Vitale Parteienforschung

Der neue Band von Elmar Wiesendahl ist viel mehr als ein Überblick über die Parteienforschung, sondern liefert einen beeindruckenden und extrem systematischen Überblick zum Stand der Parteienforschung in Deutschland, so Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte von der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen. Deshalb eignen sich die zehn Kapitel insbesondere für die Lehre.

Der Untertitel des Buches ist untertrieben: Die Publikation ist viel mehr als nur ein Überblick. Darin steckt ein Verständnis des Lebenswerks von Elmar Wiesendahl, was er programmatisch füllt. Denn er beschreibt nicht nur die Parteienforschung in Deutschland, sondern auch sein Verständnis von politischen Parteien und von politikwissenschaftlicher Forschung.

Vitale Parteienforschung

Elmar Wiesendahl: Parteienforschung. Ein Überblick

Springer VS, Wiesbaden, 2022, 482 Seiten, ISBN: 978-3-658-33899-2, 39,99 Euro

Autor

Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen und Direktor der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Regierungs-, Parteien- und Wahlforschung.

 

Der Untertitel des Buches ist untertrieben: Die Publikation ist viel mehr als nur ein Überblick. Darin steckt ein Verständnis des Lebenswerks von Elmar Wiesendahl, was er programmatisch füllt. Denn er beschreibt nicht nur die Parteienforschung in Deutschland, sondern auch sein Verständnis von politischen Parteien und von politikwissenschaftlicher Forschung. Sein Blick ist immer organisationssoziologisch, auch betriebswirtschaftlich getrieben. Die Perspektive qualitativer Forschungen, teilnehmende Beobachtungen und die personalisierten Machtseiten der Parteien spielten in seiner Betrachtung von Zweck-Mittel-Zuordnungen eher untergeordnete Rollen. Das ist keine Abwertung, sondern eher eine klare Zuordnung. Denn er nimmt eine Vermessung von Grundlagen und Funktionsbestimmungen vor, die zur gängigen Herangehensweise der Parteienforschung in Deutschland passen. Auch die seit Jahren erkennbare Engführung von Parteienforschung als Vermessung des politisch Sozialen findet so seinen Niederschlag. Wo trifft man beispielsweise fast nie Parteienforscher? In den Parteien, bei den Parteitagen, in den Arenen der parteipolitischen Gremienarbeit. So sind die Ergebnisse der Parteienforschung oft angetrieben vom Eifer des sozialwissenschaftlichen Szientismus und weniger vom Eigenleben des parteipolitischen Alltags. Oft gelten US-Standards, die eine Methodologie und eine Theorie vorgeben, die aber nicht zur Phänomenologie deutscher politischer Parteien passen können. Denn wer würde behaupten, dass die US-Parteien irgendeine Gemeinsamkeit mit deutschen Parteien hätten?

Unabhängig von solchen grundsätzlichen Eingrenzungen liefert Wiesendahl einen beeindruckenden und extrem systematischen Überblick zum Stand der Parteienforschung in Deutschland. Hier fließen in weiten Passagen immer wieder Texte mit ein, die wir von Wiesendahl kannten und die er neu zuordnet.

Es kann hier keineswegs ein Überblick über die zehn Kapitel geleistet werden. Aber bereits die Gliederung zeigt, wie wertvoll der Text auch für den Lehrbetrieb ist. Denn sie dokumentiert eine Entwicklungsgeschichte in Teilabschnitten, die in sich geschlossen daherkommen.

Wiesendahl ist optimistisch über die Zukunft der Parteien und stimmt keinesfalls in den weit verbreiteten Abgesang mit ein. Ich kenne keine Organisation, die sich so lernend-lebendig und dynamisch auf dem Markt von Interessen bewegt wie eine Partei. Hier bündelt sich Innovation mit Überlebenskraft. Das sieht man nur beim präzisen Blick. Sie sind in dieser Rolle auch vollkommen unersetzbar für moderne Willensbildung in Demokratien. Insofern spricht auch viel dafür, sie mit ganz anderen Instrumentarien, Perspektiven und theoretischen Vorannahmen unter die Lupe zu nehmen, als es gängig erscheint. Denn sie sind weitaus mehr als nur Problemlösungsagenturen und Machterwerbsorganisationen. Sie sind Gesinnungsgemeinschaften, Lebensstil-Biotope, Rechthaber-Ansammlungen und Gesinnungsgemeinschaften. Sie sind Begleiter des Wandels und zeigen Robustheit in Krisen. Wir können hier noch sehr viel erforschen, wenn man den Blick neugierig schweifen lässt und sich vom Mainstream sozialwissenschaftlicher Pfade entfernt.

Zitationshinweis:

Korte, Karl-Rudolf (2022): Vitale Parteienforschung, Elmar Wiesendahl: Parteienforschung. Ein Überblick, Rezension, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online Verfügbar: https://regierungsforschung.de/vitale-parteienforschung/

This work by Karl-Rudolf Korte is licensed under a CC BY-NC-SA license.

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