Die Parteienfamilie der Europäischen Grünen Policy-Positionierung der grünen Parteien Europas zur Europawahl 2019

Maike Pollmann studiert im Zwei-Fach-Bachelor Politikwissenschaft und Soziologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Wie stark sind die europäischen grünen Parteien miteinander vernetzt?
Die Analyse untersucht die Interaktion der “Die Europäische Grüne Partei”, ein Zusammenschluss aus verschiedenen nationalen Parteien, anhand von Daten der Online-Wahlhilfe “euandi 2019”.

Themen wie Umweltschutz und Nachhaltigkeit rücken immer weiter in den Fokus des öffentlichen Diskurses. Dem folgt, dass auch auf politischer Ebene die umweltorientierten Parteien an Bedeutung gewinnen. Während grüne Parteien in ihren Entstehungszeiten noch als Nischenparteien galten, nehmen sie heute in vielen Nationalparlamenten in Europa eine stabile Position ein. Auch auf europäischer Ebene verzeichnet die Europäische Grüne Partei, die sich aus verschiedenen nationalen umweltorientierten Parteien zusammensetzt, Zuwächse.

Die Parteienfamilie der Europäischen Grünen – Policy-Positionierung der grünen Parteien Europas zur Europawahl 2019

Author

Maike Pollmann studiert im Zwei-Fach-Bachelor Politikwissenschaft und Soziologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.

Zusammenfassung

Ziel des Beitrags ist zu ergründen, wie stark die europäischen grünen Parteien miteinander vernetzt sind und was sie inhaltlich eint beziehungsweise zusammenhält. Dazu wird die „Die Europäische Grüne Partei“, die einen Zusammenschluss aus verschiedenen nationalen Parteien darstellt, beleuchtet und auf ihren Grad der Interaktion untersucht. Die europäischen Grünen weisen einen starken Zusammenhalt auf und haben sich parallel mit dem europäischen Integrationsprozess immer weiter vernetzt und institutionalisiert.

Die inhaltliche Einigkeit wird anhand von Daten aus der Online-Wahlhilfe „euandi 2019“ gemessen. Die Themen Umweltschutz, Gerechtigkeit und Diversität weisen die höchste Übereinstimmung auf. Generell lassen sich die Parteien eher dem ökonomisch linken Lager sowie dem gesellschaftspolitischen liberalen Lager zuordnen, wobei bei EU-spezifischen Themen die meisten Uneinigkeiten vorliegen.

1. Einleitung

Themen wie Umweltschutz und Nachhaltigkeit rücken immer weiter in den Fokus des öffentlichen Diskurses. Dem folgt, dass auch auf politischer Ebene die umweltorientierten Parteien an Bedeutung gewinnen. Während grüne Parteien in ihren Entstehungszeiten noch als Nischenparteien galten, nehmen sie heute in vielen Nationalparlamenten in Europa eine stabile Position ein. Auch auf europäischer Ebene verzeichnet die Europäische Grüne Partei, die sich aus verschiedenen nationalen umweltorientierten Parteien zusammensetzt, Zuwächse.

Daraus ergeben sich die Fragen, wie sich die Zusammenarbeit zwischen grünen Parteien gestaltet und welche Themen sie zusätzlich, zu den umweltspezifischen Themen, eint, beziehungsweise, ob es in anderen Politikfeldern unterschiedliche Ansätze gibt. Die folgende Analyse geht der Frage nach, wie stark der Zusammenhalt innerhalb der Europäischen Grünen Partei ist und was die Parteienfamilie der Grünen inhaltlich eint. Ziel ist es zu ergründen, wie sich der Parteizusammenschluss der Grünen hinsichtlich der transnationalen Interaktion verändert beziehungsweise verstärkt hat. Weiter soll die inhaltliche Ebene der europäischen Partei beleuchtet werden um festzustellen, in welchen Policy-Bereichen und zu welchen Issue-Fragen Einigkeit beziehungsweise Uneinigkeit besteht.

Grüne Parteien sind nicht nur national, sondern auch auf europäischer Ebene auf dem Vormarsch, doch werden sie in der Öffentlichkeit häufig auf ihre Standpunkte zu umweltorientierten Sachfragen reduziert. Dabei haben viele grüne Parteien, so auch die Mitgliedsparteien der europäischen Grünen, ihre Parteiprogramme in den letzten Jahrzehnten stark erweitert, sodass eine Analyse sowie ein Vergleich ihrer Positionen zu Themen über den Umweltschutz hinaus von Relevanz sind.

Zunächst wird allgemein das Konzept einer Europäischen Partei dargelegt und die Europäische Grüne Partei vorgestellt. Anschließend wird geklärt, inwieweit europäische Parteien sich von Parteienfamilien und Bündnissen zu Parteien entwickelt haben. Als theoretischer Ausgangspunkt dieser Überlegung dient Oskar Niedermayers Modell zur Bestimmung des Interaktionsgrades, das auf die aktuelle institutionelle Situation der Europäischen Grünen Partei bezogen wird. Im folgenden analytischen Teil werden die Mitgliedsparteien in einem 2D-Diagramm mit den Dimensionen Ökonomisch links – Ökonomisch rechts und Pro EU/Liberal – Anti EU/Konservativ verortet. Grundlage hierfür bilden Erkenntnisse der Voting Advice Application „euandi 2019“. Diese umfasst 22 Statements zu verschieden Themenbereichen, die von den Parteien beantwortet wurden. Anschließend findet eine Analyse über die Übereinstimmung der Parteipositionen zu den Statements statt, um die Frage nach der Einigkeit der grünen Parteienfamilie in Europa zu beleuchten. In einem abschließenden Fazit werden die gewonnenen Erkenntnisse präsentiert.

2. Europäische politische Parteien und die Europäische Grüne Partei

Die Zusammenarbeit von sich thematisch nahestehen politischen Parteien reicht bis in das 19. Jahrhundert zurück. Eine Verstärkung dieser Kooperation sowie die Schaffung eines institutionellen Rahmens erfolgten nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Europäische Parlament fungiert damals wie heute als zentrale Institution, die die internationale Kooperation zwischen den nationalen Parteien ermöglicht (vgl. Maurer/Mittag 2020: 220). Grundlage für die europäischen Parteien bilden die nationalen Parteien, dabei nehmen die europäischen Parteien keine übergeordnete Stellung ein. Ihre Funktion unterscheidet sich stark von den Funktionen der nationalen Parteien. Die europäischen Parteien besitzen kaum Einfluss auf die Interaktion zwischen der Europäischen Union und den Bürgerinnen und Bürgern. Ihre primäre Funktion ist eine verbindende. Sie fördern die Kommunikation und bieten ein Netzwerk für ihre Mitgliedsparteien. Weiter koordinieren sie dessen Kooperation (ebd.: 225).

Definiert werden europäische Parteien gegenwärtig als föderative Zusammenschlüsse nationaler Parteien aus verschiedenen europäischen Ländern, deren Positionen und Programme sich stark ähneln (vgl. Schmidt 2004: 287). Über die Definition von europäischen Kooperationszusammenschlüssen von nationalen Parteien herrscht Uneinigkeit. Während die Parteien sich selbst nicht mehr als „Parteienbund“ oder „Parteienföderationen“ (Maurer/Mittag 2020: 223) bezeichnen, gibt es besonders in älteren Quellen Stimmen, die behaupten, die europäischen Parteizusammenschlüsse verfügen nicht über den Status einer Partei (vgl. Dietz 2000: 207). Die Europäische Union richtet sich seit 2003 nach bestimmten Kriterien, die Parteizusammenschlüsse erfüllen müssen, um als europäische Partei anerkannt zu werden (vgl. Maurer/Mittag 2020: 220). Derzeit erfüllen zehn Parteigruppierungen, darunter auch die Europäische Grüne Partei, diese Kriterien und werden als europäische Parteien anerkannt (vgl. Behörde für europäische politische Parteien und europäische politische Stiftungen 2021).

Die Europäische Grüne Partei (EGP) wurde im Februar 2004 von den 32 Mitgliedsparteien der vorherigen europäischen Parteifamilie, der Europäischen Föderation Grüner Parteien (EGFP), gegründet und löste damit die EGFP ab (vgl. Schmidt 2004: 291). Gegenwärtig umfasst die Europäische Grüne Partei 36 nationale Parteien aus 32 verschiedenen Staaten. Zehn dieser Parteien sind aus Nicht-EU-Staaten (vgl. European Green Party 2021: 24). Hier zeigt sich eine Besonderheit der EGP. Im Gegensatz zu anderen Parteien auf europäischer Ebene, ist eine Mitgliedschaft in der EGP für nationale Parteien auch möglich, wenn diese keinem EU-Land entstammen (vgl. Dietz 2000: 199).

In ihren Ursprüngen verfolgten die europäischen Grünen programmatisch eine „nachhaltige und sozial gerechte Entwicklung Europas“ (Schmidt 2004: 291). Dieser bei der Gründung der EGFP festgelegte Grundsatz weitet sich immer weiter aus. Heute folgt die EGP den Leitprinzipen Umweltschutz, Freiheit, Gerechtigkeit, Diversität und Gewaltfreiheit (vgl. European Green Party 2006: 1). Für die folgende Analyse wird die Erwartung geäußert, dass besonders innerhalb dieser Themenfelder Einigkeit unter den Mitgliedern der EGP herrscht.

Da grüne Nationalparteien verschiedenen historischen Kontexten entstammen (vgl. ebd.), ist ebenfalls zu erwarten, dass Themen, die nicht den Leitprinzipien der EGP zuzuordnen sind, zu heterogeneren Ergebnissen in den Parteipositionen führen. Grüne Parteien sollten sich besonders stark in ihrer Meinung zur Ausweitung der EU und ihren Kompetenzen unterscheiden (vgl. Dietz 2000: 205). Demnach sind unterschiedliche Positionen auf der Pro-EU/Anti-EU Dimension und bei EU-spezifischen Themen zu erwarten.

 

3. Die europäischen Grünen: ein Parteienzusammenschluss oder eine europäische Partei?

Wie zuvor angeführt gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, was eine europäische Partei ist und ab wann ein Parteizusammenschluss als politische Partei bezeichnet werden sollte. Um einzuordnen, ob es sich bei Parteizusammenschlüssen um „echte Europäische Parteien“ (Dietz 2000: 200) handelt, misst Dietz den Grad der Interaktion zwischen den Mitgliedsparteien. Dazu nutzt er drei durch Niedermayer definierte Stadien, in denen sich Parteizusammenschlüsse befinden können. Das erste Stadium, die „contact stage“, definiert den schmalsten Grad der Interaktion. Die transnationalen Interaktionen finden immer nur gelegentlich und bei Bedarf statt. In der zweiten Stufe, der „cooperation stage“, ist die internationale Interaktion auf Dauer angelegt und in einem organisatorischen Rahmen eingebettet. Die „integration stage“, als letzte Stufe, weist den höchsten Grad der Interaktion auf. In dieser Stufe übertagen Mitgliedsparteien des Parteizusammenschlusses Teile ihrer Parteisouveränität auf ihre europäische Partei. Nach Dietz erfüllen Parteizusammenschlüsse erst die Bedingungen einer „echten“ europäischen Partei, wenn sie sich in dem dritten Interaktionsstadium befinden (vgl. ebd.: 202). Die europäischen Grünen haben sich nach Dietz von der „contact stage“ hin zur „cooperation stage“ entwickelt, da jedoch keine Abgabe von nationaler Parteisouveränität erfolgt ist, stuft er die Grünen zum Zeitpunkt seiner Analyse nicht als europäische Partei ein (vgl. ebd.: 202 f.).

Zur Ermittlung des Interaktionsgrades setzt er verschiedene Indikatoren ein. Seine Analyse umfasst den Zeitraum von 1979 bis 1998. Die folgende Tabelle zeigt die Indikatoren und Dietz‘ Einschätzungen zu den der EGP vorangegangenen grünen Parteizusammenschlüssen auf europäischer Ebene. Seine Darstellung wurde durch die Spalte der EGP erweitert. Ziel ist es, festzustellen, ob sich der Grad der Interaktion der europäischen Grünen verändert hat.

Tabelle 1: Entwicklung des Interaktionsgrads des grünen Parteienbundes in Europa

Quelle:  Dietz 1997:97; eigene Ergänzungen

Im Folgenden wird lediglich auf die Indikatoren eingegangen, bei der die EGP nennenswerte Unterschiede zu ihren Vorgängerorganisationen aufweist.

Im Unterschied zu ihren Vorgängerorganisationen bietet die EGP die Möglichkeit von Individualmitgliedschaften, also parteilose Mitgliedschaften (vgl. Carstens 2009: 40). Auch Subeinheiten existieren in der Europäischen Grünen Partei. Im Unterschied zur Vorgängerorganisation „Europäische Föderation Grüner Parteien“ (EGFP) und der „European Green Coordination“ (EGC) sind einige dieser Subgruppierungen jedoch in Entscheidungsprozesse eingebunden (vgl. European Green Party 2021: 9). Die „Federation of Young Greens in Europe“, als Jugendorganisation der EGP, sowie die „Green European Foundation“, als Stiftung der Partei, sind berechtigt, Delegierte ihrer Gruppierungen zu Treffen der EGP, Kongresse eingeschlossen, zu entsenden. Diese sind dort zur Teilnahme an Abstimmungen berechtigt (ebd.). Weiter sind „Associate Members“, zu denen auch nicht-gouvernementale Gruppierungen zählen, die nicht den Status als „Full Members“ innehaben, formal dazu berechtigt, an Diskussionen sowie an allen Treffen der EGP zu partizipieren (vgl. European Green Party 2021: 7 f.). Verbunden mit der gleichzeitig gestiegenen Anzahl an Subgruppierungen, kann diese Veränderung als Indikator für einen erhöhten Grad der Interaktion der europäischen Grünen betrachtet werden. Im Hinblick auf die Finanzierung unterscheidet sich die EGP von ihren Vorgängerorganisationen insofern, als sie direkte Finanzmittel aus dem EU-Haushalt erhält (vgl. Schmidt 2004: 288).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Europäische Grüne Partei insgesamt einen Anstieg des Interaktionsgrades verzeichnen kann. Betrachtet man den Kompetenzbereich, der für Dietz das entscheidende Kriterium für das Erreichen der dritten Stufe in seinem Modell darstellt, ist dieser auch bei der EGP nicht insofern ausgeweitet, als dass die nationalen Mitgliedsparteien Kompetenzen an die EGP übertragen haben. Die Anerkennungskriterien der EU für europäische politische Parteien sehen nicht vor, dass Nationalparteien Kompetenzen an die europäische Partei abgeben (vgl. Maurer/Mittag 2020: 221). Europäische Parteien sollen die nationalen Parteien nicht ersetzen, sondern um die europäische Ebene erweitern (vgl. Leinen/Pescher 2014: 234). Nach Dietz wäre damit die EGP auch heute noch keine „echte“ europäische Partei. Betrachtet man ihre institutionellen Veränderungen sowie die rechtlichen Vorgaben, die gegenwärtig gar nicht vorsehen, dass nationale Parteien Teile ihrer Souveränität an ihre europäische Partei abgeben, so ist die EGP dennoch als „richtige“ europäische Partei einzustufen.

4. Analyse der Policy-Positionen innerhalb der Europäischen Grünen Partei

In Um in der folgenden Analyse die Einigkeit beziehungsweise Uneinigkeit der EGP zu bestimmen Policy-Inhalten zu ergründen, werden Daten der Voting Advice Application „euandi 2019“ genutzt.

Die Online-Wahlhilfe „euandi 2019“ wurde anlässlich der Europawahl 2019 veröffentlicht und ist der Gruppe der Voting Advice Applications zuzuordnen. Voting Advice Applications, kurz VAAs, helfen WählerInnen ihre Wahlentscheidung zu treffen, indem sie die inhaltlichen Präferenzen der BenutzerInnen der VAA mit den Positionen der Parteien abgleichen und im Ergebnis ein Match präsentieren. Das Match entspricht der Partei, die am meisten mit den politischen Vorstellungen des Users oder der Userin übereinstimmt (vgl. Thömmes 2020: 2 f.). Die VAA „euandi 2019“ umfasst 22 Statements zu sozialpolitischen, gesellschaftlichen, finanz- sowie wirtschaftspolitischen Themen. Sie umfasst Issues zur Europäischen Union, zur Migration und zur Außenpolitik (vgl. Trechsel et al. 2019a: 2).

Die Positionen der Parteien der VAA „euandi 2019“ bieten die Grundlage für die nachfolgende Analyse. 16 der 36 Mitgliedsparteien der Europäischen Grünen Partei haben an der Wahlhilfe teilgenommen. Es wird sich also auf einen Teil der Mitglieder beschränkt. Tabelle 2 beinhaltet eine Auflistung dieser Mitglieder.

Tabelle 2: Mitglieder der EGP, die an der VAA „euandI 2019“ teilgenommen haben (eigene Darstellung)

Da die Europäische Grüne Partei nicht lediglich Parteien aus EU-Staaten als Mitglieder akzeptiert, werden die „Scottish Green Party“ sowie „The Green Party“ aus Großbritannien, trotzt ihres EU-Austritts, in die Analyse aufgenommen.

4.1 Verortung der EGP-Mitglieder im 2D-Diagramm

Es findet eine Verortung der Mitgliedsparteien der EGP in einem zweidimensionalen Raum, mit den Dimensionen Ökonomisch links – Ökonomisch rechts und Liberal/Pro-EU – Konservativ/Anti-EU, statt (Abbildung 1). Dargestellt ist lediglich ein Ausschnitt des Diagramms, da sich alle Parteipositionen im Liberal/Pro-EU- und ökonomisch linken Quadranten verorten lassen. Die Zweidimensionalität ist an dieser Stelle der populären Links – Rechts Dimension vorzuziehen, da diese mehrdeutig interpretiert werden kann. Die Unterscheidung zwischen einer wirtschaftlichen und einer gesellschaftlichen Dimension gibt ein differenzierteres Bild der verorteten Partei (vgl. Thomeczek et al. 2019: 270).

Abbildung 1: Verortung der EGP-Mitglieder im 2D-Diagramm (Ausschnitt) basierend auf den Parteipositionen der VAA „euandi 2019“ (eigene Darstellung)

Die Mitgliedsparteien wurden anhand ihrer Positionen zu den 22 Statements im Rahmen von „euandI 2019“ (siehe Anhang 1: Tabelle A1) verortet. Dazu wurden die Statements inhaltlich einem der vier Pole im Diagramm zugeordnet (siehe ebd.). Die VAA „euandI 2019“ arbeitet mit einer fünfstufigen Skalierung, um die Zustimmung zu einem Statement auszudrücken. Dabei steht 1 für vollständige Zustimmung, 0,5 für eine tendenzielle Zustimmung, 0 für Neutralität, -0,5 für tendenzielle Ablehnung und -1 für vollständige Ablehnung des Statements. Zusätzlich gibt es die Kategorie keine Meinung (vgl. Trechsel et al. 2019b: 2). Die durchschnittliche Zustimmung, die für eine Verortung notwendig ist, wurde anhand der aggregierten Parteipositionswerte berechnet.

Bereits auf den ersten Blick wird deutlich, dass in der Gesamtbetrachtung alle analysierten Parteien im zweiten Quadranten des Koordinatensystems angesiedelt sind. Auffällig ist, dass besonders auf der ökonomischen Links-rechts-Dimension die Mehrheit der Parteien dem ökonomisch linken Lager zuzuordnen sind. Die belgische Partei Groen weicht hier von der Mehrheit ab und zeigt eine Tendenz zur Mitte. Die gesellschaftspolitische Dimension, die auch die Zustimmung zu Europa umfasst, weist eine deutlich höhere Streuung auf.

Die Spannweite als Maßzahl zur Streuung verdeutlicht den Unterschied zwischen den Dimensionen:

Für die ökonomische Dimension ergibt sich ein Maximalwert von – 1, diesen weisen sechs Parteien auf. Der Minimalwert beträgt –  . Es ergibt sich eine Spannweite von gerundet 0,67. Die gesellschaftspolitische Dimension weist 0,90625 als maximalen und 0,03125 als minimalen Wert auf. Die Spannweite beträgt gerundet 0,88. Dieses Ergebnis wirft die Erwartung auf, dass mehr Uneinigkeit auf der gesellschaftspolitischen als auf der ökonomischen Dimension herrscht und sich die Parteien in wirtschaftlichen Fragen häufiger einig sind.

4.2 Messung der Einigkeit innerhalb der EGP

Um zu ergründen, ob diese Annahme zutreffend ist, wird anhand des „Agreement Index“ (AI) nach Hix et al. (2005: 215) der Grad der Übereinstimmung innerhalb der EGP zu den Statements ergründet. Die Formel beinhaltet die Parameter Zustimmung, Ablehnung und Enthaltung. Die Ergebnisse liegen zwischen 0, was eine Gleichverteilung zwischen den Antwortkategorien bedeutet würde, und 1, was Einstimmigkeit in Bezug auf das Statement bedeutet (vgl. Thomeczek et al. 2019: 280 f.).

Die Agreement-Index-Werte wurden für alle 22 Statements berechnet. Das genaue Vorgehen ist im Anhang (Anhang 2) nachzuvollziehen. Zur besseren Übersicht wurden die Aussagen in zwei Tabellen aufgeführt, aufgeteilt nach den Dimensionen des 2D-Diagramms.

Tabelle 3: Dimension Ökonomisch links – Ökonomisch rechts. Agreement-Index-Werte zu den Statements der VAA EU and I 2019, basierend auf den Parteipositionen der 16 an der VAA teilgenommenen Mitgliedsparteien der EGP (eigene Berechnung)

Die AI-Werte zu den Statements der Ökonomisch Links – Ökonomisch Rechts Dimension machen deutlich, dass die Übereinstimmung innerhalb der EGP zu den Statements recht hoch ist. Die stärkste Kohärenz weisen die Statements 1, 12 und 14 auf. Statement 1 und 12 sind beide dem ökonomisch linken Lager zuzuordnen. Wie nach Betrachtung des 2D-Diagramms vermutet, herrscht unter den Mitgliedern der Europäischen Grünen Parteien besonders zu wirtschaftspolitischen Fragen Einigkeit. Der hohe Agreement-Index-Wert bei Aussage 14, einem umweltspezifischen Thema, ist ebenfalls zu erwarten gewesen. Die Aussagen auf der ökonomischen Dimension betreffen die Leitprinzipien Umweltschutz und Gerechtigkeit der Europäischen Grünen Partei. Wie im theoretischen Teil erwartet, stimmen die Mitglieder der europäischen Partei hier weitgehend überein. Der durchschnittliche AI-Wert der ökonomischen Links-rechts-Dimension beträgt rund 0,94.

Die folgenden Werte für die gesellschaftspolitische Dimension weisen eine deutlich höhere Heterogenität auf und mit einem Durschnitts-AI-Wert von rund 0,64 eine deutlich geringere Übereinstimmung zwischen den Parteimitgliedern.

Tabelle 4: Dimension Ökonomisch links – Ökonomisch rechts. Agreement-Index-Werte zu den Statements der VAA EU and I 2019, basierend auf den Parteipositionen der 16 an der VAA teilgenommenen Mitgliedsparteien der EGP (eigene Berechnung)

Die stark differierenden und teils niedrigen Werte bestätigen die Annahme, dass auf der gesellschaftspolitischen Dimension mehr Uneinigkeit innerhalb der EGP herrscht. Folgend werden drei Statements mit einem hohen, einem mittleren und einem geringen Agreement-Index-Wert genauer betrachtet.

Auch hier lassen sich einige Statements den Leitprinzipien der Partei zuordnen. Aussage 7 „Die Legalisierung gleichgeschlechtlicher Ehen ist eine gute Sache.“, lässt sich dem Prinzip der Diversität zuordnen. Der hohe Indexwert von 0,90625 zeigt, dass hier, bis auf einzelne Ausreißer, Einigkeit innerhalb der EGP herrscht. Die getrennte Betrachtung des Statements bestätigt dies:

Abbildung 2: Parteipositionen der EGP-Mitglieder zum Statement „Die Legalisierung gleichgeschlechtlicher Ehe ist eine gute Sache.“ (eigene Darstellung)

14 der 16 analysierten Parteien weisen eine Parteiposition der vollständigen Zustimmung auf. Die ungarische Partei „Lehet Más a Politika“ (LMP) stellt mit ihrer ablehnenden Parteiposition eine Ausnahme dar. Eine mögliche Begründung dafür ist, dass die generelle Zustimmung zur gleichgeschlechtlichen Ehe in Ungarn im europäischen Vergleich mit am geringsten ausfällt und die LMP dies in ihrem Programm berücksichtigt (vgl. European Commission 2015: 49).

Viele Aussagen mit einem geringen Agreement-Index-Wert thematisieren EU-spezifische Policies. Während die Aussage, „Die Europäische Integration ist eine gute Sache.“ einen hohen Wert von 0,90625 erreicht, die Mehrheit der Parteipositionen sind vollständig zustimmend, besitzen Statements, die spezifischere Inhalte thematisieren, niedrigere AI-Werte. Dies führt zur Annahme, dass zwar eine generelle Zustimmung zur Europäischen Union besteht, bei der Stärke der Ausweitung jedoch Uneinigkeit herrscht. Bei Aussage 20 „Die Europäische Einheitswährung (Euro) ist eine schlechte Sache.“ ist der mittlerer AI-Wert von 0,53125 leicht zu begründen: Während die Mehrheit der Parteien eine teilweise oder vollständig ablehnende Parteiposition zu dieser Aussage aufweisen, sind lediglich die Parteipositionen der schwedischen „Miljöpartiet de gröna“ (MP) sowie der „Green Party“ (Greens) aus Großbritannien zustimmend. Beide stammen aus Ländern mit einer anderen Währung.

Statement 17 „Die EU sollte ihre Sicherheits- und Verteidigungspolitik stärken.“, mit einem mittleren AI-Wert von 0,53125, weist folgende Parteipositionen auf:

Abbildung 3: Parteipositionen der EGP-Mitglieder zum Statement „Die EU sollte ihre Sicherheits- und Verteidigungspolitik stärken.“ (eigene Darstellung)

Hier stechen besonders die schwedische „Miljöpartiet de gröna“ sowie „The Green Party“ aus Großbritannien mit ihren vollkommen ablehnenden Parteipositionen heraus. Die Begründungen hierfür fallen jedoch unterschiedlich aus. Während die MP eine verstärkte militärische Zusammenarbeit als ungeeignet einstuft, um Frieden und Sicherheit zu gewährleisten (vgl. Miljöpartiet de gröna 2014: 2f), sind die Greens der Meinung, dass die EU nicht das geeignete Organ für derartige Sicherheitspolitik ist (vgl. The Green Party 2017).

Abbildung 4: Parteipositionen der EGP-Mitglieder zum Statement „Sterbehilfe sollte legalisiert werden.“ (eigene Darstellung)

Statement 9 „Sterbehilfe sollte legalisiert werden.“, mit einem niedrigen Agreement-Index-Wert von 0,34375, enthält viele neutrale Parteipositionen. Dies kann darauf zurückzuführen sein, dass eine derartige Aussage auch innerhalb der Mitgliedsparteien unterschiedlich bewertet wird. Dennoch spricht sich die Mehrheit der EGP-Mitglieder für die Legalisierung aus. Einzig die dänische „Socialistisk Folkeparti“ weist eine ablehnende Parteiposition auf. Diese wird damit begründet, dass man aufgrund von fehlender Erfahrung noch nicht bereit ist, Sterbehilfe zu legalisieren. Man sei jedoch offen für eine Diskussion, die auf Erfahrungen aus Ländern basiert, in denen Sterbehilfe zulässig ist (vgl. Faurholt-Sehested 2015).

5. Fazit

Die Frage „Wie stark ist der Zusammenhalt innerhalb der Europäischen Grünen Partei und was eint die Parteienfamilie der Grünen inhaltlich?“ wird folgend in zwei Teilen beantwortet.

Im Hinblick auf den ersten Teil lässt sich resümieren, dass sich der Zusammenhalt der europäischen Grünen parallel mit dem europäischen Integrationsprozess verstärkt hat. Die Europäische Grüne Partei ist fester Bestandteil der transnationalen Kooperation grüner Parteien. Sie weist stark institutionalisierte Strukturen auf und gibt den Mitgliedern so die Möglichkeit, ihre Zusammenarbeit auf europäischer Ebene zu vollziehen. Auch im Vergleich mit vorherigen parteilichen Zusammenschlüssen wurde deutlich, dass die europäischen Grünen gegenwärtig einen höheren Grad der Interaktion aufweisen. Der Zusammenhalt innerhalb der EGP ist demnach als lang anhaltend und recht stark einzuordnen.

Im Hinblick auf die inhaltliche Einigkeit konnten die genannten Erwartungen durch die Analyse der Übereinstimmung zu den Statements der VAA „euandI 2019“ bestätigt werden. Statements zu den Themen Umweltschutz, Gerechtigkeit und Diversität, die die EGP zu ihren Leitprinzipien zählt, weisen eine hohe Übereinstimmung auf. Auch eint die Parteien ihre Tendenz zum ökonomisch linken Lager. Die Betrachtung des 2D-Diagramms zeigt jedoch, dass diese Tendenz bei den Mitgliedern unterschiedlich stark ausgeprägt ist. Es hat sich gezeigt, dass der Grad der Übereinstimmung auf der ökonomischen Dimension höher ist als auf der gesellschaftspolitischen Dimension. Auch wenn sich alle analysierten Parteien oberhalb des konservativen Lagers, dass auch die Ablehnung der EU beinhaltet, verorten lassen, ist die Streuung der Parteien auf der gesellschaftspolitischen Dimension signifikant höher als auf der ökonomischen. Besonders EU-spezifische Themen weisen Uneinigkeit in den Parteipositionen auf. Die Parteienfamilie der Grünen, in Form der EGP, eint demnach vor allem ihre Leitprinzipen, die Einstellungen zu Verteilungsfragen und ihre wirtschaftlich linke Ausrichtung.

Wichtig ist abschließend auf die Einschränkungen dieses Ergebnisses zu verweisen. Bei der Betrachtung der inhaltlichen Übereinstimmung wurde lediglich ein Teil der EGP-Mitgliedsparteien analysiert. 16 von 32 Parteien wurden nicht in der Analyse betrachtet. Demnach ist das Ergebnis unter Vorbehalt zu sehen. Zur vollständigen Betrachtung könnte eine Neucodierung der fehlenden Parteien erfolgen, um auch ihre Parteipositionen zu berücksichtigen.

Literatur

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6. Anhang 1

7. Anhang 2

 

 

 

 

 

 

Da die VAA „euandI 2019“ nicht lediglich drei, sondern sechs Antwortkategorien beinhaltet, werden diese wie folgt zusammengefasst: vollständige Zustimmung und tendenzielle Zustimmung, vollständige Ablehnung und tendenzielle Ablehnung sowie die Kategorien neutral und keine Meinung. Dem folgt, dass ein Agreement-Index von eins in der folgenden Analyse keine volle Einstimmigkeit bedeuten muss. Die Zusammenfassung führt zu einer Informationsreduktion und gibt ein weniger differenzierteres Bild der Überreinstimmung der EGP. Um jedoch zu klären, bei welchen Themen die Mitglieder der EGP grundsätzlich übereinstimmen oder voneinander abweichen, ist dieses Vorgehen ausreichend.

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