Herausforderungen demokratischer Governance in der Energie- und Klimapolitik

Die Energiewende benötigt als umfassendes Transformationsprojekt ein hohes Maß an Koordination, die verschiedene Sektoren und Ebenen miteinschließt, so Dr. Jörg Kemmerzell von der Technischen Universität Darmstadt. Trotz der Formulierung ambitionierter Ziele arbeiten die Institutionen und Prozesse zu Erreichung dieser Ziele langsam und ist der Koordinationsbedarf hoch. Kooperative Formen der Governance wie das Klimakabinett oder der Bund-Länder-Kooperationsausschuss können das Finden gemeinsamer Lösungen unterstützen, da sie sektorale oder parteipolitische Interessen nicht prämieren.

In einem im Mai 2023 der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gegebenen Interview plädiert der langjährige Landes- und Bundesminister Thomas de Maizière für eine umfassende Staatsreform. Er stellt fest, dass in Deutschland viel darüber debattiert wird, „wer was machen soll“, dabei aber die Frage, „wie es gemacht wird“, zu kurz kommt (FAZ 2023). Dieses Zitat verweist darauf, dass es in der Politik nicht an Zielsetzungen mangelt und auch nicht an der Zuschreibung von Verantwortlichkeit, wohl aber an einer geeigneten Governance, um diese Ziele umzusetzen.

Herausforderungen demokratischer Governance in der Energie- und Klimapolitik

Autor

Dr. Jörg Kemmerzell ist  wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der Technischen Universität Darmstadt. Er forscht im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanzierten Kopernikus Projekts „ARIADNE 2 – Evidenzbasiertes Assessment für die Gestaltung der deutschen Energiewende“ (FKZ 03SFK5L0-2) zur Governance der deutschen Energie- und Klimapolitik.

In einem im Mai 2023 der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gegebenen Interview plädiert der langjährige Landes- und Bundesminister Thomas de Maizière für eine umfassende Staatsreform. Er stellt fest, dass in Deutschland viel darüber debattiert wird, „wer was machen soll“, dabei aber die Frage, „wie es gemacht wird“, zu kurz kommt (FAZ 2023). Dieses Zitat verweist darauf, dass es in der Politik nicht an Zielsetzungen mangelt und auch nicht an der Zuschreibung von Verantwortlichkeit, wohl aber an einer geeigneten Governance, um diese Ziele umzusetzen. Das Problem zeigt sich in vielen Bereichen, in denen nachhaltiges Regieren gefordert ist. Dieses Essay illustriert dies an der Energie- und Klimagovernance in Deutschland, denn die Energiewende steht beispielhaft für ein umfassendes Transformationsprojekt, welches (eigentlich) ein hohes Maß an Sektoren und Ebenen übergreifender Koordination benötigt. Governance wird in diesem Zusammenhang als Begriff verwendet, der die Polity- mit der Politics-Dimension verbindet. Es soll also nicht in erster Linie um die Inhalte der Energie- und Klimapolitik gehen, sondern um politische Institutionen und Prozesse, in denen diese Governance stattfindet. Ausgehend von dieser Vorüberlegung soll Governance im Anschluss an Knodt (2005) als innerhalb eines institutionellen Kontexts stattfindende Koordination und Kooperation autonomer Akteure zur Herstellung politischer Entscheidungen definiert werden.

1. Ausgangsproblem: Ambitionierte Ziele und unsichere Wege

Die Aussage von Thomas de Maizière weist pointiert auf ein grundlegendes Problem von Entscheidungsprozessen im deutschen politischen System hin. Zur Bewältigung der meisten politischen Aufgaben erscheint das System „zu langsam, zu kompliziert, zu sektoral“ (FAZ 2023). Während es an der Formulierung ambitionierter politischer Ziele nicht mangelt, erscheinen die politischen Institutionen und Prozesse, die eine Realisierung dieser Ziele ermöglichen sollen, defizitär. Besonders offensichtlich wird dies bei einem langfristigen Transformationsprojekt wie der Energiewende. Auf der einen Seite fehlt es nicht an klar formulierten Zielsetzungen. So sieht das 2019 verabschiedete und 2021 erstmals novellierte Klimaschutzgesetz Treibhausgasneutralität bis zum Jahr 2045 vor und formuliert detaillierte Reduktionsziele für einzelne Sektoren bis zum Jahr 2030. Im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) wurde mit der letzten Novellierung 2023 das Ziel festgelegt, dass erneuerbare Energien bis 2030 80 Prozent des Bruttostromverbrauchs ausmachen sollen. Dies entspricht 600 TWh Strom, was mehr als einer Verdopplung gegenüber der aktuellen Stromerzeugung aus Erneuerbaren gleichkommt. Zudem zielt das Gebäudeenergiegesetz (GEG), in Verbindung mit dem Gesetz für die Wärmeplanung und zur Dekarbonisierung der Wärmenetze auf eine mittelfristige Umstellung der bislang weitgehend durch fossile Energien gesicherten Wärmeversorgung. Die Zielsetzungen der Klima- und Energiewendepolitik wurden also ziemlich deutlich formuliert und beruhen auch auf einem „diffusen Richtungskonsens“ (Czada 2022) in weiten Teilen der Bevölkerung.

Auf der anderen Seite ist es offensichtlich, dass die deutsche Politik bei der Zielerreichung zu langsam ist. Darüber geben erstens eher ernüchternde aktuelle Daten Auskunft: Der dritte Prüfbericht des Expertenrates für Klimafragen stellt eine nur teilweise Erreichung der Klimaziele für 2022 fest. So seien die Emissionen gegenüber 2021 zwar von 760 auf 746 Megatonnen CO2-Äquivalent um 1,9 Prozent gesunken, was allerdings auch auf konjunkturbedingte Sondereffekte zurückgeführt werden kann. In den Sektoren Verkehr und Gebäude erfolgte hingegen eine neuerliche Zielverfehlung, im Gebäudesektor sind die Zielsetzungen zudem in jedem Prüfjahr verfehlt worden (Expertenrat 2023). Auch beim Ausbau der Erneuerbaren zeigt sich eine erhebliche Lücke angesichts des Ausbauziels für 2030. So hat der Ausbau der Windkraft seit 2021 zwar wieder angezogen, liegt aber immer noch deutlich unterhalb eines Pfades zur Erreichung des Ausbauziels.

Zweitens deuten grundsätzliche Konflikte darauf hin, dass die Vielzahl der Akteure, die zur Erreichung der Klimaziele beitragen (müssen), unzureichend koordiniert und wenig abgestimmt handeln. Nicht zuletzt der heftige gesellschaftliche Konflikt um das GEG hat gezeigt, dass der diffuse Richtungskonsens keineswegs durch einen Konsens über die anzuwendenden Mittel ergänzt wird. Dieser dürfte in einer pluralistischen Demokratie weder empirisch erreichbar noch normativ wünschenswert sein. Allerdings stellt sich die Frage, inwiefern die bestehenden Governancestrukturen, also das wie in der Argumentation von de Maizière, effektiver Zielerreichung im Wege stehen, aber auch, welche positiven Elemente sich finden lassen.

2. Horizontale und vertikale Governanceprobleme in der Energiewendepolitik

Bevor spezifische Governanceprobleme der Energie- und Klimapolitik beschrieben werden, sollen kurz deren Rahmenbedingungen im politischen System benannt werden. Deutschland wird als „compound-polity“ (Schmidt 2006) und als „consensus democracy“ (Lijphart 2012) eingestuft, in der eine „Politik des mittleren Weges“ (Schmidt 2021) dominiert. Allerdings betont eine Reihe von Autoren eine Verschiebung der Governance im Energiesektor von der Dominanz neokorporatistischer und kooperativer hin zu stärker vernetzten oder hierarchischen Governanceformen, wobei letzteren oftmals eine komplementäre institutionelle Kompetenzausstattung fehlt (Benz 2019). Konsensbedarf besteht auch in der vertikalen Dimension des Bundesstaates, die durch eine besondere Form des kooperativen Föderalismus gekennzeichnet ist, die gemeinsame Entscheidungsfindung betont und eine funktionale Kompetenzverteilung anstelle einer ausschließlichen Zuweisung von Kompetenzen auf die Regierungsebenen vorsieht. Für die nationale Energiewendepolitik bedeutet dies, dass deren Erfolg wesentlich von der Zusammenarbeit des Bundes mit den Ländern abhängt. Zusammengefasst können zwei Dimensionen des Konsens- und damit Koordinationsbedarfs ausgemacht werden: horizontal die sektorübergreifende Koordination, vertikal die ebenenübergreifende Koordination.

Horizontaler Koordinationsbedarf besteht insbesondere dann, wenn sektorübergreifende politische Themen bearbeitet werden. Dies gilt unter der Bedingung wachsender Komplexität zunehmend für alle Policies, beim Thema Energie und Klima wird die Notwendigkeit einer integrierten Betrachtung sofort deutlich. Dem entspricht auch die Feststellung de Maizières: „Jeder schaut nur auf seinen Sektor. Auch in der Politik ist Silodenken verbreitet, aber die zentralen Themen sind Querschnittsthemen“ (FAZ 2023). Auf Ebene der Bundesregierung stehen einem sektorübergreifenden Ansatz allerdings zwei Hindernisse entgegen: die Parteienkonkurrenz und die Ressortautonomie, die ihrerseits leicht zum Ressortpartikularismus führen kann. Versuche, die Parteienkonkurrenz, die sich ja nicht nur im Verhältnis von Regierung und Opposition, sondern auch innerhalb von Koalitionsregierungen auswirkt, sowie den Ressortpartikularismus zu umgehen, laufen oftmals auf eine Zentralisierung von Kompetenzen oder auf eine technokratische Stärkung nichtmajoritärer Institutionen hinaus. Beide Varianten widersprechen im Grunde den institutionellen Rahmenbedingungen des politischen Systems und laufen Gefahr, Konflikte und Entscheidungsblockaden lediglich zu verlagern. Die Zentralisierungsvariante bezieht sich entweder darauf, das Bundeskanzleramt aufzuwerten und die Energie- und Klimapolitik auch institutionell als Chefsache abzusichern. Oder sie fordert, ein Ministerium in Energie- und Klimafragen zu einer Art Superministerium aufzuwerten (zu den verschiedenen Varianten siehe Flachsland et al. 2021). In beschränktem Maße hat die Ampelkoalition mit der Umwandlung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie zum Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) die zweite Möglichkeit gewählt, ohne damit jedoch das Koordinationsproblem zu lösen. Der gesellschaftlich eskalierte Konflikt um das im Wesentlichen im BMWK ausgearbeitete GEG hat gezeigt, dass die Notwendigkeit sektorübergreifender Abstimmung bei umfassenden energiepolitischen Maßnahmen auch durch Machtzuwachs des federführenden Ministeriums nicht entfällt. Ähnlich wäre die Konstellation auch bei einem Kompetenzzuwachs des Kanzleramtes. Hier würde noch das Problem hinzukommen, dass umfassende Sachkompetenzen nötig sind, die dort nicht ausreichend vorhanden sind. Außerdem besteht die Gefahr, dass das Kanzleramt stark in den parteipolitischen Konkurrenzkampf hineingezogen würde und letztlich sogar einen Autoritätsverlust erleiden könnte. Die technokratische Variante könnte zum Beispiel darin bestehen, den Expertenrat für Klimafragen durch die Kompetenz, der Regierung verbindliche Maßnahmen aufzuerlegen, aufzuwerten. Eine andere Möglichkeit wäre etwa die Schaffung neuer nichtmajoritärer Institutionen wie einer Zentralbank für den Emissionshandel auf europäischer Ebene. Hier stellt sich unmittelbar das Problem demokratischer Kontrolle, da die Kontestation von Entscheidungen solcher Gremien nicht in der elektoralen Arena stattfindet. Konflikte über Policies können also leichter zu Systemkonflikten werden, wie etwa die populistische Reaktion auf tatsächliche oder vermeintliche technokratische Entscheidungen zeigt (Selk et al. 2019).

Auch in der vertikalen Arena besteht hoher Konsensbedarf, denn einerseits liegt die energie- und klimapolitische Gesetzgebungskompetenz beim Bund, andererseits sind die Länder aber in weiten Teilen für die Umsetzung der Energiewende zuständig. So haben nicht zuletzt unterschiedliche landesrechtliche Regelungen zu einem unkoordinierten und unausgewogenen Ausbau erneuerbarer Energien geführt. So befindet sich ein sehr hoher Anteil an Windkraftanlagen in den norddeutschen Bundesländern, während v.a. die ost- und süddeutschen Länder durch die vom Bund gesteuerte Ausstiegspolitik aus Kernkraft und Kohle (Kemmerzell 2022) vor erheblichen strukturpolitischen Herausforderungen stehen. Diese Zentralisierung bei unzureichender Koordination wurde nicht zuletzt vom Bundesrechnungshof 2018 scharf kritisiert. Zusätzlich zum Förderregime für erneuerbare Energieanlagen durch das EEG wurde auch die Zuständigkeit für den überregionalen Netzausbau auf den Bund übertragen. Diese Form der auch hier anzutreffenden Zentralisierung führte allerdings zu „hierarchischer Politikverflechtung“ (Benz 2019). Diese hatte nicht die Auflösung von Konflikten zur Folge, etwa beim Bau neuer Stromtrassen wie Suedlink, sondern ein verändertes Rollenverständnis der Landesregierungen. So sind diese bei der Trassenplanung nun keine entscheidungsrelevanten Akteure mehr, die zwar mitentscheiden dürfen, dadurch Entscheidungen aber auch mittragen müssen. Im Gegensatz dazu nehmen sie nun durchaus lagerunabhängig, wie sich an den Beispielen Bayern und Thüringen zeigen lässt, die Rolle von Volkstribunen ein, welche Entscheidungsprozesse von außen begleiteten, Proteste verstärkten, und ggf. teure und ineffiziente Zugeständnisse erzwingen, etwa bei der Erdverkabelung von Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen.

Diese illustrativen Beispiele zeigen, dass der durchaus als lästig und teuer erscheinende Konsensbedarf sowohl horizontal als auch vertikal durch die Zentralisierung von Entscheidungskompetenzen und Hierarchisierung nicht verschwindet. Vielmehr zeigt sich eine Reproduktion von Abstimmungsproblemen oder eine Verlagerung von Konflikten. Daher stellt sich die Frage, welche Governanceformen zur Verfügung stehen, die weniger gegen die institutionellen Strukturen ausgerichtet sind als deren Funktionslogiken und die bestehenden Potenziale zur Kooperation positiv nutzen.

3. Beispiele kooperativer Formen der Energie- und Klimagovernance

Daher möchte ich kurz auf zwei konkrete Institutionen eingehen, die eher auf eine kooperative Form der Governance setzen. In der horizontalen Arena stellt der Kabinettsausschuss Klima (Klimakabinett) eine solche Institution dar, in dem alle klimaschutzrelevanten Ministerien eingebunden wurden. Das Klimakabinett wurde im Frühjahr 2019 eingerichtet, um den Klimaschutzplan 2030 auf den Weg zu bringen, womit die damalige Bundesregierung nicht zuletzt auf die Probleme bei der Erreichung der Klimaziele für 2020 reagierte. Energie- und Klimapolitik war in der Großen Koalition durch eine starke Parteien-, insbesondere aber auch Ressortkonkurrenz gekennzeichnet, wodurch Entscheidungen auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner angereizt wurden oder eine Verlagerung in nichtmajoritäre Institutionen erfolgte. So bei der sogenannten Kohlekommission, die einen Plan für den Ausstieg aus der Kohleverstromung und begleitende Maßnahmen erarbeitete. Das Klimakabinett kann als Reaktion auf die beiden hier identifizierten Probleme des Ressortpartikularismus und der koalitionsinternen Parteienkonkurrenz verstanden werden. Ressortpartikularismus wird dadurch abgemildert, indem beim Querschnittsthema Klimaschutz ein Rahmen für die gemeinsame Suche nach produktiven Lösungen bzw. die Bedingungen für „positive Koordination“ (Scharpf 2000) geschaffen wurde. Die breite Aufstellung in der Klimaschutzpolitik folgte der Erkenntnis, dass Klimaschutz aufgrund seines sektorübergreifenden Charakters nur schwerlich von einem Ministerium allein – damals dem Umweltministerium – verantwortet werden kann. Dem eigentlich federführenden Ministerium kamen somit zwar noch die Funktionen des agenda setting und der Koordination zu; die Politikformulierung und gemeinsame Verantwortung für das Politikergebnis, in dem Fall das Klimaschutzprogramm 2030, lagen aber beim Klimakabinett. Neben dem Ressortpartikularismus schwächte dessen Einrichtung auch die kompetitiven Effekte der Parteienkonkurrenz insoweit ab, dass eine konfrontative Haltung schwerer einzunehmen war, da von unterschiedlichen Parteien geführte Ministerien die Politikformulierung gemeinsam verantworteten. Zwar wurden die Ergebnisse des Klimakabinetts durchaus kritisch bewertet, z.B. da bei einigen Themen lediglich Kompromisse gefunden wurden, wie etwa bei der Einführung eines nationalen Emissionshandels. Allerdings enthielt das im September 2019 vorgelegte Eckpunktepapier durchaus auch Hinweise auf positive Koordination (ausführlicher dazu: Kemmerzell/Knodt 2019). Zudem sollte es als dauerhafte Einrichtung institutionalisiert werden, was von der Ampelkoalition allerdings nicht aufgegriffen wurde. Dies mag möglicherweise an der „Krisenpermanenz“ des Regierens (Korte 2022) liegen, welche der zeitaufwendigen Arbeitsweise eines kooperativen Gremiums widerspricht. Allerdings demonstrieren die manifesten Konflikte in Energie- und Klimafragen, wie am GEG gezeigt, dass diese nicht durch Aufbruchsrhetorik in Koalitionsverträgen verschwinden, sondern einer entsprechenden Governance bedürfen.

In der vertikalen Dimension wurde mit der EEG-Novelle 2021 ein Bund-Länder-Kooperationsausschuss eingerichtet, der eine bessere Abstimmung zwischen dem Bund und den Ländern sowie den Ländern untereinander beim Ausbau erneuerbarer Energien ermöglichen soll (Knodt/Kemmerzell 2022). Im Kooperationsausschuss kommen die zuständigen Staatssekretäre des Bundes und der Länder zusammen, um eine regelmäßige Abstimmung bei der Flächennutzungsplanung und bei Genehmigungsverfahren für Windkraftanlagen zu verbessern oder überhaupt erst zu initiieren. Vor allem die Realisierung des sogenannten Zwei-Prozent-Ziels des Wind-an-Land-Gesetzes (zwei Prozent der Landesfläche sollen bis 2032 für Windenergieanlagen bereitgestellt werden) sowie die gleichzeitig festgelegten vereinfachten Planungsverfahren erhöhten die Notwendigkeit der Konsensbildung in einem umstrittenen Feld. Die Verpflichtung der Länder zur aktiven Mitwirkung an der Zielerreichung und deren gleichzeitige Einbindung in die Entscheidungsfindung über den Kooperationsausschuss zeigt eine zumindest kleine Renaissance des kooperativen Föderalismus in der Energiewendegovernance an, die bislang eher von Nichtkoordination und zunehmenden Verteilungskonflikten geprägt wurde. Der Kooperationsausschuss legt seit Oktober 2021 jährliche Berichte über den Stand der erneuerbaren Energien vor. Diese leisten erstmals ein vergleichendes Monitoring, das nicht nur über die ausgewiesenen Flächen Auskunft gibt, sondern auch über Details wie laufende Genehmigungsverfahren, deren Dauer oder den Anteil beklagter Flächen. Angesichts dieser für eine koordinierte Weiterentwicklung der Energiewende unabdingbaren Daten mutet es beinahe kurios an, dass ein solches Gremium erst so spät geschaffen wurde. Eine vorläufige Analyse der bislang veröffentlichten Berichte des Kooperationsausschuss deutet darauf hin, dass es zu einer besseren Abstimmung der Ausbaupläne der Länder kommt und sich der Ausbau der Windenergie insgesamt langsam erholt. Zwar reichen die derzeitigen Flächenausweisungen in den Bundesländern noch nicht aus, um das Zwei-Prozent-Ziel zu realisieren, die Tendenz ist aber positiv.

Im Gegensatz zu Versuchen, Probleme der Energie- und Klimapolitik durch Zentralisierung der Governance zu bearbeiten, weisen das Klimakabinett und der Kooperationsausschuss auf die Potenziale der Kooperation hin. In einem Fall wurden zumindest Bedingungen für positive Koordination geschaffen, allerdings verfolgte die Ampelkoalition diesen Versuch bislang nicht weiter. Der Kooperationsausschuss stellt eine Institution dar, in der kooperatives Handeln im „Schatten der Hierarchie“ (Scharpf 2000) ermöglicht wird. Seine Einrichtung folgt auf Seiten des Bundes der Erkenntnis, dass zwar einseitige Entscheidungen möglich sind, diese aber zu Konflikten und damit suboptimalen Ergebnissen führen. Auf Länderseite ermöglicht er eine substanzielle Teilnahme an Entscheidungsprozessen, erzwingt kooperatives Verhalten jedoch insoweit, da der Bund prinzipiell in der Lage wäre auch allein zu entscheiden. Diese beiden Beispiele zeigen Optionen einer Staatsreform, die auf Zusammenarbeit der Akteure setzt und somit auch über ihren Gegenstand hinausweisen. Sie geben somit zumindest eine tendenzielle Antwort auf die von Thomas de Maizière aufgeworfene Frage nach dem wie, also nach der Gestaltung einer Governance, die nicht sektorale oder parteipolitische Interessen prämiert, sondern die Möglichkeit kooperativer Lösungen eröffnet.

Literatur

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Czada, R. 2022.  Konfliktlinien der Klimapolitik. Gesellschaft Wirtschaft  Politik (GWP), 71(2): 157-167. https://doi.org/10.3224/gwp.v71i2.05

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Flachsland, C., N. aus dem Moore, T. Müller, J. Kemmerzell, D. Edmondson, B. Görlach, M. Kalkuhl, M. Knodt, B. Knopf, S. Levi, G. Luderer, M. Pahle. 2021. Kurzdossier: Wie die Governance der deutschen Klimapolitik gestärkt werden kann, Potsdam: Kopernikus-Projekt Ariadne. https://ariadneprojekt.de/publikation/governance-der-deutschen-klimapolitik/

Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) 2023: Thomas de Maizière: Wir müssen uns daran gewöhnen, dass Krisen zur Normalität gehören. https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/thomas-de-maiziere-wir-sind-zu-langsam-und-zu-sorglos-18908490.html

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Korte, K.-R. 2022. Transformatives Regieren in Zeiten der Krisenpermanenz – ein Essay. dms – der moderne staat – Zeitschrift für Public Policy, Recht und Management, 15(2): 413-429. https://doi.org/10.3224/dms.v15i2.11

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Zitationshinweis

Kemmerzell, Jörg (2023): Herausforderungen demokratischer Governance in der Energie- und Klimapolitik, Essay, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online verfügbar: https://regierungsforschung.de/herausforderungen-demokratischer-governance-in-der-energie-und-klimapolitik/

This work by Jörg Kemmerzell is licensed under a CC BY-NC-SA license.

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