Nachruf auf Wolfgang Clement: Gestalter und Antreiber

Am 27. September verstarb Wolfgang Clement. Der frühere nordrhein-westfälische Ministerpräsident und Bundeswirtschaftsminister war 2008 der erste Gastprofessor für Politikmanagement an der NRW School of Governance. Dabei ermöglichte er den Studierenden nicht nur die Analyse wichtiger Entscheidungen in Berlin und Düsseldorf, sondern war auch sehr am wissenschaftlichen Austausch interessiert, erinnert sich Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte. 

Wolfgang Clement war 2008 unser erster Gastprofessor. Wir können – zusammen mit der Stiftung Mercator – jährlich eine Gastprofessur für Politikmanagement an der NRW School of Governance vergeben. So ermöglichen wir eine praxisrelevante Übersetzung und Illustration von politischen Mehrheitsfindungen für die Lehre. Clement war dazu besonders geeignet. Denn er verfügte als Kabinettsmitglied und Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen über langjährige Führungserfahrungen im bevölkerungsreichsten Bundesland. Hinzu kam sein Wirken als Bundesminister im Kabinett von Schröder, sodass die verschiedenen Arenen des Regierens mit seiner Person eindrucksvoll verbunden werden konnten.

Nachruf auf Wolfgang Clement: Gestalter und Antreiber

Autor

Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen und Direktor der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Regierungs- , Parteien- und Wahlforschung.

 

Wolfgang Clement war 2008 unser erster Gastprofessor. Wir können – zusammen mit der Stiftung Mercator – jährlich eine Gastprofessur für Politikmanagement an der NRW School of Governance vergeben. So ermöglichen wir eine praxisrelevante Übersetzung und Illustration von politischen Mehrheitsfindungen für die Lehre. Clement war dazu besonders geeignet. Denn er verfügte als Kabinettsmitglied und Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen über langjährige Führungserfahrungen im bevölkerungsreichsten Bundesland. Hinzu kam sein Wirken als Bundesminister im Kabinett von Schröder, sodass die verschiedenen Arenen des Regierens mit seiner Person eindrucksvoll verbunden werden konnten.

Ich werde seinen ersten Besuch in Duisburg nie vergessen. Er wollte unbedingt einmal auf meinem Stuhl an meinem Schreibtisch sitzen, wie ein Professor der Politikwissenschaft. Der Beruf imponierte ihm wohl. Er gab sich höchst reflektiert, sodass wir mit den Master-Studierenden wichtige Schlüsselentscheidungen in Düsseldorf und Berlin präzise analysieren konnten. Für den wissenschaftlichen Diskurs war er extrem aufgeschlossen. Für die Studierenden war er ein wichtiger Impuls- und auch Ratgeber.

Um zu verstehen, was ihn angetrieben hat, soll nachfolgend kurz systematisch auf sein persönliches Verständnis des Politikmanagements in NRW eingegangen werden. Im Buch Regieren in Nordrhein-Westfalen (Springer VS Verlag für Sozialwissenschaften Wiesbaden 2006) haben Martin Florack, Timo Grunden und ich uns mit Strukturen, Stilen und Entscheidungen der Ministerpräsidenten von 1990 bis 2006 analytisch auseinandergesetzt.

Was zeichnete das Besondere am Regierungsstil von Wolfgang Clement aus?1

Grundsätzlich stellte sich auch für Ministerpräsident Wolfgang Clement die Herausforderung, die Steuerbarkeit des politischen Systems in NRW mit der Steuerungsfähigkeit der politischen Akteure in Übereinstimmung zu bringen. Sein individueller Regierungsstil innerhalb dieses Politikmanagements ist deutlich erkennbar und unterschied sich deutlich von seinem Vorgänger. Clements persönliche Voraussetzungen für ein effizientes und effektives Politikmanagement waren optimal. Als ehemaliger Leiter der Staatskanzlei kannte er das Steuerungspotenzial der Regierungszentrale. Er verfügte als Wirtschaftsminister von NRW über Kenntnisse zur Ausgestaltung von Ressortvorhaben. Was Clement deutlich von Rau unterschied, war die Machtressource Partei. Clements Defizit in diesem Bereich – auch an parlamentarischer Erfahrung – musste er über andere Handlungsarenen kompensieren: Wer weniger politische Macht in der Parteien- und Koalitionsdemokratie besitzt, muss sich schwerpunktmäßig Handlungskorridore in den anderen Bereichen der Ministerpräsidenten-, der verhandelnden Wettbewerbsdemokratie und der Mediendemokratie, aber auch außerhalb der Politik in der Wirtschaft, in den Medien und bei Verbänden erschließen. Idealtypisch kommt es zum Gleichklang von Darstellungs- und Entscheidungspolitik. Angesichts der asymmetrischen Machtgrundlagen von Clement bestand sein Politikmanagement jedoch tendenziell eher in der Darstellungs- als in der Entscheidungspolitik.

Ministerpräsidentendemokratie

Durch den Umzug der Staatskanzlei in das Düsseldorfer Stadttor setzte Clement gleich zu Beginn seiner Amtszeit ein symbolisches Zeichen für den intendierten Modernisierungskurs. Ein Stilwechsel im Zeichen des Strukturwandels sollte sichtbar werden Die Architektur kam als imagebildende Maßnahme daher.

Als „Vorstandsvorsitzender der NRW AG“ führte er aus der Staatskanzlei heraus. Doch eine klar strukturierte Koordinationseinheit war nur schwer erkennbar. Drei Regierungssprecher in vier Jahren und mehrere interne Umstrukturierungen deuten eher auf Verschleiß als auf geplante Effizienz hin. Auch seine Personalpolitik war häufig von Pannen geprägt – von der Suche nach einem Justizminister über den Fall des Finanzministers bis zum Austausch der Bundesrats- und Europaminister. Clement führte Gespräche – formale Hierarchien oft ignorierend –, als müsste täglich ein imaginärer Redaktionsschluss erreicht werden. Auf der Darstellungsebene lässt sich das Bild des Modernisierers und Managers, das Clement schon durch den Umzug der Staatskanzlei versuchte zu vermitteln, auch in den Regierungserklärungen wiederfinden. Clement vollzog hier einen radikalen Bruch mit dem Politikstil seines Vorgängers, auf dem er gleichwohl zum Teil aufbaute.

Viele Netzwerke, persönliche und institutionelle Beziehungen zu Gewerkschaften, Unternehmen und Verbänden wurden weiterhin genutzt, wenn auch mit anderer Intensität und Richtung. Die Verbände und andere Akteure hatten sich mehr oder weniger darauf eingestellt, es nun mit einem Ministerpräsidenten zu tun zu haben, der ebenfalls für ihre Anliegen da war und in vielen Politikfeldern eine festgefahrene Situation wieder in Gang zu setzen versprach – nicht nur auf seinen vermeintlichen „Spielwiesen“.

Auch andere Politikbereiche „beackerte“ Clement – wenn auch weniger öffentlichkeitswirksam: Auf dem „Baugipfel“ der Landesregierung 2001

kümmerte er sich ebenso um die desolate Bauwirtschaft wie um den Erhalt von Mannesmann gegen die drohende Übernahme durch Vodafone. Es war ihm grundsätzlich wichtig, Dinge, die scheinbar ihren Lauf nahmen, noch einmal umzudrehen und sich ihnen wenigstens kämpfend in den Weg zu stellen. Dies war mehr als nur symbolische Politik, denn mit „Baugipfeln“, Änderungen des Vergaberechts, Rettung von Gedenkstätten usw. erreicht man nur äußerst geringe, allenfalls lokale Medienpräsenz.

Verhandelnde Wettbewerbsdemokratie

In den Untiefen der Verhandlungsdemokratie konnte die sozialdemokratische Handschrift von Clement herausgearbeitet werden. Viel Neben- und Miteinander, die Fortsetzung konkordanzdemokratischer Verfahren und Entscheidungen, korporatistische Steuerungsformen und eine Politik der Akkomodierung lassen sich nachweisen. Dies wurde vor allem im Bereich der Arbeitsmarkt- und Standortpolitik sichtbar. Clement versuchte, an die partnerschaftliche Kooperationskultur zwischen öffentlichen und privaten Akteuren anzuknüpfen. Was die Bund-Länder-Bereiche betraf, setzte er auf seine guten Verbindungen zum Bundeskanzler. Häufig versuchte er „über Bande“ zu spielen: Die Übereinstimmung mit Schröder sollte verhandlungsdemokratische Knoten in NRW auflösen. Doch grundsätzlich konnte Clement zahlreiche Entscheidungen – beispielsweise im Bereich der Kohle- und Steuerpolitik – die mit zahlreichen Nachteilen für die Industrie in NRW verbunden waren, nicht verhindern.

Parteiendemokratie

Clement war ein Mann der Exekutive, ein Seiteneinsteiger in die Politik, der seine Distanz zur Gremien-, Funktionärs- und Entscheidungskultur der SPD stilisierte. Die Ideale der Sozialdemokratie hingegen hatte er nicht verinnerlicht. Aus seiner Sicht musste er stets als ein durch die Partei „gefesselter Modernisierer“ arbeiten. Clement, der nie Parteivorsitzender war und weder in der Partei noch in der Fraktion eine verlässliche Machtbasis hatte, nutzte die Partei auf vollkommen andere Weise als sein Amtsvorgänger. Mehrheiten versuchte er mit Hilfe von Amtsautorität und Überzeugungsfähigkeit zu organisieren – manchmal auch mit der Drohung, dass er ja auch „gehen“ könne. Partei und Fraktion auf der anderen Seite wussten, dass sie ohne Clement noch schlechter dastehen würden. Clement wollte seine Politik nicht durch die Partei, sondern medienvermittelt durchsetzen. Ob Verkehrspolitik oder Medienpolitik – Clement preschte vor und musste sich dann von der Partei wieder ausbremsen lassen, weil er versäumt hatte, die Partei im Vorfeld einzuweihen. Eine strategische Planung oder ein Versuch, die Fraktion in den Entscheidungsprozess einzubinden, fand nicht statt.

Koalitionsdemokratie

Als Wirtschaftsminister hatte Clement die Konflikte mit den Grünen zu Garzweiler schon intensiv kennen gelernt und eine zentrale Verhandlungsrolle gespielt. Das Zweckbündnis mit den Grünen trieb er häufig bis an Ausstiegsszenarien heran. Die Ausgangslage bei den Koalitionsverhandlungen nach den Wahlen 2000 war für Clement sehr gut. Durch eine in seinem Sinne forcierte Medienberichterstattung konnte er sie noch verbessern. Die Karte einer sozialliberalen Koalition blieb ein wichtiger Trumpf für Clement. Konflikte erklärte er zur Chefsache, um so seinen Willen zur Problemlösung zu demonstrieren. Im Kern stimmte sich Clement mit seinem Wohnungsbauminister und stellvertretendem Ministerpräsidenten Vesper ab, wenn er die Grünen für seine Politik brauchte. Bärbel Höhn ließ er agieren, soweit sie nicht die Substanz seiner Vorhaben kritisierte. Im Kabinett wurde um Entscheidungen lang miteinander gerungen. Clement förderte eine offene, durchaus konfliktreiche Diskussionskultur, achtete aber immer auf Zeitlimits. Er entschied innerhalb der Kabinettssitzung, wenn er den Zeitpunkt für gekommen hielt. Insofern war es für die Ressorts ratsam, im Vorfeld Einigkeit herzustellen.

Mediendemokratie

Als Standortpolitik förderte und forcierte er erfolgreich und intensiv die Medienbranche. Allerdings kam es dabei zu einer Reihe von öffentlich gewordenen Pannen. Als ehemaliger Journalist war ihm wichtiger, etwas zu bewegen, als um konsensuale Abstimmung zu ringen. Hatte ein Thema das öffentliche Interesse verloren, wandte er sich einem neuen Bereich zu. Als Tempomacher und Anschieber nutzte Clement „Going Public“ als Strategie, um mit medialer Präsenz Stimmungen in Stimmen zu überführen.

Zitationshinweis:

Korte, Karl-Rudolf (2020): Nachruf auf Wolfgang Clement: Gestalter und Antreiber, Nachruf, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online Verfügbar: https://regierungsforschung.de/nachruf-auf-wolfgang-clement-gestalter-und-antreiber/

 

This work by Karl-Rudolf Korte is licensed under a CC BY-NC-SA license.

  1. Die folgende Analyse stammt aus: Korte, Karl-Rudolf, Martin Florack und Timo Grunden. 2006. Regieren in Nordrhein-Westfalen. Wiesbaden: Springer VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 267-270. []

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