Heinrich Oberreuter (Hrsg.): Macht und Ohnmacht der Parlamente

Macht und Ohnmacht der ParlamenteNeu ist die Frage nach der Macht und einer möglichen Ohnmacht von Parlamenten nicht – an Relevanz verloren hat die Beschäftigung mit selbiger jedoch keineswegs. So knüpft der 2013 erschienene Sammelband unter der Herausgeberschaft von Heinrich Oberreuter an bestehende Diskussionen an und setzt sie in einen aktuellen Kontext.

Er vereint zwölf Beiträge des 10. Passauer Symposions zum Parlamentarismus, das bereits im Frühjahr 2011 in Kooperation der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen, der Akademie für Politische Bildung Tutzing und der Universität Passau ausgerichtet wurde.

Heinrich Oberreuter (Hrsg.): Macht und Ohnmacht der Parlamente.

Nomos Verlag, 2013, 249 S., ISBN 978-3-8329-7294-3, 34,00 Euro.

 

Rezension von Anna Steinfort

 Neu ist die Frage nach der Macht und einer möglichen Ohnmacht von Parlamenten nicht – an Relevanz verloren hat die Beschäftigung mit selbiger jedoch keineswegs. So knüpft der 2013 erschienene Sammelband unter der Herausgeberschaft von Heinrich Oberreuter an bestehende Diskussionen an [1] und setzt sie in einen aktuellen Kontext. Er vereint zwölf Beiträge des 10. Passauer Symposions zum Parlamentarismus, das bereits im Frühjahr 2011 in Kooperation der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen, der Akademie für Politische Bildung Tutzing und der Universität Passau ausgerichtet wurde. Beiträge von namhaften Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Praktikern, die sich aus politischer (Norbert Lammert) oder juristischen Sicht (Hans-Jürgen Papier) mit dem aktuellen Zustand des Regierungssystems auseinander setzen, versprechen eine vielseitige Perspektive auf das Parlament. Erfrischend ist hierbei der Blick über den bundesdeutschen Tellerrand hinaus mit Analysen zum Parlamentarismus in anderen westlichen Demokratien sowie Mittel- und Osteuropa.

Überzeugende, vielfältige Analysen.

Bereits im sehr kurz gehaltenen Vorwort stellt Heinrich Oberreuter die Frage, ob sich eine „Notstandsmentalität“ im deutschen Parlament verankert hätte. Diese könne zu rascheren Entscheidungsprozessen auf Grundlage geringerer Informationen führen. Doch verweist er mit Blick auf andere Parlamente in westlichen Demokratien auch darauf, dass diese zu keiner Zeit ohne Diskussionen und Anpassungen ihrer Funktionsweisen ausgekommen sind – Krisen und Mechanismen zur Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen hat es demnach immer gegeben: „Die Geschichte des Parlamentarismus ist eine Geschichte seiner Herausforderungen“ (S. 9).

Aus der Perspektive eines (fachkundigen und reflektierten) Betroffenen heraus beschreibt der Präsident des Deutschen Bundestages, Norbert Lammert, die Herausforderungen, die sich für das Parlament in einer Massen- und Mediendemokratie auch im Hinblick auf Partizipationsmöglichkeiten ergeben. Er hält es für notwendig, dass sich sowohl die Medien, als auch das Parlament über ihre Rolle in der Demokratie bewusst sind und diese reflektieren. Er beschreibt eine aus parlamentarischer Sicht nachteilige Logik der Medien, in der Schnelligkeit vs. Gründlichkeit und Unterhaltung vs. Information abgewogen werden müssen. In diesem Sinne kritisch beurteilt er auch „die Verdrängung von Politik durch die Simulation von Politik“ (S. 17), wie sie beispielsweise in vielen politischen Talkshows zu beobachten ist. Abschließend fordert er, dass sich Medien und die Politik im Allgemeinen ihre unterschiedlichen Funktions- und Ansprachemechanismen beibehalten müssen: „Die Reduzierung auf eine unter Marketinggesichtspunkten ausgewählte Teilzielgruppe, die sich in den Medien durchgesetzt zu haben scheint, kann und darf sich die Politik jedenfalls nicht erlauben“ (S. 18).

Unter der Überschrift „Marginalisierung der Parlamente“ greift Heinrich Oberreuter den Verlauf der Debatte um die mögliche Ohnmacht von Parlamenten auf und behandelt damit das Kernthema des Sammelbandes. Dabei bedient er sich sowohl klassischer politikwissenschaftlicher Konzepte als auch aktueller Beispiele und setzt sich mit beidem in überzeugender Weise kritisch auseinander. Die Analyse ist schonungslos: „Das Parlament wird von der Regierung auf die Seite geschoben. Das von ihm verabschiedete Recht wird gebrochen oder umgangen“ (S. 23). Gleichzeitig distanziert er sich von der Wahrnehmung, dass es ein „goldenes Zeitalter“ des Parlamentarismus gegeben habe, entkräftet mit Blick auf Colin Crouch die These der Post-Demokratie und formuliert die zunehmende Europäisierung der Politik und die Mechanismen der Mediendemokratie als Herausforderungen. Er schließt mit einem Appell, um eine künftige Ohnmacht der Parlamente zu vermeiden: „Keine Mehrheitsfraktion darf sich entmachten lassen – das wäre die wichtigste Remedur der Marginalisierung, und auch die Opposition muss ihre Mitsprache einfordern“ (S. 31).

Werner J. Patzelt fragt in seinem Beitrag danach, woher Parlamente ihre Macht beziehen und wie es zu ihrer Entmachtung kommen kann. Dazu stützt er sich auf die Unterscheidung von vier Erscheinungsformen von Macht: 1. Durchsetzungsmacht, Vetomacht, Deutungsmacht; 2. Dispositiv der Macht bzw. intransitive Macht; 3. Gegenmacht und; 4. die verborgene Macht von Macht. Darauf aufbauend sucht er nach den „Materialursachen von Macht“ (S. 38) und beschreibt sodann den Startpunkt der Macht von Parlamenten. Demnach „beginnt Parlamentsmacht stets damit, dass solche Personen, die man aufgrund ihrer Durchsetzungs-, Verhinderungs- oder Deutungsmacht bzw. wegen ihrer Handlungskompetenz sinnvollerweise in den politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess einbinden sollte, in ein Beratungsgremium oder ein Entscheidungsgremium gelangen und dort zusammenwirken“ (S. 39). Unterstrichen durch historische Vergleiche kommt er letztlich zu einem Befund darüber, dass Parlamentsmacht dann bedroht ist, wenn die „Selbstverständlichkeit offener Rede und freimütiger Regierungskritik“ entzogen werden (S. 55). Der Autor endet mit einer Forderung nach der „Analyse und Entwicklung eines postnationalen Neoparlamentarimus“ (S. 58).

Eine spannende Innenansicht des Parlaments, mit Fokus auf die Parlamentarier selbst, liefert Suzanne S. Schüttemeyer in ihrem empirischen Beitrag „Abgeordnete: Repräsentanten oder Rädchen im Getriebe?“. Die viel beschriebene Politikerverdrossenheit und die divergierenden Ansprüche an Abgeordnete führen ihrer Ansicht nach dazu, dass: „Abgeordnete[n] nichts richtig [machen], oder jedenfalls: Sie machen es niemandem recht“ (S. 59). Sie greift unterschiedliche Repräsentationskonzepte auf und erläutert die sozio-demographische Zusammensetzung des Deutschen Bundestages. Unter Bezugnahme auf die Daten des CITREP-Projekts ermöglicht die Autorin Einblicke in die Beurteilung der Arbeit der einzelnen Bundestagsabgeordneten durch die Bevölkerung und somit ihrer Wähler. Dabei zeigt sich insgesamt ein zufriedeneres Bild: „Auf die Frage, wie gut die Bundestagsabgeordneten der Aufgabe gerecht werden, die Interessen ihres Wahlkreises zu vertreten, erteilt knapp die Hälfte der Bürger befriedigende Noten, jeder fünfte sogar gute oder sehr gute“ (S. 68). Den Arbeitsteilungen im Parlament geschuldet können Parlamentarier demnach zwar als „Rädchen im Getriebe“ beschrieben werden, dies wird jedoch von den allermeisten Bürgerinnen und Bürgern auch als „effiziente Aufgabenerledigung“ gewürdigt (S. 76).

Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, schreibt ein „Plädoyer für die Wahrung des demokratisch-parlamentarischen Systems“. An eine Unterscheidung zwischen „Sein und Sollen“ schließt sich mit dem Aufzeigen der „Möglichkeiten der Therapie“ sein lösungsorientierter Ansatz an. Er findet ermunternde Worte für den Patienten „Parlament“ und fordert Eigeninitiative und ein Bewusstsein über mögliche Problemlagen innerhalb des Institutionengefüges. Das Zusammenspiel zwischen verfassungsrechtlichen Grundlagen, den Akteuren im Parlament und den Wählern fasst er in einem abschließenden Appell zusammen: „Es ist also höchste Zeit, die Politik immer wieder an ihre verfassungsmäßigen Bahnen zu erinnern, aber auch den mündigen Wahlbürger von Sinn und Notwendigkeit des Parlamentarismus und des parlamentarischen Systems zu überzeugen“ (S. 93).

„Kann man tatsächlich von einer >>Ohnmacht des Parlaments<< gegenüber den Verfassungsrichtern sprechen?“ (S. 95), diese – nicht nur im wissenschaftlichen Diskurs häufig anklingende – Frage stellt Uwe Kranenpohl und untermauert seine Analyse mit empirischen Daten: Zum einen hat er offizielle Statistiken des BVerfG ausgewertet und zum anderen 30 Interviews mit (ehemaligen) Richtern des Bundesverfassungsgerichts geführt. In der Analyse wird deutlich, dass das „Warten auf Karlsruhe“ des Gesetzgebers gar kein so neuer Trend ist. Zentral ist das Selbstverständnis des Gerichts ist im Zusammenspiel mit den politischen Entscheidungsprozessen: „Das Gericht sollte sich aber hüten, aus dieser […] Tendenz die Attitüde abzuleiten, man fungiere gleichsam als letztes Auffangnetz des politischen Prozesses und werde gegen seinen eigenen Willen gezwungen, politische Verantwortung zu übernehmen“ (S. 113).

Eine gewinnbringende vergleichenden Perspektive.

Die im ersten Teil des Sammelbandes aufgeführten theoretischen Verortungen und die empirische Analyse zu möglichen Machtverlusten des Deutschen Bundestages werden ergänzt durch Beiträge, die einen Blick über den bundesdeutschen Tellerrand ermöglichen und damit weitere, aber auch vergleichbare Problemlagen aufzeigen. So finden sich im zweiten Teil Beiträge zum britischen Parlamentarismus (Roland Sturm), den USA (Josef Braml), dem französischen (Adolf Kimmel) und italienischen Parlament (Stefan Köppl) sowie zu Prozessen in Ost- und Mitteleuropa (Ellen Bos). Abschließend wird die Frage nach dem Vorhandensein eines idealen Parlaments in vergleichender Perspektive gestellt (Martin Sebaldt).

Die Analyse des britischen Parlaments kommt zu dem Schluss, dass es insbesondere bei Gesetzgebungsprozessen auch in Großbritannien eine deutliche Regierungsdominanz gegenüber dem Parlament gibt, dieses Phänomen jedoch keineswegs neu ist. Gleichzeitig zeigt Roland Sturm Tendenzen zur Verbesserung der Kommunikation zwischen Wählern und Parlament bzw. Regierung auf: Vorhaben wie die Early Day Motions (Debattenanstöße von Hinterbänklern) und E-Petitionen könnten das Verhältnis vor allem aus Sicht der Wähler kommunikativer gestalten.

Das Aufzeigen aktueller politischer Herausforderungen in den USA, insbesondere im Bereich der Fiskalpolitik, ist zwar eine spannende Lektüre. Der Mehrwert für die Parlamentarismusforschung des Beitrags von Josef Braml ist jedoch leider nicht eindeutig erkennbar und fällt somit etwas aus dem Rahmen des Sammelbandes.

Die Auswirkungen der 2008 verabschiedeten Reform der französischen Nationalversammlung, die Adolf Kimmel bespricht, sind demgegenüber umso überzeugender. Waren die Veränderungen in Bezug auf die Regelung der Tagesordnung, die Gesetzgebung sowie die Kontrollfunktion und die Oppositionsrechte erfolgreich? Die Ergebnisse zeigen, dass es keinen grundlegenden Wandel gab und insbesondere mit Blick auf die Rolle der Opposition weitere Reformen notwendig sind. Allerdings sind neue Möglichkeiten für das Parlament entstanden, „eine angemessenere Rolle im politischen System zu spielen“ (S. 175).

Dass die in diesem Jahr schon mehrmals debattierten Instabilitäten im italienischen Regierungssystem institutionelle Ursachen haben und die „Bipolarisierung des Parteiensystems […] nicht mit einem Rückgang der Fragmentierung einhergegangen [ist]“ (S. 182), zeigt Stefan Köpple in seinem Beitrag auf. Es ist eher die Machtdiffusion als eine -konzentration, die im italienischen Regierungssystem Schwächen hervorruft.

Die Zentralität von Parlamenten in Transformationsphasen in den ehemaligen sozialistischen Staaten in Ost- und Mitteleuropa arbeitet Ellen Bos heraus und verknüpft sie mit aktuellen Trends. So arbeiteten einige Parlamente der EU-Beitrittskandidaten nahezu als „Gesetzesfabriken“ (S. 204). Ein kohärentes Abstimmungsverhalten in den Regierungsfraktionen erwies sich für die Stabilität im Regierungssystem und die Effizienz der Entscheidungsprozesse als notwendig (S. 205). Gleichwohl gibt es sehr unterschiedliche Entwicklungen: Die geographische Nähe zu Westeuropa ist demzufolge dienlich, eine Entwicklung hin zum „,Taschenparlament’ unter der Kontrolle von mächtigen Präsidenten“ (S. 213) zu verhindern.

Den überzeugenden Abschluss der internationalen Perspektive bildet Martin Sebaldt mit seiner vergleichenden Studie. Er entwickelt einen „Index parlamentarischer Macht“ (S. 230). Durchschnittlich handelt es sich bei seinem Vergleich der Parlamente alter Demokratien um „starke Parlamente“, kein Parlament wird als „sehr stark“ kategorisiert. Deutschland befindet sich im Mittelmaß, Israel, Schweden und Italien sind demnach die stärksten Parlamente. Großbritannien, Costa Rica sowie Frankreich bilden die Schlusslichter als „mittelstarke Parlamente“ (S. 235). Die Aufschlüsselung der stark variierenden funktionsspezifischen Unterschiede zeigt, dass die Parlamente alle über ein „Machtpotential verfügen, um die Politik zumindest spürbar beeinflussen zu können“ (S. 239). Das Zusammenwirken ist dabei jedoch nicht linear: Schwächere Parlamente können der Analyse zufolge über stärkere Kontrollmechanismen verfügen (S. 248).

Ein guter Überblick, leider jedoch ohne anschließende Diskussion der Befunde.

Eine ausführliche Einführung in die Thematik, vor allem aber die zusammenfassende, abschließende Einordnung der Beiträge im Sammelband sucht der Leser leider vergebens. Dies mag der Zusammentragung von einzelnen, unabhängigen Tagungsbeiträgen und der Nicht-Verschriftlichung der Diskussionsbeiträge geschuldet sein. Für die vorliegende Veröffentlichung wäre es aber wünschenswert gewesen, über diese bloße Zusammentragung hinaus eine kritische und vergleichende Einordnung vorzunehmen. Das Verhältnis der einzelnen Beiträge zueinander wird leider nicht klar herausgearbeitet und auch der Diskussionsverlauf der Tagung erschließt sich dem Leser nicht. Mit einer dreigliedrigen Unterteilung in inhaltlich-theoretische Konzeptionen, Analysen zum Zustand des bundesdeutschen Parlamentarismus und einer internationalen Perspektive wäre der Sammelband gerade für Praktiker, die den Fachdiskurs nicht immer verfolgen können, handhabbarer geworden. Zudem hätte eine abschließende Einordnung dieser drei Oberkapitel das Gesamtbild abrunden können.

Gleichwohl überzeugt der Sammelband durch eine aktuelle Bestandsaufnahme zu Entwicklungen und möglichen Wandlungsprozessen und vereint die zentralen Perspektiven und Diskussionsstände in überzeugender Art und Weise. Spannend sind die immer mal wieder am Rande auftauchenden Fragen zum zeitgenössischen Parlament, die es genauer zu untersuchen gälte. So thematisiert beispielsweise Werner J. Patzelt die Frage nach der Ausstattung von Abgeordneten: „Sollen vor allem die Ausschüsse und Fraktionen als die organisatorischen Bausteine der Parlamentsarbeit mit materiellen Machtressourcen ausgestattet werden, oder sollen auch die einzelnen Abgeordneten schon rein materiell einflussreich gemacht werden, indem man ihnen ganz persönlich Mitarbeiter, Infrastruktur und Finanzen zur Verfügung stellt?“ (S. 52). Oder ist eine Umorientierung des Oppositionshandelns angebracht? „Wenn es legitim ist, dass die parlamentarische Mehrheit eine gewisse Mitwirkung bei der Gesetzgebung anstrebt, so wäre die Opposition […] gut beraten, sich nicht in legislatorischen Initiativen zu verzetteln, denen in den allermeisten Fällen kein Erfolg beschieden ist und die ihrer Kontrollaufgabe abträglich ist“ (S. 174).

Also ein gar nicht so kranker Patient?

Die Diskussionen über mögliche und nötige Anpassungen im Parlamentarismus werden zweifelsfrei fortgesetzt bzw. wieder auftreten. Denn die Frage nach Macht und Ohnmacht der Parlamente ist zeitlos, sie betrifft den Kern des parlamentarischen Regierungssystems. Dabei ist die Fragestellung vielleicht aktueller denn je: Diskussionen um Euro-Rettungsschirme und die Auswirkungen einer Großen Koalition auf die Wahrnehmung von Parlamentsfunktionen haben ihr neue Relevanz verliehen. Wie Parlamente handeln, welche Hürden und Erfolgsfaktoren es gibt, gilt es nicht zuletzt aufgrund steigender Verflechtungen im Mehrebenensystem fortwährend zu erforschen. Auch wird sich weiterhin so manche normative Debatte um den Zustand des bundesdeutschen Parlamentarismus ranken.

Doch wird bei der Lektüre des nun erschienen Sammelbandes und der Betrachtung der bisherigen Diskussionen auch deutlich, dass die Frage nicht abschließend beantwortet werden kann. Die Bewertung von Macht oder Ohnmacht ist oft vom spezifischen Blickwinkel auf den Patienten „Parlament“ abhängig. Gelassenheit kann bei der Diskussion von Vorteil sein, denn – das zeigen die Befunde eindeutig – so mancher Reformbedarf ändert nichts an einem generell gut funktionierenden System. Fehlende Einbindung in supranationale Entscheidungen, Kompetenzverlagerungen auf Bundesebene und Stärkungen der Exekutive gilt es zu beobachten und ggf. durch Anpassungen an einzelnen Stellen zu berücksichtigen, eine stabile Seitenlage oder gar eine Wiederbelebungsmaßnahme erscheint jedoch trotz kurzer Ohnmachtszustände nicht angemessen: „Das deutsche Parlament ist weder ohnmächtig noch allmächtig, und das eine ist so beruhigend wie das andere“.[2]

All denjenigen, die die Debatte verfolgen, die sich eingehender mit Symptomen und ihren Ausprägungen beschäftigen möchte, die sich an ihr beteiligen möchten oder aber eine ersten Überblick über die verschiedenen Facetten suchen, denen sei der Sammelband als sehr lesenswert empfohlen. Die unterschiedlichen Beiträge sollten bei künftigen Diskussionen über notwendige Parlamentsreformen sowohl von den Entscheidungsträgern im Parlament, als auch von den sie beratenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern berücksichtigt werden.

Endnoten / Anmerkungen

[1] Bereits 1965 veranstaltete die Friedrich Naumann Stiftung in Baden-Baden eine Arbeitstagung zur „Macht und Ohnmacht von Parlamenten“. In den letzten Jahren erlebte die Fragestellung eine regelrechte Konjunktur, was sich nicht nur auf Presseberichterstattungen beschränkte, sondern den (politik-)wissenschaftlichen Diskurs vorantrieb: Prof. Rolf Wernstedt stellte im Februar 2007 in der Leibnizbibliothek Hannover die Frage nach der „Macht und Ohnmacht der Länderparlamente“ (www.gottfried-wilhelm-leibniz-gesellschaft.de/…/Wernstedt04.doc‎). Jüngst befragte auch das „Forum Politik“ von Deutschlandfunk und Phoenix im Mai 2013 die Fraktionsvorsitzenden der Fraktionen im Deutschen Bundestag zur „Macht und Ohnmacht der Parlamentarier“ (http://www.dradio.de/dlf/sendungen/forumpolitik/2106187).

[2] Lammert, Norbert (2011): „Parlamentarismus in der Bewährung“, in: Vorstand der Deutsche Vereinigung für Parlamentsfragen (Hrsg.): 40 Jahre Deutsche Vereinigung für Parlamentsfragen e.V.. Stenographisches Protokoll zur Veranstaltung vom 19. und 20. Mai 2010 im Deutschen Bundestag, S. 19-29. Baden-Baden: Nomos.

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