Fortschritte bei der Digitalisierung im Kontext politisch-administrativen Lernens durch Covid-19

Die Pandemie scheint geradezu ein Treiber für die Digitalisierung zu sein und diese offenkundig voranzubringen. PD Dr. Markus Reiners, der an der Leibniz Universität Hannover lehrt und forscht, liefert eine wissenschaftliche Einbettung zu dieser Entwicklung. Lerntheoretische Ansätze und Ansätze des akteurzentrierten Institutionalismus können einander ergänzen, um Konstellationen herauszuarbeiten, in denen Lernprozesse wahrscheinlich sind.

Spricht man über Digitalisierung, so blickt man auf ein weites Feld. Erfasst sind zum Beispiel die Digitalisierung der Verwaltung, der Gesundheitsbereich, die Bereiche Verkehr und Mobilität, Wirtschaft und Industrie, die digitale Bildung, die Bereiche Umwelt und Energie oder die Kapitel Künstliche Intelligenz oder Smart Cities. Immer noch ist Deutschland in Europa und der Welt abgeschlagen. Neue Wege zu gehen ist nicht leicht und verlangt nach systemischen Voraussetzungen, ausgetretene Pfade zu verlassen. Jetzt scheint die Chance im Zuge der Pandemie rund um Covid-19 gegeben.

Fortschritte bei der Digitalisierung im Kontext politisch-administrativen Lernens durch Covid-19

Autor

PD Dr. phil. habil. Markus Reiners ist Privatdozent am Institut für Politikwissenschaft der Leibniz Universität Hannover. Er lehrt und forscht unter anderem zu Politischen Theorien und zum Kontext elektronische Demokratie.

Hintergrund und Erkenntnisinteresse

Spricht man über Digitalisierung, so blickt man auf ein weites Feld. Erfasst sind zum Beispiel die Digitalisierung der Verwaltung, der Gesundheitsbereich, die Bereiche Verkehr und Mobilität, Wirtschaft und Industrie, die digitale Bildung, die Bereiche Umwelt und Energie oder die Kapitel Künstliche Intelligenz oder Smart Cities (vgl. Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration Baden-Württemberg 2017). Immer noch ist Deutschland in Europa und der Welt abgeschlagen. Neue Wege zu gehen ist nicht leicht und verlangt nach systemischen Voraussetzungen, ausgetretene Pfade zu verlassen. Jetzt scheint die Chance im Zuge der Pandemie rund um Covid-19 gegeben. Man merkt dies augenscheinlich besonders bei der Bildung und Arbeitsplatzgestaltung, beispielsweise allein mit Verweis auf diverse Videokonferenzsysteme (Home Schooling und Home Office). Die Pandemie scheint geradezu ein Treiber für die Digitalisierung zu sein und diese offenkundig voranzubringen. Den vorgenannten Umstand gilt es wissenschaftlich einzubetten, indem ein vom Verfasser entwickeltes theoretisches Konzept herangezogen wird (Reiners 2016; vgl. 2011, 2013a, 2013b und 2013c).1

These und theoretisches Fundament

Bei der Analyse steht in Fokus, welche Bedeutung politisch-administratives Lernen im Zuge der Digitalisierung erfährt. Es ist davon auszugehen, dass Lernansätze Policy-Ergebnisse besser erklären, wenn solche Konzepte mit weiteren theoretischen Ansätzen kombiniert werden. Als Lernparameter sind insbesondere drohende oder festgefahrene Krisensituationen sowie Vorbilder aus der Vergangenheit oder der Gegenwart interessant. Wirkt beispielsweise eine Druckkulisse auf das System und existieren weitere unterstützende Bedingungen, so ist eine Steigerung der Lernwahrscheinlichkeit zu vermuten. Ferner sind Erfolge bei der Digitalisierung zu prognostizieren, sollten lernförderliche Faktoren mit einem konstruktiven akteurzentriert-institutionalistischen Kontext und demnach günstigen Rahmenbedingungen zusammentreffen.

Lerntheoretische Ansätze stellen mehr die Dynamik politischer Präferenzen und damit Handlungsspielräume in den Vordergrund. Der Verweis auf eine grundsätzliche Weiterentwicklung von Zielsetzungen und Strukturen betont also Gestaltungsspielräume und lenkt den Blick weniger auf die beständigen, sondern die veränderbaren Aspekte. Sie legen im Vergleich zu den meisten etablierten Theorien demnach den Fokus mehr auf dynamische Gesichtspunkte (vgl. z.B. nur Bandelow 2003a: 289 ff. und 2014: 363 ff.; Biegelbauer 2007: 231 f.; Böcher 2007: 250 ff.).

Dem Hinweis ist immanent, dass mit einer lerntheoretischen Perspektive ein Beitrag geleistet wird, Politikergebnisse besser erklären und absichern zu können. Um dem Anspruch zu genügen gewinnt die Frage an Relevanz, welche Faktoren von Lerntheorien vernachlässigt werden und wie dies kompensiert werden kann. Der Aspekt ist bedeutsam, weil im Zuge der darzustellenden Lernkonzeption eine Abmilderung normativer und empirisch-analytischer Defizite lerntheoretischer Modelle und dadurch eine Weiterentwicklung der Debatte möglich ist. Den Unzulänglichkeiten soll mit der Forderung begegnet werden, lerntheoretische Potenziale etablierter Ansätze zu nutzen, eine Trennung zwischen diversen Konzepten aufzugeben und für eine Symbiose zu plädieren (vgl. z.B. Fleckenstein 2004: 649; Bandelow 2003a: 323 f., 2003b, 2005 und 2014: 365 ff.; Böcher 2007: 250 ff.).

Die grundsätzliche Frage lautet demzufolge, warum überhaupt eine Trennlinie zwischen Lerntheorien und anderen etablierten Konzepten gezogen werden muss und nicht eine komplementäre Anwendung, zum Beispiel mit dem akteurzentrierten Institutionalismus, gelingen kann. Solche mit Ansätzen stellen institutionelle Faktoren, Akteursinteressen und -konstellationen sowie Interaktionsmomente mehr in den Vordergrund und richten sich damit auf zentrale Kategorien der Politikwissenschaft (Mayntz/Scharpf 1995; Scharpf 2000).

Noch vor einiger Zeit standen lerntheoretische Ansätze anderen theoretischen Konzepten meist konfrontativ gegenüber. Diese Haltung ist zwischenzeitlich etwas gewichen. Policy-Lernen ist heute durchaus Bestandteil diverser Konzeptionen. Diese theoretischen und empirischen Perspektiven von Lernansätzen sind jedoch immer noch unzureichend aufeinander bezogen. Die geringste Rolle wird Policy-Lernen in Modellen beigemessen, die nach wie vor in Interessenkonflikten, strukturellen Bedingungen und Institutionen die prägenden Faktoren von Politik sehen. Dies gilt besonders für den akteurzentrierten Institutionalismus (Bandelow 2014: 341 ff.; Freeman 2006; Grin/Loeber 2007; Biegelbauer 2007 und 2013).

Policy-Lernen wird als eigenständiger Faktor oft ein nachgeordneter Rang zugewiesen. Der akteurzentrierte Institutionalismus ist zum Beispiel offen für die Berücksichtigung von Handlungsorientierungen. Der Ansatz präferiert jedoch grundsätzlich institutionelle Parameter zur Beschreibung von Ergebnissen. Akteurzentrierte Erklärungen treten demnach nur in den Vordergrund, sollten sich institutionell basierte als unzureichend erweisen. Nur selten wird die Integration von Lernmomenten als fruchtbar erachtet (Mayntz/Scharpf 1995; Scharpf 2000; vgl. Bandelow 2014: 356). Dem ist zu entgegnen, dass eine Zusammenführung diverser Ansätze produktiv sein kann, weil Lernkonzeptionen die Dimension von Akteuren mehr betonen (vgl. Reiners/Stary 2012: 65).

Bei exakterer Betrachtung sind es auch weniger institutionelle Faktoren, Akteurskonstellationen oder Vetopositionen die Wandel auslösen. Vielmehr blockieren oder stimulieren sie einen solchen (vgl. Reiners 2008: 30 und 2010). Sie bereiten demnach ein grundlegendes Umfeld, das günstiger oder ungünstiger für Veränderungsprozesse sein mag. Exakt sind es weitere Komponenten, die im Zusammenwirken mit derartigen Koordinaten Innovationen einleiten. Kommen demnach bestimmte Determinanten – wie zum Beispiel eine Druckkulisse (hier im konkreten Fall durch die Pandemie) – hinzu, so gehen damit unter Umständen Lernmomente und Diffusions-/Transferprozesse einher, was fulminante Neuerungen auslösen kann und womöglich zu Konvergenzen führt. Akteurzentriert-institutionalistische (Rahmen-) Bedingungen sind daher als Kontextfaktoren zu werten, die eine mehr oder weniger günstige Ausgangsbasis für Wandel schaffen, der tatsächlich in Kombination mit anderen Mechanismen hervorgerufen wird. Insofern können Lerntheorien zweckmäßigere Erklärungen liefern, was besonders dann gilt, wenn sie im Vergleich zu eigenständigen Ansätzen in bestehende Konzepte integriert werden und komplementär konzipiert sind. Solche Bausteine bieten sich somit als überaus wertvolle Ergänzung an (vgl. z.B. Bandelow 2003a: 311 und 2003b; Holzinger/Knill 2007: 89 ff.; Böcher 2007, 256).

Integration lerntheoretischer Konzepte und Ergebnisse

Die Digitalisierung wird durch organisationales Lernen forciert und durch die Pandemie entscheidend unterstützt. Des Weiteren spielen Rahmenbedingungen des politischen Systems eine Rolle für deren Wahrscheinlichkeit. Wesentlich ist, dass zum Beispiel neue Informationen, Erkenntnisse, Fähigkeiten oder Einstellungen die Wahrnehmungen beziehungsweise Präferenzen beeinflussen. In der Folge kommt es zu Interessenauseinandersetzungen, weshalb es durchaus sinnvoll ist, Kategorien wie Macht und Interessen nicht unterbelichtet zu lassen und in die Analyse zu integrieren (Bandelow 2003a: 311, 2003b und 2014: 342; Böcher 2007: 251, 256; Reiners 2008; Biegelbauer 2013: 51).

Uneinigkeit herrscht ferner über die Ursachen von Lernen (Bandelow 2003b). Nähert man sich dem Gegenstandsbereich ganz allgemein, so ist festzustellen, dass eine soziale Praxis vorwiegend dann erlernt und implizit oder explizit vereinbart wird, wenn sie sich als besser, angemessener oder sinnvoller erweist. Organisationen bewegen sich weder von einem stabilen Gleichgewichtszustand über einen temporären Unruhezustand zu einem neuen Gleichgewichtszustand, noch sind sämtliche Interaktionsakte als Lernprozesse vorstellbar. Vielmehr gelten Devianzen vom üblichen Interaktionsablauf oder Störungen als Erklärungen für Lernimpulse (Baitsch/Knoepfel/Eberle 1996).

Gängige Lerntheorien offenbaren einige Kongruenzen. Entscheidende Auslöser für Policy-Lernen und damit staatlichen Wandel scheinen politische, ökonomische und/oder soziale Krisen oder Vorstufen zu solchen zu sein. Auch Unzufriedenheit mit dem Status quo oder der Leistungsfähigkeit von Politiken generiert sich nicht von ungefähr, sondern ist im politisch-administrativen System meist durch Druck extern determiniert. Unzufriedenheit entsteht somit im Zuge einer Druckkulisse beziehungsweise in bevorstehenden oder festgefahrenen Krisensituationen, und hier konkret rund um die Thematik Covid-19 (vgl. nur Hall 1989a, 1989b und 1993; Rose 1993; Baitsch/Knoepfel/Eberle 1996; Sabatier/Jenkins-Smith 1993; Bandelow 2014; Biegelbauer 2007 und 2013; Böcher 2007).

Sozio-ökonomische Parameter bilden daher einen starken Auslöser für Entscheidungen. Besonders auch finanzielle Bedingungen und Funktionsdefizite lösen Interaktionsprozesse aus. Ökonomischer Druck bildet oft die Motivation, die Triebfeder und den Motor von Modernisierungsmaßnahmen. Dabei ist erkennbar, je stärker Krisenmerkmale perzipiert werden, desto höher ist vielfach die Bereitschaft in gewachsene Strukturen und Traditionsbestände einzugreifen und damit auch die Bereitschaft für Lernen (vgl. nur Wollmann 2004; Kuhlmann 2003: 2 f.; Reiners 2008: 37 ff., 83 ff.).

Des Weiteren werden die Komponenten Raum und Zeit als zentral erachtet (vgl. schon Rose 1993). Bandelow spricht von der gegenwärtigen Verfügbarkeit neuer Informationen über alternative Programme (2003b). Rose erklärt, dass sich Innovationen nicht aus sich selbst heraus entwickeln, sondern oft die Vergangenheit nötig ist und an Erfahrungen gelernt wird. Ferner setzen Lernmomente oft nicht schlagartig ein. Sie bedürfen eines Vorlaufs und sind einer Prozesshaftigkeit unterworfen (1993; vgl. Hall 1989a, 1989b und 1993). Lernen benötigt daher Zeit, was durch den Verlauf und die sukzessiven, notwendigerweise kurzfristigen Lernmomente im Zuge der Pandemie augenscheinlich wurde (vgl. Reiners 2012: 77). Das Schaubild verdeutlicht die Aussagen:

Sind demnach ein politisch-ökonomischer Druck, wie durch die Pandemie, und zudem günstige Bedingungen, was unter anderem die Faktoren Raum und Zeit anbelangt (Zelle oben links), vorhanden, dann besteht eine höhere Lernwahrscheinlichkeit für digitale Bemühungen als im gegenteiligen Fall, repräsentiert durch die Zelle unten rechts. Bei den anderen beiden Konstellationen, in denen nur einer der beiden Faktoren präsent ist, nimmt die Lernwahrscheinlichkeit ab.

Entscheidend im Sinne einer Integration der modellhaften Überlegungen ist ferner der Kontext, der bestimmt, ob eine Digitalisierung überhaupt stimuliert oder ermöglicht beziehungsweise ein förderliches Umfeld für Innovationen geschaffen wird. Hierzu gehören beim akteurzentrierten Institutionalismus besonders institutionelle oder strukturelle Ausgangsbedingungen sowie Akteurskonstellationen respektive Vetopositionen und sich auf das Ergebnis ebenso auswirkende politische Interaktionsmechanismen (Mayntz/Scharpf 1995; Scharpf 2000).

Strukturelle Ausgangsbedingungen (sogenannte starting conditions) und institutionell vorgeprägte Akteurspräferenzen signalisieren einen Modernisierungsbedarf, wodurch Lern-, Entscheidungs- und Umsetzungsprozesse sowie Reformkapazitäten beeinflusst werden. Der Ausgangssituation kommt eine handlungsprägende Bedeutung zu, weil dadurch Verhaltensanreize geschaffen und gewisse Handlungsmöglichkeiten ausgegrenzt werden. Solche Bedingungen lösen jedoch üblicherweise keine Veränderungen aus. Allerdings wirken sie fördernd oder blockierend und beeinflussen deren Ausrichtung und Verlauf. Durch die Einwirkung derartiger Faktoren wird die Art und Weise beeinflusst, wie etwa Kommunikation aktiviert wird, wie Macht und Einfluss zum Tragen kommen, ob und wie Normen angewandt oder neu formuliert werden und welche Koalitionen sich bilden. Insgesamt ist bezüglich Lernprozessen und der Durchsetzung von Veränderungen anzumerken, dass Blockaden eher entstehen, sollte eine ideologische Distanz zwischen potenziellen Vetokräften vorliegen und sollte eine große Zahl destruktiver Kräfte existieren beziehungsweise eine hohe Kohäsion zwischen solchen vorliegen. Analog hierzu ist davon auszugehen, dass eine hohe Anzahl und die ideologische Geschlossenheit konstruktiver Kräfte beziehungsweise eine hohe Kohäsion zwischen solchen, Lernprozesse und Reformen unterstützt (vgl. nur Wollmann 2002: 492 und 2004; Kuhlmann 2003: 2 f.; Reiners 2007 und 2010). In diesem Kontext ist ferner ganz klar anzumerken, dass speziell eine Digitalisierung nur begrenzt Vetokräfte produziert, denn deren Notwendigkeit ist allgemein akzeptiert. Sie findet ohnehin um uns herum statt, ob dies gewollt ist oder nicht.

Wesentlich ist somit, dass der Verlauf sowie das Ergebnis von Lernprozessen und Reformen von den Akteurskonstellationen, den (partei-) politisch-ideologischen Interessen der Akteure, deren Vetopositionen, Strategien, Interaktionen und Zielen mitgeprägt werden (hierzu detailliert Tsebelis 1995 und 2002; Mayntz/Scharpf 1995; Scharpf 2000; vgl. auch Reiners 2008: 30). Grundlegend ist des Weiteren, dass institutionelle Unterschiede die Macht- und Einflussverteilung bestimmen. Generell gilt dabei, dass ein mit dem Ziel der Interessendurchsetzung konfliktbeladenes Verhalten nur erfolgreich sein kann, wenn sich die eine Veränderung initiierende Institution in einer strukturell überlegenen Position befindet. Eine Rolle für die Vorbereitung, Begleitung, Legitimierung und Absicherung von Prozessen spielen hierbei Reformkoalitionen, strategische Allianzen oder institutionell geprägte Einstellungen von Stakeholdern. Auch wird überwiegend erklärt, dass das Ausmaß einer Interaktion, idealiter dadurch, dass diverse Varianten vertreten werden, grundsätzlich zu Lernprozessen und Reformen motiviert. Der aus einem Wettbewerb entstehende Druck wirkt zum Beispiel grundsätzlich förderlich sich innerhalb einer Koalition auf eine Linie zu verständigen und zu lernen. Unüberbrückbare Differenzen begünstigen hingegen den Status quo. Insgesamt liegt den Ausführungen der Gedanke zugrunde, dass sich Initiativen zur Veränderung selten aus dem System heraus generieren, und sich dieses selber nicht in Frage stellt. Für Policy-Lernen ist vielmehr ein steigender, externer Veränderungsdruck nötig (vgl. nur Wollmann 2002, 493 und 2004; Reiners 2008: 37 ff., 83 ff. und 2010). Die Aussagen lassen sich vereinfacht folgendermaßen verdeutlichen:

Die Wahrscheinlichkeit von Digitalisierungserfolgen im Zuge von Lernprozessen, ausgelöst durch Covid-19, ist demnach höher, sollten lernförderliche Faktoren mit günstigen Rahmenbedingungen zusammentreffen (Zelle oben links). Sollte dies nicht der Fall sein, wird ein Erfolg schwieriger (Zelle unten rechts). Interessant sind auch die Zellen unten links und oben rechts. Ungünstige Lernvoraussetzungen und günstige Rahmenbedingungen für eine Digitalisierung bedeuten nicht zwangsläufig, dass eine solche ausbleibt, denn bei abrupten politischen Paradigmenwechseln und Machtverschiebungen im politisch-administrativen System finden oft weniger Lernprozesse statt. Hingegen erzeugen ungünstige Rahmenbedingungen und günstige Lernvoraussetzungen unter Umständen einen Zustand, der zwar auf Lernprozesse schließen lässt, ohne dass beispielsweise ein Wandel rund um eine Digitalisierung tatsächlich möglich wird.

Die abzuleitende (übergreifende) Erkenntnis lässt sich wie folgt fassen: Akteurzentriert-institutionalistische Bedingungen sind als Kontextfaktoren zu werten, die eine Ausgangsbasis für eine Digitalisierung schaffen. Die Einleitung von Veränderungen erfolgt überdies vielfach im Zusammenwirken mit essenziellen lerntheoretischen Komponenten, weshalb es produktiv für die Erklärung und Absicherung von Politikergebnissen erscheint, lerntheoretische Elemente in derartige theoretische Ansätze zu integrieren und Lerntheorien als komplementär zu konzipieren.

Insgesamt lassen sich die Ausführungen in einem letzten Schaubild demonstrieren, das zugleich die Inhalte einer politisch-administrativen Lernkonzeption verkörpert. Konkret bezogen auf den akteurzentrierten Institutionalismus könnte man auch von einer „akteurzentriert-institutionalistischen Lernkonzeption“ sprechen. Das produktive Ergebnis schlägt sich in staatlichem Wandel nieder beziehungsweise konkret im Erfolg von Digitalisierungsbemühungen, gefördert durch die Pandemie.

Fazit und Plädoyer für eine komplementäre Lernkonzeption

Bei diesem Essay stand das Interesse im Fokus, welche Bedeutung Lernmomente im Zuge der Digitalisierung erfahren. Politiklernen stellt einerseits eine wichtige Ursache politischer Veränderungen dar. Andererseits können Lernansätze zu einer besseren Erklärung von Politikergebnissen verhelfen. Als Lernparameter sind besonders politischer, ökonomischer und/oder sozialer Druck respektive politische Krisen sowie die Faktoren Raum und Zeit im Zuge der Pandemie zu nennen. Droht etwa eine Druckkulisse oder ist eine solche konkret vorhanden, so beispielsweise rund um Covid-19, und existieren förderliche Bedingungen hinsichtlich der Aspekte Raum und Zeit, dann besteht eine höhere Lernwahrscheinlichkeit. Bei anderen Konstellationen, in denen nur ein oder kein derartiger Faktor präsent ist, nimmt die Lernwahrscheinlichkeit ab.

Der Argumentationsstrang legt nahe zentrale Bestandteile eines Lernens mit weiteren theoretischen Ansätzen zu verbinden, insbesondere mit dem akteurzentrierten Institutionalismus, denn Institutionen, Akteurskonstellationen, Interaktionsmechanismen oder Vetopositionen stimulieren einen Wandel lediglich oder ermöglichen ihn mehr oder weniger. Sie schaffen eine wie auch immer geartete Ausgangssituation für Veränderungen, die vielfach im Zusammenwirken mit Lernmechanismen ausgelöst werden. Das Plädoyer fällt demzufolge für ein komplementäres lernkonzeptionelles Design aus. Lerntheoretische Ansätze stellen nicht den institutionellen Rahmen oder akteurzentrierte Machtressourcen und -interessen in den Mittelpunkt zur Erklärung politisch-administrativer Reformen. Sie haben mehr Informationen oder Erkenntnisse im Blick, die die Wahrnehmungen und Präferenzen sowie Handlungsspielräume für einen Wandel beeinflussen, was das Augenmerk weniger auf die stabilisierenden, sondern die veränderbaren Momente politischer Entscheidungen lenkt. Beim vorgestellten relativ „dekomplexen“ Konzept bleiben allerdings zentrale Kategorien der Politikwissenschaft – wie Macht, Institutionen und Interessen – nicht unterbelichtet, was den Ansatz für die empirische Politikforschung interessant macht. Mit dem theoretischen Konzept lässt sich sehr gut wissenschaftlich nachvollziehbar machen, wie die Digitalisierungsbemühungen und -erfolge in Deutschland durch die Pandemie rund um Covid-19 angekurbelt werden.

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Zitationshinweis

Reiners, Markus (2021): Fortschritte bei der Digitalisierung im Kontext politisch-administrativen Lernens durch Covid-19, Essay, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online Verfügbar: https://regierungsforschung.de/fortschritte-bei-der-digitalisierung-im-kontext-politisch-administrativen-lernens-durch-covid-19/

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  1. Vom Verfasser wurde staatlicher Wandel und die Umstände hierzu bereits in anderen Themenbereichen diagnostiziert und belegt (vgl. nur Reiners 2016). []

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