Klimaschutz – zivilgesellschaftliche Bewegung oder Elitenprojekt?

Fridays for Future hat das Thema Klimaschutz durch Proteste wirkungsmächtig auf die politische Agenda gesetzt. Doch wie zugänglich sind zivilgesellschaftliche Akteure wie Fridays For Future wirklich? Wer beteiligt sich und wer ist ausgeschlossen? Und welche Konsequenzen hat die Zusammensetzung der Engagierten für die Klimapolitik? Sinah Hartmann, die den Master Politikmanagement, Public Policy und öffentliche Verwaltung an der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen studiert, ist diesen Fragen nachgegangen.

Das Thema Klimaschutz bringt definitiv ein hohes Konfliktpotenzial mit sich). Die Maßnahmen, die benötigt würden, um die Klimaziele zu erreichen, würden den meisten Bürgerinnen und Bürgern erhebliche Opfer abverlangen. Einige fühlen sich in ihrem persönlichen Lebensstil angegriffen und bezeichnen den Klimaaktivismus als ein Elitenthema, das alle Lasten auf die „kleinen Leute“ abwälzt. Vor dem Hintergrund des offensichtlich großen und dringenden Handlungsbedarfes wirkt dies zunächst unverständlich

Klimaschutz – zivilgesellschaftliche Bewegung oder Elitenprojekt?

Autorin

Sinah Hartmann studiert den Master Politikmanagement, Public Policy und öffentliche Verwaltung an der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen. Zu ihren thematischen Schwerpunkten zählen soziale Ungleichheit und Teilhabe unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen an der (politischen) Öffentlichkeit. Dieser Essay ist im Rahmen des Seminars „Transformation politischer Partizipation in Deutschland – die Politik des Klimaschutzes“ von Dr. Kristina Weissenbach und Dirk Messner, Präsident des Bundesumweltamtes, entstanden.

Einleitung

Das Thema Klimaschutz bringt definitiv ein hohes Konfliktpotenzial mit sich (Klein et al. 2020). Die Maßnahmen, die benötigt würden, um die Klimaziele zu erreichen, würden den meisten Bürgerinnen und Bürgern erhebliche Opfer abverlangen. Einige fühlen sich in ihrem persönlichen Lebensstil angegriffen und bezeichnen den Klimaaktivismus als ein Elitenthema, das alle Lasten auf die „kleinen Leute“ abwälzt (ebd.). Vor dem Hintergrund des offensichtlich großen und dringenden Handlungsbedarfes wirkt dies zunächst unverständlich: Wie kann es sein, dass es Leute gibt, die die Forderungen der Klimaaktivisten nicht unterstützen? Liegt es wirklich an den inhaltlichen Aspekten oder geht es vielmehr um Zugang und Ausschluss, denn es stellt sich die Frage: Wie zugänglich sind zivilgesellschaftliche Akteure wie Fridays For Future wirklich? Wie niedrig ist die Schwelle?

Mit immer wärmeren und trockneren Sommern, Überflutungen und Dürren und immer kürzer werdenden Schneesaisons rückt der Klimawandel in der heutigen Zeit immer näher an die Lebensrealitäten der Menschen, auch in Mitteleuropa und weiteren Industrieländern (Klein et al. 2020). Nachhaltigkeit und Umweltschutz sind in aller Munde und es ist den meisten klar, dass Handlungsbedarf besteht. Über viele Jahre hinweg war besonders die Politik eher inaktiv, da der Klimawandel kein sonderlich mobilisierungsfähiges politisches Thema war (ebd.).

Das Resultat sind ein Mangel an tiefer Expertise und belastbarer Konzepte, es fehlte über Jahrzehnte das Problembewusstsein in und der Druck aus der Bevölkerung, das Thema gelangte nicht auf die politische Agenda (Klein et al. 2020). Doch seit einigen Jahren ist dieser Druck plötzlich da – getragen durch zivilgesellschaftliche Akteure wie Fridays For Future oder Ende Gelände. Insbesondere junge Leute fordern bei öffentlichen Protesten die Einhaltung der Klimaziele, den Ausstieg aus der Kohle und vor allem die Chance auf eine bessere Zukunft. Dabei werfen sie vorhergegangenen Generationen starke Versäumnisse vor und fordern ein Umdenken in der Gesellschaft (Fridays For Future/Ende Gelände Website). Heutige soziale Bewegungen verbreiten sich rasend schnell über Länder- und Kontinentalgrenzen hinweg und mithilfe von Web 2.0 können Millionen von Menschen gleichzeitig erreicht werden (Schade 2018). Neuere Forschungsansätze messen dem Web 2.0 im Bereich der sozialen Bewegungen und Netzwerke eine so hohe Bedeutung zu, dass sie mittlerweile zwischen konventioneller kollektiver Logik von Netzwerken, die sich digitale Medien zur Hilfe nehmen, und einer neuen konnektiven Logik unterscheiden, welche fast gänzlich auf den sozialen Medien und der digitalen Verbreitung von Informationen beruhen. Die Digitalisierung und Social Media verringen die Kommunikationskosten derart, dass eine Rekrutierung im Vergleich zu früher technisch gesehen immer leichter wird (Carson/Vromen 2018).

Es wird im Folgenden versucht, die genannten Fragen zumindest ansatzweise zu beantworten und schlussendlich noch zu beleuchten, welche Folgen ein möglicher Ausschluss statusschwacher Gruppen, welcher dann eben in jener Ablehnung der Protestforderungen gipfelt, für den Klimaaktivismus generell und die Umsetzung effektiver politischer Maßnahmen haben kann.

Zivilgesellschaftliche Akteure im Feld der Klimapolitik

Der menschengemachte Klimawandel erscheint zunächst als ein primär wissenschaftliches Thema, da die Forschung sich mit den Ursachen und möglichen Folgen befasst und Zahlen und Fakten liefert. Diese Fakten sind für die Handlungsempfehlungen zur Bekämpfung und Eindämmung der negativen Entwicklungen relevant (Schmidt 2012). Wissenschaftliche Daten allein schaffen es ohne öffentliche Aufmerksamkeit jedoch selten auf die politische Agenda, die möglichen Folgen eines menschengemachten Klimawandels sind schon länger bekannt und führten in der Vergangenheit zu wenig Aktivität in Bevölkerung und Politik (Klein et al. 2020). Als besonders relevanter Akteur im Feld der Klimapolitik stellt sich daher die Zivilgesellschaft heraus. Zivilgesellschaftliche Akteure vermitteln Informationen – z. B. über Massenmedien – an die breite Bevölkerung und beeinflussen somit die öffentliche Meinung (Schmidt 2012). Für die Kommunikation von Inhalten und Stellungnahmen sind sie unerlässlich. Zivilgesellschaftliche Akteure generieren Aufmerksamkeit und mobilisieren Unterstützung für ein bestimmtes Thema und erzeugen so Druck auf die politische Führung. Sie verfolgen mehrere Ziele und streben neben einer individuellen Bewusstseinsbildung und Verhaltensänderung innerhalb der Bevölkerung auch die Beeinflussung politischer Entscheidungen an (ebd.).

Wissenschaftlich wird die Zivilgesellschaft meist als kollektiver Akteur „jenseits von Staat und Markt“ betrachtet (Schmidt 2012: 71). Zivilgesellschaftliche Akteursgruppen werden häufig als Nichtregierungsorganisationen (NGOs) bezeichnet, es wird aber auch zwischen Bewegungen, Interessenorganisationen (pressure groups) und intermediären Organisationen gesprochen (Schmidt 2012). Schmidt beschreibt die politischen Ziele zivilgesellschaftlicher Akteure weiterhin wie folgt: „Viele zivilgesellschaftliche Akteure begreifen gesellschaftliche Probleme als Folge politischen (Nicht-)Handelns oder wirtschaftlicher Strukturen und sehen entsprechend Entscheidungsträger aus diesen gesellschaftlichen Teilsystemen in der Pflicht“ (2012: 72).

Die Bedeutung der Zivilgesellschaft

In der Politikwissenschaft besteht allgemeiner Konsens darüber, dass eine vitale, starke Zivilgesellschaft unerlässlich für eine funktionierende Demokratie ist. Der Soziologe und Philosoph Jürgen Habermas misst der Zivilgesellschaft sogar eine ganz zentrale Bedeutung zu und sieht sie als konstitutiv für die demokratischen Prozesse (Habermas 1992). Die Zivilgesellschaft bringt durch fairen, rationalen und öffentlichen Diskurs eine öffentliche Meinung hervor, die dann als Legitimationsmaß für jede politische Entscheidung fungieren soll. Gleichzeitig hat die Zivilgesellschaft den Auftrag, Problemlagen in allen Teilen der Gesellschaft aufzuspüren und dann lautverstärkend an das politische Zentrum weiterzugeben, sodass jede*r die Chance hat, Einfluss auf die Entscheidungen zu nehmen (ebd.). Zentral ist hierbei für Habermas ein allgemeiner Zugang zur zivilgesellschaftlichen Öffentlichkeit, hierfür fordert er einen starken Sozialstaat, der durch allgemeine Bildung und Unterstützung ansatzweise eine Chancengleichheit gewährleistet. Durch freiwillige gesellschaftliche Vereinigungen und Assoziationen sollen die Bürger*innen dann im politischen Diskurs zusammenkommen und sich engagieren (ebd.).

Besonders im Falle des Klimawandels hat die Zivilgesellschaft als Akteur eine herausragende Stellung eingenommen. Seit einigen Jahren – besonders seit dem Aufkommen von „Fridays For Future“ – schaffte es das Thema trotz jahrzehntelanger wissenschaftlicher Relevanz erstmals wieder wirklich auf die politische Agenda und in den öffentlichen Diskurs (Klein et al. 2020). Erst durch den Druck aus der Bevölkerung wurden politische Maßnahmen möglich, die vorher nicht im Gespräch waren. Über viele Jahre hinweg wurde politische Inaktivität im Bereich Klimaschutz von den Wähler*innen nicht bestraft und galt somit nicht als riskant, nun ist die Politik aber in Handlungszwang (ebd.).

Die Zivilgesellschaft hat die Macht, individuelle Verhaltensveränderungen bei der eigenen Basis und breiteren Bevölkerungskreisen zu initiieren, und betreibt gleichzeitig Informations- und Bewusstseinsbildung und kreiert eine kollektive Identität (Schmidt 2012).

Dadurch soll eine sogenannte bottom-up Veränderung erzielt werden, also eine Entwicklung, die von der Basis ausgeht und getragen wird, anstatt von der Regierung top- down auf die Bevölkerung übertragen zu werden (Schmidt 2012). Bottom-up Entwicklungen sind nachhaltiger und effizienter, da sie eine größere Unterstützung innerhalb der Bevölkerung haben. Diese Unterstützung ist besonders im Gebiet der Klimapolitik relevant, da klimapolitische Maßnahmen allen Bürger*innen gewisse Opfer abverlangen. Allerdings agieren nicht alle zivilgesellschaftlichen Akteure im Feld der Klimapolitik gleich und sind gleich erfolgreich mit ihrer Strategie. Diese Arbeit befasst sich vor allem mit Fridays For Future als besonders populäres Beispiel für eine soziale Bewegung. Soziale Bewegungen definiert Henriette Schade nach Diani (1992) wie folgt:

„A social movement is a network of informal interactions between a plurality of individuals, groups and/or organizations, engaged in a political or cultural conflict, on the bases of shared collective identity.“ (Diani 1992: 13, zitiert nach: Schade 2018: 43)

Dieter Rucht fügt 1994 noch hinzu, dass soziale Bewegungen immer mittels öffentlichem Protest sozialen Wandel herbeiführen, verhindern oder rückgängig machen wollen (Schade 2018). Im Bereich der Klimapolitik verfolgen Bewegungen wie Fridays For Future das klare Ziel, gesellschaftlichen Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit herbeizuführen.

Besonders soziale Bewegungen unterscheiden sich aber in der Konkretheit der Maßnahmen, die sie fordern. Manche Bewegungen wie z. B. Ende Gelände wollen das System im Ganzen verändern und berufen sich auch auf Antirassismus und Feminismus. Andere fordern konkret einen Kohleausstieg oder die Einhaltung der Klimaziele (Sommer et al. 2019). Außerdem sind soziale Bewegungen im Feld der Klimapolitik unterschiedlich stark organisiert und institutionalisiert. Sie nutzen verschiedene Protestformen, einige führen friedliche Proteste und Kundgebungen durch, andere rufen zu zivilem Ungehorsam auf und agieren in rechtlichen Grauzonen (Sommer et al. 2019) oder im strafrechtlich relevanten Bereich, indem sie sich auf Straßen kleben und diese blockieren oder Kunstwerke beschmutzen. Solche Aktionen bringen den Bewegungen mediale und öffentliche Aufmerksamkeit, sie ernten dadurch aber auch Kritik (Morling 2022).

Fridays For Future

Fridays For Future ist die wohl aktuell bekannteste klimapolitische soziale Bewegung. Sie entstand 2019 mit der Kernforderung, die auf dem Pariser Klimagipfel 2014 gesetzten Klimaziele zur Reduktion von CO2-Emmissionen einzuhalten (Sommer et al. 2019). Dies soll die maximale Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius begrenzen. Zwar hatten sich die Regierungen der teilnehmenden Länder bereits dazu bekannt, viele, unter anderem Deutschland, hinken aber bis heute deutlich hinterher (ebd.).

Fridays For Future verfolgt weitere ambitionierte Ziele, denn die Bewegung erwartet von sich selbst, ihrem Umfeld und im Endeffekt der gesamten Gesellschaft, einen ökologisch verträglichen Lebens- und Konsumstil zu adaptieren, auch wenn dieser mit Einschränkungen verbunden ist (Sommer et al. 2019). Dabei ruft die Bewegung selbst nicht zu Maßnahmen wie zivilem Widerstand auf, sondern beschränkt sich auf friedliche öffentliche Proteste. Allerdings zeigt sich die Bewegung durchaus solidarisch mit Gruppen wie Ende Gelände, die Maschinen und Gelände besetzen oder blockieren (ebd.). Fridays For Future verfügt über eine überregionale Koordination mit mehreren Arbeitsgruppen, auch zu Themen wie Finanzen und Kampagnen, ist also durchaus organisiert und durchstrukturiert (ebd.). Trotzdem sagt die Bewegung selbst, dass es keine Führungspersonen gäbe und sie sich als dezentrale Graswurzelbewegung sieht. Das bedeutet, dass sie bottom-up aus der Basis der Bevölkerung entstanden ist. Fakt ist allerdings, dass die bekannteste internationale Figur und quasi das Gesicht der Bewegung die Schwedin Greta Thunberg ist. Thunberg initiierte als Schülerin das wöchentliche „Streiken fürs Klima“ und hat heute über 20 Millionen Follower auf ihren Social-Media-Kanälen (Sorce 2022).

Fridays For Future rekrutiert auch identitätsbezogen und zieht vor allem junge Studierende an (Sorce 2022). Das Narrativ der Bewegung dreht sich um Zukunft, um die Rettung der Zukunft und die Chance auf eine bessere Zukunft für die junge Generation. Thunberg wird von Wissenschaftler*innen hierbei die Rolle eines „soft leaders“ zugesprochen, sie gilt als informeller „core actor“ im digitalen Netzwerk von Fridays For Future (Sorce 2022: 20).

Fridays For Future gilt nicht als rein digitale soziale Bewegung, nutzt aber extensiv digitale Ressourcen zur Mobilisierung und Rekrutierung, auch über Ländergrenzen hinweg (Sorce 2022).

Laut der eigenen Website bezeichnet die Klimastreik-Bewegung sich selbst als „international, überparteilich, unabhängig und dezentral organisiert“ und sagt sie konstituiere sich aus „alle[n], die für unser Klima auf die Straße gehen“. Fridays For Futurescheint also den Anspruch zu haben, möglichst repräsentativ und zugänglich zu sein. Auf der Website wird mit über 600 Ortsgruppen und über 5 Millionen Protestierenden geworben. Unter „Unsere Forderungen an die Politik“ lässt sich nachlesen, was die Bewegung konkret mit ihren Protestaktionen erreichen möchte. Sie beruft sich dabei auf das Pariser Klimaabkommen und die Einhaltung der 1,5 Grad Celsius als Hauptziel. Weitergehend wird explizit der Ausstieg aus der Kohle bis 2030 gefordert sowie eine CO2-Steuer auf alle Treibhausgasemmissionen, die den Kosten entspricht, die durch sie für zukünftige Generationen anfallen. Ebenfalls soll bis 2035 eine hundertprozentige erneuerbare Energieversorgung möglich sein. Zuletzt fordert Fridays For Future das Ende der Subventionen für fossile Energieträger und die Abschaltung von 25 % der Kohlekraft ab sofort.

Klimaschutz als Elitenprojekt?

Fridays For Future wirbt auf der eigenen Website mit über 5 Millionen Demonstrant*innen auf den Straßen, die für den Klimaschutz und die Einhaltung der Klimaziele mit allen notwendigen Maßnahmen protestieren.1 Giuliana Sorce spricht in einem ihrer Artikel sogar vom „Greta Effect“ und spricht diesem eine enorme Bedeutung zu: „Greta Thunberg has mobilized a generation […] drawing millions of young activists“ (2022: 18). Es ist die Rede von einer ganzen Generation auf der Straße, über Länder und Kontinentalgrenzen hinweg mobilisiert.

Gleichzeitig gibt es allerdings auch Kritik für die Forderungen und Protestformen vieler Klimaaktivist*innen (Klein et al. 2020). Wie repräsentativ sind die Demonstrant*innen der Fridays For Future-Streiks wirklich? Es steht der Vorwurf im Raum, der Einsatz für den Klimaschutz wäre nur etwas für das „kritisch-kreative“ und „jung-idealistische“ Milieu. Teile der Gesellschaft sehen zwar Handlungsbedarf, sind aber unzufrieden, wenn sie die Umsetzung der notwendigen Maßnahmen mit Blick auf Kostenverteilung und soziale Gerechtigkeit betrachten. Im populistischen Narrativ wird der Klimaschutz sogar zu einem „Elitenthema“ gemacht, bei dem alle Lasten auf die unteren sozialen Schichten abgewälzt werden sollen (ebd.).

Die soziale Zusammensetzung der Fridays For Future-Demonstrant*innen

Die wichtigsten Träger*innen der Fridays For Future-Freitagsproteste waren von Beginn an junge Schüler*innen, vorzugsweise Gymnasiat*innen, sowie Student*innen. Die 22-jährige Studentin Luisa Neubauer wurde zum deutschen Gesicht der Bewegung, sie passt laut Wissenschaftler*innen gut in das typische Milieu (Sommer et al. 2019). Vor allem formal höher gebildete Menschen mit überdurchschnittlichem Einkommen im Alter zwischen 30 und 50 Jahren gehen für den Klimaschutz in Deutschland auf die Straße, das haben Erhebungen und Befragungen gezeigt. Über 97 % der Demonstrant*innen sind in Deutschland geboren, die meisten von ihnen ordnen sich selbst der oberen Mittelschicht zu (ebd.). 82 % geben ein hohes bis sehr hohes Interesse für Politik an, das Motiv der Demonstrierenden ist vor allem Sorge um die eigene Zukunft. Sie sehen die Schuld für den Klimawandel in der Industrie und bei den Menschen selbst. Um die Probleme zu lösen, fordern sie laut Umfragen Verhaltensänderungen innerhalb der Gesellschaft, wie weniger Fleischkonsum, der Austausch von Plastik durch umweltfreundlichere Materialien, die Nutzung umweltfreundlicherer öffentlicher Verkehrsmittel oder des Fahrrads sowie den Kohleausstieg. Politisch ordnen sich die meisten Befragten eher links ein, viele sympathisieren mit der Partei Die Grünen (ebd.).

Weltweit gab es vier globale Klimastreiks im Jahr 2019. In 185 Ländern gingen bei ca. 6000 Demonstrationen rund 7,6 Millionen Menschen auf die Straße (Neuber et al. 2020). Auch hier wird deutlich, dass Fridays For Future dem Image der von Schüler*innen aller Schichten getragenen Jugendbewegung nicht gerecht wird. Auch in anderen Ländern werden die Demonstrationen von Menschen mit formal hohem Bildungsstand dominiert, über 50 % der Teilnehmenden sind angehende Akademiker*innen oder haben bereits einen Universitätsabschluss, in manchen Ländern sind es sogar über 75 % (Neuber et al. 2020). Da mindestens die Hälfte der Oberschicht oder der oberen Mittelschicht angehören, liegt eine deutliche Überrepräsentation des finanzkräftigen Teils der Gesellschaft vor, auch international. Wie häufig bei sozialen Bewegungen und Demonstrationen ist auch der politisch engagierte Teil der Bevölkerung stark überrepräsentiert, da allein in Deutschland rund 98 % der Teilnehmer*innen wählen gehen (ebd.). Die tatsächliche Wahlbeteiligung lag in Deutschland bei der letzten Bundestagswahl 2021 bei rund 76,6 %.2 Jeder fünfte Beteiligte ist zivilgesellschaftlich in Umweltverbänden aktiv.

Es ergibt sich ein klares Bild: Der typische Fridays For Future-Demonstrant ist hochgebildet, politisch links und kommt aus der oberen Mittelschicht (Neuber et al. 2020).

Klimaschutz als Spaltungsthema

Die Zahlen und Ausführungen im vorherigen Kapitel haben deutlich gemacht, dass die Fridays For Future-Demonstrierenden in den wenigsten Fällen ein repräsentatives Abbild der Gesamtbevölkerung darstellen. Die nicht vertretenen Bevölkerungsgruppen stellen sich teilweise sogar scheinbar aktiv gegen die Forderungen der Demonstrant*innen und lehnen die Klimabewegung grundlegend ab. Wie kann das sein?

Grund dafür ist das hohe Konfliktpotenzial des Themas. Unterschiedliche Bevölkerungsschichten sind von den notwendigen Maßnahmen unterschiedlich stark betroffen: Während einige große Opfer bringen müssen, ändert sich für andere kaum etwas (Klein et al. 2020). Mittlere und niedrige Einkommen werden relativ zu ihrem Nettovermögen von vielen klimapolitischen Maßnahmen unverhältnismäßig stark betroffen sein (ebd.). Gleichzeitig fühlen sich diese Leute häufig persönlich in ihrem Lebensstil angegriffen und daher ausgeschlossen, da soziale Zugehörigkeit und Identität bei der Bewertung des Themas auch eine Rolle spielen. Es droht laut Wissenschaftler*innen die Gefahr einer destruktiven Polarisierung des Diskurses und einer gesellschaftlichen Spaltung (Klein et al. 2020). Klimaschutz ist für viele ein sensibles und emotionales Thema, doch die Forderungen wie Kohleausstieg, Verzicht auf Fleisch und Plastikprodukte und die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel treffen besonders untere gesellschaftliche Schichten. Arbeiterfamilien, deren Hauptverdiener*innen in der Industrie beschäftigt sind, sowie Menschen auf dem Land mit schlechtem Anschluss an öffentliche Verkehrsmittel haben kaum eine Wahl und fürchten um ihre Existenz und ihren Anschluss zur Gesellschaft.

Der Ausschluss sozial schwacher Gruppen

Bereits Jürgen Habermas sah in seinen Werken zu Deliberation und Öffentlichkeit die Bedeutung einer starken Zivilgesellschaft, da nur durch diese zwischen Privatleuten und Staatsgewalt vermittelt werden könnte. Nur durch das kollektive Engagement in zivilgesellschaftlichen Institutionen hätten Privatleute wirklich Einfluss auf politische Entscheidungen und könnten sich selbst Gehör verschaffen (Habermas 1992: 436ff.). Hierfür ist es Voraussetzung, dass die Zivilgesellschaft repräsentativ für die Gesamtgesellschaft steht und den Willen der Bevölkerung widerspiegelt (ebd.). Bei Betrachtung von Fridays For Future als Beispiel für eine soziale Bewegung und einen zivilgesellschaftlichen Akteur im Feld der Klimapolitik wird allerdings deutlich, dass die Gruppe der formal niedrig Gebildeten sowie die der Menschen aus Unterschicht und Arbeiterklasse stark unterrepräsentiert sind. Wieso gehen diese Menschen nicht für den Klimaschutz auf die Straße und schließen sich den jungen Demonstrant*innen an?

Politikverdrossenheit in unteren Schichten

Das Problem der Politikverdrossenheit in unteren gesellschaftlichen Schichten ist bereits länger bekannt. Es äußert sich in Form von mangelnder Wahlbeteiligung und Unterrepräsentation dieser Bevölkerungsgruppe in Parteien und sozialen Bewegungen. So teilen sich beispielsweise Wähler*innen und Nichtwähler*innen ganz klar in unterschiedliche Milieus auf, sodass eine abnehmende Wahlbeteiligung vor allem auch eine abnehmende politische Repräsentation unterer Schichten bedeutet (Kahrs 2015). Menschen, die sich sozial und wirtschaftlich abgehängt fühlen, engagieren sich immer weniger politisch. Gründe dafür gibt es mehrere. So liegt das wachsende Desinteresse an Politik innerhalb der Unterschicht wohl an der Einstellung zu Politiker*innen und Politik selbst. Viele Menschen aus unteren gesellschaftlichen Schichten sind der Meinung, die Politik habe den Bezug zu ihrer Lebensrealität verloren, und sie schätzen die Probleme, die öffentlich diskutiert werden als weniger prekär als ihre persönlichen Probleme ein. Ihrer Meinung nach haben Politiker*innen kaum noch Gehör für die Anliegen der einfachen Bevölkerung (Kahrs 2015). Gleichzeitig bieten Parteien und Organisationen aber ihre Wahlkampfaktivitäten auch vor allem dort an, wo sie auf hohe Nachfrage stoßen. Auch soziale Bewegungen meiden die sogenannten „Problemviertel“, da dort erfahrungsgemäß ein ablehnendes Klima herrscht (ebd.).

Allerdings braucht es bekanntlich für das Engagement in Bewegungen und das Demonstrieren auf der Straße nicht zwangsläufig ein großes Vertrauen in die politische Führung. Im Gegenteil, häufig dienen eben jene Demonstrationen als Kritik an Politiker*innen und deren Entscheidungen. Es braucht lediglich Vertrauen in die eigene Wirkungsmacht, welche Menschen aus unteren Schichten jedoch häufig fehlt. Die betroffenen Bürgerinnen und Bürger gehören zu einer Unterschicht, die sich kaum noch Aufstiegschancen ausrechnet (Kahrs 2015). Sie befürchten, das Ergebnis von Wahlen und politischen Entscheidungsprozessen stehe sowieso bereits fest und ihre Stimme habe sowohl auf dem Wahlzettel als auch auf der Straße keinen Einfluss. Diese Einstellung könnte laut der Rosa-Luxemburg-Stiftung auch mit der Entwertung traditioneller beruflicher Qualifikationen durch die Globalisierung zusammenhängen (ebd.). Die Entwertung der Berufe bedeute für viele auch eine gleichzeitige Abwertung der daran gebundenen sozialen Positionen. Der Soziologe Axel Honneth betont konkret die Bedeutung der Selbstachtung für die Demokratie (Honneth 2021). Selbstachtung erlernen Menschen nur dann, wenn sie die Erfahrung machen, dass ihre Stimme Gewicht hat. Besonders im Niedriglohnsektor ist daher seiner Meinung nach eine Demokratisierung der beruflichen Sphäre notwendig, die den Menschen Vertrauen und Identifikation mit dem demokratischen System nahebringt (ebd.). Durch die Konzentration der Perspektivlosen an einem Ort, wie es in sozialen Brennpunkten häufig der Fall ist, fehlt den Menschen die Motivation sich zu engagieren. Letztlich weist Honneth auch darauf hin, dass politische Aktivität Zeit in Anspruch nimmt. Besonders für Menschen, die täglich viele Stunden bezahlt oder unbezahlt arbeiten, ist die Zeit für freiwilliges Engagement ein Luxus, den sie sich nicht immer leisten können. Informationsbeschaffung, Austausch mit anderen und teilweise auch Reisezeit und -kosten sind für Teile der arbeitenden Bevölkerung schwer zu leisten (Honneth 2021). All diese Einflüsse führen zu einer generellen Politikverdrossenheit und einem Desinteresse in unteren gesellschaftlichen Schichten.

Der Einfluss der Digitalisierung

Die Digitalisierung hat die politische Kommunikation und die Logik der Interaktion nachhaltig verändert. Heute benutzen die meisten Bürger*innen täglich digitale Netzwerke, auch um politische Diskussionen zu führen, ihre Meinung zu verbreiten und sich politisch zu engagieren (Carson/Vromen 2017). Das Internet hat die Organisation von und die Mobilisierung zu Protesten, Bewegungen und Kampagnen stark vereinfacht, da die digitale Kommunikation schneller, direkter und kostenärmer ist.

Das ursprüngliche Konzept von collective action, also kollektiver Mobilisierung, bei dem aus der Bevölkerung heraus kollektive Netzwerke entstehen, welche stark koordiniert sind und digitale Strukturen nur unterstützend nutzen, wird immer mehr durch connective action ersetzt (Carson/Vromen 2017). Kollektiv agierende zivilgesellschaftliche Akteure haben eine formale Führung und besitzen Ressourcen, mit denen Kampagnen organisiert werden können. Es braucht eine starke kollektive Identität für die Mobilisierung von kollektivem Engagement, da die Kosten dafür relativ hoch sind. Konnektive Netzwerke hingehen entstehen in ihrer extremen Form, den crowd-enabled networks, eher spontan (Bennett/Segerberg 2012). Die Teilnehmer*innen sind nur lose aneinander und das Netzwerk gekoppelt, die Hürden, um teilzunehmen sind vergleichsweise niedrig und erfordern kein weiterführendes Engagement oder eine starke gemeinsame Identität. Diese Netzwerke nutzen Social Media für einen Großteil ihrer Kommunikation und mobilisieren meist spontan und führungslos (Bennett/Segerberg 2012). Die Digitalisierung ermöglicht eine politische Meinungsäußerung und die Unterstützung bestimmter Bewegungen von überall aus, ohne dass man regelmäßige Treffen oder anderweitige Verpflichtungen wahrnehmen muss (Carson/Vromen 2017). Spontane Versammlungen können online geplant werden, ohne dass es dafür eine Mitgliedschaft oder feste Koalitionen braucht. Somit ermöglicht die Digitalisierung eine neue konnektive Logik innerhalb von Netzwerken und sozialen Bewegungen, die Zugang und Beteiligung scheinbar einfacher und zugänglicher macht (ebd.). Gleichzeitig sehen Wissenschaftler*innen auch negative Folgen der Digitalisierung für die politische Partizipation besonders benachteiligter gesellschaftlicher Gruppen. So warnt Jürgen Habermas vor der Masse an Privatmeinungen, die im Internet verbreitet werden und eben nicht die öffentliche Meinung abbilden, da sie keinen rationalen gemeinsamen Filterungsprozess durchlaufen haben (Habermas 2021). Die Tatsache, dass im Internet al.le Bürger*innen zu Autor*innen werden können, sieht er negativ, da es eine große Verantwortung sei und die Journalist*innen in ihrer Gatekeeping-Funktion wegfallen, sodass Aussagen nicht auf Richtigkeit geprüft werden (ebd.).

Der Soziologe Hartmut Rosa warnt vor allem vor Echokammern und getrennten Lebensrealitäten, er sieht die soziale Segregation in Bezug auf Wohnlagen, kulturelle Angebote, Schulen und Geschäfte sehr kritisch und ist der Meinung, diese Entwicklung spiegele sich auch in der Mediennutzung wider (Rosa 2021). Unterschiedliche Milieus nutzen unterschiedliche Medien, schauen andere Formate, die sich vor allem qualitativ unterscheiden. Vor allem die unteren gesellschaftlichen Schichten entfernen sich laut Rosa durch den Medienwandel immer mehr vom politischen Zentrum (ebd.). Er warnt davor, soziale Medien als digitalen Begegnungsraum für alle Bevölkerungsschichten und -gruppen zu sehen, da durch den Einsatz von Algorithmen Inhalte gefiltert werden, um Rezeptionsgewohnheiten von Nutzer*innen zu bestätigen. Dies befördere die Verfestigung etablierter Haltungen und Weltbilder, so werden auch mediale Räume immer ausdifferenzierter (Rosa 2021). Habermas hält die damit einhergehende Untergrabung gesellschaftlicher Reflexionsfähigkeit für problematisch und warnt vor der Wirkung sich verstärkender homogener Meinungen (Habermas 2021).

Beide Wissenschaftler sind also der Meinung, dass das Web 2.0 seine emanzipierenden Versprechen nicht gänzlich einhalten kann und dass besonders für Menschen mit geringer formaler und politischer Bildung die Gefahr eines weiteren Ausschlusses und einer Radikalisierung besteht (Rosa 2021). Somit erreichen politische Bewegungen auch online eher die gewohnte Zielgruppe, Menschen anderer Schichten werden vor allem mit der eigenen Meinung konfrontiert und begegnen durch Algorithmen eher Gleichgesinnten. Dadurch sinkt der gemeinsame Austausch aller Schichten, welcher eine Deradikalisierung und Annäherung bedeuten könnte (ebd.). Fridays For Future benutzt soziale Medien extensiv für Zwecke der Informationsverbreitung und Mobilisierung (Sorce 2022). Es besteht demnach allerdings die Gefahr, auch über Social Media nur eine homogene Gruppe von Menschen anzusprechen.

Folgen für effektive Klimapolitik

Besonders im Feld der Klimapolitik sind gesellschaftlicher Zusammenhalt und zivilgesellschaftliches Engagement gefragt. Deutschland muss, um den Klimawandel effektiv zu bekämpfen, bestimmte politische Entscheidungen treffen und Maßnahmen einführen, die einen negativen Einfluss auf das Leben bestimmter Bevölkerungsgruppen haben werden (Peters 2021). Besonders finanzielle Belastungen, schlechtere Jobperspektiven im Niedriglohnsektor und ein Zurückstecken in Bezug auf Lebens- und Konsumgewohnheiten werden Folgen sein, mit denen vor allem untere gesellschaftliche Schichten zu kämpfen haben werden (ebd.). Dies ist ein Grund für den Widerstand bei Menschen mit ökonomischen und kulturellen Verlustängsten, also der Unterschicht. Die Klimapolitik rüttelt am gesellschaftlichen Zusammenhalt (Peters 2021). In Deutschland wächst die Schere zwischen arm und reich, was sich weiterhin negativ auf die gesellschaftliche Solidarität auswirkt, denn sehr ungleiche Gesellschaften haben tendenziell einen geringen Zusammenhalt (Pinzler 2021). Das Thema Klimaschutz birgt daher ein hohes Spaltungs- und Konfliktpotenzial; hier müsste nun eine starke Zivilgesellschaft einspringen und die Problemlagen aller Bevölkerungsschichten hörbar machen und diskutieren. Zivilgesellschaftliche Akteure müssten eine zentrale Rolle dabei spielen, auf die Schnittstellen zwischen Klimaschutz und sozialer Ungleichheit aufmerksam zu machen und diese mit politischen Forderungen zu verbinden (Klein et al. 2020). Es bräuchte ein gelungenes Konzept demokratischer Strukturen, offene Debatten und engagierte zugängliche zivilgesellschaftliche Akteure (ebd.).

Fridays For Future wäre als größte soziale Bewegung im Feld der Klimapolitik ein solcher zivilgesellschaftlicher Akteur, der Brücken bauen könnte. Jedoch hat diese Arbeit bereits gezeigt, dass die Zusammensetzung der Demonstrant*innen außerordentlich sozial homogen ist und dem Klischee der jungen Akademiker*innenbewegung tatsächlich größtenteils gerecht wird. Fridays For Future rekrutiert sich vor allem aus der akademischen oberen Mittelschicht und übersieht dabei scheinbar die Alltagsprobleme sozial schlechter Gestellter (Hupke 2021). Der Bewegung wird soziale Blindheit vorgeworfen, denn wenn durch die Klimapolitik steigende Mieten und sinkende Reallöhne das Leben der Menschen belasten, erscheinen ihnen diese Probleme drängender als der Klimawandel (Hupke 2021). Es braucht positive Klimaschutznarrative, auch von sozialen Bewegungen wie Fridays For Future. Narrative, die den persönlichen Lebensstil von Menschen als falsch oder destruktiv bezeichnen, werden oftmals von diesen Leuten abgelehnt, auch unterbewusst (Peters 2021). Umfragen auf Demonstrationen haben ergeben, dass viele Teilnehmer*innen der Gesamtgesellschaft eine Schuld am Klimawandel und am Verfehlen der Klimaziele geben. So fordern sie beispielsweise den Verzicht auf Fleischkonsum und die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem Fahrrad (Sommer et al. 2019). Diese Forderungen kritisieren und treffen gerade den Lebensstil der Unterschicht: Klimafreundliche Ernährung ist teuer und die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel zum Teil ebenso. Gleichzeitig ist eine gute Anbindung besonders auf dem Land nicht immer gegeben, hier sind die Menschen auf ihre Autos angewiesen, um Teil des sozialen Lebens zu bleiben und ihrer Arbeit nachzugehen.

Die Klimabewegung liefert in diesem Fall keine Alternativen. Sie kritisiert und fordert, aber schlägt die Brücke zwischen Klimazielen und sozialer Ungleichheit nicht. So kritisiert auch der ehemalige Fridays For Future-Demonstrant Clemens Traub die Bewegung als Antriebsfaktor der sozialen Spaltung (Traub 2020). Er bezeichnet sie als „Rebellion der Privilegierten“ und hält sie für zu homogen, abgehoben und elitär (ebd.). Nur wem es materiell gut geht, der hat die Möglichkeit, Klimaschutz als wichtigstes politisches Thema zu betrachten und alles andere dem unterzuordnen. Untere soziale Schichten werden von Fridays For Future als Klimasünder gebrandmarkt, womit die Bewegung den ohnehin schon fragilen Zusammenhalt in der Gesellschaft aufs Spiel setzt (Traub 2020). Forderungen zur Rettung des Klimas müssten sozial ausgewogen sein, denn zurzeit geht der gesamte klimapolitische Diskurs auf allen Ebenen an der Lebensrealität vieler Menschen komplett vorbei, was dann bei diesen eben zu Desinteresse und Ablehnung führt und die Bewegung noch weniger repräsentativ macht (Traub 2020). Bildungsferne Schichten sind schwer für eine Politik zu gewinnen, von deren Vorteilen sie nichts merken. Daher braucht es ausgleichende Maßnahmen zur Finanzierung der Klimaziele (Peters 2021). Um eine effektive Klimapolitik durchsetzen zu können, braucht es eine breite Unterstützung innerhalb der Bevölkerung, bestenfalls durch alle Schichten hinweg (ebd.). Hierfür müssen soziale Bewegungen für alle Schichten zugänglicher werden, auch durch positivere Narrative.

Fazit

Warum also engagieren Menschen aus unteren Schichten sich nicht in zivilgesellschaftlichen Bewegungen klimapolitisch? Warum lehnen sie teilweise die Forderungen von Akteuren wie Fridays For Future sogar ab und welche Konsequenzen hat dies für eine effektive Klimapolitik?

Zunächst hat sich gezeigt, dass soziale Bewegungen im Feld der Klimapolitik ihrem Anspruch der Inklusivität und Repräsentation nicht nachkommen können. Fridays For Future rekrutiert und mobilisiert vor allem Menschen aus der Ober- und oberen Mittelschicht. Es sind meistens angehende oder bereits vollwertige Akademiker*innen, die die Schuld für den Klimawandel hauptsächlich bei Industrie, Politik und Gesellschaft sehen (Sommer et al. 2019/Neuber et al. 2020). Sie fordern vor allem den Ausstieg aus der Kohle, den Verzicht auf Fleisch und Plastik und die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln und Fahrrädern statt Autos (ebd.). Diese Forderung treffen besonders den Lebensstil vieler wirtschaftlich schlecht gestellter Menschen. Sie sind – besonders auf dem Land – auf ihr Auto angewiesen, arbeiten im Niedriglohnsektor und fühlen sich zu „Klimasündern“ herabgestuft. Für sie überwiegen Sorgen über steigende Miet- und Gaspreise, die als Folge der Klimapolitik auf sie zukommen (Peters 2021).

Gleichzeitig sind soziale Bewegungen generell nicht sehr zugänglich für Menschen aus unteren gesellschaftlichen Schichten. Das liegt zum einen an einer örtlichen Distanz. Denn politische Akteure rekrutieren und mobilisieren vor allem in Gegenden, in denen sie viel Zuspruch bekommen (Kahrs 2015). Die Anreise zu Veranstaltungen ist für viele Menschen in prekären finanziellen Situationen schwierig und lokale Präsenz in sozialen Brennpunkten zeigen Parteien, Gewerkschaften und andere zivilgesellschaftliche Akteure eher selten. Dadurch fehlt diesen Menschen der Bezug zu politischer Aktivität und sie entwickeln Desinteresse und Politikverdrossenheit (ebd.).

Die Kombination aus der generellen Politikferne vieler Menschen aus unteren gesellschaftlichen Schichten und den Forderungen des Klimaaktivismus, die explizit den Lebensstil dieser Bevölkerungsschicht kritisieren und teilweise keine Rücksicht auf soziale Ungleichheit nehmen, führt zu einer Ablehnung der Forderungen und der Bewegung selbst (Traub 2020). Den Weg zu effektiver Klimapolitik erschwert dieser Umstand sehr, da bereits Habermas einer vitalen und engagierten Zivilgesellschaft eine große Bedeutung im demokratischen Prozess zugewiesen hat (Habermas 1992). Den Klimawandel zu bewältigen, erfordert gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt, dieser ist aber in einer ungleichen Gesellschaft nicht gegeben (Hupke 2021). Der Teufelskreis von wenig Repräsentation und aufgrund dessen dann sozialer Blindheit verstärkt diese Tendenzen weiter und verhärtet die Fronten. Eine gespaltene Gesellschaft ist machtlos, wenn die zivilgesellschaftlichen Institutionen ihre Fähigkeit verlieren, alle Bevölkerungsschichten zu repräsentieren und deren Probleme zu thematisieren.

Auch die heutzutage mögliche Vernetzung über soziale Medien kann diese Entwicklung nicht gänzlich umkehren. Für zivilgesellschaftliche Akteure ist es zwar einfacher, konnektive Netzwerke zu bilden und Mitglieder zu rekrutieren, allerdings erreichen sie auch online eher Gleichgesinnte und es bilden sich Echokammern und Filterblasen, die unteren Schichten nach wie vor den Zugang verwehren und zu Radikalisierung und Entfremdung führen können (Habermas 2021/Rosa 2021/ Carson/Vromen 2017).

Literatur

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Zitationshinweis:

Hartmann, Sinah (2024): Klimaschutz – zivilgesellschaftliche Bewegung oder Elitenprojekt?, Student Paper, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online Verfügbar: https://regierungsforschung.de/klimaschutz-zivilgesellschaftliche-bewegung-oder-elitenprojekt/

This work by Sinah Hartmann is licensed under a CC BY-NC-SA license.

  1. Alle Informationen in diesem Abschnitt stammen von der offiziellen deutschen Internetseite der Bewegung Fridays For Future: Startseite | Fridays for Future, zul. Abgerufen am 07.03.2023 to the street worldwide“ (Sorce 2022: 18). []
  2. Quelle: Der Bundeswahlleiter, Bundestagswahl 2021: Endgültiges Ergebnis – Der Bundeswahlleiter, zuletzt aufgerufen: 09.03.2023 []

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