Auf Stimmenfang im Netz – Analysen zum laufenden Online-Wahlkampf

 Wie machen die Parteien Wahlkampf in den sozialen Medien? Welche Plattformen werden am häufigsten von wem genutzt? Und welche Werbestrategien setzen die Kandidat:innen online ein?
Katharina Maubach, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kommunikationswissenschaft der Westfälischen Wilhems-Universität Münster und Stephanie Geise, Vertretungsprofessorin für Digitale Kommunikation am ZeMKI der Universität Bremen, behandeln diese Fragen und beleuchten wie sich der Ton im Bundestagswahlkampf 2021 geändert hat.

 

 Alle Jahre wieder… findet in Deutschland der Bundestagswahlkampf statt. Der aktuelle Wahlkampf ist dabei in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich. Zunächst stellt die CDU nach 16 Jahren Kanzlerschaft von Angela Merkel mit Armin Laschet einen neuen Kanzlerkandidaten, wobei dieser als Nachfolger von Merkel keinen Amtsbonus mitbringt. Zudem ist der laufende Bundestagswahlkampf stark durch aktuelle Problemlagen – insbesondere durch die Corona-Pandemie und den voranschreitenden Klimawandel – geprägt. Diese Ausgangssituation macht aus kommunikationsstrategischer Sicht sowohl eine stärkere Personalisierung des Wahlkampfes auf die Spitzenpolitiker:innen der Parteien als auch eine präsente Thematisierung dieser Wahlkampfthemen wahrscheinlich. 

Auf Stimmenfang im Netz – Analysen zum laufenden Online-Wahlkampf

Autorinnen

Katharina Maubach ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am IfK Münster und forscht derzeit im DFG-geförderten Forschungsprojekt „Remixing Political News Reception“. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen die mediale Darstellung des Klimawandel sowie die Erforschung politischer Werbung.

 

 

Stephanie Geise ist Professorin für Digitale Kommunikation am ZeMKI in Bremen (Interim) und erforscht die Verbreitung, Rezeption und Wirkung politischer Kommunikation in Bild und Text. Zudem leitet sie das von der DFG geförderte Forschungsprojekt „Remixing Political News Reception“ sowie das DFG-Netzwerk “Potenziale und Herausforderungen der Computational Communication Science am Beispiel von Online-Protest“.

Alle Jahre wieder… findet in Deutschland der Bundestagswahlkampf statt. Der aktuelle Wahlkampf ist dabei in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich. Zunächst stellt die CDU nach 16 Jahren Kanzlerschaft von Angela Merkel mit Armin Laschet einen neuen Kanzlerkandidaten, wobei dieser als Nachfolger von Merkel keinen Amtsbonus mitbringt. Zudem ist der laufende Bundestagswahlkampf stark durch aktuelle Problemlagen – insbesondere durch die Corona-Pandemie und den voranschreitenden Klimawandel – geprägt. Diese Ausgangssituation macht aus kommunikationsstrategischer Sicht sowohl eine stärkere Personalisierung des Wahlkampfes auf die Spitzenpolitiker:innen der Parteien als auch eine präsente Thematisierung dieser Wahlkampfthemen wahrscheinlich.

Neben dieser inhaltlichen Ausgestaltung ist die Art der zur Verfügung stehenden Wahlwerbemittel aktuell stärker als in bisherigen Bundestagswahlkämpfen eingeschränkt (Holtkamp et al., 2021). Aufgrund der anhaltenden Einschränkungen des alltäglichen Lebens durch die Corona-Pandemie findet der Wahlkampf nicht wie gewohnt als “Straßenwahlkampf” statt. Bewährte und erfolgversprechende Wahlkampfmittel wie der Haustürwahlkampf, Wahlkampfstände und -veranstaltungen können – wenn überhaupt – nur unter strengen Auflagen stattfinden. Das klassische Wahlwerbemittel des Wahlplakats (Geise, 2017) kann zwar wie gewohnt verbreitet werden, jedoch müssen Wahlkampfstrategen aufgrund der gesunken außerhäuslichen Mobilität eine potentiell geringere Reichweite einkalkulieren. Als Konsequenz wird besonders dem Online-Wahlkampf, der in den vergangenen Jahren bereits an Bedeutung und Popularität zulegte (Geise & Podschuweit, 2019), in diesem Jahr eine zentrale Rolle zugeschrieben. Dabei hat Wahlwerbung die online, d.h. über soziale Netzwerke, Websites oder E-Mails, direkt an die Bürger:innen ausgespielt wird, entscheidende Vorteile. Politiker:innen steht hier ein direkter, persönlicher Kommunikationskanal zu den Bürger:innen zur Verfügung, der nicht durch die Selektionsmechanismen von Journalist:innen und wenig durch begrenzte Werbebudgets eingeschränkt wird. Da die politischen Akteur:innen im Unterschied zur Kommunikation über die journalistische Berichterstattung (politische PR) die volle Kontrolle über ihre Botschaften behalten, sie ihnen quasi “gehören”, sprechen einige Autor:innen in diesem Zusammenhang von einer neuen Kommunikationsform, der “owned media” (z.B. Burcher, 2012; Haller, 2019). Politiker:innen nutzen die technischen, massenpersonalisierten Möglichkeiten in Social Media dabei insbesondere, um mit potentiellen Wähler:innen auf einer “intimeren”, persönlicheren Ebene in Kontakt zu treten (O’Sullivan & Carr, 2018). Dabei präsentieren sie sich oft von ihrer “menschlichen Seite” und weniger in ihrer Rolle als Kandidat:in oder Regierungsvertreter:in (so genannte Personalisierung, McGregor, 2017). Zudem bieten sich in Social Media neue Verbreitungswege, besonders wenn emotionalisierende Posts “viral gehen” (Klinger & Svenson, 2015; Zerback & Wirz, 2021) – also von reichweitenstarken Kanälen bzw. Nutzer:innen geteilt werden, die als Multiplikator:innen der Botschaften fungieren. Auch aus der Perspektive der Nutzer:innen erweitern Social Media das kommunikative und partizipative Handlungsrepertoire, weil sie politischen Akteur:innen nicht nur passiv folgen, sondern auch ohne großen Aufwand direkt mit ihnen in Kontakt treten können. Bürger:innen und Wähler:innen sind dabei keinesfalls auf eine “Empfänger-Rolle” festgelegt, sondern können auch selbst als Kommunikator:innen auftreten und sogar zu politischen Influencer:innen avancieren. Das Spektrum der politischen Akteur:innen im Wahlkampf ist damit nicht länger auf die bisher bekannten “Player”, allen voran Parteien und ihr politisches Personal, beschränkt. Dies zeigt sich im aktuellen Wahlkampf besonders deutlich: Neben nicht-institutionalisierten kollektiven Aktionsbündnissen wie Fridays for Future, bekannten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, und Behörden mischen auch einzelne Bürger:innen mit ihren pointierten politischen Meinungsäußerungen, Cross-Postings, selbst gestalteten “Werbebotschaften” und Memes im politischen Diskurs im Wahlkampf mit – teilweise mit erheblicher Reichweite. Insofern vergrößern soziale Netzwerke die Bandbreite und Möglichkeiten politischer Einflussnahme erheblich.

An dieser Stelle setzt unser aktuelles Forschungsprojekt an. Auf Basis einer systematischen Beobachtung relevanter Social-Media-Plattformen und einer qualitativen Inhaltsanalyse der manuell als politisch werblich identifizierten Postings können wir konkretere Aussagen darüber treffen, welche politischen Akteur:innen (Parteien, Kandidat:innen, kollektive Akteure, Behörden, Bürger:innen) Wahlkampf auf verschiedenen Social Media-Plattformen betreiben und welche Wahlkampfstrategien sie dafür nutzen, um in Netz die Stimmen der Wähler:innen zu gewinnen.

Methode

Zur Erfassung der Wahlwerbeformen und Strategien haben wir zunächst die Social-Media Plattformen Twitter, Facebook und Instagram systematisch gescreent. Ausgehend von den beiden derzeit gesellschaftlich wichtigsten Problemen bzw. Politikfeldern 1) Corona-Pandemie, 2) Umwelt- und Klimaschutz (Forschungsgruppe Wahlen, 2021) sowie unter Berücksichtigung des beginnenden 3) Bundestagswahlkampfs 2021 haben wir relevante Social-Media Plattformen seit Mitte Juni systematisch an drei Tagen der Woche (Montag, Mittwochs, Freitags) beobachtet und manuell Inhalte selektiert, die im weitesten Sinne der politischen Online-Werbung zugerechnet werden können. Politische Online-Werbung definieren wir dabei als eine Form strategischer politischer Online-Kommunikation, die darauf zielt, Einstellungen, Werthaltungen und Verhaltensweisen der Adressaten im Sinne des Werbungtreibenden zu beeinflussen (Podschuweit, 2015). Um neue, hybride und ggf. verdeckte bzw. ‘implizite’ Formen identifizieren zu können, haben wir für die Identifikation bewusst keine ‘harten’ Aufgreifkriterien aus der genannten Arbeitsdefinition abgeleitet, sondern ein qualitativ-offenes Vorgehen gewählt. Dabei haben die Kodiererinnen jeweils für die einzelnen Postings eingeschätzt, inwiefern das Posting politische (Graber & Smith, 2005), strategische (Holtzhausen & Zerfaß, 2013) und werbliche Kommunikation (Siegert & Brecheis, 2010; Holtz-Bacha, 2020) widerspiegelt. Das entscheidende Aufgreifkriterium blieb dabei bewusst die subjektive Bewertung, ob es sich bei der Botschaft um eine persuasive werbliche politische (Online-)Kommunikation handelt.

Beobachtung, Screening und Codierung erfolgten in einem Team von drei Kodiererinnen. Jede Kodiererin legte für die zu untersuchenden Plattformen einen neuen Account an, um die Suche nicht durch im Vorfeld gespeicherte, individuelle Präferenzen bzw. Algorithmen der Plattformen zu verzerren. Pro Themenfeld (Coronapolitik; Klimapolitik; Bundestagswahl 2021) wurden jeweils chronologisch die ersten zehn aufgefundenen Beiträge manuell mit der Software Evernote erfasst. Diese Suche nach Informationen zu bestimmten Themen entspricht bei einzelnen Plattformen (bspw. Facebook und Twitter) dem typischen Nutzungsmuster (Koch & Beisch, 2020; Beisch & Schäfer, 2020; Teevan et al., 2011). Bei Instagram steht die Suche nach Informationen nicht im Zentrum, Nutzer:innen können jedoch einzelnen Politiker:innen folgen oder kommen auf der Startseite (“Explore Page”) mit den jeweiligen Postings in Kontakt (Parmelee & Roman, 2019; Beisch & Schäfer, 2020). Neben einer facettenreichen Übersicht über Formen und Formate politischer werblicher Online-Kommunikation individueller und kollektiver politischer, sozialer sowie zivilgesellschaftlicher Akteur:innen konnten wir dadurch auch aktuelle Entwicklungen und Kommunikationsstrategien erfassen und in dieser Analyse abbilden.

Zur weiteren Systematisierung haben wir das erzeugte Sample (n = 1813 Postings; davon 713 auf Facebook, 534 auf Twitter und 566 auf Instagram) politischer Online-Werbung im nächsten Schritt einer qualitativen kategorialen Inhaltsanalyse unterzogen, die im weiteren Projektverlauf noch durch eine stärker standardisierte Analyse ergänzt werden soll.

Ergebnisse bzw. erste Erkenntnisse

Da die Datenerhebung im laufenden Bundestagswahlkampf noch andauert, handelt es sich bei den hier präsentierten Analysen um erste Einschätzungen zum laufenden Online-Wahlkampf. Dabei ist zu berücksichtigen, dass politische Akteur:innen und insbesondere Parteien gerade in den bevorstehenden, letzten Wochen vor der Wahl ihre Wahlkampf-Kommunikation intensivieren. Insofern zeigen sich in dieser Wahlkampfphase vermutlich noch weitere Formen der Wahlwerbung, bzw. ein gesteigertes Volumen der Wahlwerbeposts, die in der hier vorgelegten Analyse noch nicht berücksichtigt sind. Unser Essay ist insofern als eine Momentaufnahme aus dem aktuellen Bundestagswahlkampf zu werten, nicht als eine Analyse des gesamten Online-Wahlkampfes zur Bundestagswahl 2021. Nichtsdestotrotz sind bereits im laufenden Wahlkampf spannende Trends zu beobachten, die sich auch in ihrer Qualität und Quantität von bisherigen Wahlkämpfen unterscheiden. Diese fassen wir im Folgenden zusammen, wobei wir auch auf Unterschiede der von den Parteien eingesetzten Wahlwerbestrategien eingehen.

Dezentralisierung & Ausdifferenzierung der im Wahlkampf aktiven politischen Kommunikator:innen

Wie schon in bisherigen Wahlkämpfen unter dem Schlagwort “Personalisierung” diskutiert wurde, geht im Bundestagswahlkampf 2021 Online-Wahlwerbung nicht nur von den Parteien aus, sondern von ihren jeweiligen Kandidat:innen. Hierbei deutet sich in Social Media ein zunehmender Trend zur politischen Dezentralisierung an. Sind im traditionellen (Offline-)Wahlkampf vorrangig die Spitzenkandidat:innen bundesweit mit Wahlwerbung vertreten, eröffnen sich mit Social Media neue Zugänge für die Wähler:innenansprache auch für diejenigen Kandidat:innen, die nicht zur obersten politischen Ebene gehören. Da der Social Media-Wahlkampf weniger finanzielle Ressourcen benötigt, findet sich hier eine Vielzahl von Akteur:innen, von kleinen Ortsverbänden bis zu den Hauptaccounts der Parteien. Dieses Phänomen der Dezentralisierung zeigt sich in unserer Analyse bei allen untersuchten Parteien. Somit können die Parteien über ihre verschiedenen Accounts sowie die Accounts der Kandidat:innen eine Vielzahl von Personen erreichen. Am erfolgreichsten sind in dieser Hinsicht in unserem Sample die Grünen. Sie haben insgesamt die meisten Postings und sind insbesondere auf den Kanälen Twitter und Instagram bedeutend aktiver als die anderen Parteien. Auf Facebook wiederum finden sich die meisten Postings von Partei-Accounts bzw. Kandidat:innen der AfD (siehe Abb. 1).

Abb. 1: Nutzung der verschiedenen Social Media Kanäle durch die unterschiedlichen Parteien (Partei- und Kandidat:innen-Accounts).

Auch aus einer anderen Perspektive können wir eine zunehmende Ausdifferenzierung der im Wahlkampf aktiven politischen Kommunikator:innen beobachten. Fand bisherige Wahlkampfkommunikation fast ausschließlich über Parteien, Kandidat:innen (sowie journalistische Medien; Geise et al., 2019) statt, gewinnen soziale Medien als “direkter Kommunikationskanal” an Bedeutung, der von einer Vielzahl von individuellen und kollektiven Kommunikator:innen aktiv genutzt wird, die die Meinung der Wähler:innen zu beeinflussen versuchen (siehe Abb. 2). Hierbei stammen persuasive, werbliche Botschaften längst nicht mehr nur von Parteien und ihren Kandidat:innen; zunehmend mischen sich auch kollektive Akteur:innen (z.B. Interessenvereinigungen und politische Bewegungen wie Fridays for Future) sowie einzelne Bürger:innen aktiv in politische Diskurse im Wahlkampf ein, und bringen dabei ihre politische Ausrichtung zum Ausdruck – sei es durch das Teilen, Weiterleiten, oder Kommentieren von politischer Werbung oder auch durch die Kreation und Publikation eigener „Werbeformate“, wie z.B. selbst gedrehter „Wahlwerbeclips“ oder selbst gestalteter „Wahlplakate“.

Abb. 2: Nutzung der verschiedenen Social Media Kanäle durch die unterschiedlichen Akteure.

Thematisierung & Personalisierung

Bei den Werbestrategien setzen alle Parteien und Kandidat:innen vornehmlich auf die Eigenwerbung, also das Bewerben der eigenen Partei oder der Kandidat:in. Bei den Kandidat:innen ist diese Eigenwerbung stark mit der Bewerbung der eigenen Person (Personalisierung) verbunden. Bei den Parteipostings wiederum wird diese Eigenwerbung oftmals mit spezifischer Themenwerbungen (Issue Ads) verbunden. Schaut man sich die einzelnen Themenfelder (Corona, Bundestagswahl und Klima) an, zeigt sich, dass die Grünen insbesondere auf Instagram zum Themenbereich Klimawandel und auf Twitter zum Themenbereich Bundestagswahl posten. Die AfD hingegen postet auf Facebook vornehmlich zum Themenfeld Corona. Daneben zeichnen sich die Postings aller Parteien und Kandidat:innen vorrangig durch ihre stark auf das Visuelle fokussierte Gestaltung aus und ist  meist an traditionellen Wahlkampfinstrumenten orientiert. So beinhaltet der Großteil der Postings Bilder und ist in ihrer Gestaltung traditionellen Wahlplakaten nachempfunden.

Negative Campaigning

Weiterhin fällt auf, dass Negative Campaigning, d.h. Postings die ein negatives Bild der gegnerischen Kandidat:innen zeichnen und dazu angedacht sind, sein/ihr Image zu beschädigen bzw. die Wahrnehmung durch Dritte negativ zu beeinflussen (Crigler, Just & Belt, 2006), im Social Media Wahlkampf 2021 enorm präsent ist, wobei sich deutliche Unterschiede auf Seiten der Kommunikator:innen zeigen. Ganz besonders die AfD setzt stark auf Negative Campaigning und arbeitet dabei bewusst mit Provokation, Angriff, Negativismus oder intendierten Tabu-Brüchen, so dass die eigene Profilierung mit der Abwertung der Konkurrenz einhergeht. Auch bei der Linken und der FDP fällt der Einsatz von Negative Campaining auf, auch wenn gegnerische Angriffe hierbei oft in Verbindung mit thematisierender Werbung zu finden sind. Weniger auf Negative Campaigning setzen dagegen die CDU/CSU, die SPD sowie die Grünen – hier dominieren stattdessen positive Botschaften zur eigenen Positionierung (Eigenwerbung, Thematisierung) sowie auch die Strategie des Re-Use, d.h. die digitale Nach- und Aufbereitung von eigentlich “analogen” Offline-Events auf Social Media, etwa durch das Teilen von digitalen Kopien traditioneller Wahlwerbemittel (z.B. auf der Straße plakatierter Großflächen), Fotos von Wahlkampfständen oder Videos von Parteievents (z.B. Parteitage, politische Reden). Nicht selten wird die eigene Positionierung in Verbindung mit Calls to Action lanciert, also spezifischen Aufforderungen (z.B. die Teilnahme an Veranstaltungen) an die Bürger:innen.

Wie zuvor erwähnt treten neben den Parteien und Kandidat:innen auch kollektive Akteure und Bürger:innen als “Werbende” und Multiplikator:innen von Werbung in Erscheinung. Interessant ist dabei, dass auch diese “Externen” häufiger zu drastischen, angreifenden und diffamierenden Botschaften im Sinne des Negative Campaining greifen, um politische Gegner:innen zu kritisieren und zu diskreditieren.

Fazit & Einordnung der Ergebnisse

Dass der Ton der politischen Auseinandersetzung im Wettbewerb um Wähler:innenstimmen rauer und konfrontativer wird, zeichnete sich schon zu Beginn des Wahlkampfs ab. Die Negative-Kampagne “Grüner Mist”, die sich dezidiert gegen Bündnis 90/Die Grünen richtet, ist hier ein aktuelles Beispiel, das in aller Deutlichkeit und Brisanz illustriert, dass der aktuelle Wahlkampf in punkto Negative Campaigning eine neue Dimension erreicht hat. Sechs Wochen vor der Bundestagswahl 2021 wurden in zahlreichen deutschen Städten, unter anderem in Frankfurt, Düsseldorf und Münster, Plakate mit diskreditierenden und aufhetzenden Anti-Grünen Slogans im öffentlichen Raum plakatiert. Zudem wurde die Kampagne auch in den sozialen Medien lanciert, etwa auf Twitter. Durch verwelkende Sonnenblumen – dem verunglimpften traditionellen Symbol der Grünen – werden dabei Schmähbegriffe wie „Bevormundung“, „Verbote“, „Ökodiktatur“ und „Enteignungsterror“ aufgelistet, vor monochromer grüner Plakat- bzw. Postfläche und begleitet durch den Kampagnen-Claim #GrünerMist. Die Kampagne wird von der AfD nahe stehenden Conservare Communication GmbH koordiniert, in Persona vertreten durch den Chefredakteur der rechtspopulistischen Wochenzeitung Deutschland-Kurier David Bendels; das Ziel ist es ganz offiziell, “die Grünen an einer Regierungsbeteiligung zu hindern” (Webseite gruener-mist.de). Offiziell bekennt sich die AfD jedoch nicht zu einer Verbindung; die Kommunikator:innen und ihre parteipolitischen Verflechtungen und Intentionen werden bewusst verschleiert. Die Bürgerbewegung Campact hat die Aktion entsprechend als „verlogenen Frontalangriff” auf die Demokratie bewertet; die etablierten Parteien haben sich öffentlich von diesem Tabubruch distanziert.

Dass die Aktion im Kontext der AfD steht, passt gut ins Bild: Seit ihrer Gründung hat die rechtspopulistische Partei dazu beigetragen, dass sich die politische Diskurs- und Debattenkultur verändert und die Grenzen des ‘Sag- und Zeigbaren’ sukzessive verschoben werden (Maier, 2020; Pickel, 2019). Auch die intensive Nutzung von Social Media und ihrer Netzwerklogik verstärken, dass polarisierende, normative Grenzen überschreitende und diffamierende Botschaften an Präsenz und Reichweite gewinnen. Es ist insofern eine logische Konsequenz, dass zunehmend auch Bürger:innen regelrechte “Negative Campaigns” gegen diejenigen Parteien und Spitzenpolitiker:innen betreiben, die nicht ihren persönlichen Interessen und Präferenzen entsprechen. Auf Facebook richten sich entsprechende Attacken dabei häufig gegen die Grünen, die beispielsweise als „Verbotspartei“ bezeichnet werden, sowie auch gegen ihre Spitzekandidatin Annalena Baerbock. Auf Twitter nutzen Bürger:innen negative Hashtags gegen den Unions-Kandidaten Armin Laschet, etwa #LaschetVerhindern oder #LaschetLacht. Auf Instagram wiederum gestalten Bürger:innen vorrangig Memes zur politischen Positionierung und Polarisierung.

Als strategisch eingesetzter moralischer, emotionaler oder fachlicher Angriff betont Negative Campaigning seit jeher faktische oder vermeintliche Fehler und Schwächen des politischen Gegners – und kann darüber auch dazu führen, dass wichtige Themen auf die politische Agenda gelangen und Wähler:innen durch den direkten Vergleich Orientierung gewinnen (Brettschneider 2008, S. 3021). Nicht zuletzt das Beispiel USA zeigt jedoch, dass der Schritt von der sich über Abgrenzung, Angriff und Kritik definierenden Thematisierung und Positionierung hin zur Polarisierung über eine Spirale von Attacken, Beleidigungen und Verleumdungen klein sein und dysfunktionale Folgen für das politische Alltagsgeschäft haben kann – es ist insofern auch ein Risiko für demokratische Diskurse insgesamt, wenn der Wettbewerb um Wähler:innenstimmen im Wahlkampf zunehmend “verroht”, und politische Gegner:innen rücksichtslos, respektlos und mit Falschbehauptungen attackiert werden (vgl. dazu auch Shea & Fiorina, 2013; Muddiman, 2018).

Allerdings hat sich in der Vergangenheit wiederholt gezeigt, dass Negative Campaigning bei den deutschen Wähler:innen nicht besonders gut ankommt (Brettschneider 2008; Schmücking, 2015). Aus dieser Perspektive verwundert es nicht, dass sich die etablierten Parteien bewusst für einen “fairen Wahlkampf” aussprechen und sich sogar eine “Fairnessverpflichtung” gegeben haben. Denn auch in einer aktuellen Studie haben mehr als 60 Prozent der Befragten angegeben, sie würden sich einen Wahlkampf wünsche, der weniger aggressiv sei (Reset, 2021). Dass die deutschen Wähler:innen gerade von den etablierten Parteien einen respektvollen Umgang erwarten und normative Tabubrüche nicht gerne sehen, illustriert auch die breite gesellschaftliche Diskussion um den letztlich rasch zurückgezogenen Wahlwerbespot der SPD, in dem CDU-Politiker als Matroschka-Puppen dargestellt und ihre politischen Positionen, in enger Verbindung zu persönlichen Werten (bis hin zur Religionszugehörigkeit) kritisch beleuchtet wurden.

Es kann hierbei durchaus als positive Entwicklung gesehen werden, dass nicht wenige Bürger:innen auch auf Social Media dazu beitragen, dass politische Inhalte auch mit positiven Rahmungen verbreitet werden, dass Nutzer:innen sich politische Inhalte und Programme aneignen und thematische Auseinandersetzungen mit ihnen stattfinden. Auf den von uns untersuchten Plattformen fungieren Bürger:innen in bedeutender Anzahl als Multiplikatoren politischer Werbebotschaften. Sie nutzen zum Beispiel Cross-Posting-Strategien, um auf die von ihnen befürworteten Parteiinhalte zu verweisen oder betreiben indirekt Werbung für die Parteien, indem sie Ausschnitte aus Reden auswählen, teilen und kommentieren. Die in der Forschung breit beschriebenen, und empirisch wiederholt beobachteten partizipativen Potentiale einer intensiven Social Media Nutzung im Wahlkampf (z.B. Dimitrova et al., 2014; Gil de Zúñiga et al., 2010; Kligler-Vilenchik & Literat, 2018; Towner, 2013; Ohme, 2019) könnten auch in dieser Hinsicht eine „positive relationship between digital media use and participation in civic and political life” (Boulianne, 2020, p. 961) begründen.

Literatur

Beisch, N. & Schäfer, C. (2020). Internetnutzung mit großer Dynamik: Medien, Kommunikation, Social Media: Ergebnisse der ARD/ZDF-Onlinestudie 2020. Media Perspektiven (9), 462–481.

Boulianne, S. (2020). Twenty years of digital media effects on civic and political participation. Communication research47(7), 947-966.

Brettschneider, F. (2008). Negative Campaigning. In W. Donsbach (Hrsg.), International Encyclopedia of Communication. (pp. 3020-3021). Malden.

Burcher, N. (2012). Paid, Owned, Earned. Maximising Marketing Returns in a Socially Connected World. Kogan Page.

Crigler, A. N., Just M. & Belt, T. (2006). The Three Faces of Negative Campaigning: The Democratic Implications of Attack Ads, Cynical News, and Fear-Arousing Messages. Feeling politics, 135-163.

Dimitrova, D. V., Shehata, A., Strömbäck, J., & Nord, L. W. (2014). The effects of digital media on political knowledge and participation in election campaigns: Evidence from panel data. Communication Research41(1), 95-118.

Forschungsgruppe Wahlen (2021). Wichtige Probleme in Deutschland. https://www.forschungsgruppe.de/Umfragen/Politbarometer/Langzeitentwicklung_-_Themen_im_Ueberblick/Politik_II/

Geise, S. (2017). Theoretical perspectives on visual political communication through election posters. In C. Holtz-Bacha & B. Johansson (Hrsg..), Election Posters Around the Globe (pp. 13-31). Springer.

Geise, S., Garrell, D., Hollekamp, S., Kreyenborg, M., Martin, C., Maubach, K. & Voskoboynikova, M. (2019). Am Thema vorbei? Wahlwerbung zur Bundestagswahl 2017 und ihre Funktionen für den politischen Prozess aus Sicht der Medien. In K.-R. Korte & J. Schoofs (Hrsg.), Die Bundestagswahl 2017 (S. 389–410). Springer VS.

Geise, S. & Podschuweit, N. (2019). Partizipation durch Dialog? Mobilisierungsstrategien politischer Akteure im Bundestagswahlkampf 2017. In I. Engelmann, M. Legrand, & H. Marzinkowski (Hrsg.), Politische Partizipation im Medienwandel (pp. 157-191).

Gil de Zúñiga, H., Veenstra, A., Vraga, E., & Shah, D. (2010). Digital democracy: Reimagining pathways to political participation. Journal of information technology & politics7(1), 36-51.

Graber, D. A. & Smith, J. M. (2005). Political Communication Faces the 21st Century. Journal of Communication, 55(3), 479-507. https://doi.org/10.1111/j.1460-2466.2005.tb02682.x

Holtkamp, L., Garske, B., & Müller, F. (2021). Wahlen und Wahlkampf in Zeiten der COVID-19-Krise, Eine empirische Analyse der nordrhein-westfälischen (Ober-)Bürgermeister_innenwahlen. Regierungsforschung.de; https://regierungsforschung.de/wahlen-und-wahlkampf-in-zeiten-der-covid-19-krise/

Holtz-Bacha, C. (2020). Politische Werbung und politische PR. In I. Borucki, K. Kleinen-von Königslöw, S. Marschall, & T. Zerback (Hrsg.), Handbuch Politisch Kommunikation (pp. 1-13). Springer.

Holtzhausen, D. R. & Zerfaß, A. (2013). Strategic Communication – Pillars and Perspectives of an Alternative Paradigm. Springer VS.

Kligler-Vilenchik, N., & Literat, I. (2018). Distributed creativity as political expression: Youth responses to the 2016 US presidential election in online affinity networks. Journal of Communication68(1), 75-97.

Klinger, U. & Svensson, J. (2015). The emergence of network media logic in political communication: A theoretical approach. New Media & Society, 17(8), 1241–1257. https://doi.org/10.1177/1461444814522952

Koch, W. & Beisch, N. (2020). Ergebnisse der ARD/ZDF-Onlinestudie 2020. Erneut starke Zuwächse bei Onlinevideo. Media Perspektiven, 9(2020), 482-500.

Maier, J. (2020). „Salz in der Suppe “oder „Klimakiller “? Empirische Befunde zum Wandel der parlamentarischen Streitkultur nach dem Einzug der AfD in die deutschen Landtage. ZParl Zeitschrift für Parlamentsfragen, 51(3), 622-638.

Muddiman, A. (2018). Attributions of Incivility in Presidential Campaign News. In B.R. Warner, D.G. Bystrom, M.S. McKinney, & M.C. Banwart (Hrsg.), An unprecedented election: Media, communication, and the Electorate in the 2016 campaign. ABC-CLIO, S. 115-133.

Ohme, J. (2019). When digital natives enter the electorate: Political social media use among first-time voters and its effects on campaign participation. Journal of information technology & politics16(2), 119-136.

O’Sullivan, P. B. & Carr, C. T. (2018). Masspersonal communication: A model bridging the mass-interpersonal divide. New media & society, 20(3), 1161-1180.

Parmelee, J. H. & Roman, N. (2019). Insta-politicos: Motivations for following political leaders on Instagram. Social media + society, 5(2), 2056305119837662.

Pickel, S. (2019). Die Wahl der AfD. Frustration, Deprivation, Angst oder Wertekonflikt? In K.-R. Korte & J. Schoofs (Hrsg.), Die Bundestagswahl 2017 (S. 145–175). Springer VS.

Podschuweit, N. (2015). Politische Werbung. In G. Siegert, W. Wirth, P. Weber, & J. Lischka (Hrsg.), Handbuch Werbeforschung (pp. 635-667). Springer VS.

Reset. (2021). Debattenkultur in Sozialen Medien. https://public.reset.tech/documents/210802_Reset_pollytix_Debattenkultur.pdf

Schmücking, D. (2015). Negative Campaigning: Die Wirkung und Entwicklung negativer politischer Werbung in der Bundesrepublik. Zugl.: Jena, Univ., Diss., 2014. Springer VS.

Shea, D. M. & Fiorina, M. P. (2012). Can we talk?: the rise of rude, nasty, stubborn politics. Pearson Higher Ed.

Siegert, G. & Brecheis, D. (2010). Werbung in der Medien- und Informationsgesellschaft. Eine kommunikationswissenschaftliche Einführung. Springer VS.

Teevan, J., Ramage, D., & Morris, M. R. (2011). #TwitterSearch: : a comparison of microblog search and web search. In I. King (Hrsg.), Proceedings of the fourth ACM international conference on Web search and data mining (S. 35). ACM.

Towner, T. L. (2013). All political participation is socially networked? New media and the 2012 election. Social Science Computer Review31(5), 527-541.

Zerback, T. & Wirz, D. S. (2021). Appraisal patterns as predictors of emotional expressions and shares on political social networking sites. Studies in Communication Sciences, 21(1), 27–45.

Zitationshinweis:

Maubach, Katharina und Stephanie Geise (2021): Auf Stimmenfang im Netz – Analysen zum laufenden Online-Wahlkampf, Essay, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online Verfügbar:

This work by Katharina Maubach and Stefanie Geise is licensed under a CC BY-NC-SA license.

Teile diesen Inhalt:

Artikel kommentieren

* Pflichtfeld