Rezension zu Robin Alexander: Machtverfall. Merkels Ende und das Drama der deutschen Politik. Ein Report.

Mit “Machtverfall beschreibt Robin Alexander in weiten Passagen die Corona-Politik der Berliner Republik und gibt Einblicke in , so Prof. Dr. Karl- Rudolf Korte von der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen.  Sein Buch bleibt hilfreich, , um den Countdown von Merkels Kanzlerschaft einzuordnen

Bestsellerautor Robin Alexander über das Ende der Ära Merkel: ein glänzend recherchierter Politthriller. Zum Ende ihrer Amtszeit hat Angela Merkel ihre wohl größte Herausforderung zu bestehen. Doch die Kanzlerin, die in Notsituationen oft zur Hochform aufgelaufen ist, gerät in dieser Krise an die Grenzen ihrer Autorität. Die Pandemie, so Robin Alexander, ist dabei nur ein weiteres, spektakuläres Kapitel in einem noch größeren Drama: dem Ende einer ganzen Ära. In seinem neuen Buch erzählt der Bestsellerautor die Geschichte hinter den Kulissen: vom harten, langen Kampf in den inneren Machtzirkeln der Republik und vom Showdown um Merkels Nachfolge, der die Union fast zerreißt. Ein glänzend recherchiertes Buch, das zeigt, wie nah in der Politik der unbedingte Wille zur Macht und die Machtlosigkeit beieinander liegen.

Robin Alexander: Machtverfall. Merkels Ende und das Drama der deutschen Politik. Ein Report.

Siedler Verlag, München, 2021, 384 Seiten, ISBN: 978-3-827-50141-7, 22,00 Euro

Autor

Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen und Direktor der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Regierungs‑, Parteien- und Wahlforschung.

 

Der Autor Robin Alexander ist fernsehbekannt. Kaum eine politische Talkrunde, in der der Welt-Autor fehlt. Redaktionen gehen davon aus, dass er immer hintergründig gut informiert ist. Dass er überall dabei ist und alle ihm vertrauliche Informationen übermitteln. Gemeint ist der Insiderkreis der Berliner Republik. Alexander kann, so auch im Buch, sehr anschaulich berichten. Er pointiert, spitzt zu, nutzt Leserführungen. Es bleibt an keiner Stelle verborgen, welche politische Meinung er selbst zur Sache hat und was er der Politik in dieser oder jener Entscheidungssituation geraten hätte. Es scheint, Robin Alexander verspürt seit vielen Jahren eigene Macht, die allerdings journalistische Integrität systematisch bedroht. Denn als Journalist ist man in dem Augenblick verloren, in dem man glaubt, diese Macht auch einsetzen zu können. Man wird vom Beobachter, Analysten, Einordner, kritischem Begleiter zum politischen Akteur. Zumindest kann man beim Lesen des Buches über das Ende der Kanzlerschaft Angela Merkels an vielen Stellen diesen Eindruck gewinnen. Dazu trägt auch die seltsame Perspektive bei: Die vertrauliche Nähe. Alexander suggeriert in jeder der beschriebenen Szenen, dass er dabei saß, als es passierte. Wir wissen, wer welche Tonspur aus Sitzungen heute für Journalisten mitlaufen lässt. Das war früher auch schon so. Es gab Bundesminister, die nach jeder Sitzung des Bundeskabinetts den ersten Termin mit Spiegel-Redakteuren hatten, um ihnen von der Sitzung zu berichten. Das ist insofern nicht neu. Vertrauensbruch ist ein Instrument der Politik. Der augenblickliche Medienfrust – Mitte November 2021 – hängt auch damit zusammen. Denn im Augenblick herrscht ampelige Vertrauensseligkeit. Nichts dringt nach außen, was Substanz hätte. So lernt die Politik aus den desaströsen Erfahrungen der Jamaika-Verhandlungen 2017. Die Ampel-Gespräche verlaufen diskret. Umso dramatischer lesen sich die Reportagen von Robin Alexander, der im Kern die Zeit nach 2018 näher beschreibt. Es ist das Jahr, in dem Merkel sich nach der Landtagswahl in Hessen gezwungen sieht, den Parteivorsitz abzugeben.

Für die Öffentlichkeit neu ist seine Geschichte, wie Annegret Kramp-Karrenbauer dann – in Kooperation mit Friedrich Merz – versuchte, die Kanzlerin aus dem Amt zu drängen. Hier wird leider ohne Bezug zum Grundgesetz argumentiert. Nach Rücktritt eines Kanzlers kommt es nicht zu automatisch Bundestagswahlen oder eine Auflösung des Bundestages, sondern zunächst zum Tagesordnungspunkt „Wahl des Bundeskanzlers“ im Bundestag. Wieso hätte die SPD aus der GroKo-Logik heraus zwei Jahre vor der Bundestagswahl Kramp-Karrenbauer zur neuen Kanzlerin wählen sollen? Wieso hätte die SPD ihr einen Kanzlerbonus geschenkt, wenn sie nach 16 Jahren die Chance bekommen könnte, erstmals eine Bundestagswahl ohne Merkel und ohne Bonus zu bestehen? Wer mit AKK als Kanzlerin argumentiert, hätte Neuwahlen – vermutlich über eine negative Vertrauensfrage im Bundestag – herbeiführen müssen. Ob sie dann als Kandidatin der Union von den Bürgerinnen und Bürgern in so ein Amt gewählt worden wäre, bleibt reine Spekulation. Auf jeden Fall suggeriert auch das Buch, dass man einfach einen Kanzler verdrängt und sich dann selbst zum Kanzler ausrufen lässt. Doch das verhindert das Grundgesetz.

Dass Kramp-Karrenbauer die Zeit als Parteivorsitzende nutzen musste, um auch eigene programmatische Akzente, abseits der Linie Angela Merkels, zu setzen, ist eindeutig. Hier arbeitet Alexander auch klassisch die Migrations- und Flüchtlingsthematik heraus. Sie ist ein wichtiger Drehpunkt für die Profilierung der Union – fast mit dem gleichen Stellenwert wie die „Agenda“-Politik für die SPD. Neue Identitäten sind wichtig, um kampagnenfähig zu werden. Sie SPD hat dies mit dem neuen Sozialstaatskonzept rechtzeitig vor der Bundestagswahl 2021 genutzt, was auch zum Wahlerfolg mit beigetragen hat.

Robin Alexander beschreibt in weiten Passagen die Corona-Politik der Berliner Republik. Die vielen Kurven des Erfolgs und Misserfolgs werden präzise erläutert. Auch die Corona-Politik erscheint im Buch als einziger Machtkampf um Positionierungen. Um dies einzuordnen, sei an dieser Stelle das neue Buch von Michael Mertes „Zyklen der Macht. Dynamik und Stagnation, Aufstieg und Niedergang in der Politik“ (Bouvier Verlag) empfohlen. Dort wird politikwissenschaftlich Macht entwickelt. Dort erkennt man, wie man machtpolitische Auf- und Abstiege orchestriert. Dort spürt man, wie voraussetzungsvoll Sach- und Machtfragen zusammengehören. Beide Bücher sind nicht vergleichbar. Alexander nutzt die Reportage. Mertes reflektiert Wissenschaft. Beide zusammen sind jedoch extrem wertvoll, um zu verstehen, wie Politik funktioniert. Robin Alexanders Buch bleibt hilfreich, um den Countdown von Merkels Kanzlerschaft einzuordnen. Aber es bleibt als eine Sicht auf die Entwicklung, die nach einer sehr langen Regentschaft nie zu verhindern sein wird..

Zitationshinweis:

Korte, Karl-Rudolf (2021): Robin Alexander: Machtverfall. Merkels Ende und das Drama der deutschen Politik. Ein Report. Online Verfügbar: https://regierungsforschung.de/thomas-de-maiziere-karl-ludwig-kley-die-kunst-guten-fuehrens/

This work by Karl-Rudolf Korte is licensed under a CC BY-NC-SA license.

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