Responsive Kommunalpolitik?

Die Erreichbarkeit und Interaktion von kommunalen Amts- und Mandatsträger*innen im Kontext der Responsivität von Kommunalpolitik steht im Mittelpunkt der Kurzanalyse von Gabriel Kurz und Silvia Mommertz, die beide als studentische Mitarbeiter*innen am Lehrstuhl für Public Policy und Landespolitik an der NRW School of Governance der Universität Duisburg-Essen an der Großstadtbefragung „Kommunale Repräsentation und gesellschaftliche Vielfalt“ mitgewirkt haben. Im Rahmen ihres Erfahrungsberichts stellen die Autor*innen umfassend dar, welche Rolle die Interaktionsbereitschaft seitens der Kommunalpolitik für die bürgerliche Wahrnehmung von Responsivität spielt.

Wie wird gesellschaftliche Vielfalt auf kommunaler Ebene repräsentiert? Welchen Bedrohungen sind kommunale Repräsentant*innen ausgesetzt? Und wie wirkt sich beides auf die kommunale Repräsentation aus? Unter anderem diesen Fragen ging das Team der Professur für Landespolitik und Public Policy der Universität Duisburg-Essen unter Leitung von Prof. Dr. Andreas Blätte in Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung nach. Mittels der digitalen Großstadtbefragung 2022, adressiert an alle Personen, die ein kommunales politisches Amt oder Mandat in einer deutschen Großstadt ausüben, konnten neue Erkenntnisse zu diesen Fragestellungen gewonnen werden.

 

Responsive Kommunalpolitik?

Ein Erfahrungsbericht zur Interaktion und Erreichbarkeit von kommunalen Amts- und Mandatsträger*innen im Rahmen der Großstadtbefragung 2022

Autor*innen

Gabriel Kurz ist Masterstudent an der NRW School of Governance seit Oktober 2021. Für die Professur für Landespolitik und Public Policy an der NRW School of Governance der Universität Duisburg-Essen arbeitet er seit 2022. Hierbei beschäftigte er sich vor allem mit der Großstadtbefragung 2022, welche in Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung durchgeführt wurde.

Silvia Mommertz ist Studentin des Masterprogramms „Politikmanagement, Public Policy und öffentliche Verwaltung“. Als studentische Mitarbeiterin an der Professur für Public Policy und Landespolitik an der NRW School of Governance der Universität Duisburg-Essen arbeitete sie mit an der Großstadtbefragung 2022.

Wie wird gesellschaftliche Vielfalt auf kommunaler Ebene repräsentiert? Welchen Bedrohungen sind kommunale Repräsentant*innen ausgesetzt? Und wie wirkt sich beides auf die kommunale Repräsentation aus? Unter anderem diesen Fragen ging das Team der Professur für Landespolitik und Public Policy der Universität Duisburg-Essen unter Leitung von Prof. Dr. Andreas Blätte in Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung nach. Mittels der digitalen Großstadtbefragung 2022, adressiert an alle Personen, die ein kommunales politisches Amt oder Mandat in einer deutschen Großstadt1 ausüben, konnten neue Erkenntnisse zu diesen Fragestellungen gewonnen werden. Mit einer Rücklaufquote von 37,6% wurde bei einer erreichbaren Grundgesamtheit von 5.763 Personen eine sehr gute Beteiligung für eine Online-Befragung erreicht (Nayak und Narayan 2019). An dieser Stelle möchten wir noch einmal allen Teilnehmenden der Umfrage unseren Dank aussprechen. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass diese ihr Mandat zumeist ehrenamtlich ausüben und dennoch wertvolle Zeit für diese Befragung aufgewendet haben. Erste Ergebnisse der Großstadtbefragung 2022 sind in der Studie “Vielfältige Repräsentation unter Druck: Anfeindungen und Aggressionen in der Kommunalpolitik” (Blätte et al. 2022) nachzulesen.

Die im Sinne einer Vollerhebung angestrebte Grundgesamtheit der kommunalen Amts- und Mandatsträger*innen lag etwas höher als die erreichbare Grundgesamtheit, nämlich bei 6.412 Personen (Blätte et al. 2022). 649 Personen, ca. 10%, konnten nicht per E-Mail kontaktiert werden, da ihre Kontaktdaten trotz intensiver Recherche über öffentlich zugängliche Quellen und Kontaktversuche über Fraktions- und Ratsgeschäftsführungen nicht ermittelbar waren (Blätte et al. 2022). Dieser Umstand und weitere im Zuge der Recherche aufgetretene Auffälligkeiten hinsichtlich der Erreichbarkeit und Interaktion von kommunalen Amts- und Mandatsträger*innen werfen Fragen bezüglich der Responsivität von Kommunalpolitik auf. Diesen soll im Rahmen dieses Erfahrungsberichts nachgegangen werden.

Responsivität durch rückgekoppelte Kommunikation

Grundsätzlich umschreibt Responsivität in der Politikwissenschaft die Fähigkeit von Repräsentant*innen und Abgeordneten, offen und aufgeschlossen gegenüber den Wünschen, Erwartungen und Interessen der Bürger*innen zu sein, diese aufzugreifen und in politische Entscheidungen einfließen zu lassen (Herzog 1998). Dazu gehören insbesondere die gefühlte Nähe, das Vertrauen und die Verbundenheit zwischen Bürger*innen und den politischen Repräsentant*innen. Werte, die durch formale staatliche Strukturen nur bedingt gewährleistet werden können (Radtke und Saßmannshausen 2020). Entscheidend für eine von den Bürger*innen als responsiv wahrgenommene Politikgestaltung ist daher das Verhalten der Parteien und Politiker*innen (Tosson und Pickel 2022). Diese sollten demnach eine gewisse Empfänglichkeit gegenüber den Belangen der Bürger*innen aufweisen und diese transparent in ihrem politischen Handeln verarbeiten.

Studien weisen nach, dass Bürger*innen sich wünschen „vom Staat“ gehört zu werden und ernst genommen zu werden; wird dies aus bürgerlicher Perspektive als gegeben empfunden, ist dies zuträglich für politisches Vertrauen und politische Legitimität (Rosnanvallon 2011; Tosson und Pickel 2022). Um die Artikulation bürgerlicher Bedürfnisse und deren mögliche zukünftige Umsetzung realisieren zu können, ist daher eine ständige Rückkopplung zwischen Repräsentierenden und Repräsentierten notwendig (Herzog 1998). Es ist festzuhalten, dass Responsivität noch vor der Entscheidungsfindung und den anschließenden Aushandlungsprozessen ansetzt, nämlich bei der grundlegenden Kommunikation zwischen Bürger*innen und ihren politischen Repräsentant*innen (Radtke und Saßmannshausen 2020).

Dennoch ist dies kein leichtes Unterfangen. Angesichts zunehmender gesellschaftlicher Heterogenität und Pluralität wird eine responsive Politikgestaltung anspruchsvoller und zugleich wichtiger (Wintermantel 2020).  Aus Sicht der Bürger*innen besteht diesbezüglich Verbesserungsbedarf: So wünscht sich eine Mehrheit der Bürger*innen mehr Mitsprachemöglichkeiten, um ihre Interessen besser einbringen zu können (Rademacher et al. 2020). Auch die zunehmende Politikverdrossenheit, die sich in politischer Apathie, Wahlenthaltung und sinkendem Vertrauen äußert, wird mit einer als wenig responsiv wahrgenommenen Politik in Verbindung gebracht (Pickel 2019).

Insbesondere die Kommunalpolitik – die lokale politische Ebene – sollte nach dem Konzept der Responsivität hierfür eine hervorragende Basis darstellen. Hier ist die unmittelbare Betroffenheit im Idealfall mit vergleichsweise niedrigen Hürden verbunden (van Ackern 2017). Zudem können demokratische Entscheidungsprozesse durch den festeren Rahmen der Kommunalpolitik besser nachvollzogen werden (Jörke 2019). Gleiches gilt für die Online-Beteiligung im kommunalen Raum, da auch hier durch die unmittelbare Betroffenheit ein stärkeres Interesse an Bürgerbeteiligung besteht (Alonso 2009). Eine leicht zugängliche digitale kommunalpolitische Infrastruktur kann daher als sehr sinnvoll erachtet werden.

Ablauf der Kontaktdatenrecherche im Rahmen der Großstadtbefragung 2022

Im Rahmen der Großstadtbefragung 2022 wurden die Kontaktmöglichkeiten der kommunalen Amts- und Mandatsträger*innen deutscher Großstädte recherchiert. Ziel war es, vor Beginn der Feldphase, die zwischen April und August 2022 stattfand, für jede einzelne Person, die in den ausgewählten Städten ein kommunales Amt oder Mandat innehat, eine aktuelle Kontaktmöglichkeit per E-Mail zu finden.

Die Festlegung auf individuelle Kontaktmöglichkeiten erfolgte, da sowohl biografische Daten als auch persönliche Wahrnehmungen und Erfahrungen abgefragt wurden. Da es sich hierbei um sensible Daten handelt, wurde der Zugang zur Online-Befragung über persönliche und separat verschickte Codes freigeschaltet, um so unberechtigte oder verfälschende Zugriffe zu verhindern2.

Es wurden nur Kontaktmöglichkeiten berücksichtigt, die in direktem Zusammenhang mit der jeweiligen politischen Tätigkeit stehen. Private Kontaktmöglichkeiten, z.B. über den Beruf oder andere Tätigkeiten, wurden ausgeschlossen. Konnten nur telefonische Kontaktmöglichkeiten ermittelt werden, wurde telefonisch die Erlaubnis eingeholt, die Online-Umfrage per E-Mail an die jeweilige Person versenden zu dürfen. Bei einer Zustimmung seitens der Amts- und Mandatsträger*innen gaben diese ihre präferierte E-Mail-Adresse zur Teilnahme an. Erst wenn die jeweiligen Amts- und Mandatsträger*innen selbst eine private Telefonnummer oder E-Mail-Adresse für die Teilnahme an der Befragung zur Verfügung gestellt hatten, wurden diese im Kontext der Großstadtbefragung 2022 kontaktiert.

Es zeigt sich, dass die Rücklaufquote über alle Parteigrenzen hinweg für eine Online-Befragung hoch war. Die Kontaktaufnahme zu den kommunalen Amts- und Mandatsträger*innen kann daher als erfolgreich eingestuft werden. Zwar ist die Rücklaufquote bei Bündnis 90/Die Grünen besonders hoch, was angesichts der Kooperation mit der parteinahen Heinrich-Böll-Stiftung nicht verwunderlich ist (Blätte et al. 2022). Dennoch erlaubt die insgesamt hohe Beteiligung ein umfassendes Bild der Interaktion und Erreichbarkeit aller Parteien.

Zu beachten ist, dass sich die Befragung trotz der Fokussierung auf die kommunale Ebene nur auf deutsche Großstädte bezieht. Trotzdem liefern die während der Recherche und Feldphase gemachten Erfahrungen interessante Erkenntnisse und Beobachtungen bezüglich der Kommunikation und Kontaktaufnahme mit kommunalen Repräsentant*innen. Gerade in Großstädten kommt der digitalen Erreichbarkeit eine besondere Bedeutung zu, da hier eine größere Weitläufigkeit vorliegt. Auch müssen die Interessen und Bedürfnisse einer größeren und heterogeneren Gesamtheit an Bürger*innen verwaltet werden.

Welche Erfahrungen und Beobachtungen vor und während der Feldphase gemacht wurden und wie sich diese in das Bild einer responsiven Kommunalpolitik einordnen lassen, wird im Folgenden dargestellt. Dabei wird kein Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhoben, vielmehr soll dieser essayistische Erfahrungsbericht darstellen, welche – auch teilweise subjektiven – Eindrücke dabei aus einer politikwissenschaftlichen, aber durchaus auch bürgerlichen Perspektive entstanden sind.

Strukturelle Unerreichbarkeit

Kommunale Amts- und Mandatsträger*innen üben ihre politische Tätigkeit frei und ehrenamtlich aus. Ihre Wahl ist als Vertrauensbeweis der Bürger*innen zu werten, es besteht jedoch keine gesetzliche Verpflichtung, sich an die Wünsche der Wähler*innen zu halten. Vielmehr schreiben sich die Kommunen selbst zu, den Bürger*innen auf politisch-moralische Weise verpflichtet zu sein (Kommunal-Info 2014). Im Sinne eines „gläsernen Rathauses“ soll das kommunalpolitische Geschehen transparent und nachvollziehbar sein. Dazu gehört, „für die Bürger ansprechbar zu sein und bereit zu sein, sich Bürgeranhörungen oder Bürgerfragen zu stellen, also sowohl für den Einzelnen als Ansprechpartner zu dienen als auch sich zu bestimmten kommunalen Problemen befragen zu lassen […]“ (Kommunal-Info 2014).

Dessen ungeachtet war bei etwa 10% der politischen Repräsentant*innen eine Kontaktaufnahme über digitale oder telefonische Zugänge nicht möglich. Da die Kontaktaufnahme im Rahmen eines Forschungsauftrages erfolgen sollte, wurde intensiv versucht Kontaktmöglichkeiten herzustellen. Dazu zählen eine gründliche Internetrecherche, die (versuchte) Kontaktaufnahme mit Fraktionsgeschäftsführer*innen, Rats- und Fraktionsbüros sowie wiederholte E-Mail-Anfragen und Telefonanrufe. Der Aufwand dürfte damit den einer durchschnittlichen Bürgeranfrage um ein Vielfaches übersteigen – und führte dennoch nicht immer zu einem Ergebnis.

Auffällig dabei ist, dass die Problematik der schlechten Erreichbarkeit häufig ganze Städte betraf. So konnte in Kassel, Ludwigshafen und Mainz die Mehrheit aller Amts- und Mandatsträger*innen unabhängig von der Parteizugehörigkeit nicht erreicht werden. Die gleiche Beobachtung konnte auch in Städten mit einer etwas besseren, aber im Vergleich immer noch geringen Erreichbarkeit gemacht werden. Dazu zählen beispielsweise Chemnitz, Remscheid und Wiesbaden. Bei den genannten und einigen weiteren Städten lag dies vor allem daran, dass meist keine individuellen Kontaktmöglichkeiten zu ganzen Fraktionen gefunden wurden und trotz intensiver Kontaktaufnahme durch die Fraktions- oder Ratsgeschäftsführung keine Daten ermittelt werden konnten. Nichtsdestotrotz lagen für die deutliche Mehrheit der Städte die Kontaktdaten für alle oder zumindest für 90% der gewählten Repräsentant*innen vor. Die schlechte Erreichbarkeit scheint jedoch stellenweise kein zufälliges, sondern ein strukturelles Problem zu sein. Insgesamt war es tendenziell schwieriger, mit den kleineren und regionalen Fraktionen in Kontakt zu treten als mit den bundes- und landesweit verbreiteten Parteien. Ein wenig responsiver Eindruck entsteht in Teilen.

An dieser Stelle sei noch einmal betont, dass die Gründe für die Unerreichbarkeit vielfältig sein können. So kann dies bereits als erster Hinweis für Bedrohungslagen auf kommunalpolitischer Ebene gewertet werden. Beispielsweise dann, wenn die Zurückhaltung von Kontaktmöglichkeiten als unmittelbare Folge erlebter oder antizipierter Erfahrungen von Anfeindungen über (digitale) Kommunikationsmedien erfolgt. Hier ist explizit auf Kassel zu verweisen. Es ist nicht auszuschließen, dass kommunale Amts- und Mandatsträger*innen nach dem Mord an Walter Lübcke besonders vorsichtig geworden sind.

Setzt man diese Beobachtung in Bezug zu aktuellen Ergebnissen aus der Demokratieforschung, zeigt sich, dass als wenig responsiv wahrgenommene Politiker*innen zu einer Entfremdung zwischen Politik und Bürger*innen führen können (Pickel 2019).  Diese Entfremdung kann zu einer erhöhten Empfänglichkeit für populistisches Gedankengut führen, indem eine Lagerbildung zwischen der „entfernten Elite“ und dem „einfachen Volk“ angenommen wird (Priester 2007).

Ratsinformationssysteme als wichtige Kontaktdatenbank

Als wichtiges Instrument zur Ermittlung von Kontaktdaten haben sich Ratsinformationssysteme erwiesen. Dabei handelt es sich um digitale Informationssysteme vor allem für den Sitzungsdienst von Gremien. Sie werden von verschiedenen Anbietern wie z.B. SessionNet oder Mandatos betrieben und sind digital über die jeweiligen Stadtportale erreichbar. Zu den grundlegenden Funktionen der Ratsinformationssysteme gehören Sitzungskalender, der Versand von Einladungen sowie die Verwaltung und der Zugriff auf Sitzungsunterlagen und -protokolle. Darüber hinaus sollen Ratsinformationssysteme der Information der Bürger*innen dienen und es ihnen ermöglichen, sich durch eigene Recherchen über aktuelle Beschlüsse und Sachstände zu kommunalen Themen zu informieren.

Die Ratsinformationssysteme sind eher funktional aufgebaut – über Filterfunktionen können z.B. die Mitglieder bestimmter Ausschüsse und Gremien zu bestimmten Zeitpunkten in einer Namensliste anzeigt werden. Beim gezielten Anklicken von Personen werden in der Regel Parteizugehörigkeit, Geburtsdatum, Ausschuss- und Gremienmitgliedschaften sowie Kontaktmöglichkeiten als weitere Informationen angezeigt. Auch wenn die Verfügbarkeit von Kontaktmöglichkeiten nicht immer gegeben ist, haben sich die städtischen Ratsinformationssysteme als verlässliche Quelle für diese erwiesen.

Aus der Anwendungsperspektive sind Ratsinformationssysteme eher als vorstrukturierte Datenbanken zu verstehen. Das Layout und die Datenaufbereitung sind sehr funktional gehalten. Eine persönliche Ansprache oder eine ansprechende Gestaltung über die reine Informationsbereitstellung hinaus ist in der Regel nicht zu finden. Auch die Suche nach Daten in den Ratsinformationssystemen ist nicht unbedingt intuitiv und niedrigschwellig gestaltet. Durch viele Abkürzungen in den verfügbaren Daten, z.B. „BV 3“ für Bezirksvertretung 3, ist nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich, worum es sich handelt. Bei der Recherche hat es sich zudem als am effizientesten erwiesen, gezielt nach dem Ratsinformationssystem einer ausgewählten Stadt zu suchen, nach dem Sinne „Ratsinformationssystem Stadt XY“. Ein Grundwissen über die kommunalen Stadtstrukturen scheint Voraussetzung oder zumindest förderlich zu sein, um Ratsinformationssysteme gezielt nutzen zu können.

Ratsinformationssysteme stellen ein wichtiges digitales Werkzeug dar, um kommunalpolitische Prozesse zu strukturieren, zu protokollieren und öffentlich zu machen. In der Anwendung wird deutlich, dass diese Systeme eher an Amts- und Mandatsträger*innen als an Bürger*innen adressiert sind. Hinsichtlich der Responsivität sind sie tendenziell als halbgeschlossene Informationstools einzustufen, da nur ein einseitiger und rein informativer Austausch auf hohem Niveau realisiert wird3. Dennoch stellten die Ratsinformationssysteme im Kontext der Großstadtbefragung 2022 oftmals die einzige Möglichkeit dar, an offizielle Kontaktmöglichkeiten der kommunalen Repräsentant*innen zu gelangen und somit einen wechselseitigen Austausch zu ermöglichen. Eine Verbindung zwischen Bürger*innen und Politiker*innen wird hier meist nur auf eine technische Art und Weise hergestellt.

Fraktionswebsites: Zwischen Informations(über)fluss und eingeschränkten Kontaktmöglichkeiten

Einen weiteren wichtigen Baustein bei der Kontaktdatenrecherche stellten die fraktionseigenen Websites der Amts- und Mandatsträger*innen dar. Diese waren im Regelfall wesentlich persönlicher gestaltet und in ihrem Informationsgehalt auf eine Selbstpräsentation gegenüber Dritten, klassischerweise den Bürger*innen, zugeschnitten. Fotos, Kurzprofile und politische Schwerpunkte sowie Zielsetzungen von den Repräsentant*innen wurden hier meist niedrigschwellig zur Ansicht eingestellt. Besonders umfangreiche Profile enthielten mehrheitlich auch direkte Kontaktmöglichkeiten.

Bemerkenswert ist hier die große Bandbreite der zur Verfügung gestellten Informationen. Während einige Personen nur ein Minimum an personenbezogenen Daten preisgaben, stellten andere sehr private Details der Öffentlichkeit zur Verfügung. Beispiele hierfür sind die Namen von Kindern und Haustieren, Lieblingsspeisen oder bevorzugte Urlaubsorte. Es scheint keinen Standard zu geben, welche Informationen über kommunale Amts- und Mandatsträger*innen öffentlich gemacht werden und somit kalkulierbar sind4. Auch waren die bereitgestellten Informationen stellenweise veraltet, da sie sich auf vergangene Wahlperiodenbezogen bezogen und/oder die Liste der angegebenen Amts- und Mandatsträger*innen nicht mehr aktuell war.

Auch die jeweiligen Arten der Kontaktmöglichkeiten variierten. Häufig waren keine individuellen Telefonnummern und E-Mail-Adressen hinterlegt, sondern fraktionsübergreifende Kontaktdaten. Diese konnten im Rahmen der Großstadtbefragung 2022 gezielt für die Abfrage individueller Kontaktdaten genutzt werden. Es kam auch vor, dass Amts- und Mandatsträger*innen nur über spezielle Kontaktformulare erreichbar waren. Diese Kontaktformulare wiesen jedoch in der Regel Einschränkungen auf. So war die Zeichenanzahl meist begrenzt und das Anhängen von Dateien nicht möglich. Um Spam und Malware zu vermeiden, ist dies ein durchaus nachvollziehbarer Ansatz, der jedoch die Schilderung umfangreicherer Anliegen und Konzepte einschränkt.

Dennoch ist festzuhalten, dass durch das Mehr an persönlichen Einblicken eine stärkere Bindung zu den Bürger*innen hergestellt werden kann als durch rein funktionale Ratsinformationssysteme oder eine sehr sparsame Informationspreisgabe.

Persönlicher Kontakt und Interaktion mit Amts- und Mandatsträger*innen

Im Rahmen der Kontaktdatenrecherche wurde über Telefonanrufe und E-Mail-Anschreiben versucht, einen persönlichen Kontakt zu kommunalen Amts- und Mandatsträger*innen herzustellen und diese zur digitalen Teilnahme an der Großstadtbefragung 2022 einzuladen. Um in persönlichen Kontakt treten zu können, waren teilweise mehrfache Schriftwechsel mit Rats- und Fraktionsbüros sowie Fraktionsgeschäftsführer*innen notwendig. Nicht selten kam die Kommunikation erst nach mehrfachen Erinnerungsmails und -telefonaten zustande. Die telefonischen Anfragen an die Rats- und Mandatsträger*innen zeichneten das Bild einer eher schwierigen Erreichbarkeit. So waren einige Personen oder Büros trotz regelmäßiger Anrufe über Wochen nicht erreichbar. Informationen über Sprechzeiten standen nicht immer regulär zur Verfügung.

Konnte ein telefonischer Kontakt hergestellt werden, wurde eine konkrete Darlegung des Forschungsanliegens nicht selten auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Häufig wurde um einen Rückruf zu einem späteren, bestimmten oder unbestimmten Zeitpunkt gebeten. Diese späteren Termine lagen häufig mehrere Wochen in der Zukunft. Regelmäßig wurde darum gebeten, andere E-Mail-Adressen als die im Internet verfügbaren für die Kontaktaufnahme zu verwenden. Hintergrund war meist, dass die E-Mail-Adressen nicht mehr aktuell waren oder von den Betroffenen nicht bevorzugt wurden. Volle Posteingänge der adressierten E-Mail-Adressen waren ein weiterer Grund, warum eine Kontaktaufnahme erschwert oder behindert wurde5. Zudem scheint nicht immer ein Überblick darüber zu bestehen, welche Kontaktdaten öffentlich zugänglich sind. Die kontaktierten Personen fragten mehrfach, woher das Team der Großstadtbefragung 2022 den Zugang zu den genutzten Kontaktmöglichkeiten hatte.

Auch wenn die Kontaktaufnahme zu den kommunalen Amts- und Mandatsträger*innen mit der Überwindung einiger bürokratischer Hürden verbunden war, kann der hergestellte Kontakt in der Regel als sehr entgegenkommend bezeichnet werden. Die kontaktierten Personen standen der Großstadtbefragung 2022 und der dahinterstehenden Intention fast ausschließlich positiv gegenüber. So baten einige Amts- und Mandatsträger*innen explizit um die Zusendung der Studienergebnisse. Auch wurde mehrfach zur Kenntnis genommen, dass eine stärkere Sichtbarkeit der Kommunalpolitik und ihrer Herausforderungen seitens der Repräsentant*innen durchaus erwünscht ist.

Die hohe Rücklaufquote der Befragung zeigt, dass die Kontaktaufnahme trotz Hürden als erfolgreich bezeichnet werden kann. Dies ist auch auf eine gewisse Hartnäckigkeit sowie einen hohen Professionalisierungsgrad bei der Kontaktaufnahme zurückzuführen. Ein ausgereiftes Datenschutzkonzept, ein offizieller Forschungsauftrag in Kooperation mit einer namhaften Stiftung und Professur sowie personelle Ressourcen dürften zu der hohen Teilnahme- und Kontaktbereitschaft beigetragen haben.

Responsive Kommunalpolitik? Abschließende Erkenntnisse der Kontaktdatenrecherche

Die beschriebenen Sachverhalte im Rahmen der Kontaktdatenrecherche für die Großstadtbefragung 2022 spiegeln lediglich Beobachtungen während der Feldphase wider und sind daher nur eingeschränkt aussagekräftig. Zu beachten ist, dass die Kontaktaufnahme ohne konkreten Bezug zu den jeweiligen Städten und den dortigen kommunalpolitischen Belangen erfolgte. Die Interaktion mit den Amts- und Mandatsträger*innen fand also vor einem anderen, aber dennoch vergleichbaren Hintergrund statt als bei regulären Bürgeranliegen.

Trotz der sehr hohen Arbeitsbelastung der Amts- und Mandatsträger*innen aufgrund der überwiegend ehrenamtlichen Struktur in der Kommunalpolitik lässt sich anhand der Rücklaufquote von 33,7% eine hohe Teilnahmebereitschaft ablesen. Die Erreichbarkeit der Repräsentant*innen war somit grundsätzlich gegeben, die Interaktion wurde jedoch durch bürokratische Hürden wie umständlich zu ermittelnde oder fehlende Kontaktdaten sowie lange Reaktionszeiten erschwert. Zu beachten ist jedoch, dass im Gegensatz zur zugrunde liegenden Befragung reguläre Bürgeranliegen auch von anderen kommunalpolitisch aktiven Personen und nicht ausschließlich von gewählten Amts- und Mandatsträger*innen aufgegriffen werden können.

Auffällig ist, dass der Kontakt zu den internen kommunalen Strukturen in den meisten Fällen forciert werden musste. So müssen Kontaktmöglichkeiten und weitere Informationen zu Repräsentant*innen und anderen Anlaufstellen, wie z.B. Ratsbüros, in der Regel sehr gezielt gesucht werden. Diese Beobachtungen sind jedoch stark von der jeweiligen Stadt abhängig. Die jeweilige persönliche Informationsbereitstellung seitens der Repräsentant*innen, die von den Bürger*innen gewählt werden und als deren Vertreter*innen agieren, variiert stark und lässt so zum Teil auch innerhalb einer Stadt wenig Vergleichbarkeit und Transparenz zu. Ein Standard der Kommunikationsbereitschaft scheint nicht zu existieren, obwohl dies im Sinne einer responsiven Politikgestaltung und des kommunalen Selbstverständnisses wünschenswert wäre. Sowohl positive als auch negative Beispiele konnten im Rahmen der Untersuchung gefunden werden.

Die für Responsivität maßgebliche Empfänglichkeit für bürgerliche Belange ist meist nicht auf den ersten Blick erkennbar. Gelingt es jedoch, die Hürden der Kontaktaufnahme zu überwinden, ergibt sich ein deutlich aufgeschlosseneres Bild der Kommunalpolitik. Die stellenweise erschwerte Erreichbarkeit scheint überwiegend nicht gewollt, sondern eher ein Umstand der vielfältigen Herausforderungen der ehrenamtlich organisierten Kommunalpolitik zu sein.

Angesichts der zunehmenden Politikverdrossenheit und der geringen Beteiligung an Kommunalwahlen trotz direkter Betroffenheit und größerer Zahl an Wahlberechtigten (Vierus et al. 2023), wäre es wünschenswert, mehr Interaktionsbereitschaft seitens der Kommunalpolitik nach außen zu vermitteln. So kann die bürgerliche Wahrnehmung der Responsivität erhöht und der politischen Apathie entgegengewirkt werden. Wie dies angesichts der vielfältigen kommunalen Herausforderungen gelingen kann, bietet Anknüpfungspunkte für weitere Forschung im Bereich der Kommunalpolitik.

Literatur

Alonso, Á. I. (2009). E-participation and local governance: A case study. Theoretical and Empirical Researches in Urban Management, 4(3 (12), 49-62.

van Ackern, G., & Frankenberger, R. (2017, October). Political participation in local politics. The case of Tübingen. In Local politics in a comparative perspective (pp. 151-162). Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG.

Blätte, A., Dinnebier, L. & Schmitz-Vardar, M. (2022). Vielfältige Repräsentation unter Druck: Anfeindungen und Aggressionen in der Kommunalpolitik. Hrsg. Heinrich-Böll-Stiftung.

Herzog, D. (1998). Responsivität. In: Jarren, O., Sarcinelli, U., Saxer, U. (eds) Politische Kommunikation in der demokratischen Gesellschaft. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-80348-1_18

Jörke, D. (2019). Die Grösse der Demokratie: über die räumliche Dimension von Herrschaft und Partizipation. Suhrkamp Verlag.

Kommunal-Info (2014). Rechte und Pflichten im kommunalen Mandat. In Kommunal-Info. 6 (2014). Zugriff über: https://www.kommunalforum-sachsen.de/wp-content/uploads/2017/10/36b1c_kommunalinfo_6-2014.pdf.

Radtke, J., & Saßmannshausen, S. M. (2020). Auf dem Weg zur responsiven Demokratie? Online-Öffentlichkeitsbeteiligung in der Stadtentwicklung als aktiver Link zwischen Kommunalpolitik und Bevölkerung. Zeitschrift für Politikwissenschaft, 30(2), 329-358.

Rademacher, L., Lintemeier, K., & Kretschmer, H. (2020). Öffentlichkeitsbeteiligung bei Infrastrukturprojekten als Herausforderung für Politik und Verwaltung. Öffentliche Verwaltung–Verwaltung in der Öffentlichkeit: Herausforderungen und Chancen der Kommunikation öffentlicher Institutionen, 165-184.

Rosanvallon, P. (2011). Democratic legitimacy. In Democratic Legitimacy. Princeton University Press.

Tosson, S., Pickel, S. (2022). Wählen unter pandemischen Bedingungen. In: Korte, KR., Schiffers, M., von Schuckmann, A., Plümer, S. (eds) Die Bundestagswahl 2021. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-35758-0_6-1

Nayak, M. Siva Durga Prasad, und K.A. Narayan (2019). Strengths and Weaknesses of Online Surveys, Technology 6 (7): 31–38.

Pickel, S. (2019). Die Wahl der AfD. Frustration, Deprivation, Angst oder Wertekonflikt?. Die Bundestagswahl 2017: Analysen der Wahl-, Parteien-, Kommunikations- und Regierungsforschung, 145-175.

Priester, K. (2007). Populismus: historische und aktuelle Erscheinungsformen. Campus Verlag.

Wintermantel, V. (2020). Der Wert der Vielfalt: Gesellschaftliche Pluralität, Meinungsvielfalt und demokratische Legitimität. Legitimitätsprobleme: Zur Lage der Demokratie in Deutschland, 255-286.

Vierus, P., Ziller, C. & Marx, N. Grenzen politischer Repräsentation: Determinanten der Wahlbeteiligung bei Integrationsratswahlen in Nordrhein-Westfalen. Köln Z Soziol 74, 525–551 (2022). https://doi.org/10.1007/s11577-022-00863-2

Zitationshinweis

Kurz, Gabriel / Mommertz, Silvia (2023): Responsive Kommunalpolitik? Ein Erfahrungsbericht zur Interaktion und Erreichbarkeit von kommunalen Amts- und Mandatsträger*innen im Rahmen der Großstadtbefragung 2022, Kurzanalyse, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online verfügbar: https://regierungsforschung.de/responsive-kommunalpolitik/

This work by Gabriel Kurz and Silvia Mommertz is licensed under a CC BY-NC-SA license.

  1. Gemäß des Statistischen Bundesamts gelten Städte ab 100.000 Einwohnern als Großstadt. []
  2. Ein der Studie zugrundeliegendes Datenschutzkonzept gemäß Art. 5 DSGVO wurde den Befragten mit der Einladung zur Teilnahme zugesandt und war darüber hinaus über die Projektwebsite aufrufbar. []
  3. In einigen wenigen Städten konnten die Amts- und Mandatsträger*innen direkt über das Ratsinformationssystem kontaktiert werden, jedoch war die Zeichenanzahl limitiert und das Anhängen von Dateien nicht möglich. []
  4. Hiermit sind Informationen bezüglich der Amts- und Mandatsträger*innen gemeint, die über die Wahlbekanntgabe hinausgehen. []
  5. Falls E-Mails aufgrund von vollen Postfächern der Empfänger*innen nicht zustellbar waren, wurde dies seitens des Providers kenntlich gemacht. []

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