Am 13. September wählen die Bürgerinnen und Bürger des Ruhrgebiets nicht nur Stadt- und Gemeinderäte, sondern stimmen auch erstmals über die Zusammensetzung des Ruhrparlamentes ab. Jan Philipp Thomeczek von der Universität Münster erläutert kurz den Nutzen dieses Tools und welche Chancen es gerade bei der Wahlentscheidung in Pandemiezeiten bietet.
Am 13. September finden in NRW Kommunalwahlen statt. Der Wahlkampf wird in diesem Jahr aufgrund der „Corona-Krise“ unter besonderen Bedingungen durchgeführt. Digitale Wahltools rücken daher in den Fokus. Sie können die Lücken schließen, die durch die „Corona-Krise“ im Kommunal-Wahlkampf auftreten. Bei Bundestags- oder Landtagswahlen erfreuen sich Online-Wahlhilfen bereits großer Beliebtheit – doch leider existieren solche Tools noch nicht flächendeckend auf Kommunalebene. Das möchte der „Wahl-Kompass“ ändern. Das Ziel: Online-Wahlhilfen auch für die Kommunalebene anzubieten.
Wahl-Kompass zur erstmaligen Direktwahl des Ruhrparlaments 2020
Autor
Jan Philipp Thomeczek ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Vergleichende Politikwissenschaft von Prof. Dr. Kersting an der Universität Münster. Er ist ehemaliger Stipendiat der Mercator Stiftung. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Parteien, Wahlen und Populismus.
Am 13. September finden in NRW Kommunalwahlen statt. Der Wahlkampf wird in diesem Jahr aufgrund der „Corona-Krise“ unter besonderen Bedingungen durchgeführt. Digitale Wahltools rücken daher in den Fokus. Sie können die Lücken schließen, die durch die „Corona-Krise“ im Kommunal-Wahlkampf auftreten. Bei Bundestags- oder Landtagswahlen erfreuen sich Online-Wahlhilfen bereits großer Beliebtheit – doch leider existieren solche Tools noch nicht flächendeckend auf Kommunalebene. Das möchte der „Wahl-Kompass“ ändern. Das Ziel: Online-Wahlhilfen auch für die Kommunalebene anzubieten. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Wahl des Ruhrparlaments, da die Wahlberechtigten zum ersten Mal die Möglichkeit haben, die Zusammensetzung des Ruhrparlaments selbst zu bestimmen. Zum Wahl-Kompass für das Ruhrparlament geht es hier.
Was ist der Wahl-Kompass und wer steht hinter dem Projekt?
Der Wahl-Kompass ist eine wissenschaftliche Online-Wahlhilfe, die von Prof. Dr. Norbert Kersting und Jan Philipp Thomeczek an der Universität Münster entwickelt wird. Die technische Umsetzung übernimmt dabei Kieskompas aus Amsterdam, eine Agentur, die sich bereits seit über 15 Jahren mit der Entwicklung von Online-Wahlhilfen beschäftigt. In Deutschland wurde der Wahl-Kompass bereits u. a. zu den Bundestagswahlen, Europawahlen, Landtagswahlen und den Kommunalwahlen in Frankfurt/Main (2018) eingesetzt. Dabei ist das Projekt wissenschaftlicher Neutralität und der Einhaltung der strengen Datenschutzrichtlinien verpflichtet. Kooperationspartner waren in der Vergangenheit zum Beispiel Kommunen, Landeszentralen für politisch Bildung und namhafte Medien wie der Hessische Rundfunk oder die Frankfurter Allgemeine Zeitung.
Wie funktioniert der Wahl-Kompass?
Nutzerinnen und Nutzer geben im Wahl-Kompass ihre Haltung zu den 30 wichtigsten Wahlkampfthemen an, die als Statements (Thesen) formuliert sind. Hierzu steht den Nutzerinnen und Nutzern eine fünfstufige Skala für eine differenzierte Zustimmung bzw. Ablehnung zur Verfügung. Anschließend wird auf dieser Basis eine individuelle politische Übereinstimmung mit den Parteien bzw. Kandidierenden errechnet, die wissenschaftlichen Standards unterliegt, aber zugleich einfach und nutzerfreundlich ist. Diese Verortung erfolgt in enger Anbindung an politikwissenschaftliche Theorien und bietet den Nutzerinnen und Nutzern dabei mehr Flexibilität als der bekannte Wahl-O-Mat. Mit dem Wahl-Kompass wurden bei vergangenen Wahlen bereits Hunderttausende Wählerinnen und Wähler erreicht.
Warum ist der Wahl-Kompass zur Wahl des Ruhrparlaments überhaupt sinnvoll?
Aufgrund der aktuellen „Corona-Krise“ gewinnt der Online-Wahlkampf stark an Bedeutung. Hier bietet der Wahl-Kompass ideale Möglichkeiten für Parteien und Kandidierende, um die eigenen Positionen digital zu kommunizieren, selbst wenn persönliche Treffen mit Wählerinnen und Wählern nicht möglich sind. Die politikwissenschaftliche Forschung hat zudem gezeigt, dass Wahlhilfen die Wahlbeteiligung erhöhen können – wer sich besser informiert fühlt, geht mit höherer Wahrscheinlichkeit auch wählen. An dieser Stelle setzt der Wahl-Kompass an: Anhand von 30 Statements soll die Diskussionen zu den wichtigsten kommunalen Themen für die Wählerinnen und Wähler aufbereitet werden und ihnen zeigen, wo sie stehen. Dieses Ziel ist besonders für die erstmalige Direktwahl des Ruhrparlaments von großer Bedeutung.
Positionen der Parteien auf Regionalebene
Aus politikwissenschaftlicher Sicht ist das Projekt vor allem spannend, da es Einblick in die Positionen der Parteien auf Regionalebene, also der Ebene des Ruhrgebiets, liefert. Die Auswertung der Parteiantworten hat gezeigt, dass sich hier zwei politische Dimensionen abzeichnen. Die horizontale Dimension unterscheidet zwischen den Polen „staatliche Regulierung/Regional“ und „freier Markt/lokal“. Links sind hier Positionen verortet, die sich für weitreichende staatliche bzw. kommunale Regulierungen einsetzen, also eine „starke Kommune“, aber auch für regionale Lösungen auf der Ebene des RVR. Auf der gegenüberliegenden Seite finden sich Positionen, die auf Selbstregulierungen des Marktes setzen (z.B. im Bereich der ÖPNV-Privatisierung) und lokale Lösungen in Städten bevorzugen statt regionaler Ansätze. Die zweite, vertikale Dimension zeigt den gesellschaftlich-kulturellen Konflikt. Oben finden sich Positionen, die sich für weitreichende umweltpolitische Maßnahmen, eine multikulturelle und geschlechtergerechte Gesellschaft einsetzen. Unten sind Parteien verortet, die traditionell-konservative Meinungen vertreten, also Zuwanderung kritisch gegenüberstehen und weitreichenden Umweltschutz ablehnen. Interessanterweise zeichnet sich bei der Betrachtung der Dimensionen das ab, was auch auf Bundes- oder Landesebene deutlich wird. Klar zu erkennen ist ein „linkes Lager“, in dem SPD, Grüne und Linke, aber auch Volt oder die Piraten verortet sind. Die „bürgerliche Mitte“ umfasst die CDU und kleinere, freie Wählergruppen oder die christliche Partei „Bündnis C“. Eine Sonderposition nimmt die FDP ein, die sich zuwanderungs- und umweltschutzkritisch positioniert und als einzige Partei klar für eine freie Wirtschaft eintritt. AfD und NBR (Nationales Bündnis Ruhr, mit NPD-Beteiligung) nehmen ebenfalls Sonderrollen am untersten Ende der politischen Landschaft ein.
Zitationshinweis:
Thomeczek, Jan Philipp (2020): Wahl-Kompass zur erstmaligen Direktwahl des Ruhrparlaments 2020, Essay, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online Verfügbar: https://regierungsforschung.de/wahl-kompass-zur-erstmaligen-direktwahl-des-ruhrparlaments-2020/
This work by Jan Philipp Thomeczek is licensed under a CC BY-NC-SA license.