Bedrohte Kommunalpolitiker:innen

Gabriel Kurz und Silvia Mommertz vom Lehrstuhl für Public Policy und Landespolitik an der NRW School of Governance der Universität Duisburg-Essen thematisieren im Kontext der Ergebnisse der Großstadtbefragung “Kommunale Repräsentation und gesellschaftliche Vielfalt” die Konfrontation von Kommunalpolitiker:innen in Deutschland mit Beleidigungen, Bedrohungen und tätlichen Übergriffen. Während in ihrem Erfahrungsbericht zur Erreichbarkeit und Interaktion kommunaler Amts- und Mandatsträger:innen bereits umfassende Einblicke in das Themenfeld responsiver Kommunalpolitik gegeben wurden, skizzieren die beiden Autor:innen in ihrem Essay die Bedrohungslage von Kommunalpolitiker:innen und betonen die Notwendigkeit, dem Thema Sicherheit in der Kommunalpolitik mehr Aufmerksamkeit zu widmen und Schutzmaßnahmen zu entwickeln.

In einem Land wie Deutschland ist es ohne große Bedenken möglich, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Während man arbeitet, einkaufen geht oder sich mit Freund:innen in der Öffentlichkeit trifft, hat man grundsätzlich die zweifelsfreie Gewissheit von Sicherheit und Schutz. Diese Selbstverständlichkeit ist für viele Ehrenamtliche, die sich in der Kommunalpolitik engagieren, leider nicht gegeben. Erfahrungen, die von simplen Beleidigungen über zerstörte Wahlkampfmittel bis hin zu Vorfällen reichen, bei denen man aufgrund einer gewaltbereiten Gruppe das eigene Haus nur unter Polizeischutz verlassen konnte, wurden uns von Kommunalpolitiker:innen, die an der Großstadtbefragung 2022 teilgenommen haben, anonymisiert geschildert.

Bedrohte Kommunalpolitiker:innen

Ein Plädoyer für mehr Sicherheit und Schutz von kommunalen Amts- und Mandatsträger:innen im Kontext der Erkenntnisse der Großstadtbefragung 20221

Autor:innen

Gabriel Kurz ist Masterstudent an der NRW School of Governance seit Oktober 2021. Für die Professur für Landespolitik und Public Policy an der NRW School of Governance der Universität Duisburg-Essen arbeitet er seit 2022. Hierbei beschäftigte er sich vor allem mit der Großstadtbefragung 2022, welche in Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung durchgeführt wurde.

Silvia Mommertz ist Studentin des Masterprogramms „Politikmanagement, Public Policy und öffentliche Verwaltung“ an der NRW School of Governance. Als studentische Mitarbeiterin an der Professur für Public Policy und Landespolitik an der NRW School of Governance der Universität Duisburg-Essen arbeitete sie mit an der Großstadtbefragung 2022.

In einem Land wie Deutschland ist es ohne große Bedenken möglich, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Während man arbeitet, einkaufen geht oder sich mit Freund:innen in der Öffentlichkeit trifft, hat man grundsätzlich die zweifelsfreie Gewissheit von Sicherheit und Schutz. Diese Selbstverständlichkeit ist für viele Ehrenamtliche, die sich in der Kommunalpolitik engagieren, leider nicht gegeben. Erfahrungen, die von simplen Beleidigungen über zerstörte Wahlkampfmittel bis hin zu Vorfällen reichen, bei denen man aufgrund einer gewaltbereiten Gruppe das eigene Haus nur unter Polizeischutz verlassen konnte, wurden uns von Kommunalpolitiker:innen, die an der Großstadtbefragung 2022 teilgenommen haben, anonymisiert geschildert.

Die Großstadtbefragung 2022 ist eine Umfrage unter politischen Amts- und Mandatsträger:innen in den 77 deutschen Großstädten2 sowie den Bezirken der Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg. Diese wurde vom Team der Professur für Landespolitik und Public Policy der Universität Duisburg-Essen unter der Leitung von Prof. Dr. Andreas Blätte in Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung durchgeführt. Die Untersuchung stellt eine neue substanzielle Datenbasis für politikwissenschaftliche Erkenntnisse zur lokalen Repräsentation sozialer und kultureller Pluralität sowie zu den Schwierigkeiten der Amts- und Mandatsausübung aufgrund von Bedrohungserfahrungen dar. Die Studie “Vielfältige Repräsentation unter Druck: Anfeindungen und Aggressionen in der Kommunalpolitik” (Blätte et al. 2022) enthält erste Ergebnisse der Großstadtbefragung 2022. Gerade weil die Befragten ihr Amt oder ihr Mandat zumeist ehrenamtlich ausüben und ihre wertvolle Zeit für die Befragung zur Verfügung gestellt haben, möchten wir uns als Autor:innen an dieser Stelle nochmals bei allen Teilnehmenden bedanken.

Die Ergebnisse der Großstadtbefragung 2022 zeigen auf alarmierende Weise, welchem sozialen Umfeld kommunale Politiker:innen ausgesetzt sind.

60 Prozent der teilnehmenden Amts- und Mandatsträger:innen haben schon einmal eigene Erfahrungen mit Beleidigungen, Bedrohungen oder tätlichen Übergriffen gemacht. Zudem hat dies bei knapp einem Drittel der Befragten, unabhängig davon, ob sie Anfeindungen und Hass selbst erlebt haben oder nicht, zu Veränderungen im persönlichen Verhalten geführt (Blätte et al. 2022: 11). Diese Ergebnisse sind Teil eines gesamtgesellschaftlichen Phänomens. Durch den täglichen Medienkonsum oder auch durch einfache Internetrecherchen kann dies sehr schnell bestätigt werden. Vorfälle wie die geplante Entführung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach durch Personen der Querdenker- und Reichsbürgerszene im Frühjahr 2022 oder auch der Aufmarsch von zwei Dutzend radikaler Gegner der Covid-Maßnahmen vor dem Haus der sächsischen Gesundheitsministerin Petra Köpping im Winter 2021 haben bundesweit Aufmerksamkeit erregt und die Bedrohungslage für Politiker:innen sichtbar gemacht (RND 2022; Locke 2021).

Während sich Amts- und Mandatsträger:innen auf Landes-, Bundes- oder Europaebene meist auf ein breiteres Sicherheitsnetz verlassen können, sind dahingegen Personen in der Kommunalpolitik besonders verletzlich. Dies liegt vor allem daran, dass die Qualität dieses fundamentalen Teils unserer repräsentativen Demokratie vom enormen und zugleich bürgernahen Engagement der vielen, meist ehrenamtlich Tätigen abhängt. Dort treffen die Bürger:innen direkt auf ihre gewählten Repräsentant:innen. Im Rahmen der Großstadtbefragung 2022 wurde uns zudem anvertraut, dass bei manchen Teilnehmenden Bedenken oder Ängste um sich selbst oder ihre Familie wachsen – dass sie das Gefühl haben, keine Hilfe erhalten zu können. Diese problematischen Erkenntnisse haben uns dazu veranlasst, unsere eigenen Eindrücke im Kontext der Ergebnisse der Großstadtbefragung 2022 zu erläutern. Hierdurch möchten wir verdeutlichen, wieso dieses Thema angegangen werden sollte, was zu tun ist und somit ein neues Verständnis von Sicherheit und Schutz für Kommunalpolitiker:innen zu konzipieren.

Resistenz der Kommunalpolitiker:innen und ein gesamtgesellschaftliches Problem

Trotz des hohen Anteils von 60 Prozent der Befragten, die schon einmal bedroht, beleidigt oder tätlich angegriffen wurden, haben im Vergleich dazu lediglich 4,7 Prozent der Befragten schon einmal über einen Rückzug aus der lokalen Politik nachgedacht. Auch wenn es eindeutig als Warnung zu verstehen ist, dass beinahe 5 Prozent aller Amts- und Mandatsträger:innen diesen Gedanken schon einmal hatten, zeigt es doch auch, dass die meisten Kommunalpolitiker:innen bereit sind für ihr ehrenamtliches Engagement einiges auf sich zu nehmen (Blätte et al. 2022: 21-22, 34). Gerade deshalb sollten wir als Gesellschaft der Sicherheitsthematik in der Kommunalpolitik mehr Aufmerksamkeit widmen.

Eine weitere interessante Erkenntnis der Befragung ist, dass das Erleben von Beleidigungen, Bedrohungen und tätlichen Übergriffen nicht an Merkmale wie Geschlecht, Migrationshintergrund oder Schichtzugehörigkeit gebunden ist. Sie betreffen alle Personen in relativ gleichem Maße. Auch eine klassische Einteilung in ost- und westdeutsche Bundesländer ist nicht möglich, da die Differenzen bereits innerhalb der einzelnen Bundesländer enorm sind. So gibt es auch eine große Spannweite zwischen den Städten. Dieses über alle Merkmale gleichbleibende Schema wiederholt sich zudem bei der Parteizugehörigkeit, wobei hier lediglich die AfD einen Sonderfall3 darstellt (Blätte et al. 2022: 21-27). Insgesamt wird deutlich, dass Beleidigungen, Bedrohungen und tätliche Übergriffe, denen Kommunalpolitiker:innen im lokalen Umfeld ausgesetzt sind, ein gesamtgesellschaftliches Problem sind.

Merkmale und Struktur von Anfeindungen und Hass

Die unterschiedlichen Erfahrungen mit Beleidigungen, Bedrohungen und tätlichen Übergriffen lassen sich weiter untergliedern. Dies ist für diesen Essay insofern relevant, um einen umfassenderen Einblick in die verschiedenen Aspekte von Anfeindungen und Hass zu erhalten. Von den Befragten, die Erfahrungen mit Bedrohungen oder Beleidigungen gemacht haben, gaben insgesamt 41 Prozent an, dass sie diese bereits durch Anrufe, E-Mails, Briefe oder Faxe erlebt haben. Dabei zeigt die Auswertung der offenen Antworten, dass Telefonterror, Massen- und Spam-E-Mails sehr häufig vorkommen. Aber auch Androhungen von sexueller Belästigung, Vergewaltigung, Gewalt und Mord wurden häufig erlebt. Gleiches zeigt sich in den sozialen Netzwerken. 44,7 Prozent der Amts- und Mandatsträger:innen, die bedroht oder beleidigt wurden, erlebten diese Aggressionen und den Hass auf Facebook, Instagram, Twitter und Co. Hier zeigt sich leider sehr deutlich, dass die Befragten die ihnen entgegengebrachten Beleidigungen und Bedrohungen sehr oft nicht mehr als etwas Besonderes wahrnehmen und sich dies bei den Betroffenen normalisiert hat. Zudem gibt es Fälle von Bildmontagen. Dies dürfte in Zukunft im Hinblick auf die Entwicklung von KI und ähnlichem eine ganz neue Bedeutung erlangen. Fast die Hälfte der Befragten mit Anfeindungs- und Hasserfahrungen gab an, auch schon einmal direkt beleidigt oder bedroht worden zu sein. Am häufigsten geschah dies an Partei- oder Infoständen (Blätte et al. 2022: 27-31).

Die Motive für Beleidigungen, Bedrohungen und tätliche Übergriffe sind vielschichtig. Zum einen können sie auf diskriminierenden und menschenverachtenden Überzeugungen beruhen. Rassismus, Sexismus, Religionsfeindlichkeit, Homophobie und Transphobie sind an der Tagesordnung. Andererseits zeigen die Ergebnisse aber auch, dass Beleidigungen, Bedrohungen und tätliche Übergriffe aufgrund bestimmter Entscheidungen zu konkreten Policies oder Politikfeldern auftreten können. Hier spielen auch die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie eine wesentliche Rolle.

Sachbeschädigungen und körperliche Übergriffe sind deutlich seltenere Phänomene, jedoch durch den direkten Eingriff in die Lebensrealität der Amts- und Mandatsträger*innen umso bedeutungsschwerer. Knapp 11 Prozent der Befragten, die Opfer von Anfeindungen oder Übergriffen wurden, gaben an, schon einmal Sachbeschädigungen erlebt zu haben. Diese reichen von zerstörten Wahlplakaten über zerstochene Autoreifen und beschädigte Briefkästen bis hin zum Beschmieren des eigenen Hauses mit Fäkalien. Von den Amts- und Mandatsträger:innen mit Anfeindungs- und Hasserfahrungen gab knapp ein Zehntel an, schon einmal bedrängt oder körperlich angegriffen worden zu sein. Insgesamt 111 der 2.165 Teilnehmenden berichteten von Gewalt- und Morddrohungen. Häufig auch im Kontext von Todeslisten (Blätte et al. 2022: 31).

Letztlich verdeutlichen die Ergebnisse vor dem Hintergrund unserer Erkenntnisse im Wesentlichen, dass ein Vorfall umso seltener, aber auch umso schwerwiegender ist, je privater er ist. Dies zeigt sich exemplarisch auch an den uns anonym berichteten Fällen von Stalking und privatem Filmen – nicht nur der befragten Amts- und Mandatsträger:innen, sondern auch deren Familien. Wir möchten an dieser Stelle hervorheben, dass wir explizit keine Einzelfälle zitieren, sondern lediglich die Struktur und Charakteristika der Antworten zu Anfeindungs- und Hasserfahrungen zusammenfassend wiedergeben. Auch wenn die Darstellung besonders schwerwiegender Einzelerfahrungen im Rahmen dieses Essays unser Anliegen deutlich untermauern würde, gebietet es neben den offensichtlichen Gründen wie dem Datenschutz vor allem der Respekt vor der Offenheit und Transparenz der teilnehmenden Befragten, darauf zu verzichten.

Gesamtgesellschaftlicher Kontext

Will man die Erkenntnisse der Großstadtbefragung 2022 in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext einordnen, bietet sich zunächst ein Blick in die Polizeiliche Kriminalstatistik an. So ist die Zahl der politisch motivierten Straftaten im Jahr 2022 um über 7 Prozent auf einen neuen Höchststand von 58.916 Delikten gestiegen. Auch die politisch motivierten Gewaltdelikte stiegen um vier Prozent auf 4.043 Straftaten. Dabei ist zunächst festzuhalten, dass es sich hierbei nicht nur um Delikte gegen Amts- und Mandatsträger:innen handelt, sondern diese polizeiliche Statistik alle Straftaten erfasst, die per Definition politisch motiviert sind. Eine detailliertere Betrachtung der Thematik bestätigt diesen Befund jedoch zunächst nicht. So ist die Zahl der politisch motivierten Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger:innen im Jahr 2022 um 11,7 Prozent auf 4.173 Delikte gesunken. Dies ist aber trotz allem kein Grund zur Entwarnung, da im Jahr 2021 die gegen die Amts- und Mandatsträger:innen gerichteten politisch motivierten Straftaten um 67 Prozent auf ein Allzeithoch gestiegen sind. Dieser Anstieg steht vor allem im Zusammenhang mit den Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Hinzu kommt, dass trotz eines leichten Rückgangs der Gesamtstraftaten gegen diese Personengruppe die politisch motivierten Gewalttaten von 2021 auf 2022 um 31 Prozent auf 173 Delikte angestiegen sind (Bundesministerium des Innern und für Heimat/Bundeskriminalamt 2023). Auch Erkenntnisse aus dem Verfassungsschutzbericht 2022 können dies untermauern. So wird auf die gewaltorientierte Radikalisierung der links- und vor allem der rechtsextremen Szene hingewiesen, wobei beispielsweise in rechtsgerichteten sozialen Netzwerken vermehrt über Gewalt- und Mordszenarien gegen Amts- und Mandatsträger:innen fantasiert wird (Bundesministerium des Innern und für Heimat 2023).

Umgang mit Erfahrungen von Anfeindungen und Hass

Doch wie geht man als Betroffene:r mit eben diesen Anfeindungs- und Hasserfahrungen um? Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann beispielsweise erstattet wegen der vielen Beleidigungen und Morddrohungen durchschnittlich 250 Strafanzeigen pro Monat (Saake 2023). Dies ist aber für die meisten Kommunalpolitiker:innen wegen des Fehlens eines so großen Teams im Hintergrund wie bei der Bundestagsabgeordneten nicht möglich. So tauschen sich mehr als die Hälfte aller Teilnehmenden der Großstadtbefragung 2022 privat oder mit den Kolleg:innen über ihre Erfahrungen mit Beleidigungen, Bedrohungen und tätlichen Übergriffen aus. Diese sozialen Kontakte sind meist die ersten Ansprechpartner:innen und geben vielen Betroffenen eine erste Unterstützung. Gut ein Fünftel der Befragten gibt an, Anzeige erstattet zu haben oder mit der Polizei über die Vorfälle gesprochen zu haben. Hilfsangebote etwa von der eigenen Partei oder der Stadt, des Landes und/oder zivilgesellschaftlicher Akteure werden ebenfalls von etwa einem Fünftel in Anspruch genommen (Blätte et al. 2022: 37-40). Im Zusammenhang mit sozialen Netzwerken wurde dabei mehrfach auf HateAid verwiesen, eine gemeinnützige Organisation, die Betroffene von Hate Speech und Hasskommentaren im Netz berät und unterstützt. Es zeigt sich aber auch, dass viele der Amts- und Mandatsträger:innen mit Beleidigungs- und Bedrohungserfahrungen die Online-Kommentare selbst löschen lassen.

Ebenfalls gut ein Fünftel der Befragten wendet sich an die Öffentlichkeit. Dabei gaben sie an, vor allem Pressemitteilungen, Social-Media-Posts oder auch Zeitungskommentare als Medium ihrer Wahl zu nutzen. Einige berichteten uns aber auch, dass sie ihre Erfahrungen von Anfeindungen und Hass in öffentliche Reden oder Diskussionen miteinbinden. Dies kann und sollte als besonders wichtig betrachtet werden, da die Kommunalpolitiker:innen selbst auf ihre Situation hinweisen und dadurch ein breiteres Verständnis in der Gesellschaft schaffen. Einige Betroffene suchten auch das direkte Gespräch und versuchten, die Angelegenheit im persönlichen Austausch zu lösen. Andere wiederum reagierten mit Gegenrede. Welcher Weg der richtige ist, hängt immer von der jeweiligen Situation ab. Letztlich ist nach Ansicht einiger Befragter auch die individuelle Reflexion ein Weg, um mit Erfahrungen von Anfeindungen und Hass umzugehen (Blätte et al.: 37-40).

Ungeachtet dessen zeigen sich die meisten kommunalen Amts- und Mandatsträger:innen, die an der Großstadtbefragung 2022 teilgenommen haben, als sehr widerstandsfähig. So haben, wie bereits erwähnt, erst weniger als 5 Prozent aller Befragten darüber nachgedacht, sich aufgrund der wahrgenommenen Bedrohungslage aus der lokalen Politik zurückzuziehen. Besorgniserregender sind in diesem Kontext eher die persönlichen Veränderungen der Kommunalpolitiker:innen durch die ihnen entgegengebrachten Anfeindungen und den gegen sie gerichteten Hass. So hat fast ein Drittel der Befragten, die schon einmal beleidigt, bedroht oder tätlich angegriffen wurden, ihr persönliches Verhalten infolgedessen geändert. Bedenklich ist zudem, dass dies auch auf gut 26 Prozent aller kommunalen Amts- und Mandatsträger:innen zutrifft, die diese Erfahrungen noch nicht gemacht haben. Dabei ändern Frauen, Personen mit Migrationshintergrund und Personen, die sich selbst der Unterschicht zuordnen, relativ häufiger ihr persönliches Verhalten (Blätte et al. 2022: 35).

Als Verhaltensänderung gaben mehr als die Hälfte der Befragten an, insgesamt misstrauischer geworden zu sein. Aber auch die seltenere Äußerung zu bestimmten Themen ist für rund ein Drittel der Befragten eine wesentliche Folge. Ebenfalls deutlich zurückhaltender behandeln die lokalen Amts- und Mandatsträger:innen ihre persönlichen Daten. Häufig haben sie ihre Adressen oder auch Kontaktdaten aus verschiedenen Online-Dateninformationssystemen löschen lassen. Zudem berichteten uns 28 Prozent der lokalen Amts- und Mandatsträger:innen, teilweise oder generell auf soziale Netzwerke zu verzichten. Manche Kommunalpolitiker:innen legten aber auch dar, dass sie bestimmte Veranstaltungen oder Orte meiden würden (Blätte et al. 2022: 35-36). Leider wurde uns aber auch anvertraut, dass sich manche Kommunalpolitiker:innen wegen den vielen Anfeindungen und dem Hass teilweise oder gänzlich aus der Politik zurückziehen wollen – meist aus Angst um die eigene Familie. Andere gaben sogar an, den Wohnort gewechselt zu haben oder die zwischenmenschlichen Kontakte insgesamt einschränken zu wollen. Schließlich beklagten einige der meist ehrenamtlich Tätigen, dass sie das Gefühl hätten, mit ihren Erfahrungen allein zu sein und keine Hilfe, insbesondere von der Stadt oder der Partei, zu erhalten.

Für mehr Sicherheit und Schutz in der Kommunalpolitik: Was ist zu tun?

Auf Basis dieser Erkenntnisse sehen wir unserer Meinung nach dringenden Handlungsbedarf beim Thema Sicherheit und Schutz von Kommunalpolitiker:innen. Wir möchten hierbei einige Lösungsansätze vorstellen und erläutern, die sich aus unseren Eindrücken besonders ergeben haben. Diese sind nicht allumfassend, können aber als Impuls für weitere Strategien zu Sicherheit und Schutz in der Kommunalpolitik dienen. Die Lösungsansätze richten sich erstens an uns, die Politikwissenschaftler:innen sowie zweitens an die Gesellschaft im Ganzen sowie spezifische Teile davon. Drittens richten sie sich an die Betroffenen selbst. An dieser Stelle möchten wir hervorheben, dass es nicht die eine Lösung gibt. Die Betroffenen brauchen aufgrund ihrer unterschiedlichen Erfahrungen mit Anfeindungen und Hass unterschiedliche Lösungen. Vielmehr bedarf es insgesamt einer Auswahl an Lösungen, die sich gegenseitig unterstützen und ergänzen und dadurch für mehr Sicherheit und Schutz in der Kommunalpolitik sorgen.

Was können wir als Politikwissenschaftler:innen also tun? Zunächst der Thematik grundsätzlich mehr Aufmerksamkeit und Interesse widmen. Auch wenn die Großstadtbefragung 2022 bei weitem nicht die erste, geschweige denn die einzige Untersuchung zur Sicherheit von kommunalen Amts- und Mandatsträger:innen ist4, hatten wir während der Datenerhebung den Eindruck, dass sich viele der Befragten über unser wissenschaftliches Anliegen freuen  ̶  dass sich endlich jemand generell für ihre Situation interessiert. Zudem sind wissenschaftliche Erkenntnisse essenziell, um ein gesellschaftliches Problem offenzulegen und zu benennen. So sind neben weiteren quantitativen Studien zur Bedrohungslage in der lokalen Politik sicherlich auch qualitative Arbeiten notwendig, die sich mit spezifischeren Themen beschäftigen. Diese könnten beispielsweise Themen wie Queerfeindlichkeit oder Rassismus wesentlich kenntnisreicher und detaillierter behandeln.

Als Gesellschaft kann man grundsätzlich erstmal Gleiches tun. Mehr, öffentlicher und intensiver über die Beleidigungen, Bedrohungen und tätlichen Übergriffe in der Kommunalpolitik reden und diskutieren. Wichtig ist dabei, dass das gesteigerte Interesse von drei verschiedenen Ebenen kommt. Erstens muss die Europa-, Bundes- und Landespolitik dem Thema mehr Aufmerksamkeit schenken, in ihren Kreisen diskutieren und nach Lösungsansätzen suchen. Dies ist insofern gerechtfertigt, als die Qualität der höheren politischen Ebenen massiv von dem Fundament der repräsentativen Demokratie – der Kommunalpolitik – abhängt. Zweitens muss zusätzlich medial mehr über die Bedrohungs- und Gewalterfahrungen der kommunalen Amts- und Mandatsträger:innen berichtet werden, damit drittens auch wir als Bürger:innen besser und umfassender informiert sind und dadurch dem enormen Engagement der viele, meist ehrenamtlich Tätigen gerechter werden können. Im Kontext der Veröffentlichung der ersten Ergebnisse der Großstadtbefragung 2022 hatte das Thema insgesamt mehr Aufmerksamkeit erhalten und kann somit als Impuls für weiteres dienen.

Dabei könnten wir als Gesellschaft einige Lösungsansätze diskutieren, die uns aufgrund der Ergebnisse und Eindrücke der Großstadtbefragung 2022 naheliegend erscheinen. Dazu gehören im rechtlichen Kontext unter anderem eine konsequentere strafrechtliche Verfolgung von Beleidigungen und Bedrohungen im Internet sowie die Verpflichtung der Betreiber sozialer Netzwerke, strafbare Inhalte an die zuständigen Behörden zu melden. Diskutiert werden kann auch, ob und inwieweit die Hürden für die Erstattung von Anzeigen gesenkt werden sollten, um diesen Schritt deutlich zu erleichtern. Dies kann noch dahingehend differenziert werden, dass einzelne besonders betroffene Städte staatliche Stellen einrichten, an die sich Betroffene wenden können. In diesem Sinne wäre z.B. eine offizielle Erfassung von Beleidigungen, Bedrohungen und tätlichen Angriffen hilfreich. Zudem kann zum einen über eine Ausweitung des Strafrechts diskutiert werden, so dass auch Kommunalpolitiker:innen als Personen des politischen Lebens behandelt und damit vor Verleumdung geschützt werden. Zum anderen wäre eine Änderung des Melderechts sinnvoll, so dass es keine Adressauskünfte der lokalen Amts- und Mandatsträger:innen mehr gibt. Dies würde vor allem dem persönlichen Schutz vor sehr schwerwiegenden Fällen von Anfeindungen und Hass dienen.

Auch landes- oder bundesweite Online-Plattformen, auf denen sich Betroffene über ihre Erfahrungen mit Beleidigungen, Bedrohungen und tätlichen Übergriffen gegenseitig austauschen und Unterstützung bekommen können, sind essenziell. Das Portal Stark im Amt, welches Informationen und Hilfe für Kommunalpolitiker:innen anbietet, die sich mit Gewalt und Hass konfrontiert sehen, muss weiter etabliert und gestärkt werden. Aufklärungskampagnen über das kommunalpolitische Ehrenamt und die Schwierigkeiten bei dessen Ausübung angesichts von Anfeindungen und Hass würden zudem die Bedeutung der lokalen Amts- und Mandatsträger:innen der Gesellschaft näherbringen.

Die vielen, meist ehrenamtlich Tätigen leisten mit ihrem enormen Engagement großes für die Kommunalpolitik. Dass Erfahrungen mit Beleidigungen, Bedrohungen und tätlichen Übergriffen oft als normal oder gegeben wahrgenommen werden, ist ungeachtet allem Verständnisses unsererseits für die Thematik grundsätzlich nicht förderlich. So sollten die vielen lokalen Amts- und Mandatsträger:innen ihre Anfeindungs- und Hasserfahrungen trotz aller Schwierigkeiten ernst nehmen. Zudem sollten sie trotz aller berechtigten Hemmnisse den Austausch mit ihren Kolleg:innen, der Partei sowie der Stadt suchen und somit das unserer Ansicht nach gerechtfertigte Interesse einfordern. Besonders wichtig ist es, dass Stadt- und Gemeinderäte im demokratischen Spektrum parteiübergreifend und geschlossen auftreten und sich so solidarisch gegen Anfeindungen und Hass stellen können. Einige Teilnehmende berichteten uns, dass gerade mit dem Einzug der AfD der Ton in den Stadt- und Gemeinderäten rauer geworden ist, weshalb wir einen parteiübergreifenden Zusammenschluss mit dieser Partei sowie anderen ähnlichen politischen Kräften für schwierig halten. Letztlich sind wir uns bewusst, dass dieser letzte Teil für mehr Sicherheit und Schutz in der Kommunalpolitik der wohl gravierendste ist. Wir verstehen, dass das Äußern zu schwergwiegenden Erfahrungen wie Gewalt- und Morddrohungen, tätliche Übergriffe oder auch Erlebnisse, welche die eigene Familie betreffen, besonders schwierig ist. Gerade deshalb sollte dieser letzte Teil nur als Vollendung unsere Lösungsansätze verstanden werden.

Fazit

Die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke im Sommer 2019 hat auf erschreckende Weise gezeigt, wohin Anfeindungen und Hass führen können. Auch wenn die Ergebnisse der Großstadtbefragung 2022 glücklicherweise keinen solchen Extremfall zeigen, sind die Erkenntnisse dennoch alarmierend. Um den Problemen im sozialen Umfeld vieler kommunaler Amts- und Mandatsträger:innen entgegenzuwirken, braucht es eine umfassende Auswahl an Lösungsansätzen. Diese richten sich nach unseren Eindrücken an die Wissenschaft, an die Gesellschaft und an die Betroffenen selbst. Nur im Zusammenspiel kann man für mehr Sicherheit und Schutz für die vielen lokalen Amts- und Mandatsträger:innen sorgen.

Die Kommunalpolitik ist wesentlicher Bestandteil unserer repräsentativen Demokratie. Dort werden die Interessen der Bürger:innen in ihrem direkten Lebensumfeld vertreten und beeinflussen unmittelbar das persönliche Leben eben jener. Deshalb ist es von entscheidender Relevanz, dass die Sicherheit und der Schutz der vielen Kommunalpolitiker:innen gewährleistet wird. Nur so können sie ihre meist ehrenamtliche Arbeit effektiv und unabhängig ausüben und damit einen grundlegenden Beitrag zur Stärkung unserer Demokratie leisten.

Literatur

Blätte, A., Dinnebier, L. & Schmitz-Vardar, M. (2022). Vielfältige Repräsentation unter Druck: Anfeindungen und Aggressionen in der Kommunalpolitik. Hrsg. Heinrich-Böll-Stiftung.

Bundesministerium des Innern und für Heimat (2023): Verfassungsschutzbericht 2022. https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/publikationen/DE/verfassungsschutzberichte/2023-06-20-verfassungsschutzbericht-2022.pdf?__blob=publicationFile&v=3.

Bundesministerium des Innern und für Heimat, Bundeskriminalamt (2023): Politisch motivierte Kriminalität im Jahr 2022. Bundesweite Fallzahlen. https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2023/05/pmk2022.
html#:~:text=Die%20Zahl%20der%20politisch%20motivierten,der%20Statistik%20
im%20Jahr%202001.

Locke, S. (2021): Vor Haus von Petra Köpping. Aufmarsch mit brennenden Fackeln. In Frankfurter Allgemeine Zeitung. https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/empoerung-nach-aufmarsch-vor-haus-von-sachsens-gesundheitsministerin-koepping-17668581.html.

RedaktionsNetzwerk Deutschland (2022): Staatsanwaltschaft ermittelt: „Querdenker“ planten Entführung von Karl Lauterbach. Razzien gegen Telegram-Chatgruppen. https://www.rnd.de/politik/karl-lauterbach-querdenker-gruppe-soll-entfuehrung-und-regierungssturz-geplant-haben-G55TXWLNPBDMDJL2F6IVLGZQOQ.html.

Saake, K (2023): Strack-Zimmermann stellt 250 Anzeigen pro Monat – „Die Morddrohungen häufen sich“. In Frankfurter Rundschau. https://www.fr.de/politik/strack-zimmermann-fdp-morddrohungen-hass-hetze-politiker-amtstraeger-hatespeech-frauenfeindlichkeit-cybermobbing-92258708.html.

Zitationshinweis

Kurz, Gabriel / Mommertz, Silvia (2023): Bedrohte Kommunalpolitiker:innen, Ein Plädoyer für mehr Sicherheit und Schutz von kommunalen Amts- und Mandatsträger:innen im Kontext der Erkenntnisse der Großstadtbefragung 2022, Essay, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online verfügbar: https://regierungsforschung.de/bedrohte-kommunalpolitikerinnen/

This work by Gabriel Kurz and Silvia Mommertz is licensed under a CC BY-NC-SA license.

 

  1. Der Beitrag ist der zweite Teil der Einblicke von Gabriel Kurz und Silvia Mommertz in ausgewählte Aspekte der Großstadtbefragung „Kommunale Repräsentation und gesellschaftliche Vielfalt“. Der erste Beitrag ist als Kurzanalyse zum Thema „Responsive Kommunalpolitik? Ein Erfahrungsbericht zur Interaktion und Erreichbarkeit von kommunalen Amts- und Mandatsträger:innen im Rahmen der Großstadtbefragung 2022“ am 27. April 2023 auf Regierungsforschung.de veröffentlicht worden. []
  2. Nach dem Statistischen Bundesamts gelten Städte ab 100.000 Einwohnern als Großstadt. []
  3. Zur Erklärung hierzu siehe Blätte et al. 2022: 25-27. []
  4. Siehe beispielsweis hierzu: Alin, S., Bukow, S., Faus, J., John, S. & Jurrat, A. (2021): Beleidigt und bedroht. Arbeitsbedingungen und Gewalterfahrungen von Ratsmitgliedern in Deutschland. Hrsg. Heinrich-Böll-Stiftung. Oder: forsa (2021): Hass und Gewalt gegen Kommunalpolitiker/innen. Einschätzungen und Erfahrungen von Bürgermeister/innen in Deutschland. []

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