Mit der ersten Fernsehdebatte der europäischen Spitzenkandidaten am 28. April 2014 erlebte der Europawahlkampf seinen ersten Höhepunkt. TV-Duelle können vor allem bei knappen Wahlen durchaus wahlentscheidend sein.
Damit erlangt das erste europäische TV-Duell eine besondere Relevanz für den Ausgang der Europawahl, die sich laut unserer letzten Prognose durch ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen auszeichnet. Wie wirkt sich das TV-Duell auf unsere aktuelle Wahlprognose aus?
Die zweite Duisburger Prognose zur Europawahl 14:
Europäische Konservative können Vorsprung halten
Von Oliver Schwarz und Lea Santkiewitsch
Mit der ersten Fernsehdebatte der europäischen Spitzenkandidaten am 28. April erlebte der Europawahlkampf seinen bisherigen ersten Höhepunkt. Während der Einfluss von TV-Duellen auf das Wählerverhalten gerade im deutschen Kontext von der Forschung bereits eingehend untersucht worden ist (Bachl/Brettschneider/Ottler 2013; Maurer et al. 2007; Faas/Maier 2004; Maurer/Reinemann 2003), so betritt die Europäische Union (EU) in dieser Hinsicht Neuland.
Einen direkten empirischen Beleg dafür, dass ein TV-Duell den Ausgang einer Wahl verändert hätte, konnte bislang keine Studie erbringen. Wohl aber lösen Fernsehdebatten nachweislich erhebliche Mobilisierung- und Verstärkereffekte im Wahlkampf aus. Auch kann ein TV-Duell als Agenda-Setter für einzelne Wahlkampfthemen fungieren und sich für die jeweiligen Parteien als wichtiges Instrument zum Themenmanagement erweisen. Die stärkste Wirkung, die TV-Debatten zugeschrieben jedoch wird, ist die Veränderung der Kandidatenbeurteilung. TV-Duelle können somit vor allem bei knappen Wahlen durchaus entscheidend für den Wahlausgang sein, insbesondere wenn man von Effekten auf noch unentschlossene Wähler ausgeht. Für den Ausgang der Europawahl, die sich laut unserer jüngsten Prognose durch ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen europäischen Konservativen und Sozialdemokraten auszeichnet, erlangt das erste europäische TV-Duell damit eine besondere Relevanz.
Wie beurteilten die Medien das erste europäische TV-Duell?
„Unterhaltsamer und kultivierter als man es von TV-Diskussionen gewohnt ist“, resümierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung. „Ein TV-Duell der EU-Superlative“ urteilte der österreichische Kurier. Für Le Soir aus Belgien war es „eine schlechte Debatte, aber ein guter Anfang“. Einen eindeutigen Sieger vermochten die europäischen Medien nicht zu benennen. „Die Demokratie war der Sieger“, schlussfolgerte Euronews. Einen deutlichen Sieger verzeichnete hingegen die von der Brüsseler Public-Relations-Agentur Burson-Marsteller zur Europawahl initiierte Webseite Europe Decides: Bei einer nach dem TV-Duell erfolgten Onlineabstimmung wurde Guy Verhofstadt, Spitzenkandidat der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE), mit 53,4% zum eindeutigen Sieger des Abends erklärt. Der von der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE) nominierte Martin Schulz erzielte 19,4% der Stimmen. Für Ska Keller von der Europäischen Grünen Partei stimmten 18% der Internetuser. Jean-Claude Juncker, der Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP), erlangte 9,2% der Stimmen.
Wie auch immer das Fernsehduell bewertet werden mag: Über den europäischen Fernsehsender Euronews wurde das TV-Duell simultan in 13 Sprachen übertragen und erreichte damit 415 Millionen potenzielle Zuschauer in 156 verschiedenen Ländern. Nach einer Pressemitteilung der Universität Maastricht, an der die Debatte durchgeführt wurde, generierte das Duell insgesamt 40.000 Tweets im Verlauf des Abends. Das Nachrichtenportal EurActiv kürte daraufhin sogar Twitter zum Sieger des Duells. TV-Duelle scheinen somit auch im transnationalen Kontext Aufmerksamkeit zu generieren – nicht nur unter Wissenschaftlern und Politikern, sondern auch in den Medien und bei den Bürgern. Kurzum: Das erste TV-Duell war ein europäischer Blockbuster in dem ansonsten als Nichtereignis charakterisierten Europawahlkampf. Mit Spannung darf daher das kommende TV-Duell erwartet werden, das bereits auf den 15. Mai terminiert ist und von der European Broadcasting Union (EBU) übertragen werden wird.
Die Entwicklung nach dem TV-Duell
Unsere aktuelle Prognose (siehe Abbildung 1) für den Ausgang der Europawahlen sieht unverändert die Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) (EVP) vorne. Basierend auf unseren Berechnungen würde die EVP momentan 228 der insgesamt 751 Sitze im Europäischen Parlament erhalten und wäre mit einem Stimmenanteil von rund 30 Prozent führende Fraktion im Europäischen Parlament. Knapp hinter der EVP befindet sich weiterhin dieProgressive Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament (S&D) mit 207 Sitzen und einem Stimmenanteil von rund 28 Prozent. Während die EVP ihr Ergebnis damit halten kann, büßt die S&D im Vergleich zu unserer vorhergehenden Prognose 4 Sitze ein (siehe Tabelle 1).
Abbildung 1: Aktuelle Prognose zur Europawahl 2014
Tabelle 1: Vergleich zur vorhergehenden Prognose
Prognosen | EVP | S&D | ALDE | GUE/ NGL | Grüne/ EFA | EFD | ECR | Fraktionslos |
Duisburger Prognose (28.04.14) | 228 | 211 | 64 | 53 | 42 | 28 | 31 | 92 |
Duisburger Prognose (06.05.14) | 228 | 207 | 64 | 50 | 45 | 34 | 33 | 90 |
Entwicklung | 0 | -4 | 0 | -3 | +3 | +6 | +2 | -2 |
Quelle: Eigene Darstellung.
Auch die ALDE-Fraktion kann ihr Ergebnis halten. Nach unserer aktuellen Wahlprognose ziehen die Liberalen mit 64 Sitzen in das Europäische Parlament ein. Es folgt die Vereinte Europäische Linke/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL)mit 50 Parlamentssitzen. Das entspricht einem leichten Verlust von 3 Sitzen im Vergleich zu unserer ersten Prognose. Die Grünen/Europäische Freie Allianz (Grüne/EFA) erhält nach unseren derzeitigen Berechnungen 45 Sitze, was einem Zuwachs von 3 Sitzen entspricht. Den deutlichsten Gewinn mit 6 Sitzen verzeichnet die Fraktion Europa der Freiheit und der Demokratie (EFD). Die Fraktion erhält nach unserer derzeitigen Wahlprognose 34 Sitze im Europäischen Parlament und zieht damit an den Europäischen Konservativen und Reformisten (ECR) vorbei. Obwohl die ECR im Vergleich zur vergangenen Woche 2 Sitze mehr erhält, bildet sie mit 31 Abgeordneten damit die kleinste Fraktion im Europäischen Parlament. Die Gruppe der Fraktionslosen bleibt mit 90 Sitzen weiterhin relativ hoch. In unserer vorhergehenden Prognose umfasste diese Gruppe noch 92 Abgeordnete.
Tabelle 2: Zusammenstellung von Prognosen zur Europawahl 2014
Prognosen | EVP | S&D | ALDE | GUE/ NGL | Grüne/ EFA | ECR | EFD | Fraktionslos |
Der europäische Föderalist (21.04.14) | 210 | 214 | 75 | 51 | 40 | 42 | 26 | 93 |
Electionista (22.04.14) | 212 | 205 | 60 | 56 | 42 | 43 | 34 | 99 |
EP/TNS opinion (28.04.2014) | 215 | 205 | 58 | 50 | 45 | 40 | 32 | 106 |
Scenaripolitici.com (28.04.14) | 214 | 219 | 63 | 53 | 37 | 41 | 28 | 96 |
Cicero Group (30.04.14) | 197 | 198 | 84 | 54 | 51 | 39 | 30 | 98 |
Pollwatch 2014 (30.04.14) | 213 | 208 | 62 | 51 | 42 | 42 | 36 | 97 |
Duisburger Prognose (06.05.14) | 228 | 207 | 64 | 50 | 45 | 33 | 34 | 90 |
Durchschnitt | 213 | 208 | 67 | 52 | 43 | 40 | 31 | 97 |
Quelle: Eigene Darstellung.
Was sagen die anderen?
Abschließend sei unsere Prognose noch in den Vergleich zu anderen Umfragen gestellt (siehe Tabelle 2). Insgesamt sind hier bisweilen zwar deutliche Unterschiede zu erkennen, jedoch sehen ausnahmslos alle Prognosen die EVP als führende Fraktion. Auch lässt sich bei der Reihenfolge der Parteien ein deutlicher Trend erkennen, der nach dem Wahlsieger EVP die S&D sieht und an dritter Stelle bereits die Parteien, die sich im Europäischen Parlament keiner Fraktion zugeordnet haben. In allen Prognosen erhalten die Fraktionslosen mit durchschnittlich 97 Sitzen einen deutlich gesteigerten Einfluss, im Vergleich zur heutigen Sitzanzahl (27). Außerdem zeigt sich, dass der Vorsprung der EVP zur S&D in den Mittelwerten der Prognosen geringer ist, als die aktuelle Duisburger Prognose vorhersagt. Daher lohnt sich ein Blick auf die Mittelwerte aller Prognosen, die das Kopf-an-Kopf-Rennen der EVP und S&D weiterhin bestätigen.
Zur Information sind dem Anhang die nationalen Ergebnisse und eine Veranschaulichung der Sitze der nationalen Parteien im Europäischen Parlament beigefügt.
Literatur
- Bachl, Marko/Brettschneider, Frank/Ottler, Simon (Hrsg.) (2013): Das TV-Duell in Baden-Württemberg 2011. Inhalte, Wahrnehmungen und Wirkungen, Wiesbaden: VS Verlag.
- Maier, Jürgen/Faas, Thorsten (2011): ‘Miniature Campaigns’ in Comparison: The German Televised Debates, 2002-09, in: German Politics 20 (1), S. 75-9l.
- Maurer, Marcus/Reinemann, Carsten (2003): Schröder gegen Stoiber. Nutzung, Wahrnehmung und Wirkung der TV-Duelle, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
- Maurer, Marcus/Reinemann, Carsten/Maier, Jürgen/Maier, Michaela (Hrsg.) (2007): Schröder gegen MerkeI. Wahrnehmung und Wirkung des TV-DuelIs 2005 im Ost-West-Vergleich, Wiesbaden: VS Verlag.
Anhang
Den statistischen Anhang können Sie sich als Datei herunterladen (PDF-Format).
Zitationshinweis
Schwarz, Oliver / Santkiewitsch, Lea (2014): Die zweite Duisburger Prognose zur Europawahl 14: Europäische Konservative können Vorsprung halten. Erschienen in: Regierungsforschung.de, Parteien- und Wahlforschung. Online verfügbar unter: http://www.regierungsforschung.de/dx/public/article.html?id=265