1968 – Campaigning in unruhigen Zeiten oder: Von Nixon zu Trump

Prof. Dr. Klaus Kamps von der Hochschule der Medien in Stuttgart erklärt, dass nicht nur der diesjährige Wahlkampf in unruhigen Zeiten stattfindet. Auch die 1960er Jahre waren ein Jahrzehnt des Umbruchs und entwickelten die Wahlkampfteams um Richard Nixon und andere Präsidentschaftskandidaten neue Strategien des Campaignings, auf die auch Donald Trump im aktuellen Wahlkampf verweist. Welche Elemente aus dem Nixon-Wahlkampf haben Eingang in den Wahlkampf von Donald Trump gefunden? Und was macht The Donald anders als seine Vorgänger?

In den USA wird mit den 1960er Jahren „Vietnam“ verbunden, und damit natürlich die Anti-Kriegs-Demonstrationen, darüber hinaus vor allem mit der Bürgerrechtsbewegung und den Wahlrechtsreformen. Ein Jahrzehnt des Wandels wie kaum eines zuvor, nicht nur in der Politik.

1968 – Campaigning in unruhigen Zeiten oder: Von Nixon zu Trump

Autor

Klaus Kamps ist Professor für Kommunikationswissenschaft an der Hochschule der Medien in Stuttgart. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Öffentlichkeit, Politische Kommunikation, Medienpolitik und die USA.

Einleitung

„68“ – Schlagwort hierzulande für eine Generation politischer und sozialer Bewegungen, einer auch kulturellen Revolution. „68“ steht für ein breites Spektrum an Ereignissen und Umbrüchen, die sich nicht auf dieses eine Jahr beschränken, aber schon von den Zeitgenossen als dichte, mitunter radikale Prozesse und als Zäsur wahrgenommen wurden: Von den Studentenunruhen, einer außerparlamentarischen Opposition, dem Linksterrorismus bis hin zur Berliner Kommune 1, der Hippie-Bewegung und mehr. Ähnliche Konflikte und ähnlich rapider sozialer Wandel in anderen Ländern machen „68“ zu einem internationalen – unscharfen – Sammelbegriff für kondensiertes Geschehen in Politik, Kultur und Gesellschaft mit unterschiedlich gelagerten Folgen für (vornehmlich) die westlichen Demokratien.

In den USA wird mit den 1960er Jahren „Vietnam“ verbunden, und damit natürlich die Anti-Kriegs-Demonstrationen, darüber hinaus vor allem mit der Bürgerrechtsbewegung und den Wahlrechtsreformen. Ein Jahrzehnt des Wandels wie kaum eines zuvor, nicht nur in der Politik:

„A high-speed kaleidoscope of the civil rights movement, assassinations, Bob Dylan, the Vietnam War, hippies, America’s first real antiwar movement, organic food, the Beatles, massive riots in several cities, the first riots on college campuses, Woodstock, Black Power, countless bombings in the name of the peace movement, Broadway’s first naked musical (about hippies), thousands of military funerals for boys who hadn’t wanted to go to war, birth control pills, free love, the collapse of dress codes in schools and universities, vegetarian restaurants, young rock stars dying of drug overdoses, fifty thousand deserters from the U.S. military (…)“ (O’Donnell, 2017, S. 6).

In diesen turbulenten Zeiten sticht auch die Präsidentschaftswahl 1968 heraus, genau genommen die Kampagne von Richard Nixon. Sie setzte in mancher Hinsicht „Maßstäbe“ für künftige republikanische Strategien. Was wir heute, über ein halbes Jahrhundert darauf, als Wahlkampf von Präsident Trump und seinem Kampagnenmanagement beobachten, geht auch auf diesen Präsidentschaftswahlkampf und Nixon ’68 zurück. Freilich darf man sich das nicht als Copy-Paste-Verfahren vorstellen. Dazu gestalten und entwickeln sich Wahlkämpfe zu individuell und in ihrem jeweils eigenen politisch-historischen und technologischen Kontext. Doch markiert die Nixon-Kampagne durchaus einen Schritt hin zu einer Idee der Kampagnenführung, die insbesondere die republikanische Politik heute (mit-)prägt: Nixon, so also der Grundgedanke, legte vor dem Hintergrund der amerikanischen Gesellschaft der 60er-Jahre die Basis für die Wahlkampagnen von Donald Trump. Das umfasst nicht nur grundständige Orientierungen (seine Kandidatur wie inhaltliche Ausrichtung; vgl. Adorf 2019, S. 8), sondern tatsächlich auch Stilmerkmale einer Wahlkampf-Kultur.

Das Realignment des amerikanischen Südens

„I think we just delivered the South to the Republican Party for a long time to come“ – so ein vielzitierter Kommentar von Präsident Lyndon B. Johnson nach der Unterzeichnung des Civil Right Acts am 2. Juli 1964 (Klein 2020, S. 30). Johnson sah, was die amerikanische Politikwissenschaft bald als Realignment fasste (Hill & Tausanovitch 2018): Eine nachhaltige Neujustierung der amerikanischen Wählerschaft. Wurde der Süden bis dahin traditionell von den Demokraten1 dominiert (den Southern Democrats, auch: Dixiecrats), so änderte sich das nun mit der Bürgerrechtsbewegung und den Reformen der Johnson-Regierung. Die konservativen Demokraten der Südstaaten wechselten zu den Republikanern – während sich im Osten, Nordosten und mittleren Westen die moderaten Republikaner den Demokraten zuwandten. Im Ergebnis etablierten sich (allerdings in einem langen, nicht wirklich stringenten Prozess) die Republikaner als Mehrheitspartei in den Südstaaten, während umgekehrt die Demokraten den Norden dominierten.

Präsident Johnson war indes kein Visionär. Bereits 1948 hatten sich die Demokraten auf ihrem Parteitag für eine Stärkung der Bürgerrechte der afroamerikanischen Bevölkerung und eine Überwindung der Rassentrennung ausgesprochen. Das hatte lange innerparteiliche Auseinandersetzungen ausgelöst, und es war alles andere als eine gewagte Vermutung, dass mit dem Civil Rights Act (gegen den immer noch einige demokratische Kongressabgeordneten stimmten) der Süden auf Dauer für die Demokraten verloren gehen könnte.

Mit der Wahl John F. Kennedys, den Bürgerrechtsreformen ab 1964, dann dem Great Society Project der Regierung Johnson und ihrem War on Poverty schien Amerika auf dem Weg in eine liberale Dekade. Umweltschutz, Gesundheitsreform, Bildung und sogar ein Waffenkontrollgesetz – das Land bekam einen progressiven Anstrich. Die Wahrnehmung eines liberaler werdenden Amerikas wurde noch verstärkt durch den überaus deutlichen Sieg, den Johnson für Demokraten in der Präsidentschaftswahl 1964 gegen den erzkonservativen, rechtspopulistischen Barry Goldwater einfuhr – einem ausgesprochenen Gegner der Bürgerrechtsbewegung und Anhänger der Segregation, der in seinen Reden gegen den liberalen „mob“ auf den Straßen und die Gefahren eines (kommunistischen) Kollektivismus polterte. Goldwater konnte gerade einmal sechs Staaten für sich entscheiden; die allerdings waren allesamt Südstaaten, und zwar Staaten, die zuvor über Generationen in demokratischer Hand gewesen waren.

Mit dem Triumph von „LBJ“ schien sich also ein Aufbruch zu verbinden, wenngleich Johnson den Vietnamkrieg weiter anheizte. Zugleich aber hatten die Proteste und Demonstrationen die Diskrepanz zwischen einem konservativen, traditionellen und einem progressiven, liberalen Amerika offenkundig gemacht und verschärft. Dabei konnten die Reformgesetze einen latenten Rassismus natürlich nicht über Nacht beseitigen. Im Gegenteil empfand ein nicht geringer Teil Amerikas insbesondere die Affirmative-Action-Programme (Sozialprogramme), mit denen die Folgen der Rassentrennung und die Benachteiligung von farbigen Amerikanern auf vielen Gebieten bekämpft werden sollten, als fundamentale Einschränkung ihrer Chancen, ihrer politischen Relevanz. Ganz zu schweigen von dem „Confederate Underground“, von dem schon Präsident Eisenhower 1958 sprach beziehungsweise sprechen musste: inländischen Terroristen, die sich mit der Supreme Court-Entscheidung Brown v. Board of Education (1954) nicht abfinden wollten (Lepore 2019, S. 109). Was also einige als Aufbruch in ein modernes Zeitalter und einer „more perfect union“ empfanden, verstanden andere als fundamentale Bedrohung ihres Amerikas und die 1960er dann als „age of chaos“ (Shapiro 2020, S. 154). Der „lauten“ liberalen Revolution folgte eine weniger öffentliche, „stille“ konservative Gegenrevolution (Bierling 2020, S. 34).

Die Southern Strategy

Die Kandidatur von Barry Goldwater als Präsidentschaftskandidat der Republikaner 1964 beendete wohl auch jede – allein theoretische – Überlegung des republikanischen Südens, selbst die Bürgerrechtsbewegung zu unterstützen, um die konservativen Dixiecrats in ihrer Vormachtstellung zu erschüttern. „[Goldwater’s] disastrous presidential campaign succeeded in only one region of the country: the old Confederacy, which realized that the language of small government conservatism could be weaponized against the federal government’s efforts to right America’s racial wrong“ (Klein 2020, S. 30).

Interessanterweise erwuchs also aus einer krachenden Niederlage ein strategisches Modell, das das konservative Potenzial des Südens auf noch breiterer Fläche ausnutzte und schon vier Jahre darauf Nixon das Weiße Haus liefern sollte. Diese Southern Strategy fußte im Wesentlichen – grob – auf drei Punkten. Erstens der Koppelung traditioneller Themen wie Bildung, Religion, Wirtschaft und insbesondere Sicherheit an die Race Relations (Brinkbäumer & Lamby 2020, S. 29) – und damit an die Ressentiments und Statusängste der weißen Mittelschicht und Arbeiterklasse (Adorf 2019, S. 31). Dadurch sollten neben dem Süden entsprechende Wählersegmente des Nordens erreicht werden. Zweitens sollten und konnten die verschiedenen Reformvorhaben Washingtons als Bundeszwang dargestellt und bekämpft werden – was im Süden im Grunde genommen schon seit Jahren gängige Praxis war. Drittens aber, ein eher taktischer denn strategischer Punkt, schien es opportun, Rassenfragen nicht direkt anzusprechen, obwohl zweifellos rassistische Ansichten in weiten Teilen der US-Bevölkerung nach wie vor verankert waren und entsprechendes Potenzial besaßen, Wahlen zu entscheiden. Denn Mitte der 1960er Jahre hatte sich so etwas wie eine „Norm of Racial Equality“ etabliert. „Selbst im Süden waren Politiker oft gezwungen, zumindest in der Öffentlichkeit davon abzusehen, die alten rassistischen Begriffe der Vergangenheit zu verwenden. Statt weiße Überlegenheit zu predigen hieß nun die Devise Seperate but Equal“ (Adorf 2019, S. 38-39; Herv. i. O.).

Letzteres übrigens – was man heute eine Form von politischer Korrektheit nennen würde – hatte schon Goldwater versucht. Allerdings hatte seine Kampagne in der Summe extrem wenig Erfolg, und so war es dann auch eine Lehre seiner 64er-Kampagne, die Rhetorik zu verfeinern, sodass sie „zumindest oberflächlich dessen Nutzer erlaubte, über jeden Zweifel oder Vorwurf des Rassismus erhaben zu bleiben“ (Adorf 2019, S. 42). Unterstützung in seiner Kampagne erhielt Nixon – unfreiwillig, aber wirksam – von der demokratischen Partei, von Präsident Johnson und von den progressiv-liberalen Bewegungen. Von Johnson, weil der in diesen Jahren den Vietnamkrieg eher hochkochte denn einer friedlichen Lösung auch nur einen Schritt näher kam; von den Demokraten, weil sie sich in der Folge dessen heillos über die Kriegspolitik zerstritten und den Präsidenten in den Primaries tatsächlich herausforderten (am prominentesten darunter wohl von dem im Juni 1968 in Los Angeles ermordeten Robert F. Kennedy); und von den Reform- und Protestbewegungen, weil sie die Gesellschaft nicht nur punktuell, sondern mit einiger Permanenz in Unruhe versetzten.

Was Nixon später – nach Vorlage – als „Silent Majority“ bezeichnete, waren dann all jene Amerikaner, die in den Medien beobachten konnten, was sie nicht als Fortschritt, sondern als moralisches Desaster verstanden, etwa die unpatriotischen Kriegsgegner, die kulturelle Liberalisierung, neue Frauenrollen und diese Woodstock Nation mit ihren drogenkonsumierenden Hippies. Insbesondere bildete sich rasch eine Phalanx in Opposition zu den Affirmative Action-Programmen, die am Ende doch nur zu neuen Abhängigkeiten führten und Sozialhilfeempfänger auf Dauer davon abhalten würden, auf eigenen Beinen zu stehen. Und da es in dutzenden großen Städten angesichts anhaltender Diskriminierung immer wieder zu Ausschreitungen kam, schwand auch in den nördlichen Staaten der Rückhalt für die Bürgerrechtsbewegung. Weite Teile des Landes zeigten sich zudem anfällig für den konservativen Widerstand (einiger Einzelstaaten) gegen Washingtoner Initiativen, die nicht selten als Eingriffe in ihre Freiheit verstanden wurden.

„In den 1960er Jahren fusionierten somit dauerhaft zwei Konfliktthemen: Sozialpolitik und Race. Denn dort, wo offener Rassismus immer weniger tolerierbar wurde, nahm oft der Widerstand gegen Welfare diesen Platz ein; eine Art Ersatzressentiment, das sich äußern ließ, ohne dabei gleich als Mitglied des Ku-Klux-Klans verdächtigt zu werden – und doch stets begleitet von der gedanklichen Assoziation mit ethnischen Minderheiten“ (Lütjen 2016, S. 56).

Das alles ist in mancher Hinsicht eine recht vereinfachte Darstellung. Aber es führt die Grundzüge des konservativen Backlash vor Augen, der Gegenreaktion zum Great Society Project der Regierung Johnson. Hier wurden neue Konfliktlinien der amerikanischen Gesellschaft wirksam und offenkundig – wohl eine Keimzelle (unter mehreren) dessen, was knapp ein halbes Jahrhundert darauf sich als äußerst polarisiertes Land darstellt; diese Entwicklung ist keinesfalls gradlinig und schon gar nicht deterministisch zu verstehen (beispielsweise spielen Politiker wie Ronald Reagan, Pat Buchanan und Newt Gingrich mit ihren Eigenarten und strategischen Überlegungen besondere Rollen). Aber Mehrheitsbeschaffung durch Feindbildkommunikation und die Verschärfung wie auch Verschleierung der Sprache in der politischen Auseinandersetzung, all dies schien im Präsidentschaftswahlkampf 1968 eine neue Dimension anzunehmen, eine Entwicklung, die in der Rückschau einen Wendepunkt in der politischen Kommunikationskultur der USA darstellt.

Nixon, Coding, Law and Order

Nixon gewann die Wahl 1968 als Zentrist, also mit einer inhaltlichen Positionierung zwischen Johnsons Vize-Präsidenten Hubert Humphrey und George Wallace. Eben weil er mit Johnson und seiner Kriegspolitik verknüpft wurde, konzentrierte sich Humphrey auf Sozialpolitik – fand aber keine Perspektive für die eigentlich drängende Vietnam-Frage. Rechts von Nixon dröhnte ein wütender George Wallace, der schon als Gouverneur ein prominenter Verfechter der Rassentrennung war, sich gegen Washington und die „intellektuellen Schwachköpfe“ positionierte und sich in einem historisch erfolgreichen Witz über Harvard Professoren lustig machte, die zwar vorgaben zu wissen, wie man den Krieg in Vietnam führen müsste, selbst aber zu blöd seien, ein Fahrrad vernünftig abzustellen.

Wallace, eigentlich ein (ultra-)konservativer Demokrat, trat unter dem Banner der American Independent Party an mit dem strategischen Ziel, genügend Bundesstaaten und damit Stimmen im Electoral College zu erhalten, um als Zünglein an der Waage die Präsidentschaft zu bestimmen. Dass er daran scheiterte, hat vielerlei Gründe, zwei stechen heraus. Der erste wäre eigentlich eine ganz eigene Erzählung wert: die Wahl von General Curtis LeMay zu seinem Running Mate – eine fatale Entscheidung, wie sich in rekordverdächtiger Geschwindigkeit herausstellen sollte. Als LeMay – Spitzname „Bombs Away LeMay“, weil er im Zweiten Weltkrieg eine Bomberdivision geführt hatte – von Wallace am 3. Oktober als sein Kandidat für die Vizepräsidentschaft vorgestellt wurde, reagierte der General auf Fragen zu einem möglichen Atomkrieg mit burschikoser Entschlossenheit: Darüber könne man durchaus nachdenken, auch in Vietnam. Die Welt würde davon schon nicht untergehen. Binnen Minuten bombte – so viel Wortspiel darf sein – der General die Umfragewerte von Wallace damit in die Steinzeit zurück (vgl. O’Donnell 2017, S. 383).

Der zweite Punkt ist etwas weniger offenkundig. Wallace, dessen politischer Kern der Southern Way of Life war, den es zu verteidigen gälte, hatte erkannt, dass mit den Bürgerrechtsreformen so etwas wie ein „respectable racism“ nicht mehr möglich war (Anderson 2017, S. 102). Daher wurden die Reformen von ihm auch nicht direkt attackiert, sondern als unamerikanische staatliche Eingriffe in die Freiheit von z. B. Haus- und Grundbesitzern. Und wenn Wallace über Kriminalität sprach, dann wusste so ziemlich jeder, wessen kriminelle Ader er meinte; er konnte sich sprachlich also vollkommen von rassistischer Rhetorik lösen (vgl. Adorf 2019, S. 48). Garniert hat Wallace diese Strategie dann noch mit einer deftigen, nicht nur humorvollen Portion Populismus gegen die Eliten in Washington, die kein Sinn für Amerika hätten. Integrationsmaßnahmen oder „Versuche (…), ein gewisses Maß an Chancengleichheit zu schaffen, wurden (…) zu Sozialexperimenten (…) umgedichtet deren Testpersonen der durchschnittliche weiße Amerikaner war“ (Adorf 2019, S. 45).

Im Nixon-Lager konnte man dann im Frühjahr und Frühsommer 1968 in der Primary Season beobachten, wie erfolgreich Wallace war mit dieser Verschleierung der Attacken auf die Bürgerrechtsreformen. Pat Buchanan arbeitete daher für Nixon eine ähnliche rhetorische Strategie heraus, mit der die Ablehnung der Reformen deutlich wurde, ohne dass man die heikle Frage der Race Relations direkt ansprach. „So erhielten insbesondere auch sozial-staatliche Fragen einen rassebezogenen Anstrich – der Wohlfahrtsstaat wurde hierbei durch stete republikanische Botschaften zu einem weiteren Werkzeug der Umverteilung des weißen Wohlstands in schwarze Hände uminterpretiert“ (Adorf 2019, S. 46). Flankiert wurde dieses Framing dadurch, dass Nixon den polternden Populismus von Wallace bei sich in weitaus nüchternere, ruhigere Bahnen lenkte und damit seine Art des Schürens von Ressentiments – im Vergleich – mit der Zeit manierlich erschien (Thomas 2016, S. 163).

Was Nixon dann zur Meisterschaft betrieb, firmiert heute als Coding oder Dog Whistling – nach der Hundepfeife, die nur der Hund hört (versteht). Das bringt bildhaft schön auf den Punkt, worum es geht: Reflexe, nicht Reflexion. Nixon gelang es dann, die Demokraten als die Partei der Afro-Amerikaner zu framen, ohne es je wörtlich so ausgesprochen zu haben (Anderson 2017, S. 104). Bildung? „Freedom of Choice“! Den Schulen und Universitäten etwas vorzuschreiben, stünde Washington nicht zu. Affirmative Action? Sozialprogramme? Auch das greift in die Rechte der Bundesstaaten ein – und führe nur zu neuen Abhängigkeiten. Ronald Reagan sollte dazu später das Bild der „Welfare Queens“ entwickeln. Überhaupt: Warum sollten die einen einfach so bekommen, was andere sich über Generationen harter Arbeit erschuftet hatten? („Takers vs. Makers“).

Insbesondere konzentrierte sich Nixon auf einen Slogan, den Goldwater schon 1964 und Ronald Reagan 1966 gelegentlich benutzt hatten: „Law and Order“. Eine brilliante „Pfeife“, um im Bild zu bleiben, die damals wie heute von vielen Hunden gehört wurde und wird. Wer könnte schon gegen Ordnung sein? Ruhe und friedliches Miteinander? Eine unmissverständliche, moralisch einwandfreie Position: Kriminelle sollten bestraft werden. Wenn Nixon dann noch die Formel „restore stability“ hinterher schob, war auch dem letzten im Raum klar, was gemeint war: „As we look at America, we see cities enveloped in smoke and flame. We hear sirens in the night (…).“2 Die Ausschreitungen und Unruhen in den amerikanischen Städten – das ist eben nicht die silent majority, für die Nixon vorgab zu stehen, die forgotten Americans von denen er an jeder Ecke sprach.

„Sirens in the night“? Gestern wie heute können Werbespots, bei aller kreativen und ästhetischen Rahmung, auch von solchen Ressentiments Zeugnis geben. Nixons Spot „Freedom of fear“ prangerte die Kriminalität an, in dem er die Furcht weißer Frauen vorführte, die sich nachts nicht mehr aus dem Haus trauen könnten, ohne Gefahr zu laufen, vergewaltigt zu werden. Es sei diesmal also die wichtigste Wahl überhaupt: „This Time Vote Like Your Whole World Depended on It.“3 White Womanhood, die verwundbare junge Frau. Muss man an dieser Stelle eigentlich noch daran erinnern, dass Donald Trump 2015 nicht ganz unprominent bei der Ankündigung seiner Kandidatur Mexikaner pauschal als Vergewaltiger – als rapists – denunzierte?

Damit also, mit andeutender, verschleierter Sprache setzte sich Nixon – äußerst knapp – in einem Wahlkampf durch, der geprägt war durch Proteste und Ausschreitungen in über einhundert Städten und enormen Ressentiments gegenüber dem liberalen, elitären Amerika (und der liberalen Presse) und seinen Bürgerrechtsreformen und Sozialprogrammen. Hinzu kommt, was die Zielgruppenorientierung der amerikanischen Politik dann prägte, dass die Wahlanalysen erstmals die Wählerschaft aus den Vorstädten, den Suburbs, als wahlentscheidend ausmachte. Denn es sind diese, damals praktisch noch ausschließlich weißen Wohngebiete, in denen Nixons Dog Whistles besonders laut gehört wurden. Seit diesen 1960er Jahren „sortiert“ sich Amerika immer mehr derart, dass die Städte demokratisch geprägt werden, das Land republikanisch. Schon im Wortsinn und dann eben politisch wirksam zwischen den Lagern platzieren sich die Suburbs.

Nicht unerwähnt bleiben sollte, dass George Wallace mit seinem unterschwelligen Populismus immerhin die Staaten Arkansas, Louisiana, Mississippi, Alabama und Georgia und darüber 46 Stimmen im Electoral College für sich entscheiden konnte. Damit spielte er zwar nicht die entscheidende Rolle, wie er es sich ursprünglich erhofft hatte. Aber gemeinsam mit Nixon hatte er eine Blaupause geschrieben, „ihre Reproduktion erlaubte es konservativen Akteuren, eine starke Bindung zwischen der traditionellen Partei des Unternehmertums und der Arbeiterklasse zu schaffen, die ihrerseits die progressiv-liberale Elite mit Misstrauen betrachtete“ (Adorf 2019, S. 45).

Trump – Furchtwahlkampf

1. Juni 2020, Washington D.C. Donald Trump darf als schwer angeschlagener Präsident gelten. Mitten in der Covid-19-Krise beherrschen landesweite Proteste gegen Polizeigewalt die Medien. Seine Umfragewerte bleiben konstant – aber auf niedrigem Niveau. Auch im unmittelbaren Umfeld des Weißen Hauses prägten Demonstrationen das Bild, und als dann auch noch die Nachricht die Runde machte, der Secret Service habe den Präsidenten sicherheitshalber in den Bunker des Weißen Hauses gebracht, scheint das Maß voll gewesen zu sein. Trump griff in die Mottenkiste symbolischer Politik – und ließ von Polizeikräften den Weg zu St. John’s frei räumen. Der Präsident wollte sich vor der „kleinen Kirche der Präsidenten“ ablichten lassen, um seine Law and Order-Position zu unterstreichen. Die notwendige Ausweitung der Schutzzone am Lafayette Square hatte die Polizei standesgemäß mit Tränengas durchgesetzt.

St. John’s: eine Kulisse, die so etwas wie spirituelle Kraft auf den Präsidenten überträgt? Möglicherweise. Was allerdings gedacht war als Demonstration seiner Law and Order-Position, legte ohne jede Wendung offen: Er selbst hält wenig vom Recht, es sei denn, es nutzt ihm. Nach gründlicher Analyse der Veranstaltung protestierten nicht nur Kirchenvertreter; alles deutete darauf hin, dass die Rechte der Demonstranten verletzt wurden, damit der Präsident mimisch Stärke und Entschlossenheit bekunden konnte. Indem er zwei Minuten lang eine Bibel in die Kamera hielt. Ganz so, als ginge sie gleich in Flammen auf, die Bibel.4

Dass die USA sich in unruhigen Zeiten befanden, den 1960er Jahren nicht ganz unähnlich, verdeutlicht eine Anekdote am Rande: Unter der Entourage, die The Donald da zu seinem „Fotoshooting“ begleiteten, befand sich auch der Vorsitzende der Joint Chiefs of Staff, Mark Milley – der ranghöchste Militär des Landes. Milley war in Felduniform über den gerade geräumten Lafayette Square gestiefelt und hatte dafür böse Kritik einstecken müssen. Immerhin entschuldigte er sich – und fügte doch hinzu, als müsse er das extra erwähnen, das US-Militär stünde natürlich weiter auf dem Boden der Verfassung.

Am 4. Juli 2020 ging Trump All-In, um einen Poker-Ausdruck zu bemühen. Er setzte am Mount Rushmore, South Dakota, alles auf eine (Wahlkampf-)Karte: Am Nationalfeiertag polterte er über die „radikale Linke, Marxisten und Unruhestifter“, die die Freiheit Amerikas beseitigen und unter dem „Banner der Gerechtigkeit“ eigentlich nur plündern wollten. Er attackierte die Black Lives Matter-Bewegung, die „machthungrig“ das „amerikanische Erbe“ auszulöschen versuche. Die werde man besiegen, so wie die „amerikanischen Helden“ früher die „Nazis besiegt“ hätten.5 „Selbst für Trump war das eine radikale Rede, eine kaum verhüllte Kriegserklärung an einen Teil der Bevölkerung, und dies an einem Ort der nationalen Einheit.“6 Trumps Clash of Civilization: Er machte da weiter, wo er im Sommer 2015 begonnen hatte. Mit Aggression, Feindbildern – trotz Corona-Krise und selbst angesichts der landesweiten Anti-RassismusProteste, die zur größten Demonstrationsbewegung der US-Geschichte heranwuchsen.

Damit wird auch deutlich, was Trump von Wallace oder eben Nixon unterscheidet: auch er greift in einer Situation sozialer Unruhen mit Law and Order ein naheliegendes Thema auf. Aber er bemüht sich nicht um Coding oder Dog Whistling. Er braucht es eigentlich auch nicht mehr, denn das Land ist derart gespalten, dass jede Wortakrobatik das eigene Lager eher verwirren denn erleuchten würde. So empfinden rund zwei Drittel der Amerikaner Landsleute, die der anderen Partei folgen oder sich dort gar politisch engagieren, als eine „ernsthafte Bedrohung“ (vgl. Lütjen 2020).

Aber Trump war dennoch von Nixon inspiriert: Unmittelbar vor dem Nominierungsparteitag der Republikaner im Juli 2016 erläuterte er gegenüber einem Reporter der New York Times, warum sein Kampagnenteam sich vor allem die Reden von Richard Nixon in dessen Wahlkampf 1968 näher anschauten: „I think what Nixon understood is that when the world is falling apart, people want a strong leader whose highest priority is protecting America first. The sixties were bad, really bad. And it’s really bad now. Americans feel like it’s chaos again.“7

Tatsächlich wurde dieser Gedanke und die Leitlinie Recht und Ordnung auf der Republican Convention stilbildend. Ein Ersatz im Übrigen, denn angesichts der Situation hatte man in aller Stille den eigentlich vorgesehenen Slogan „Keep America Great“ begraben und stützte sich ohne jede Scham auf das alte Motto (Das passt ja auch besser zum nach wie vor vorhandenen American Carnage). Und da man auch kein Wahlprogramm diskutieren wollte, füllte sich die virtuelle Versammlungshalle Redner auf Rednerin mit „rioting“, „looting“, „vandalism“ und „cities on fire“. Nicht nur Recht und Ordnung: Amerika selbst wäre in Gefahr, wenn man das Land den „radical left“ (Demokraten), der „antifa“ (Demokraten), den „socialists“ (Demokraten) überlasse.8 Einen bemerkenswerten Punkt erreichte die digitale Veranstaltung dann, als einem Ehepaar aus St. Louis die Gelegenheit gegeben wurde, von ihren Erfahrungen mit Demonstranten zu berichten, die wenige Wochen zuvor ihr Haus passierten – das Video des Paares, das mit vorgehaltenen Schusswaffen vermeintlich ihren Grund und Boden schützen wollten, war um die Welt gegangen. Dass damit erstmals jemand auf einem republikanischen Parteitag sprach, der oder die sich gerade einem Strafverfahren unterziehen musste, wurde zwar gleich thematisiert, ist aber offen gestanden angesichts der Fülle der Figuren, die im Laufe der Jahre bei entsprechender Gelegenheit vortragen durften, nicht wirklich zu verifizieren.

Dieser Furcht-Wahlkampf des republikanischen Lagers hat nicht nur vor dem Hintergrund der Sozialproteste eine gewisse Logik. Selbst, wenn die tatsächlichen Kriminalitätszahlen im Land auf einem historischen Tiefpunkt angelangt sind: Es ist allmählich eine Tradition Amerikas, jedenfalls seit Nixon (und mit der Ausnahme des Jahrzehnts von 1985 bis 1995), an hohe und steigende Kriminalitätszahlen zu glauben, selbst wenn das nicht der Fall ist.9 Und tatsächlich könnten Furcht und diffuse Bedrohungsgefühle auch der letzte strategische Strohhalm sein, den das Trump-Lager zieht.

Denn man konzentriert sich nun in der letzten Phase der Kampagne auf die weißen Frauen aus Suburbia. Bereits in den Kongresswahlen 2018 hatten die Republikaner bei ihnen empfindliche Verluste eingefahren. Das hatte aufhorchen lassen – denn sie waren es, die in wichtigen Swing States 2016 Trump den entscheidenden Impuls gaben. Nun liegt er dort – z. B. in Ohio – hinter Biden zurück.10 Und entsprechend häufig gehen derzeit in Trumps Reden und Tweets die Vorstädte in Flammen auf oder stehen kurz vor der Zerstörung. Wenn nicht alles täuscht, wenige Tage vor der Wahl, verfängt die Botschaft allein bei den eh schon Gläubigen. Gleich wie die Wahl ausgeht – ein beruhigender Gedanke, irgendwie, dass auch der Feindbildkommunikation Grenzen gesetzt sind.

Literatur

Adorf, Philipp (2019). Die Republikanische Partei in den USA. München: UVK.

Anderson, Carol (2017). White Rage. The Unspoken Truth of Our Racial Divide. New York et al.: Bloomsbury.

Bierling, Stephan (2020). America First. Donald Trump im Weißen Haus. München: C. H. Beck.

Brinkbäumer, Klaus, & Lamby, Stephan (2020). Im Wahn. Die amerikanische Katastrophe. München: C. H. Beck.

Hill, Seth J., & Tausanovitch, Chris (2018). Southern realignment, party sorting, and the polarization of American primary electorates, 1958-2012. Public Choice 176, S. 107-132.

Klein, Ezra (2020). Why We’re Polarized. New York u. a.: Avid Reader.

Laymann, Geoffrey C., Carsey, Thomas M., Green, John C., & Herrera, Richard (2010). Activists and Conflict Extension in American Politics. American Political Science Review 104(2), 324-346.

Lepore, Jill (2019). This America. The Case for the Nation. New York, London: Liveright.

Lütjen, Torben (2016). Partei der Extreme: Die Republikaner. Über die Implosion des amerikanischen Konservatismus. Bielefeld: transcript.

Lütjen, Torben (2020). Amerika im kalten Bürgerkrieg. Wie ein Land seine Mitte verliert. Darmstadt: wbg.

O’Donnell, Lawrence (2017). Playing With Fire: The 1968 Election and the Transformation of American politics. New York: Penguin Press.

Perlstein, Rick (2008). Nixonland. The Rise of a President and the Fracturing of America. New York: Scribner.

Shapiro, Ben (2020). How to destroy America in three easy steps. New York: Broadside.

Thomas, Evan (2017). Being Nixon. A man divided. New York: Random House.

Zitationshinweis:

Kamps, Klaus (2020): 1968 – Campaigning in unruhigen Zeiten oder: Von Nixon zu Trump, Essay, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online Verfügbar: https://regierungsforschung.de/1968-campaigning-in-unruhigen-zeiten-oder-von-nixon-zu-trump/

 

This work by Klaus Kamps is licensed under a CC BY-NC-SA license.

  1. In diesem Beitrag wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit das generische Maskulinum benutzt. Damit sind jedoch stets alle Geschlechter gemeint. []
  2. Zit. n. The Atlantic v. 31. Mai 2020, Is This the Worst Year in Modern American History? https://www.theatlantic.com/ideas/archive/2020/05/1968-and-2020-lessons-from-americas-worst-year-so-far/612415/ []
  3. Zit. n. The Atlantic v. 9. Juli 2016, How a Conservative Wins the Presidency in a Liberal Decade, https://www.theatlantic.com/politics/archive/2016/07/fear-and-voting-in-america/490631/ []
  4. Vgl. Washington Post v. 15. Juni 2020, New questions about Trump’s ugly Bible stunt hint at some dark truths, https://www.washingtonpost.com/opinions/2020/06/15/new-questions-about-trumps-ugly-bible-stunt-hint-some-dark-truths/ []
  5. Vgl. z. B. https://www.faz.net/aktuell/politik/trumps-praesidentschaft/wahlkampf-und-eigenlob-trump-holt-am-4-juli-gegen-seine-gegner-aus-16846518.html []
  6. Die Zeit v. 8. Juli 2020, Der Abstieg. https://www.zeit.de/2020/29/donald-trump-us-wahlkampf-black-lives-matter []
  7. Zit. n. The New Yorker v. 20. Juli 2016, Trump, inspired by Nixon? https://www.newyorker.com/news/news-desk/trump-inspired-by-nixon []
  8. vgl. hierzu https://carta.info/breaking-sad-2-die-virtuellen-parteitage-der-demokraten-und-republikaner/ []
  9. Vgl. z. B. https://www.prisonpolicy.org/blog/2018/05/03/gallup-fear/ []
  10. Vgl. https://fivethirtyeight.com/features/why-trump-is-losing-white-suburban-women/?cid=referral_taboola_feed []

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