezustand geht: Bundes- und landesrechtliche Vorgaben ergänzen und überlagern einander in einem föderalen System, das den Ländern und nicht der Zentralregierung die Primärkompetenz in Sachen Katastrophenschutz zuschreibt. Zudem sind die bundespolitischen Regelungen zum Ausnahmezustand besonderer Natur, da sie – im Vergleich zu anderen Ländern – neben der Fokussierung auf die Handlungskompetenz der Exekutive auch eine starke Betonung der (Mit-)Entscheidungskompetenz der Legislative beinhalten.
Katastrophenmanagement im Föderalismus
Notstandspolitik auf Länderebene im Rahmen der Corona-Pandemie
Autor
RR Dr. habil. Matthias Lemke ist Fachhochschullehrer für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Staats- und Verfassungstheorie an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, Fachbereich Bundespolizei, in Lübeck. Er betreibt das Blog ‚Demokratie im Ausnahmezustand’ (emergency.hypotheses.org), auf dem er die aktuelle Lage fortlaufend dokumentiert.
Im Unterschied zu den Regelungen der meisten anderen Staaten verfügt Deutschland über zwei Besonderheiten, wenn es um den Ausnahmezustand geht: Bundes- und landesrechtliche Vorgaben ergänzen und überlagern einander in einem föderalen System, das den Ländern und nicht der Zentralregierung die Primärkompetenz in Sachen Katastrophenschutz zuschreibt. Zudem sind die bundespolitischen Regelungen zum Ausnahmezustand besonderer Natur, da sie – im Vergleich zu anderen Ländern – neben der Fokussierung auf die Handlungskompetenz der Exekutive auch eine starke Betonung der (Mit-)Entscheidungskompetenz der Legislative beinhalten.1
Schaut man auf die gesamtstaatliche Situation während der Corona-Pandemie, so fallen Antworten auf die Frage, wie das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit ausgestaltet wird, empirisch betrachtet daher sehr unterschiedlich aus. Durch das Zusammenspiel von Bund, Ländern und Gemeinden entsteht ein vielschichtiges Bild aus kleinen Mosaiksteinen, das derzeit, im April 2020, noch immer hochgradig dynamisch ist. Insofern kann alles Nachdenken über die derzeitige Krisenreaktionspolitik in Deutschland bloß vorläufiger Natur sein. Politisches Handeln bedarf, vielleicht noch mehr als in normalen Zeiten, einer immer wieder neuen Debatte in der politischen Öffentlichkeit.
Angesichts dieser Offenheit und Dynamik unternimmt der nachfolgende Beitrag den Versuch einer ersten Einordnung der Krisenreaktionspolitik auf Landesebene. Im Kern steht dabei die Frage, wie sich ausgewählte Politiken im verfassungsrechtlichen Spannungsfeld von Freiheit und Sicherheit verorten lassen. Dazu werde ich zunächst das Konzept Ausnahmezustand allgemein erläutern, um dann die in diesem Zusammenhang einschlägigen verfassungsrechtlichen Regelungen im Bund nachzuzeichnen. Danach werde ich zwei der Mosaiksteine der deutschen Krisenrektion auf Landesebene detaillierter in den Blick nehmen: Die Ausrufung des landesweiten Katastrophenfalls in Bayern sowie den Gesetzgebungsprozess um das sogenannte Epidemiegesetz in Nordrhein-Westfalen. Für beide Mosaiksteine und die sich jeweils darin manifestierenden Politiken gilt es auszutarieren, wie genau sie sich zur Balance von Freiheit und Sicherheit verhalten und was das über die Leistungsfähigkeit des deutschen Föderalismus in der Krise aussagt.
Ausnahmezustand
Die Idee und der rechtliche Anspruch des Ausnahmezustandes sind so alt, wie die institutionell ausdifferenzierte Staatlichkeit selbst. Bereits die Römische Republik verfügte über das Instrument der ‚dictatur’, die in Krisenzeiten die Aufhebung des Kollegialitätsprinzips vorsah. Stattdessen wurde ein ‚dictator’ mit einem Auftrag versehen – etwa einen Krieg zu führen oder Spiele zu organisieren. Seinen Auftrag hatte er innerhalb von sechs Monaten zu erfüllen, ansonsten ging er seines Amtes verlustig. Die Machtfülle, die mit diesem Amt einherging, war ebenso verlockend wie zerstörerisch. Zunächst unter Sulla, später unter Caesar verlängerte sich die Amtszeit des ‚dictators’ von einem halben auf mehrere Jahre – die ‚dictatur’ wurde Normalität. An ihr zerbrach die Römische Republik.
Die Idee indes, in der Krise alle Macht in die Hände der Exekutive zu legen, überdauerte. In die Frühe Neuzeit hinübergerettet hat sie Niccolò Machiavelli. In den Discorsi schrieb er: „Meine Meinung ist, dass Republiken, die in äußerster Gefahr nicht zur diktatorischen oder einer ähnlichen Gewalt Zuflucht nehmen, bei schweren Erschütterungen zugrunde gehen werden“.2 Damit ist der Kerngedanke des Ausnahmezustandes für den modernen Staat erschlossen. Mit John Locke und Alexander Hamilton, James Madison und John Jay, den Autoren der Federalist Papers, entsteht dann die Verbindung zur repräsentativen Demokratie. Sei es in Form der Prärogative, die der Exekutive eine Blankovollmacht eröffnet „Gutes zu tun“,3 sei es in Form einer starken Stellung des Präsidenten, denn im ständigen Ringen um Sicherheit und Freiheit sei „die Stärke der Exekutive […] ein bestimmendes Merkmal bei der Definition eines guten Regierungssystems.“4 All diesen ideengeschichtlichen Bezugspunkten des Ausnahmezustandes5 – egal ob sie ‚National emergency’ (USA), ‚État d’urgence’ (Frankreich), ‚Innerer Notstand’ (Deutschland) oder ‚Kommissarische Diktatur’ (Plettenberg) heißen – wohnt die eine gemeinsame Idee inne, in der Krise alle staatliche Macht auf die Krisenreaktion zu konzentrieren.
Verfassungsrechtlich betrachtet besteht diese Idee darin, der Regierung eine Vielzahl von Mechanismen zur Krisenintervention bereit zu stellen, die bereits vor dem Eintritt einer konkreten Krise rechtlich definiert sind.6 Sie alle sollen die Fähigkeit der Regierung verbessern, Entscheidungen zu treffen und diese durchzusetzen, sofern die Voraussetzungen hierfür gegeben sind. Die Feststellung, ob letzteres der Fall ist, obliegt in der Regel der Exekutive selbst. Hier berühren, ja überlagern sich Politik und Recht. Das erklärte Ziel der Maßnahmen, darauf hat Bernard Manin hingewiesen, besteht idealiter darin, durch die Stärkung der Exekutive schnellstmöglich zur Situation vor der auslösenden Krise, zur Normalität7 zurückzukehren.
Was die aktuell auslösende Krise anbelangt, so hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) am 30.1.2020 den globalen Gesundheitsnotstand ausgerufen und angesichts weiterhin zunehmender Ansteckungs- und Erkrankungsfälle im Zusammenhang mit dem Virus SARS-CoV2 am 11.3.2020 eine globale Pandemie erklärt. Damit geht die WHO von einer unkontrollierten, globalen Ausbreitung des Virus aus. Auch in Deutschland häufen sich die Fälle von COVID-19-Erkrankungen. Derzeit (Anfang April 2020) werden für Deutschland um die 105.000 Erkrankungs- und 2.000 Todesfälle im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie gezählt. Für die Bevölkerung werden Eindämmungsmaßnahmen immer deutlicher spürbar: Schulen und Kindergärten haben geschlossen, ebenso eine Vielzahl von Läden und Restaurants; Kontaktsperren und Ausgangsverbote sind in Kraft; Schulen verschieben Abschlussprüfungen, Hochschulen und Universitäten verlegen den Start des Sommersemesters; öffentliche Veranstaltungen sind abgesagt.
Zunehmend kamen und kommen angesichts dieser Dynamik, die zu einer immer weiteren Einschränkung von Freiheitsrechten führt, Fragen auf, ob in Deutschland – wie in anderen Ländern – die Verhängung eines Ausnahmezustandes drohe, oder ob sich Deutschland nicht gar schon im Ausnahmezustand befinde. Um diese Frage zu klären hilft ein Blick in die hierzu einschlägigen verfassungsrechtlichen Bestimmungen.
Notstandsgesetze
Deutschland verfügt – im Unterschied zu anderen westlichen Demokratien – auf nationalstaatlicher Ebene schon rein begriffliche nicht über das klassische Instrument des Ausnahmezustandes. In die ursprüngliche Fassung des Grundgesetzes (GG) vom 23.5.1949 waren entsprechende Regelungen, wie sie der Konvent von Herrenchiemsee in Anlehnung an die Regelungen von Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung vorgeschlagen hatte, nicht aufgenommen worden. Mit dem Siebzehnten Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27. Juni 19688 hat der Gesetzgeber die sogenannten Notstandsgesetze in die Verfassung aufgenommen und damit die ursprüngliche Haltung des Parlamentarischen Rates korrigiert. Allerdings wurde eine wesentliche strukturelle Anpassung vorgenommen, welche die Notstandsgesetze von den Regelungen zum Ausnahmezustand in der Weimarer Republik9 prozedural wie institutionell abgrenzen. Im Krisenfall eröffnen die Notstandsgesetze der Exekutive – und das ist für den deutschen Fall besonders – in enger Abstimmung mit der Legislative die Möglichkeit Maßnahmen zu ergreifen, die zur Krisenabwehr erforderlich und geeignet sind. Hierbei sind grundsätzlich zwei Arten von Krisen zu unterscheiden: der Verteidigungs- und/oder Spannungsfall und der Innere Notstand.
Der Verteidigungsfall ist in Art. 115a GG geregelt:
„(1) Die Feststellung, dass das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht (Verteidigungsfall), trifft der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates. Die Feststellung erfolgt auf Antrag der Bundesregierung und bedarf einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen, mindestens der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages.
(2) Erfordert die Lage unabweisbar ein sofortiges Handeln und stehen einem rechtzeitigen Zusammentritt des Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegen oder ist er nicht beschlussfähig, so trifft der Gemeinsame Ausschuss diese Feststellung mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen, mindestens der Mehrheit seiner Mitglieder.
(3) Die Feststellung wird vom Bundespräsidenten gemäß Artikel 82 im Bundesgesetzblatte verkündet. Ist dies nicht rechtzeitig möglich, so erfolgt die Verkündung in anderer Weise; sie ist im Bundesgesetzblatte nachzuholen, sobald die Umstände es zulassen.
(4) Wird das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen und sind die zuständigen Bundesorgane außerstande, sofort die Feststellung nach Absatz 1 Satz 1 zu treffen, so gilt diese Feststellung als getroffen und als zu dem Zeitpunkt verkündet, in dem der Angriff begonnen hat. Der Bundespräsident gibt diesen Zeitpunkt bekannt, sobald die Umstände es zulassen.
(5) Ist die Feststellung des Verteidigungsfalles verkündet und wird das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen, so kann der Bundespräsident völkerrechtliche Erklärungen über das Bestehen des Verteidigungsfalles mit Zustimmung des Bundestages abgeben. Unter den Voraussetzungen des Absatzes 2 tritt an die Stelle des Bundestages der Gemeinsame Ausschuss.“
Die Regelungen zum Spannungsfall aus Art. 80a GG im Sinne einer drohenden Gefahr und der dementsprechenden Erhöhung der militärischen Alarmbereitschaft gelten analog. Der Verteidigungs- und/oder Spannungsfall liegt vor, wenn die Bundesrepublik Deutschland von außen mit Waffengewalt angegriffen wird (Verteidigungsfall) oder aber ein solcher Angriff unmittelbar bevorsteht (Spannungsfall). Der erkennbare Schwerpunkt besteht in der Feststellung des Vorliegens oder des unmittelbaren Bevorstehens eines Angriffs mit Waffengewalt, also einer klassischen Kriegssituation.
Von besonderem Interesse ist hier die Regelung zur Einrichtung des sogenannten Gemeinsamen Ausschusses. Dabei handelt es sich um eine Art Notparlament, bestehend aus insgesamt 48 Abgeordneten, die vom Bundestag und vom Bundesrat bestimmt und entsandt werden. Durch den Gemeinsamen Ausschuss soll auch für den Fall, dass der Bundestag nicht mehr zusammentreten kann, eine funktionsfähige Legislative und damit die Kontrolle der Exekutive gewährleistet werden.10
Der Innere Notstand ist nach Art. 35 Abs. 2 und 3 GG geregelt:
„(2) Zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung kann ein Land in Fällen von besonderer Bedeutung Kräfte und Einrichtungen des Bundesgrenzschutzes zur Unterstützung seiner Polizei anfordern, wenn die Polizei ohne diese Unterstützung eine Aufgabe nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten erfüllen könnte. Zur Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall kann ein Land Polizeikräfte anderer Länder, Kräfte und Einrichtungen anderer Verwaltungen sowie des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte anfordern.
(3) Gefährdet die Naturkatastrophe oder der Unglücksfall das Gebiet mehr als eines Landes, so kann die Bundesregierung, soweit es zur wirksamen Bekämpfung erforderlich ist, den Landesregierungen die Weisung erteilen, Polizeikräfte anderen Ländern zur Verfügung zu stellen, sowie Einheiten des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte zur Unterstützung der Polizeikräfte einsetzen. Maßnahmen der Bundesregierung nach Satz 1 sind jederzeit auf Verlangen des Bundesrates, im Übrigen unverzüglich nach Beseitigung der Gefahr aufzuheben.“
Zudem greifen die Bestimmungen von Art. 91 GG:
„(1) Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kann ein Land Polizeikräfte anderer Länder sowie Kräfte und Einrichtungen anderer Verwaltungen und des Bundesgrenzschutzes anfordern.
(2) Ist das Land, in dem die Gefahr droht, nicht selbst zur Bekämpfung der Gefahr bereit oder in der Lage, so kann die Bundesregierung die Polizei in diesem Lande und die Polizeikräfte anderer Länder ihren Weisungen unterstellen sowie Einheiten des Bundesgrenzschutzes einsetzen. Die Anordnung ist nach Beseitigung der Gefahr, im Übrigen jederzeit auf Verlangen des Bundesrates aufzuheben. Erstreckt sich die Gefahr auf das Gebiet mehr als eines Landes, so kann die Bundesregierung, soweit es zur wirksamen Bekämpfung erforderlich ist, den Landesregierungen Weisungen erteilen; Satz 1 und Satz 2 bleiben unberührt.“
Damit hat der Innere Notstand zwei wesentliche Facetten: Er liegt einerseits vor, wenn im Rahmen einer Naturkatastrophe oder eines Unglücksfalls mehrere Gebietskörperschaften bundeslandübergreifend betroffen sind. Das kann bei Wald- und Vegetationsbränden ebenso der Fall sein, wie bei Wetterereignissen, Überflutungen – oder eben bei der Ausbreitung von Krankheiten, wie im Falle der derzeitigen Corona-Pandemie. Von einem Inneren Notstand kann zudem gesprochen werden, wenn Bestrebungen zur Beseitigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung im Innern festgestellt werden, also etwa in Form eines Aufstandes oder eines Bürgerkrieges.
Die Feststellung sowohl des Verteidigungs- und/oder Spannungsfalles sowie des Inneren Notstandes führt zu zwei wesentlichen Eingriffen in die föderale Struktur. Im Rahmen der ohnehin für alle Behörden nach Art. 35 Abs. 1 GG verpflichtenden Amtshilfe kann der Bund den Ländern zusätzliche Einsatzkräfte (etwa die Bundespolizei oder die Bundeswehr) zur polizeilichen und nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr bereitstellen. Zudem kann der Bund Lenkungsmaßnahmen an sich ziehen und damit eine Zentralisierung der Befehls- und Entscheidungswege herbeiführen. Diese Straffung von Befehls- und Entscheidungswegen und die damit einhergehende Erhöhung der Reaktionsfähigkeit der Exekutive ist das klassische Argument schlechthin – sowohl für die Notwendigkeit wie auch für die Anwendung eines Ausnahmezustandes.
Angesichts der Corona-Pandemie hat der Bund, wie bislang immer, seitdem die Notstandsgesetze 1968 in Kraft getreten sind, von deren Anwendung abgesehen. Das ist keinesfalls ein Zeichen für Schwäche, wie all jene Stimmen nahelegen, die derzeit nicht müde werden, nach einer starken, zentralen Entscheidungsmacht zu rufen. Im Gegenteil: Die Tatsache, dass der Bund bislang nicht den Inneren Notstand hat erklären müssen zeigt überdeutlich, dass der Katastrophenschutz – eine genuine Zuständigkeit der Länder – ausreichend gut funktioniert hat und das immer noch tut.
Beobachtungen
Damit richtet sich der Blick nun auf die wesentlichen Träger der föderalen Struktur in Deutschland: die Bundesländer. Die Beobachtung der Anwendung von Krisenreaktionsmaßnahmen ähnlich einem Ausnahmezustand muss, egal auf welcher Ebene deren Anwendung erfolgt, ganz unterschiedliche, sehr vielschichtige Probleme berücksichtigen: es geht um Politik und Recht, um Freiheit und Sicherheit, um Macht und Ohnmacht, um Deutungskämpfe und Zeitabfolgen.11 Ausnahmezustände und analoge Politiken zu analysieren, sie zu beurteilen, allzumal dann, wenn die Lage noch dynamisch ist, bedeutet immer auch, eine Auswahl zu treffen.
Die Auswahl, die ich in diesem Text getroffen habe, konzentriert sich auf die Besprechung zentraler politischer Entscheidungen, ihrer Inhalte und Begründungen. Zudem nehme ich mit Bayern und Nordrhein-Westfalen zwei bevölkerungsreiche Flächenländer in den Blick, deren Ministerpräsidenten in der öffentlichen Wahrnehmung mit ihrer Krisenpolitik zwei sehr unterschiedliche Positionen besetzt haben. Während Markus Söder als ebenso führungs- wie durchsetzungsstark und entscheidungsfreudig dargestellt wird, gilt Armin Laschet als eher zurückhaltend, abwägend und auf eine gemeinsame Haltung aller Länder bedacht. Die nachfolgenden Ausführungen sollen angesichts dieser sehr unterschiedlich dargestellten Führungsfiguren zweier bedeutender Bundesländer nicht darauf hinauslaufen zu entscheiden, wer die vermeintlich ‚bessere’ Krisenreaktionspolitik macht. Nichts desto trotz meine ich zeigen zu können, dass unterschiedliche Führungsstile sehr wohl sichtbar werden.
Katastrophenfall in Bayern
Ein erster wesentlicher Mosaikstein bei der Beobachtung der föderalen Dimension deutscher Krisenreaktionspolitik – das lässt sich heute schon festhalten – war die Ausrufung des landesweiten Katastrophenfalls in Bayern. Am 16.3.2020 hat die bayerische Staatsregierung als erste Landesregierung überhaupt angesichts der Corona-Pandemie den Katastrophenfall für den gesamten Freistaat Bayern ausrufen.12 Ministerpräsident Markus Söder hat im Gespräch mit dem Bayrischen Rundfunk die Notwendigkeit einer solchen Maßnahme damit begründet, dass er angesichts der Corona-Pandemie nur so eine einheitliche, zentrale Einsatzleitung und eine landesweit abgestimmte Strategie sicherstellen könne. Einheitliche, schnelle und zielgerichtete Maßnahmen sowie die Erhöhung der Reaktionsfähigkeit waren die zentralen Motive für eine Entscheidung. Diese Ziele wurden in der Folge durch weitere Maßnahmen zur Eindämmung des Virus unterlegt. So sind mit Datum vom 21.3.2020, derzeit befristet bis zum 19.4.2020, weitreichende Ausgangsbeschränkungen sowie Schließungen von Einrichtungen und Betrieben ergänzend angeordnet worden.13 Damit befindet sich Bayern, was die Terminierung der Maßnahmen anbelangt, auf deutschlandweit einheitlicher Linie.
Rechtsgrundlage für die Ausrufung des Katastrophenfalls ist das Bayerische Katastrophenschutzgesetz (BayKSG).14 In Abschnitt II „Maßnahmen im Katastrophenschutz“ findet sich in Art. 4 „Feststellung des Vorliegens einer Katastrophe“ die entsprechende Ermächtigungsgrundlage:
„(1) 1Die Katastrophenschutzbehörde stellt das Vorliegen und das Ende einer Katastrophe fest. 2Die Feststellung soll unverzüglich der Öffentlichkeit bekanntgegeben werden.
(2) Die Katastrophenschutzbehörde hat die Aufsichtsbehörde und, soweit notwendig, auch die benachbarten Katastrophenschutzbehörden unverzüglich zu unterrichten.“
Die zuständigen Katastrophenschutzbehörden wiederum sind in Abschnitt I „Aufgaben und Zuständigkeiten“, Art. 2 „Zuständigkeiten“ festgelegt:
„(1) 1Katastrophenschutzbehörden sind die Kreisverwaltungsbehörden, die Regierungen und das Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration. […]“
Hieran lässt sich die föderale Organisation des Katastrophenschutzes in Deutschland verdeutlichen. Zunächst sind die Kreise und kreisfreien Städte, dann die Regierungen der Bezirke und schließlich die Staatsregierung durch das Ministerium für Inneres, Sport und Integration für die Katastrophenabwehr zuständig. Die Definition des Begriffs „Katastrophe” umfasst dabei ein „außergewöhnliches Großereignis mit hoher Gefahrgeneigtheit und besonderem Schutz- und Koordinierungsbedarf an weitergehenden Vorbereitungsmaßnahmen.“15 Die Anwendung dieser Definition erstreckt sich gewöhnlich auf Überschwemmungsereignisse oder andere wetterbedingte Schadenslagen. Dabei wird der Katastrophenfall in der Regel lediglich für die betroffenen Gebietskörperschaften, nicht aber für den gesamten Freistaat ausgerufen. Mit der Ausrufung des Katastrophenfalls gehen Befugnisse einher, anhand derer – wie in jedem sonstigen Einsatzfall auch – in Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger eingegriffen werden kann. In Abschnitt IV „Besondere Befugnisse gegenüber Dritten“ sind diese Befugnisse der Katastrophenschutzbehörden benannt. Ist eine Katastrophe erklärt, sind etwa Eigentümer und Besitzer von Grundstücken und Gebäuden verpflichtet, Einsatzkräften Zutritt zu gewähren; für den Einsatzerfolg erforderliche Gegenstände (Werkzeuge, Maschinen etc.) oder Ressourcen sind auf Anforderung der Einsatzleitung bereitzustellen; ferner können Platzverweise und Betretungsverbote für das Katastrophengebiet oder aber für besonders ausgewiesene Bereiche innerhalb des betroffenen Gebiets ausgesprochen werden. Grundrechtlich gesprochen können das Recht auf körperliche Unversehrtheit, die Freiheit der Person, die Versammlungsfreiheit, die Freizügigkeit und die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 2 Abs. 2 Sätze 1 und 2, Art. 8 Abs. 2, Art. 11, 13 GG) eingeschränkt werden.
Grundrechtseinschränkungen im Krisenfall sind zudem durch die Bayerische Landesverfassung geregelt. So enthält diese in Artikel 48 eigene Notstandsregelungen, die Grundrechtsbeschränkungen explizit materiell benennen und zudem das entsprechende Verfahren festlegen. Die Regelungen besagen:
„(1) Die Staatsregierung kann bei drohender Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung das Recht der öffentlichen freien Meinungsäußerung (Art. 110), die Pressefreiheit (Art. 111), das Brief-, Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis (Art. 112) und die Versammlungsfreiheit (Art. 113) zunächst auf die Dauer einer Woche einschränken oder aufheben.
(2) 1Sie hat gleichzeitig die Einberufung des Landtags zu veranlassen, ihn von allen getroffenen Maßnahmen unverzüglich zu verständigen und diese auf Verlangen des Landtags ganz oder teilweise aufzuheben. 2Bestätigt der Landtag mit der Mehrheit seiner gesetzlichen Mitgliederzahl die getroffenen Maßnahmen, so wird ihre Geltung um einen Monat verlängert.
(3) Gegen die getroffenen Maßnahmen ist außerdem Beschwerde zum Bayerischen Verfassungsgerichtshof zulässig; dieser hat innerhalb einer Woche wenigstens eine vorläufige Entscheidung zu treffen.“
Zwar enthält Artikel 48 eine Unterrichtungspflicht der Landesregierung gegenüber dem Landtag. Diese stellt aber ein vergleichsweise schwaches Korrektiv beziehungsweise Kontrollinstrument dar. Denn es reicht die Bestätigung der Exekutivmaßnahmen durch eine einfache Mehrheit aus, auf die sich die Regierung im Landtag im Regelfall ja ohnehin stützen können muss (‚Regierungsmehrheit’). Damit können die bayerischen Regelungen zur Krisenreaktion als grundsätzlich exekutivfreundlich eingeordnet werden. Das Abwägen von Freiheit und Sicherheit wird damit zu einer Angelegenheit, die primär der Regierung obliegt, auch wenn sie sich im Nachgang dafür eine parlamentarische Mehrheit verschaffen muss. Insofern sind die in Bayern in Folge der am 16.3.2020 erfolgten Ausrufung eines landesweiten Katastrophenfalls erlassenen Maßnahmen materiell betrachtet in der Tat außergewöhnlich. Die in ihrem Zustandekommen manifest gewordene Rolle eines starken Ministerpräsidenten entspricht allerdings dem Geist der Landesverfassung.
Epidemiegesetz in NRW
Ein weiterer Blick auf die Landesebene führt nach Nordrhein-Westfalen. Die dortige Landesregierung hat, verschiedenen Medienberichten zufolge, gegen Ende März und in erstaunlicher zeitlicher Nähe zur Verabschiedung des ‚état d’urgence sanitaire’ in Frankreich am 22.3.2020,16 ein neues Epidemiegesetz17 vorbereitet. Ein entsprechender Kabinettsentwurf wurde den Landtagsfraktionen sowie betroffenen Verbänden zugeleitet und lag bereits vor dem Zeitpunkt seiner Veröffentlichung der Deutschen Presse-Agentur (dpa) vor. Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) plane entsprechende Presseberichten zufolge, den Landtag am 1.4.2020 zu informieren. Anschließend, so die Berichte weiter, könne das Gesetz im Rahmen eines beschleunigten Verfahrens verabschiedet werden.
Inhaltlich beinhaltet der Entwurf zunächst eine Bezugnahme auf das am 25.3.2020 im Deutschen Bundestag geänderte Infektionsschutzgesetz (IfSG), das nun in Abschnitt 2 dem Parlament die Möglichkeit eröffnet, eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“18 festzustellen. Würde diese ausgerufen, so betreffe das naturgemäß auch NRW. In einem solchen Fall ergäben sich dann über das Epidemiegesetz mehrere Eingriffsmöglichkeiten der Landesregierung. Diese wäre dann unter anderem befugt, durch ihre Ministerien
- Krankenhäuser zur Bereitstellung von Behandlungskapazitäten zu verpflichten;
- Ärzte und rettungsdienstliches Personal zum Dienst zu verpflichten;
- benötigtes medizinisches Material sicherzustellen und Preisniveaus für diese Materialien festzulegen;
- Regelungen zu Schul- und Hochschulabschlüssen zu verfügen (Aussetzen von Prüfungen und Sitzenbleiben).
Medienvertreter kommentieren das geplante Gesetz als weitreichendes Notstandsgesetz, was aber eine eher unglückliche Bezeichnung darstellt. Denn die Verfassung des Landes NRW sieht in Artikel 60 bereits weit gefasste Notstandskompetenzen der Landesregierung vor:
„(1) Ist der Landtag durch höhere Gewalt daran gehindert, sich frei zu versammeln, und wird dies durch einen mit Mehrheit gefassten Beschluss des Landtagspräsidenten und seiner Stellvertreter festgestellt, so kann die Landesregierung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung oder zur Beseitigung eines Notstandes Verordnungen mit Gesetzeskraft, die der Verfassung nicht widersprechen, erlassen.
(2) Diese Verordnungen bedürfen der Zustimmung eines in der Geschäftsordnung zu bestimmenden Ausschusses, es sei denn, dass auch dieser nach einer entsprechend Absatz 1 zu treffenden Feststellung am Zusammentritt verhindert ist.
(3) Verordnungen ohne Beteiligung des in der Geschäftsordnung zu bestimmenden Ausschusses sind nur mit Gegenzeichnung des Landtagspräsidenten rechtswirksam. Die Gegenzeichnung erfolgt oder gilt als erfolgt, sofern der Landtagspräsident und seine Stellvertreter dies mit Mehrheit beschließen.
(4) Die Feststellung des Landtagspräsidenten und seiner Stellvertreter ist jeweils nur für einen Monat wirksam und, wenn die Voraussetzungen des Notstandes fortdauern, zu wiederholen.
(5) Die Verordnungen sind dem Landtage bei seinem nächsten Zusammentritt zur Genehmigung vorzulegen. Wird die Genehmigung versagt, so sind die Verordnungen durch Bekanntmachung im Gesetz- und Verordnungsblatt unverzüglich außer Kraft zu setzen.“
Gerade auch prozedural betrachtet sind der Entwurf und das Beschlussverfahren zum Epidemiegesetz nicht als Notstandsgesetz oder gar als Notverordnung zu qualifizieren. Vielmehr handelt es sich um die Wahrnehmung der in der Verfassung für die Landesregierung vorgesehenen und noch dazu unter Einbeziehung der Legislative eröffneten Kompetenzen. Durch das nunmehr angestoßene Verfahren wurden Parlament und Expertengremien in die Gestaltung und Beschlussfindung signifikant eingebunden. Die am 1.4.2020 erfolgte Debatte im Landtag belegt das deutlich.
Anstelle von Verordnungen, zu denen die Regierung im Notfall ebenfalls befugt wäre und die eine Entmachtung des Parlaments bedeuteten, hat sie sich für einen – wenn auch beschleunigten – Gesetzgebungsprozess entschieden. Damit werden selbst in der Krise demokratische Mitbestimmungsverfahren durchlaufen. Demokratische Institutionen und Prozesse, also Mitbestimmung und -gestaltung, Diskussion und Dissens sind weiterhin möglich und gewünscht, denn sie sind leistungsfähig.
Freiheit oder Sicherheit?
Der Ausnahmezustand ist eine gefährliche Sache, so hat es der amerikanische Politikwissenschaftler Clinton L. Rossiter einmal formuliert.19 Ist der Staat, sind die Bundesländer – sofern sich das zum jetzigen Zeitpunkt bestimmen lässt – zu weit gegangen? Droht die Freiheit zugunsten von Sicherheit gänzlich zu verschwinden? – Beide Fragen lassen sich zum jetzigen Zeitpunkt mit einem klaren ‚Nein’ beantworten.
Die beiden hier kurz angerissenen Beispiele akuter Kriseninterventionspolitik offenbaren zwar unterschiedliche politische Modi: eine stärker exekutivorientierte Haltung in Bayern, eine stärker an legislativer Einbindung interessierte in Nordrhein-Westfalen. Grundrechtseinschränkungen sind in beiden Ländern erfolgt. Dabei bewegen sich die jeweiligen Landesregierungen aber immer im jeweiligen verfassungsmäßigen Möglichkeitsrahmen. Zudem ist bislang immer eine gemeinsame Abstimmung mit der Bundesregierung festzustellen, wenngleich mitunter auch nachholend. Insofern handelt es sich zwar um Maßnahnamen, die einen grundsätzlich ausnahmezustandlichen Charakter aufweisen, die aber immer in parlamentarische Prozesse eingebunden und mit zeitlichen Verfallsdaten versehen sind.
Alle bisherigen Verlautbarungen und Maßnahmen – gerade auch auf Bundesebene – betonen den Wert von Information und Kommunikation, von individueller Freiheit und Verantwortung gleichermaßen, wenn es um die Herstellung größtmöglicher Sicherheit für alle geht. Das scheint umso wichtiger, als dass die Lage nach wie vor dynamisch und ihr Ausgang, wie Angela Merkel in ihrer Ansprache vom 18.3.2020 betont hat, offen ist. Die zentralen Akteure im Umgang mit dieser dynamischen Lage sind in Deutschland die Bundesländer. Sollte im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie der Innere Notstand zur Anwendung kommen – ein Fall, den ich derzeit für wenig wahrscheinlich halte – dann wird dieser primär dazu dienen, die Bereitstellung und Verteilung von Ressourcen durch den Bund an die betroffenen Gebietskörperschaften zu organisieren. Damit geht keinesfalls automatisch eine Verlagerung von Entscheidungskompetenzen von den betroffenen Gebietskörperschaften (Kreise, kreisfreie Städte, Bezirks- und Landesregierungen) auf den Bund einher.
Föderale Strukturen, auch wenn sie jeweils anders akzentuiert und mit Leben gefüllt werden, sind eben nicht notwendig ein Hemmnis, sondern vielmehr eine Chance für situativ und lokal angepasstes Katastrophenmanagement. Idealiter geht es dabei gerade nicht um einen Überbietungswettbewerb, sondern um die Suche nach der bestmöglichen Maßnahme unter den jeweils vorherrschenden Bedingungen. Es geht strukturell eröffnete, wechselseitige Lernprozesse, die ein wesentlicher Garant für eine angemessene Austarierung von Freiheit und Sicherheit sind. Berichterstattungen, welche die simple Gleichung „Corona = Ausnahmezustand“ aufmachen,20 sind dabei ebenso irreführend, unangemessen und sachlich falsch, wie die nicht minder häufig zu beobachtenden Rufe nach dem ‚starken Mann’. Gerade wenn in einer Krise Freiheitsrechte zugunsten von Sicherheitserwägungen unter Druck geraten, ist Föderalismus eher eine Chance, als ein Problem.
Zitationshinweis:
Lemke, Matthias (2020): Katastrophenmanagement im Föderalismus, Notstandspolitik auf Länderebene im Rahmen der Corona-Pandemie, Essay, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online Verfügbar: https://regierungsforschung.de/katastrophenmanagement-im-foederalismus/
This work by Matthias Lemke is licensed under a CC BY-NC-SA license.
- Für eine typologische Unterscheidung verschiedener Institutionenarrangements im Ausnahmezustand vgl. Matthias Lemke (2018), What does state of exception mean? A definitional and analytical approach. In: Lemke, Matthias / Göztepe, Ece / Cahn, Olivier (Ed.), New normality? State of exception as contemporary government technique, Zeitschrift für Politikwissenschaft 28 (4), 373–383. Verfassungsrechtliche Regelungen auf Landesebene können hiervon abweichen. [↩]
- Niccolò Machiavelli (1990): Discorsi. In: Ders., Gesammelte Schriften. Herausgegeben und eingeleitet von Herfried Münkler, Frankfurt (Main), 125–269, hier 185. [↩]
- So der Kommentar von Sean Mattie (2005), Prerogative and the Rule of Law in John Locke and the Lincoln Presidency. In: The Review of Politics, 67(1), 77–111, hier 77, zum Begriff der Prärogative bei John Locke. [↩]
- Alexander Hamilton, 70, 424, zit. nach Adama, Angela / Adams, Willi Paul (1994), Die Federalist-Artikel. Politische Theorie und Verfassungskommentar der amerikanischen Gründungsväter. Mit dem englischen und deutschen Text der Verfassung der USA, Paderborn u.a. [↩]
- Für einen ersten Versuch der ideengeschichtlichen Erschließung des Ausnahmezustandes vgl. Matthias Lemke (2017), Demokratie im Ausnahmezustand. Wie Regierungen ihre Macht ausweiten, Frankfurt (Main) New York, 52–118 und, insbesondere mit Blick auf die Frage nach einem mittelalterlichen funktionalen Äquivalent zum Ausnahmezustand, vgl. Louise Zbiranski / Matthias Lemke (2018), Ausnahmezustand – Ein Dialog über Epochen- und Disziplingrenzen hinweg. In: dhip.hypotheses.org – Veranstaltungen am DHI Paris, 8.8.2018. [↩]
- Vgl. hierzu grundlegend Matthias Lemke (2018), What does state of exception mean? A definitional and analytical approach. [↩]
- Hierin liegt – implizit – auch ein Schlüssel für die vielfach im Zusammenhang mit Ausnahmezuständen geäußerte Normalisierungsthese: Wird die Krisensituation von der Regierung genutzt, um die vor der auslösenden Krise bestehende Verfassungsordnung im Ausnahmezustand zu verändern, ist verfassungsrechtlich betrachtet eine Rückkehr zum Zustand vor der Krise nicht mehr möglich. Die Verfassung ist eine andere geworden, in der Regel eine autoritärere, die der Regierung generell, im künftigen ‚Normalbetrieb’, mehr Kompetenzen zuweist. Dieser Mechanismus kann als Normalisierung des Ausnahmezustandes bezeichnet werden und ist wissenschaftlich hinsichtlich seines Zustandekommens (begünstigende Faktoren vor und während der Krise; Gegenstrategien) noch nicht hinreichend erforscht. [↩]
- Vgl. BGBl. I, 41 vom 27.6.1968, 709–714. [↩]
- Vgl. zur Rechtslage in der Weimarer Republik ausführlich Matthias Lemke (2020 i.E.), Notanker oder Sargnagel? Verfassungsrechtliche Konstruktion und politische Funktion des Ausnahmezustandes in der Weimarer Republik. In: Voigt, Rüdiger (Hg.), Aufbruch zur Demokratie. Die Weimarer Reichsverfassung als Bauplan für eine demokratische Republik, Baden-Baden: Nomos. [↩]
- In den vergangenen Wochen hat es wiederholt Vorstöße von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble gegeben, die Einrichtung eines solchen Notparlaments auch im Pandemie- oder Seuchenfall zu ermöglichen und das Grundgesetz entsprechend zu ändern. Bislang ist Schäuble mit diesen Ideen bei den Bundestagsfraktionen allerdings nicht durchgedrungen. Aus Schäubles Sicht war dieser Vorstoß nötig, weil der Innere Notstand die Einrichtung des Gemeinsamen Ausschusses nicht vorsieht. [↩]
- Zur grundsätzlichen Problematik der wissenschaftlich angemessenen Analyse von Ausnahmezuständen vgl. Matthias Lemke (2019), Die Empirie von Ausnahmezuständen. Grenzziehungen zwischen Demokratierettung und Normalisierung. In: Kriminologisches Journal 51(4), 290–299. [↩]
- Vgl. Bayerische Staatsregierung, https://www.bayern.de/corona-pandemie-bayern-ruft-den-katastrophenfall-aus-veranstaltungsverbote-und-betriebsuntersagungen/, abgerufen am 8.4.2020. [↩]
- Vgl. Bayerische Staatsregierung, https://www.bayern.de/service/coronavirus-in-bayern-informationen-auf-einen-blick/vorlaeufige-ausgangsbeschraenkung-anlaesslich-der-corona-pandemie/, abgerufen am 8.4.2020. [↩]
- BayKSG vom 24. Juli 1996 (GVBl. S. 282, BayRS 215-4-1-I), zuletzt geändert durch § 1 Abs. 166 der Verordnung vom 26. März 2019 (GVBl. S. 98). [↩]
- Vgl. Art. 7, Abs. 2, Punkt 3, Satz 2 BayKSG. [↩]
- Vgl. hierzu ausführlicher Matthias Lemke (2020), Frankreich im Gesundheitsnotstand. In: Demokratie im Ausnahmezustand – emergency.hypotheses.org, 22.3.2020. Die inhaltlichen Regelungsdetails des Epidemiegesetzes weisen deutliche Parallelen zum ‚état d’urgence sanitaire’ auf. Auch dort hat die Regierung Vorkehrungen getroffen, um zum Beispiel die übermäßige Verteuerung von medizinisch erforderlichen Gütern zu unterbinden. Grundrechtseingriffe – hier etwa in das Recht auf Eigentum – lägen damit vor. [↩]
- Gesetz zur konsequenten und solidarischen Bewältigung der COVID-19-Pandemie in Nordrhein-Westfalen und zur Anpassung des Landesrechts im Hinblick auf die Auswirkungen einer Pandemie; 17/8920. [↩]
- Vgl. hierzu ausführlich Matthias Lemke (2020): Ist das noch normal? Krisenreaktionspolitik auf Bundesebene im Rahmen der Corona-Pandemie. In: Portal für Politikwissenschaft, pw-portal.de, 6.4.2020. [↩]
- Vgl. Clinton L. Rossiter (1948), Constitutional Dictatorship. Crisis and Government in the Modern Democracies, Princeton (NJ). [↩]
- Damit möchte ich nicht die Gefahr herunterspielen, die von der autoritären Versuchung gerade in Krisenzeiten ausgeht. Ungarn ist in diesem Zusammenhang ein ebenso hochaktuelles wie bedrückendes Beispiel. [↩]