Vermittlerin, Gestalterin, Korrektiv

Katja Rüskamp und Philipp Offergeld, die im Projektmanagement im Bereich Klimaschutz der Stiftung Mercator tätig sind, werfen einen Blick auf die Rolle der organisierten Zivilgesellschaft für den Klimaschutz. Wie können zivilgesellschaftliche Organisationen gezielt Themen verknüpfen, Koalitionen aufbauen und Kapazitäten entwickeln, um einen Beitrag zum Klimaschutz leisten zu können? Zwei Beispiele aus dem sozialpolitischen Bereich und dem Bereich Mobilität zeigen die zentrale Rolle der Zivilgesellschaft beim Erreichen ambitionierter Klimaziele auf.

Die Menschheit steuert bis zum Ende dieses Jahrhunderts auf eine Erderhitzung von rund 3° C oder mehr zu – weit über dem Limit von maximal 2°C, auf das sich die internationale Gemeinschaft im Pariser Klimaabkommen von 2015 geeinigt hat. Eine ungebremste Klimakrise wird jeden Aspekt des menschlichen Lebens stark beeinträchtigen, Wirtschafts- und Finanzsysteme destabilisieren und insbesondere vulnerable Gruppen unverhältnismäßig stark betreffen. Um die Klimaziele von Paris einzuhalten und schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels zu verhindern, ist eine schnelle und tiefgreifende Reduzierung der Treibhausgasemissionen in allen Teilen der Welt und sämtlichen Sektoren erforderlich.

Vermittlerin, Gestalterin, Korrektiv

Warum ambitionierter Klimaschutz eine starke und diverse Zivilgesellschaft braucht

Autor*innen

Katja Rüskamp ist Projektmanagerin im Bereich Klimaschutz der Stiftung Mercator. In dieser Funktion betreut sie Projekte zur Unterstützung eines breiten zivilgesellschaftlichen Engagements für mehr Klimaschutz und entwickelt Strategien zur Aktivierung und Ansprache neuer Zielgruppen aus Wirtschaft und Drittem Sektor für eine ambitionierte Klimapolitik. Zuvor war die studierte Energie- und Umweltökonomin u.a. für ein Consultingunternehmen aus dem Energiesektor tätig.

Philipp Offergeld ist Projektmanager im Bereich Klimaschutz der Stiftung Mercator. Nach einem Studium der Europa- und Politikwissenschaften war er ab 2009 zunächst in unterschiedlichen Funktionen im Team Internationale Verständigung sowie einer international arbeitenden Partnerorganisation der Stiftung Mercator tätig, die er federführend mit aufbaute. Seit 2013 arbeitet Philipp Offergeld im Bereich Klimaschutz und verantwortet hier Projekte und Portfolios zu den Themen sozialverträgliche Verkehrswende, Klimajournalismus und Klimakommunikation. In diesem Zusammenhang entwickelte und betreut er Organisationen wie Agora Verkehrswende, den Clean Energy Wire (CLEW) oder klimafakten.de.

Der Klimaschutz ist eine gesamtgesellschaftliche Gestaltungsaufgabe

Die Menschheit steuert bis zum Ende dieses Jahrhunderts auf eine Erderhitzung von rund 3° C oder mehr zu – weit über dem Limit von maximal 2°C, auf das sich die internationale Gemeinschaft im Pariser Klimaabkommen von 2015 geeinigt hat. Eine ungebremste Klimakrise wird jeden Aspekt des menschlichen Lebens stark beeinträchtigen, Wirtschafts- und Finanzsysteme destabilisieren und insbesondere vulnerable Gruppen unverhältnismäßig stark betreffen. Um die Klimaziele von Paris einzuhalten und schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels zu verhindern, ist eine schnelle und tiefgreifende Reduzierung der Treibhausgasemissionen in allen Teilen der Welt und sämtlichen Sektoren erforderlich. Dies bedingt einen umfassenden Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft, also eine wesentliche Neuordnung von Energieerzeugung und -nutzung, von Güterherstellung und -transport und der Art und Weise, wie sich Menschen fortbewegen, ernähren, konsumieren und arbeiten.

Der Klimaschutz ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe: Denn so wie alle Lebensbereiche von den Folgen der Erderhitzung betroffen sein werden, muss auch in nahezu allen Dimensionen des gesellschaftlichen Zusammenlebens an der Minderung von Emissionen gearbeitet werden – und das zügig, will man einen Beitrag dazu leisten, gefährlichen Kipppunkten im Klimasystem entgegenzuwirken. Notwendigerweise werden sich auch jedwede politischen Lösungsansätze tiefgreifend auf den Alltag und die Gewohnheiten der Menschen in diesem Land auswirken. Klimawandel und Klimaschutz stellen damit besondere Ansprüche an demokratische Governance-Prozesse und die Suche nach politischen Mehrheiten: Denn dort, wo Lebenskontexte und -vorstellungen unmittelbar berührt werden, wo die Umsetzung ambitionierter Klimaschutzmaßnahmen auf den Nahbereich der Menschen, auf eingeübte und bislang funktionierende Systeme der Alltagsgestaltung und individuelle wie kollektive Pfadabhängigkeiten trifft, werden Kosten und Nutzen der Transformation hinterfragt, gegenübergestellt und immer wieder neu verhandelt. Unterschiedliche soziale Gruppen, aber auch Unternehmen artikulieren ihre Sorgen vor Mehrbelastungen, machen aber ebenso ihre Hoffnungen für und Ansprüche an die notwendigen Transformationsprozesse geltend. Das gesellschaftliche Ringen um ökonomisch wie ökologisch sinnvolle Wege hin zur Treibhausgas-Neutralität trifft damit auf eine (ohnehin schwelende) soziale Verteilungsdebatte.

Solche Aushandlungsprozesse über das Für und Wider und die konkrete Ausgestaltung politischer Reformvorschläge stehen im Wesenskern einer demokratischen Gesellschaft und ermöglichen erst eine an langfristigen Zieldimensionen ausgerichtete, von vielen Menschen mitgetragene, das heißt zukunftsfähige und im Kern „nachhaltige“ Politik. Dennoch sind wir überzeugt, dass die Tragweite einer fortschreitenden Erderhitzung und die Notwendigkeit einer ebenso breiten wie tiefen Transformation unserer derzeitigen Lebens- und Wirtschaftsweise dem ohnehin diffizilen, weil vielschichtigen Prozess des demokratischen Interessensausgleichs eine neue Komplexitätsdimension hinzufügt. Nicht zuletzt, weil es hierbei nicht allein um die Aushandlung aktueller gesellschaftlicher Belange geht – sondern auch um das Interesse kommender Generationen, in einer intakten Lebenswelt aufzuwachsen und leben zu können. Um einen breiten gesellschaftlichen Rückhalt für Klimaschutz sicherzustellen, gilt es daher, den Wandelprozess aktiv zu moderieren und den möglichen Zerrkräften entgegenzuwirken, die die Grundstruktur des gesellschaftlichen Miteinanders destabilisieren und zugleich die notwendige Dekarbonisierung verzögern könnten.

Die Zivilgesellschaft kann den diskursiven Rahmen für die Transformation setzen

Hierzu müssen die unterschiedlichen klima-, sozial- und wirtschaftspolitischen Ansprüche an diesen Prozess kenntlich gemacht, offen und sachbezogen diskutiert und in der Ausgestaltung von Klimaschutzmaßnahmen nachvollziehbar in Einklang gebracht werden. Das bedeutet auch, ebensolche gesellschaftliche Gruppen systematischer in den Klimaschutz-Diskurs zu integrieren, die sich bislang nicht oder nur marginal mit diesen Themen auseinandergesetzt und bislang weder eine wahrnehmbare Rolle noch hörbare Stimme im Diskurs hatten. Das Mitwirken sogenannter „themenferner“ Gruppen beim Klimaschutz ist aus unterschiedlichen Gründen zentral: für eine kluge und interdisziplinäre Ausgestaltung klimapolitischer Maßnahmen, für die Generierung einer breiten gesellschaftlichen Unterstützung für deren Umsetzung und, damit einhergehend, für die grundsätzliche Erhöhung politischer Veränderungsbereitschaft. Ihre Einbindung stärkt die demokratische Legitimität und stellt sicher, dass die Lösungssuche im Einklang mit den Werten und Bedürfnissen breiter gesellschaftlicher Gruppen erfolgt. Partizipation und Mitbestimmung dürfen dabei nicht nur politische Schlagworte sein; gesellschaftliche Gestaltungsmacht darf nicht nur suggeriert, sondern muss aktiv eingefordert und ermöglicht werden. Hierfür ist es wichtig, die jeweiligen Interessenlagen, politischen Präferenzen und Wertvorstellungen dieser Gruppen besser zu verstehen, aufzuzeigen, wie Klimaschutz mit diesen Werten vereinbar ist und diese Gruppen zu unterstützen, aus ihren eigenen Denklogiken heraus Zugänge zum Thema Klimaschutz zu finden.

Der organisierten Zivilgesellschaft kommt in diesem Zusammenhang eine Schlüsselrolle zu: Sie kann als „Auffangnetz“ der heterogenen gesellschaftlichen Interessen im Transformationsprozess fungieren und die Wünsche und Sorgen unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen in politische Forderungen kanalisieren. Sie kann politische Reformprozesse fachlich und kommunikativ begleiten und dafür Sorge tragen, dass wesentliche gesellschaftspolitische Aspekte – auch und insbesondere jenseits umweltpolitischer Interessen – in der öffentlichen Klimaschutzdebatte Gehör finden. Sie kann aufzeigen, dass die signifikante Minderung von Emissionen Hand in Hand mit wirtschaftlicher Prosperität und sozialer Gerechtigkeit gehen kann, damit den Debattenrahmen setzen und die Breite der Gesellschaft einladen, an der Ausgestaltung entsprechender Maßnahmen innerhalb dieses Rahmens mitzuwirken. Gerade die großen, mitgliedergetragenen Verbände erfüllen an dieser Stelle eine wichtige Binnenfunktion in der internen Wissensvermittlung sowie Ansprache und Aktivierung ihrer Mitgliederbasis. Klassische Umweltorganisationen können durch die Zusammenarbeit mit originär themenfernen Organisationen ihre Perspektiven erweitern und die eigene fachliche Aufstellung und Reichweite zu anderen gesellschaftspolitischen Aspekten stärken. Die Suche nach Lösungen zur Eindämmung des Klimawandels wird somit vielseitiger, innovativer und kreativer. Die Offenlegung der Verknüpfungen zwischen Klimaschutz und anderen gesellschaftlichen Themen und die Vielfalt der Perspektiven können auch dazu führen, dass neue Begründungszusammenhänge für nachhaltiges Handeln aufgezeigt werden. Dadurch kann eine größere Bandbreite sozialer Gruppen Nachhaltigkeitsthemen in ihre Denk- und Handlungslogiken integrieren. Dies wiederum begünstigt einen breiten gesellschaftlichen Rückhalt für ambitionierte Klimaschutzmaßnahmen. Zugleich kann die Zivilgesellschaft als „außerparlamentarisches Korrektiv“ dienen und das Regierungshandeln im Dekarbonisierungsprozess beobachten, Veränderungen anmahnen, Transparenz und Rechenschaftspflichten einfordern und öffentlichkeitswirksam für eine Beschleunigung und sozialverträgliche Ausgestaltung von Klimaschutz eintreten.

Die Bedeutung der organisierten Zivilgesellschaft für die Gestaltung nachhaltiger Governance im Klimaprozess wird besonders deutlich, wenn man ihre Rolle in Abgrenzung zu anderen Akteuren betrachtet. Wenngleich die letztendliche Entscheidung über Auswahl und Priorisierung klimapolitischer Maßnahmen bei demokratisch gewählten politischen Entscheider*innen liegt, bleibt Politik geleitet und beeinflusst von Wahlzyklen, kurzfristigen parteipolitischen Erfolgen und den (zumindest wahrgenommenen) Bedürfnissen der jeweiligen Wähler*innenbasis. Entsprechend schwer tun sich Regierungen jeglicher politischer Couleur, langfristig angelegte gesellschaftliche Dialog- und Aushandlungsprozesse zu organisieren, in deren Rahmen unterschiedliche Interessen zunächst gleichberechtigt nebeneinander stehen und unabhängig von machtpolitischen Erwägungen und Parteiprogrammatiken abgewogen werden. Auch Unternehmen sind in ihrer eigenen Logik den wirtschaftlichen Partikularinteressen ihrer Kund*innen und Anteilseigner*innen verpflichtet, nicht aber der Organisation eines breiten gesellschaftlichen Austauschs (wenngleich sie dort partizipieren können und sollten).

Gezielte philanthropische Unterstützung kann die Durchschlagskraft zivilgesellschaftlichen Engagements erhöhen

Grundvoraussetzung für eine breite und wirkungsvolle Einbindung möglichst vieler, insbesondere auch themenferner zivilgesellschaftlicher Akteure in den Klimaschutz-Diskurs ist es, dass diese ausreichend Kapazitäten haben, um Klimaschutz als relevantes Querschnittsthema in ihren jeweiligen Organisationen zu verankern. Sie müssen in der Lage sein, sich mit den komplexen und dynamischen Entwicklungen in der Klimapolitik auseinandersetzen und die Vernetzung mit bereits aktiven umweltpolitischen Organisationen vorantreiben zu können. Viele dieser Akteure stehen jedoch im Wettbewerb um Spenden, Fördermittel und Mitgliedsbeiträge; die eingeworbenen Mittel dienen im Wesentlichen der Aufrechterhaltung etablierter Strukturen sowie Kernfunktionen und -mandate der jeweiligen Organisationen. Viele Organisationen befürchten dabei, dass eine adäquate Ausstattung der Klimaschutzarbeit nur mit entsprechenden Kürzungen in den originären Arbeitsfeldern darzustellen ist. Genau deshalb ist es wichtig, dass diese Akteure Klimaschutz-Aktivitäten nicht als ‚neue‘ Handlungsfelder definieren, sondern bestenfalls in die Logik der bestehenden Programme und Themen integrieren.

Hinzu kommt, dass viele Organisationen, die sich bislang nur am Rande mit Nachhaltigkeitsthemen befasst haben, anfangs über begrenztes klimapolitisches Fachwissen verfügen und die Glaubwürdigkeit dieser Organisationen in Bezug auf das Thema Klimaschutz erst noch etabliert werden muss – intern wie extern. Hierfür müssen Organisationen ihre Mitglieder und Unterstützer*innen über die Bedeutung des Klimaschutzes informieren und für das Thema sensibilisieren. Dies erfordert zusätzliche Weiterbildungsarbeit und interne Kommunikationsanstrengungen. Angesichts dieses Aufgabenportfolios tun sich viele, insbesondere kleinere Organisationen noch schwer, die richtigen Zugänge zu den Themen Klimawandel und Klimaschutz zu identifizieren.

In diesem Spannungsfeld können Stiftungen und andere philanthropische Einrichtungen eine entscheidende Rolle als Katalysator zivilgesellschaftlicher Such- und Kooperationsprozesse in der Klimaschutz-Debatte spielen. Vorab sei gesagt: Wenn der Klimawandel nur gesamtgesellschaftlich gelöst werden kann, muss auch auf Ebene der Stiftungsarbeit eine neue Dynamik entstehen. Stiftungen müssen besser darin werden, die Verknüpfungen von Klimaschutz und anderen gesellschaftlichen Herausforderungen in ihrem bestehenden philanthropischen Wirken und in ihren Förderstrategien abzubilden. Es liegt im genuinen Eigeninteresse aller philanthropischen Akteure – unabhängig von thematischen Förderschwerpunkten – aus ihren Handlungs- und Wirkungslogiken heraus einen Beitrag zur Lösung der Klimakrise zu leisten. Denn mittelfristig werden sich Stiftungen nur dann erfolgreich im Sinne eines sozialen Wandels engagieren können, wenn sie die Risiken, die der Klimawandel für ihre jeweiligen Arbeitsbereiche mit sich bringt und die Vorteile für wirkungsvolles Stiftungshandeln, die sich aus dem Klimaschutz ergeben, in ihre jeweilige Theory of Change mit einbeziehen. Dies bedingt allerdings, dass sich bereits etablierte Klima-Stiftungen und die philanthropischen Akteure, die sich bislang noch nicht beziehungsweise nicht systematisch mit Klimathemen beschäftigt haben, bereit sind, die tradierten thematischen Silos aufzubrechen und neue, teilweise auch ungewohnte Kooperationen und Fördermöglichkeiten zu sondieren – zum Beispiel in der gemeinsamen Förderung von diversen zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich für eine Stärkung des gesellschaftlichen Rückhalts für ambitionierten Klimaschutz einsetzen.

In diesem Zusammenhang sehen wir dabei im Wesentlichen zwei Ansatzpunkte für wirkungsvolles philanthropisches Engagement:  Zum einen gilt es, vor allem jenen zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich bislang nicht beziehungsweise nur am Rande mit Klimathemen beschäftigt haben, die Möglichkeit zu geben, sich das notwendige Wissen und Rüstzeug für eine vertiefte Auseinandersetzung mit und eine Positionierung in der Klimaschutz-Debatte zu organisieren (Capacity Building). Hierzu gehören beispielsweise Weiterbildungen und Schulungen von Mitarbeitenden zu Klimathemen, die Einbindung oder Anstellung von Fachleuten, die Identifizierung von Querschnittsthemen oder auch die Erhebung spezifischer Emissionsdaten und weiteren Analysen, mit denen ein tiefergehendes Engagement für den Klimaschutz begründet werden kann.

Zum anderen muss es den diversen zivilgesellschaftlichen Akteur*innen ermöglicht werden, sich zu vernetzen, einen konstruktiven Dialog und Wissenstransfer über die unterschiedlichen Zugänge zur Klimaschutzdebatte zu etablieren und gemeinsame Standpunkte und Zielvorstellungen zu den unterschiedlichen Dimensionen einer sozial gerechten Transformation zu identifizieren. Hierüber können Grundlagen für eine breitere gesellschaftliche Unterstützung entsprechender Klimaschutzmaßnahmen geschaffen und der Handlungsdruck auf politische Entscheider*innen erhöht werden (Coalition Building).

Wie eine solche philanthropische Unterstützung für Capacity Building bzw. Coalition Building in der Zivilgesellschaftsförderung konkret aussehen kann, lässt sich anhand zweier Beispiele aus dem Förderportfolio der Stiftung Mercator beschreiben:

Die Stärkung der sozialpolitischen Stimme für mehr Klimaschutz

Seit 2022 fördert die Stiftung Mercator den Deutschen Caritasverband (DCV), einen der größten Wohlfahrtsverbände Deutschlands. Der Förderung lag die Beobachtung zugrunde, dass die Diskussion um die notwendige sozialverträgliche Ausgestaltung der Klimapolitik zunehmend kontrovers geführt wurde. Dies stellt klimapolitische Think Tanks und die Zivilgesellschaft vor große Herausforderungen: In einer stark politisch aufgeladenen Debatte, in der soziale Aspekte zunehmend gegen Klimaschutz ausgespielt wurden, waren sie vielfach nicht in der Position, als glaubwürdige Botschafter*innen mit sozialen Argumenten Gehör zu finden. Den Wohlfahrtsverbänden kam hier als Brückenbauer mit starker Reichweite in bisher nicht klimaschutzaffine Milieus, aber auch aufgrund ihrer sozialpolitischen Kompetenz und Glaubwürdigkeit eine bedeutende Rolle zu. Sie sollten dazu beitragen, die Debatte zu versachlichen und den besonders von den negativen Auswirkungen des Klimawandels betroffenen Gruppen eine Stimme zu geben. Der Deutsche Caritasverband begann bereits im Jahr 2019, eine eigene klimapolitische Expertise aufzubauen, Positionen zu erarbeiten und Netzwerke in Wissenschaft und Zivilgesellschaft zu knüpfen. Der Verband setzte sich zudem das Ziel, bis 2030 klimaneutral zu werden. Als Wohlfahrtsverband ist der DCV (auch politisch) hervorragend in Milieus jenseits der „Klima-Blase“ vernetzt und setzt durch den engen Austausch mit anderen Wohlfahrtsverbänden und Umweltorganisationen Impulse für eine sachorientierte Befassung mit den sozialen Dimensionen der Klimapolitik. Zugleich hat der Verband mit fast 700.000 Mitarbeitenden und mehreren Hunderttausend Ehrenamtlichen auch nach innen eine starke Reichweite. Durch die Unterstützung von Stiftungen wie der Stiftung Mercator und der European Climate Foundation konnte der DCV die interne klimapolitische Expertise und Positionierung zu Belangen des sozial gerechten Klimaschutzes gezielt ausbauen und inhaltliche Zugänge zum Thema Klimaschutz in den Fachfeldern der sozialen Arbeit entwickeln.

Neben der Erarbeitung und Verbreitung eigener politischer Stellungnahmen sucht der DCV dabei weiterhin gezielt die Kooperation mit Umwelt- und Wohlfahrtsverbänden, um gemeinsame Positionierungen zu entwickeln. Zugleich werden Kooperationen mit Forschungsinstituten aufgesetzt, um für einzelne Themenfelder konkrete politische Gestaltungsvorschläge auszuarbeiten, Wirkungen klimapolitischer Instrumente auf Verteilungsfragen aufzuzeigen und die praktische Expertise des DCV auch für laufende Forschungsvorhaben nutzbar zu machen. Zudem erarbeitet der DCV gemeinsam mit Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen der sozialen Arbeit für ausgewählte Fachbereiche1 systematisch die inhaltlichen Zugänge zum Thema Klimaschutz aus den jeweiligen Blickwinkeln. Ziel ist es, die Zusammenhänge für die Dienste und Einrichtungen des DCV in Materialien aufzubereiten, um diese als Multiplikator*innen zu befähigen, zielgruppenspezifisch zu kommunizieren. In der Binnensicht wurde der DCV in die Lage versetzt, die verbandsinterne Kommunikation zum Thema Klimaschutz weiterzuentwickeln und Mitarbeiter*innen und Ehrenamtliche des DCV als Multiplikator*innen und Fürsprecher*innen eines sozial gerechten Klimaschutzes zu stärken. Damit wurden die Voraussetzungen geschaffen, sowohl Lösungsvorschläge für sozial gerechte Klimapolitik zu erarbeiten und auf der Ebene politischer Entscheider*innen zu diskutieren als auch über die enge Zusammenarbeit und den Austausch mit anderen Wohlfahrtsverbänden Inspiration für weiteres Engagement zu bieten. In der Öffentlichkeitsarbeit wird die Kooperation mit anderen Wohlfahrtsverbänden, Akteuren der Sozialwirtschaft, kirchlichen Organisationen und Umweltverbänden gesucht und Betroffenen aus vulnerablen Gruppen Sichtbarkeit und eine Stimme im Diskurs gegeben.

Das Bündnis Sozialverträgliche Mobilitätswende bietet Räume für die zentralen klima- und sozialpolitischen Aushandlungsprozesse im Verkehrsbereich

Das „Bündnis Sozialverträgliche Mobilitätswende“ ist ein bislang einmaliger Zusammenschluss aus Wohlfahrts- und Sozialverbänden (SoVD, VdK, AWO), Gewerkschaften (IG Metall, DGB, ver.di), Umweltverbänden (NABU, BUND, VCD) und der Evangelischen Kirche in Deutschland, das 2019 ins Leben gerufen wurde und von der Stiftung Mercator gefördert und unterstützt wird. Die Begründungsfigur für den Aufbau des Bündnisses ähnelt der des DCV-Projekts: Der für einen ambitionierten Klimaschutz notwendige Umbau des Verkehrssektors geht unausweichlich mit kontroversen Diskussionen um regionale und soziale Verteilungsfragen einher. So wird die fortschreitende Elektrifizierung der Pkw-Flotten erhebliche Auswirkungen auf die Beschäftigungsstruktur in der Automobil- und Zulieferindustrie haben. Verkehrsbetriebe und neue Mobilitätsdienstleister*innen werden vor dem Hintergrund mangelnder Personalkapazitäten bedarfsgerechte, barrierefreie und klimafreundliche Mobilitätsangebote schaffen müssen. Die Bezahl- und Verfügbarkeit von Mobilität im urbanen wie im ländlichen Raum muss verbessert werden – gerade in den Zeiten, in denen viele Menschen durch die Inflation in existenzielle Nöte kommen. Entscheidend ist zudem, den Transformationsprozess und den damit verbundenen Strukturwandel in der Fläche zu organisieren und den Kosten und Nutzen dieses Transformationsprozesses gerecht zu verteilen. Der Zivilgesellschaft kommt dabei die entscheidende Rolle zu, die unterschiedlichen gesellschaftlichen Ansprüche an den Verkehrswende-Prozess zu artikulieren und mit dafür Sorge zu tragen, dass ökologische, ökonomische sowie soziale Anliegen in Einklang gebracht und nicht gegeneinander ausgespielt werden. Das Bündnis Sozialverträgliche Mobilitätswende konnte sich dabei in den vergangenen zwei Jahren als zentraler Ort für den vertrauensvollen, konstruktiven und lösungsorientierten zivilgesellschaftlichen Diskurs über sozial gerechte Klimaschutzpfade im Verkehr etablieren. Seit Beginn des Arbeits- und Verständigungsprozesses kommen die Vertreter*innen der zehn am Bündnis beteiligten Organisationen regelmäßig zusammen, um sich systematisch über aktuelle Entwicklungen im Verkehrssektor auszutauschen, gemeinsame verkehrspolitische Positionen auszuhandeln und Treffen mit politischen Entscheider*innen, gemeinsame Veranstaltungen oder Presseauftritte vorzubereiten. Basis der Zusammenarbeit ist ein gemeinsam entwickeltes Empfehlungspapier, in dem erstmals von allen Mitgliedern des Bündnisses getragene Standpunkte und Zielvorstellungen zu den unterschiedlichen Dimensionen einer sozial gerechten Mobilitätswende festgehalten und mit konkreten Umsetzungsmaßnahmen unterfüttert wurden. Diese Handlungsempfehlungen wurden öffentlichkeitswirksam publiziert und haben seitdem hohe Beachtung in Politik, Zivilgesellschaft und Medien gefunden, sowohl auf Bundesebene als auch in den Regionen.

Die Wirkungslogik dieses Coalition Building-Projekts liegt insbesondere darin, einen konstruktiven und vertrauensvollen Dialog und Wissenstransfer zu den sozialen Effekten und Verteilungsfragen einer Verkehrswende insbesondere zwischen Sozialverbänden, Gewerkschaften, Umweltverbänden und Kirchen zu etablieren und langfristig zu sichern. Über die Förderung werden die Bündnispartner*innen befähigt, die Debatte um das „wie“ einer sozialverträglichen Mobilitätswende noch stärker in die eigenen Verbandsstrukturen auch auf Landes- und Regionalebene zu tragen und die Anschlussfähigkeit der erarbeiteten Empfehlungen an regionalpolitische Debatten um die Zukunft der Mobilität und an die Lebensrealitäten ihrer Mitglieder zu überprüfen. Damit soll ein breiteres Verständnis für die unterschiedlichen klima-, sozial- und gesundheitspolitischen Interessen bei der Umsetzung der Verkehrswende in Politik und Wirtschaft generiert und die Sichtbarkeit des Bündnisses als sounding boardund konstruktiver Gesprächspartner in der Ausformulierung entsprechender Politikvorschläge erhöht werden. Das Projekt soll hierdurch einer weiteren Polarisierung des Verkehrswende-Diskurses entgegenwirken und somit die Grundlagen für eine breitere gesellschaftliche Akzeptanz und Unterstützung entsprechender Verkehrswendemaßnahmen schaffen.

Fazit

Die klimaschutzkonforme Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft ist ein hochkomplexer Prozess, der die Lebens- und Arbeitsrealitäten von Menschen und Organisationen unmittelbar beeinflusst. Die Suche nach adäquaten Lösungen für die Bewältigung der Klimakrise bedingt demnach auch neue Ausprägungen einer demokratischen Governance, das heißt die Bündelung, konstruktive Abwägung und Priorisierung klima-, gesellschafts- und wirtschaftspolitischer Interessen in diesem Prozess. Die Anforderungen des Klimaschutzes – und insbesondere die Geschwindigkeit, mit der Emissionen reduziert werden müssen – und der Wille seitens Gesellschaft und Politik, diese Wandelprozesse im notwendigen Tempo mitzumachen, verlaufen nicht automatisch parallel, sondern müssen sorgfältig austariert werden, um gesellschaftliche Spannungen wo möglich zu vermeiden beziehungsweise abzumildern. Angesichts der Herausforderungen der Klimakrise dürfen aber auch berechtigte Sorgen vor einer umfassenden Transformation nicht zu klimapolitischem Stillstand und politischer Mutlosigkeit führen – oder gar als Vorwand genutzt werden, einen ohnehin nicht gewollten Wandel zu konterkarieren.

Der organisierten Zivilgesellschaft kommt in ihrer Breite die zentrale Rolle zu, diesen gesellschaftlichen Balanceakt mit zu organisieren und damit zur Umsetzung ambitionierter, sozial gerechter und weithin akzeptierter Klimaschutzmaßnahmen beizutragen. Der offene Austausch und Wissenstransfer zwischen themenfernen und themennahen zivilgesellschaftlichen Organisationen, der es beiden Seiten erlaubt, Gemeinsamkeiten, Differenzen und Prioritäten im Hinblick auf unterschiedliche Transformationspfade herauszuarbeiten, ist dabei ein zentraler Erfolgsfaktor für die gesellschaftlich akzeptierte Umsetzung klimapolitischer Maßnahmen. Stiftungen sind daher gut beraten, es zivilgesellschaftlichen Akteuren zu ermöglichen, sich aus ihren Wirkungslogiken heraus für ambitionierten Klimaschutz zu engagieren, themenübergreifende Kooperationen zu suchen und damit auch einen Beitrag zur Lösung anderer gesellschaftlicher Herausforderungen leisten zu können. Durch den Aufbau interner Kapazitäten in der Zivilgesellschaft und die Unterstützung breiter zivilgesellschaftlicher Netzwerke können die Grundlagen dafür gelegt werden, gemeinsam tragfähige Lösungen für die Umsetzung klimapolitischer Maßnahmen zu entwickeln und an Entscheider*innen in Politik und Wirtschaft heranzutragen – und damit auch ein stabiles Gegengewicht zu den Partikularinteressen von Wirtschaft und Parteipolitik zu setzen.

Zitationshinweis

Rüskamp, Katja und Philipp Offergeld (2023): Vermittlerin, Gestalterin, Korrektiv, Warum ambitionierter Klimaschutz eine starke und diverse Zivilgesellschaft braucht, Essay, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online Verfügbar: https://regierungsforschung.de/vermittlerin-gestalterin-korrektiv/

This work by Katja Rüskamp und Philipp Offergeld is licensed under a CC BY-NC-SA license.

  1. Zu Beispielen zählen Kinder- und Jugendhilfe, Alter, Pflege und Gesundheit, Migration/ einkommensarme Menschen in besonderen Lebenslagen. []

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