Kommunen als Transformationsantreiber: Die Wasserstoffwende in Hamm

Wie kann die klimaneutrale Transformation gelingen? Dr. Gordian Ezazi, der als Referatsleiter im Büro des Oberbürgermeisters der Stadt Hamm Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung betreut, erläutert am Beispiel der Wasserstoffwende in Hamm, welchen Beitrag Kommunen zum Gelingen der Energiewende leisten können. Denn bei der Herstellung, Nutzung und dem Transport von Wasserstoff sind Kommunen bereits heute Vorreiter.

Die Herstellung und Nutzung von grünem Wasserstoff ist für die klimaneutrale Transformation der deutschen Wirtschaft von herausragender Bedeutung. Das Praxisbeispiel der nordrhein-westfälischen Stadt Hamm verdeutlicht, welche Impulse Kommunen beim Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft geben können und was vor Ort benötigt wird, damit die Energiewende gelingt.

Kommunen als Transformationsantreiber: Die Wasserstoffwende in Hamm

Autor

Dr. Gordian Ezazi ist Referatsleiter im Büro des Oberbürgermeisters der Stadt Hamm. Dort betreut er schwerpunktmäßig Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung. Zuvor war er wissenschaftlicher Referent der SPD-Fraktion im Landtag Nordrhein-Westfalen und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der Universität Duisburg-Essen.

Bei dem vorliegenden Beitrag handelt es sich um eine überarbeitete und erweiterte Fassung eines in der spw Heftnummer 1, Jahrgang 2023, Ausgabe 254 unter dem Titel „An der ‚grünen Steckdose‘ in Hamm. Transformation im westfälischen Ruhrgebiet“ zusammen mit Marc Herter veröffentlichten Aufsatzes.

Die Herstellung und Nutzung von grünem Wasserstoff ist für die klimaneutrale Transformation der deutschen Wirtschaft von herausragender Bedeutung. Das Praxisbeispiel der nordrhein-westfälischen Stadt Hamm verdeutlicht, welche Impulse Kommunen beim Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft geben können und was vor Ort benötigt wird, damit die Energiewende gelingt.

Grüner Wasserstoff – und andere Farben

Grüner Wasserstoff wird durch die Elektrolyse von Wasser hergestellt. Der für die Herstellung von grünem Wasserstoff benötigte Strom wird aus erneuerbaren Energiequellen (Wind, Sonne, Biomasse) gewonnen. Obwohl Wasserstoff ein farbloses Gas ist, werden die unterschiedlichen Herstellungsweisen von Wasserstoff farblich unterschieden. Neben dem grünen gibt es beispielsweise noch grauen Wasserstoff, der aus fossilen Brennstoffen wie Erdgas, Kohle oder Öl erzeugt wird und in der industriellen Fertigung am häufigsten zur Anwendung kommt, sowie blauen, türkisen, gelben oder violetten Wasserstoff. Bei blauem Wasserstoff handelt es sich um grauen Wasserstoff, bei dem das entstehende CO2 (Kohlenstoffdioxid) unterirdisch verpresst wird (Carbon Capture and Storage, kurz CCS). Türkiser Wasserstoff ist das Ergebnis der Pyrolyse, der thermischen Spaltung des Gases Methan. Auch diese Herstellungsart ist in der Regel nicht klimaneutral. Bei der Erzeugung von gelbem und violettem Wasserstoff wird der zur Elektrolyse von Wasserstoff benötigte Strom aus Atomenergie gewonnen – womit die Herstellung in Deutschland ausgeschlossen ist. Der Förderfokus der Bundesregierung und Nationalen Wasserstoffstrategie liegt ganz klar auf grünem Wasserstoff, da er klimaneutral hergestellt wird. Im Folgenden wird also, wenn von Wasserstoff die Rede ist, auf grünen Wasserstoff Bezug genommen.

Treibstoff der Energiewende

Der Energieträger Wasserstoff lässt sich gut und im Vergleich zu Strom lange speichern und ist in vielen Bereichen einsetzbar. Um nur einige wenige Beispiele zu nennen: Mit Wasserstoff können Fahrzeuge und Maschinen betrieben oder Werkstoffe wie Stahl fast klimaneutral hergestellt werden (vgl. Rößiger 2022). Für die Stahlerzeugung sind große Mengen Wasserstoff notwendig. Thyssenkrupp in Duisburg ist ein prominentes Beispiel für die Neuausrichtung dieser Schlüsselindustrie. Wasserstoff kann überdies, wie aktuelle Debatten zum Heizungsgesetz verdeutlichen, zum Heizen verwendet werden. Die Anschaffungs- und Betriebskosten für Wasserstoffheizungen sind aktuell allerdings noch hoch – was auch eine Folge von fehlendem Wasserstoff bzw. dessen hohen Produktionskosten ist.

Der industrielle Bedarf an Wasserstoff ist bekannt und auch der Berliner Koalitionsvertrag ist gespickt mit Handlungsempfehlungen zur Förderung von grünem Wasserstoff. Die Bundesregierung arbeitet zudem an einer Aktualisierung der bereits im Jahr 2020 veröffentlichten Wasserstoffstrategie. Maßstab der Strategie und somit auch an die Produktion und breitflächige Nutzung von grünem Wasserstoff ist die voraussetzungsvolle Trias aus „Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Umweltverträglichkeit“ (Die Bundesregierung 2020: 2). Die Strategie des Bundes liefert den theoretischen Überbau, setzt die Rahmbedingungen für Förderprogramme oder internationale Kooperationen und benennt Handlungsfelder und Zukunftsmärke im Bereich des Wasserstoffclusters. Grüner Wasserstoff ist für die klimaneutrale Transformation der Wirtschaft – also das Ziel der Treibhausgasneutralität bis zum Jahr 2050 – von zentraler Bedeutung. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die „Energiekrise“ haben vor Augen geführt, wie wichtig und gleichzeitig anfällig die gesicherte Versorgung mit Energie ist (vgl. Wuppertal Institut 2023). Wasserstoff wird als wichtiger Bestandteil einer unabhängigeren Energieversorgung identifiziert.

Dabei wird schnell erkennbar: Die Kommunen sind der Ort, an dem aus der Wasserstoffstrategie Wirklichkeit wird. In den Städten und Gemeinden werden bereits heute Elektrolyseure und Wasserstofftankstellen projektiert, sind Leitungen zu legen und Transportwege zu planen. Städte wie Hamm können Impulsgeber für den Einsatz von Wasserstoff und die Transformation der Wirtschaft werden. Aus den Erfahrungen der kommunalen Praxis können wiederum Rückschlüsse für weitere Initiativen und Maßnahmen der Bundes- und Landespolitik gezogen werden.

Beispiel Hamm: Von der Kohlewirtschaft zur Wasserstoffproduktion

Die Stadt Hamm ist ein historisch gewachsener Energiestandort, an dem viele Jahre lang Steinkohle abgebaut und kohlebefeuerte Kraftwerke betrieben wurden. Die Nähe zum Steinkohleabbau und die Lage am für Kühlwasser benötigten Fluss, der Lippe, bildete die Basis für die spätere Ansiedlung energieintensiver Industrie. Mit der Schließung des Kraftwerks Westfalen zum 31.12.2020 endete die auf Steinkohle basierte Energieproduktion in Hamm. Die Energiewirtschaft stand und steht für gut qualifizierte Arbeits- und Ausbildungsplätze mit einem entsprechenden Lohnniveau. Die Wertschöpfung aus der Energiewirtschaft betrug zuletzt allerdings nicht mal mehr ein Prozent der in Hamm erbrachten Wirtschaftsleistung.

Hamm ist kein Sonderfall, sondern Teil eines gesamteuropäischen – vornehmlich westeuropäischen – Strukturwandels. Das Ruhrgebiet steht pars pro toto für diese Prozesse des Niedergangs alter Industrien – also die weitgehende Erosion industrieller Produktion in den Bereichen Stein- und Braunkohle, Stahl, Eisen oder Textil (vgl. Raphael 2019). Die sozialen Folgen dieses seit den 70er-Jahren andauernden Strukturwandels waren gravierend und wirken bis heute nach. In Nordrhein-Westfalen waren im Jahr 2022 noch rund 11.000 Beschäftigte im Bergbau und in der Gewinnung von Steinen und Erden tätig (vgl. IT NRW 2023). Zum Vergleich: Zu den Spitzenzeiten Ende der 50er- und zu Beginn der 60er-Jahre waren allein im Ruhrgebiet fast 500.000 Menschen in der Kohlewirtschaft beschäftigt.

Der Rückzug aus der Steinkohleverstromung und der damit einhergehende Verlust von Arbeit und Wertschöpfung in Hamm und der Region verlangen einen nachhaltigen Umbau der Wirtschaftsstruktur. Erklärtes Ziel ist es, Hamm weiterhin als Energie- und Industriestandort zu entwickeln und die für die Energiewende notwendige Transformation auf Basis einer starken produzierenden Wirtschaft zu schaffen, um gute, sichere Arbeitsplätze im Bereich der Energiewirtschaft und angrenzenden Industriezweigen zu schaffen. Der Treibstoff dieser modernen, klimaneutralen Produktion ist Wasserstoff. Grüner Wasserstoff soll in Hamm hergestellt und von dort aus für Unternehmen und andere Städte und Gemeinden zur Verfügung gestellt werden.

Bausteine der „Wasserstoffwende“ in Hamm

Hamm gehört zu den fünf Standorten in Nordrhein-Westfalen, die vom Ausstieg aus der Steinkohleverstromung und dem damit einhergehenden Strukturwandel am stärksten betroffen sind. Die Bundesregierung unterstützt diese ehemaligen Steinkohle-Standorte – neben Hamm sind das Duisburg, Gelsenkirchen, Herne und der Kreis Unna – bis zum Jahr 2038 mit maximal 662 Millionen Euro. Das 5-Standorte-Programm fördert Investitionen in innovative Projekte, die zur regionalen Wertschöpfung beitragen, bestehende Arbeitsplätze sichern und neue schaffen.

Hamm bietet sehr gute Voraussetzungen für die Erzeugung von grünem Wasserstoff. Sofort verfügbare, für die energiewirtschaftliche Nutzung gewidmete Flächen sowie die aufgrund der Kraftwerkstandorte gute Einbindung in die Energienetze bilden die Basis. Ein großes Standortplus ist die geplante Höchstspannungs-Gleichstrom-Verbindung,1 die voraussichtlich ab Anfang der 2030er Jahre Off-Shore-Windstrom von den Küstenregionen im Norden Niedersachsens nach Hamm transportiert.

Die Wasserstoffwende in Hamm steht auf drei institutionellen Fundamenten. Mit der „Wasserstoffallianz Westfalen“ (A) sollen zusammen mit der örtlichen Wirtschaft und anderen Kommunen bestehende Wasserstoffprojekte koordiniert oder neue gemeinsam auf den Weg gebracht werden. Die Allianz richtet sich vor allem an kleine und mittlere Unternehmen in der Region, die Wasserstoff herstellen oder nutzen möchten, etwa in der industriellen Produktion oder für den Betrieb von Nutzfahrzeugen. Bereits zur Mitte des Jahrzehnts soll in Hamm zudem grüner Wasserstoff produziert werden. Der von der „Wasserstoffzentrum Hamm GmbH“ (B) produzierte Wasserstoff findet seine Abnehmer zunächst in den kommunalen Verkehrs- und Abfallwirtschaftsbetrieben sowie bei den regionalen Gashändlern. Mit dem „Institut für Sektorenkopplung“ (C) an der Hochschule Hamm-Lippstadt (HSHL) werden praxisnahe Lösungen zur Umsetzung der Energiewende und damit auch zur Nutzung von Wasserstoff erarbeitet. Wasserstoff ist für die Sektorenkopplung als Energieträger und Energiespeicher von herausragender Bedeutung.

A) Impulsgeber und Netzwerk: Die Wasserstoffallianz

Die Wasserstoffallianz Westfalen wird getragen von der Stadt Hamm und dem Kreis Unna und sieht ihre Tätigkeit in der gesamten Region Westfalen. Mit der Allianz sollen die Potenziale der Stadt Hamm als Zentrum der Wasserstoffwirtschaft für die Region gehoben und zu einer regionalwirtschaftlichen Strategie für Wertschöpfung und Beschäftigung verdichtet werden. Die Allianz soll Produzent:innen und Abnehmer:innen sowie Infrastrukturdienstleister:innen und Ausrüster:innen, Kommunen, Forschung und Politik an einen Tisch bringen. Eine Hauptaufgabe der Allianz besteht in der Vernetzung und Beratung von Unternehmen, verbunden mit dem Ziel, Wasserstoffprojekte zu konzeptionieren und in die Praxis umzusetzen.

Die Frage nach den Nutzungsmöglichkeiten für die mittelständische Unternehmerschaft steht dabei im Mittelpunkt: Inwiefern profitiert die (industrielle) Produktion des Unternehmens davon, grünen Wasserstoff einzusetzen? Von wem kann der grüne Wasserstoff bezogen werden und auf welchen Wegen wird er vor die „Werkstore“ transportiert? Inwiefern lässt sich der Bau eines eigenen Elektrolyseurs auf dem Werksgelände realisieren? Welche Kosten sind mit einem Umstieg der Produktionsprozesse auf Wasserstoff verbunden? Welche Fördermöglichkeiten gibt es? Neben der Unterstützung ansässiger Unternehmen liegt die Arbeit der Allianz darin, die Ansiedlung von innovativen Start-ups und Unternehmen mit Wasserstoffbezug entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu forcieren.

Die Rahmenbedingungen für die Herstellung, den Vertrieb und den Einsatz von Wasserstoff sind in Westfalen und im Ruhrgebiet nahezu ideal: Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) rangiert das Ruhrgebiet im Vergleich mit acht deutschen Wasserstoff-Regionen im Spitzenfeld (vgl. IW Consult 2020). Zudem gehört das Ruhrgebiet laut einem Ranking der Internationalen Energieagentur (IEA) und des Europäischen Patentamts zu den weltweit innovativsten Regionen für die Entwicklung von Wasserstoff (vgl. Hauser 2023).

Die regionale Verbundenheit des Vorhabens „Wasserstoffallianz Westfalen“ kommt nicht durch den Namen der Gesellschaft, sondern auch im Beirat zum Ausdruck, in dem alle regionalen Akteur:innen eingebunden sind. Die Städte Hamm, Dortmund sowie der Kreis Unna haben außerdem im November 2022 ein Kooperationsabkommen abgeschlossen, das weitere gemeinsame Wasserstoffprojekte vorsieht. Auch regionale, besonders energieintensive Unternehmen wie Zementhersteller oder Abfallunternehmen sind am Einsatz von grünem Wasserstoff interessiert und unterstützen die Wasserstoffallianz mit Absichtserklärungen. Der Kreis Unna ist sogar gesellschaftsrechtlich an der Wasserstoffallianz Westfalen GmbH beteiligt und wird in Zukunft einen der beiden Geschäftsführer:innen bestellen. Ziel der Vernetzung und Kooperation ist es, eine ganzheitliche Wasserstoffwertschöpfungskette im westfälischen Raum aufzubauen und institutionelle Doppelstrukturen zu vermeiden. All das unterstreicht, dass groß angelegte Wasserstoffprojekte, insbesondere der Aus- und Aufbau der Wasserstoffinfrastruktur (z.B. der Elektrolyseure oder Transportmöglichkeiten), nur in interkommunaler Zusammenarbeit realisiert werden können.

B) Pionier Kommunalwirtschaft: Die Wasserstoffzentrum Hamm GmbH

In Hamm soll ab dem Jahr 2025 grüner Wasserstoff hergestellt werden. Die neu gegründete Wasserstoffzentrum Hamm GmbH projektiert dafür einen 20 MW-Elektrolyseur am Standort des Gas- und Dampfturbinenkraftwerks in Hamm-Uentrop. Das Joint Venture der Stadtwerke Hamm und der Trianel GmbH ist im Jahr 2023 um die Stadtwerke Bochum und Dortmund erweitert worden.

Der für die Elektrolyse benötigte Strom stammt aus erneuerbaren Energien und wird zunächst über Power-Purchase-Agreements (kurz: PPAs) gesichert. Ab dem Jahr 2030 kann die Elektrolyse über die geplante Höchstspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) von Wilhelmshaven nach Hamm mit noch größeren Mengen erneuerbaren Stroms aus der Nordsee auch physisch versorgt werden. Die Produktionskapazitäten am Standort können entsprechend skaliert werden.

Mit dem lokal produzierten Wasserstoff fahren in wenigen Jahren 30 der 60 Hammer Stadtwerkebusse und bis zu 20 Müllsammelfahrzeuge der kommunalen Abfallwirtschaft. Eine Wasserstofftankstelle entsteht und interessierte Industrie- und Logistikunternehmen aus Hamm und Umgebung werden bei der Umstellung auf wasserstoffbasierte Technologien durch die Stadtwerke Hamm unterstützt.

C) Wissenschaftliche Expertise: Das Institut für Sektorenkopplung

Das an der Hochschule Hamm-Lippstadt (HSHL) verortete „Institut für Sektorenkopplung in der Energiewende“ soll Unternehmen und Privatpersonen dabei unterstützen, klimafreundlichere Lösungen beim Energieeinsatz zu identifizieren und umzusetzen. Dazu gehört die Kopplung von Sektoren (Elektrizität, Wärmeversorgung und Mobilität/Verkehr). Wasserstoff ist ein wesentliches Element der Sektorenkopplung.2 In einem Experience Center soll der Einsatz der einzelnen Sektorenkopplungsverfahren demonstriert werden. Das Institut will dabei helfen, klimafreundliche Lösungen der Sektorenkopplung kennenzulernen, auszuprobieren und wo möglich, auch schneller in die betriebliche Produktion oder betrieblichen Abläufe zu implementieren. Der Aufbau des Instituts wird ebenfalls aus dem Fünf-Standorte-Programm gefördert.

Anforderungen der Kommunen

Kommunen sind bei der Herstellung, Nutzung und dem Transport von Wasserstoff bereits heute Vorreiter. Die Spannbreite der Anwendungsfelder ist enorm. Kommunen zeigen nicht nur, wie Wasserstoff produziert und transportiert werden kann, sondern wie Forschung und Entwicklung (FuE) in den Wasserstoffhochlauf miteingebunden werden können. Diese Synergieeffekte zwischen städtischer Verwaltung, Wirtschaftsförderungen, Stadtwerken und Hochschulen gilt es weiter zu stärken.

Bundespolitisch ist eine Regulation der Energiemärkte und deren industriepolitische Einbettung entscheidend dafür, ob der beschriebene Umbau der Wirtschaftsstruktur gelingt. Welche Wirkmächtigkeit entschiedenes staatliches Handeln entwickeln kann, haben nicht zuletzt die während der Corona-Pandemie und Energiekrise auf den Weg gebrachten Unterstützungsmaßnahmen des Bundes verdeutlicht. Der von US-Präsident Biden initiierte „Inflation Reduction Act“ (IRA) – ein Mix aus Investitionen, Subventionen und Steuergutschriften für Klimaschutz – weist den Weg darüber hinaus (vgl. Wirtschaftsforum SPD 2023). Ebenso wichtig wie der Staat ist die strategische Kooperation mit Unternehmen, die den Bau von Elektrolyseuren vorantreiben und den hergestellten Wasserstoff für ihre Produktion oder ihre Mobilität nutzen. Die Erfahrungen in Hamm zeigen, dass kleinere und mittlere Unternehmen – und eben nicht nur die großen Industrieunternehmen – in klimafreundliche Technologien investieren wollen. Dazu gehört zentral der Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft.

Die Kommunen können aus naheliegenden Gründen nur einen kleinen investiven Beitrag beim Aufbau einer nachhaltigen Wasserstoffinfrastruktur leisten. Das Beispiel Hamm verdeutlicht, wie wichtig staatliche Investitionsprogramme wie das 5-Standorte-Programm sind.  Notwendig ist darüber hinaus ein finanziell ambitioniertes Investitionsprogram in die Transformation und Wasserstoffinfrastruktur, welches die Ansiedlung und Entwicklung von Ausrüster:innen der unterschiedlichen Wasserstofftechnologien und die vorgelagerte Windkraft- und Solaranlagenproduktion fördert.

Der deutsche Wasserstoffbedarf ist in absehbarer Zukunft größer als die Energiemenge, die Deutschland aus erneuerbaren Energien selbst produzieren kann. Das gilt insbesondere für grünen Wasserstoff, der aufgrund der Bedingungen (mehr Sonnenstunden, kräftigere Windstärken) in anderen Ländern günstiger produziert werden kann (vgl. BMBF 2023). Damit sich Geschichte mit der Abhängigkeit von einzelnen Importländern nicht wiederholt, muss die heimische Produktion von Wasserstoff zügig hochgefahren werden. Diese Entwicklung muss zwingend mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien – vor allem Windkraft– und Photovoltaikanlagen – einhergehen.

Für den Aufbau einer nachhaltigen Elektrolyseur-Industrie müssen europäische Technologielieferant:innen gezielt gefördert werden (vgl. Quitzow et al. 2023). Dazu gehört auf EU-Ebene auch, die Regionen in die Lage zu versetzen, Prozesse nicht nur zu moderieren, sondern diese in einem gesetzten Förderrahmen auch gestalten zu können, was Fragen des Beihilferechts betrifft. Zuletzt gilt es, das Genehmigungsrecht für priorisierte Vorhaben der Energiewende, insbesondere der Wasserstoffwirtschaft, wie jüngst bei den LNG-Terminals zu beschleunigen.

Literaturverzeichnis

Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) (2023): Nationale Wasserstoffstrategie: Grüner Wasserstoff als Energieträger der Zukunft, 17.01.2023, online abrufbar unter: https://www.bmbf.de/bmbf/de/forschung/energiewende-und-nachhaltiges-wirtschaften/nationale-wasserstoffstrategie/nationale-wasserstoffstrategie_node.html (zuletzt abgerufen am 13.10.2023).

Die Bundesregierung (2020): Die Nationale Wasserstoffstrategie, online abrufbar unter: https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Publikationen/Energie/die-nationale-wasserstoffstrategie.pdf?__blob=publicationFile&v=20 (zuletzt abgerufen am 13.10.2023).

Hauser, Schmidt (2023): Neue Studie zur Energiewende : Europa vor Japan auf Platz eins bei Wasserstoffpatenten, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.01.2023, online abrufbar unter:  https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/klima-nachhaltigkeit/wasserstoff-patente-europa-fuehrt-mit-anmeldungen-18589847.html (zuletzt abgerufen am 13.10.2023).

IT NRW (2023): Pressemitteilung: „NRW: 68,6 Prozent weniger Beschäftigte im Bergbau und in der Gewinnung von Steinen und Erden als 2008“, online abrufbar unter: https://www.it.nrw/nrw-686-prozent-weniger-beschaeftigte-im-bergbau-und-der-gewinnung-von-steinen-und-erden-als-2008 (zuletzt abgerufen am 13.10.2023).

IW Consult (2020): Wasserstoffranking 2020: Wo steht das Ruhrgebiet im Metropolenvergleich? Studie für den Regionalverband Ruhr, online abrufbar unter: https://metropole.ruhr/fileadmin/kampagnen_downloads/IW_Nationales_Wasserstoff-Ranking.pdf(zuletzt abgerufen am 13.10.2023)

Quitzow, Rainer/Mewes, Clara/Thielges, Sonja/Tsoumpa, Marina/Zabanova, Yana (2023): Partnerschaften für eine internationale Wasserstoffwirtschaft Ansatzpunkte für die europäische Politik, Berlin: FESdiskurs, online abrufbar unter: https://library.fes.de/pdf-files/a-p-b/20035.pdf (zuletzt abgerufen am 13.10.2023).

Raphael, Lutz (2019): Jenseits von Kohle und Stahl. Eine Gesellschaftsgeschichte Westeuropas nach dem Boom, Berlin: Suhrkamp Verlag.

Rößiger, Monika (2022): Die Wasserstoffwende. So funktioniert die Energie der Zukunft, Hamburg: Edition Körber.

Wirtschaftsforum SPD (2023): Europe First? Ideen für einen europäischen Inflation Reduction Act. Ein Positionspapier des Wirtschaftsforums der SPD e.V, online abrufbar unter: https://www.spd-wirtschaftsforum.de/wp-content/uploads/2023/01/Positionspapier-Europe-First_SPD-Wirtschaftsforum_2023.pdf (zuletzt abgerufen am 13.10.2023)

Wuppertal Institut (2023): Metaanalyse zu Wasserstoffkosten und -bedarfen für die CO2-neutrale Transformation, online abrufbar unter: https://epub.wupperinst.org/frontdoor/deliver/index/docId/8344/file/8344_Wasserstoffkosten.pdf (zuletzt abgerufen am 13.10.2023)

Zitationshinweis:

Ezazi, Gordian (2023): Kommunen als Transformationsantreiber: Die Wasserstoffwende in Hamm, Essay, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online verfügbar: https://regierungsforschung.de/kommunen-als-transformationsantreiber-die-wasserstoffwende-in-hamm/

This work by Gordian Ezazi is licensed under a CC BY-NC-SA license.

  1. Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung-Leitungen, kurz HGÜ-Leitungen, sind Hochspannungsleitungen zur Übertragung elektrischer Energie mit hoher Gleichspannung. Die Übertragungsleistung ist damit deutlich höher als bei herkömmlichen Verfahren. []
  2. Unter dem Begriff der Sektorenkopplung versteht man die Verbindung unterschiedlicher Verfahren mit dem Ziel, fossile Energien zu ersetzen. Beispiel: Mit dem Power-to-Gas-Verfahren kann Strom durch Elektrolyse in Wasserstoff und Sauerstoff umgewandelt und in das Erdgasnetz eingespeist werden. []

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