Politische Kommunikation im Krisenmodus

© Peter Gwiazda

Linus Pingel, Bachelor-Absolvent der Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen, analysiert Robert Habeck in seiner Rolle als Vizekanzler und Wirtschafts- und Klimaschutzminister im Hinblick auf die kommunikative Bewältigung des Spagats zwischen Klimapolitik, Zeitenwende und Realität. Habeck stelle politische Maßnahmen in einen größeren Zusammenhang und betone positive Zukunftsnarrative, so Pingel. Mit seiner Kommunikationsstrategie schaffe er trotz Unsicherheit Vertrauen und eine positive Atmosphäre für politische Entscheidungen. Der Beitrag zeigt, wie Habeck die Zeitenwende kommunikativ aufgreift, interpretiert und gestaltet.

Ende Februar 2022, fast genau zwei Jahre nachdem Covid-19 die Welt schon einmal schlagartig veränderte, begann der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Die sogenannte „Zeitenwende“ (Scholz 2022), ein erneuter Gewissheitsschwund, stellte die noch junge Ampelregierung vor große Herausforderungen. Erst drei Monate zuvor hatten die Spitzen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP den Koalitionsvertrag mit dem Titel „Mehr Fortschritt wagen” (Bundesregierung 2021) unterzeichnet. Dieser Vertrag enthielt nach Ansicht einiger Beobachterinnen und Beobachter bereits ambitionierte Ziele (siehe u. a. Bergmann 2021: 11-17) und damit auch gestiegene Erwartungen der Wählerinnen und Wähler an die Regierung.

 

Politische Kommunikation im Krisenmodus

Wie Robert Habeck anfänglich die Zeitenwende kommunizierte

 

Autor

Linus Pingel hat am Institut für Politikwissenschaft der Universität Duisburg-Essen den B.A. Politikwissenschaft studiert und im März 2023 abgeschlossen. Seine Abschlussarbeit verfasste er zur politischen Kommunikation Robert Habecks im Krisenkontext bei Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte und Dr. Kristina Weissenbach und untersuchte die Muster von Habecks kommunikativem Erfolg in Bezug auf die „Zeitenwende“. Der vorliegende Essay fasst dies in essayistischer Form zusammen und greift wesentliche Analyseergebnisse auf.

 

“Macht entspricht der menschlichen Fähigkeit, nicht nur zu handeln oder etwas zu tun, sondern sich mit anderen zusammenzuschließen und im Einvernehmen mit ihnen zu handeln.” (Arendt, 1970:45). 

Ende Februar 2022, fast genau zwei Jahre nachdem Covid-19 die Welt schon einmal schlagartig veränderte, begann der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Die sogenannte „Zeitenwende“ (Scholz 2022), ein erneuter Gewissheitsschwund, stellte die noch junge Ampelregierung vor große Herausforderungen. Erst drei Monate zuvor hatten die Spitzen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP den Koalitionsvertrag mit dem Titel „Mehr Fortschritt wagen” (Bundesregierung 2021) unterzeichnet. Dieser Vertrag enthielt nach Ansicht einiger Beobachterinnen und Beobachter bereits ambitionierte Ziele (siehe u. a. Bergmann 2022: 11-17) und damit auch gestiegene Erwartungen der Wählerinnen und Wähler an die Regierung. Mit den Ereignissen des 24. Februar 2022 gerieten nach Ansicht vieler Medien insbesondere die Grünen als Partei in Konflikte zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Ambitionierte Klimapolitik inmitten einer Energiekrise? Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet? Energiepartnerschaften mit Staaten, die oftmals wegen der Missachtung von Menschenrechten in der Kritik stehen?

Zu Beginn des Krieges und der damit verbundenen Energiekrise stand unter anderem Robert Habeck in seiner Rolle als Vizekanzler und Minister für Wirtschaft und Klimaschutz im medialen Mittelpunkt. Ihm wurde in dieser Zeit von vielen Seiten eine überaus gelungene politische Kommunikation attestiert (siehe u. a. Apin 2022; Zimmerer 2022), was sich auch in seinen allgemeinen Popularitätswerten widerspiegelte (siehe u.a Forschungsgruppe Wahlen e.V. 2023). Bemerkenswert ist dies vor dem Hintergrund, dass er auch für viele Einschnitte in den programmatischen Zielen mitverantwortlich war. In den folgenden Ausführungen sollen die wesentlichen Aspekte und Muster des kommunikativen Erfolgs von Robert Habeck in Bezug auf die „Zeitenwende“ im Vordergrund stehen. Ziel ist es dahingehend, die Frage zu beantworten, wodurch sich Habecks politische Kommunikation in den ersten Monaten der Ukraine-Krise auszeichnete und wie er damit die Zeitwende kommunizierte.

Machtgewinn durch Sprache

„Der demokratische Wettbewerb um personelle, institutionelle und sachbezogene politische Macht geschieht nicht als bloßes Nebeneinander konkurrierender Warenangebote. Es ist ein vorwiegend sprachlich ausgetragener Kampf. (…). Im Blick sind dabei immer die Dritten, die entscheiden – letztlich vor allem die Wählerschaft“ (Klein 2019: 7).

Habeck stand im Betrachtungszeitraum von Februar 2022 bis Oktober 2023 vor der großen Herausforderung, angemessen auf die Krise zu reagieren, d.h. sowohl der eigenen Wählerschaft bzw. der ambitionierten Agenda der Grünen gerecht zu werden als auch darüber hinaus die breite Bevölkerung anzusprechen. Habeck musste also den Spagat zwischen dem Anspruch einer klimafreundlichen Politik und der Realität in Zeiten der Krise meistern. Der machtrationalen Logik folgend musste Habeck als Vizekanzler versuchen, trotz der sich rasant verändernden Lage Regierungsfähigkeit zu demonstrieren und dabei idealerweise vor allem Sicherheit auszustrahlen1, denn: „Politiker wollen als Entscheider wahrgenommen werden. Unsichere Wähler wählen keine unsicheren Politiker” (Korte 2022: 289). Um dies zu erreichen, wählte er einen durchaus ungewöhnlichen Weg. Dieser wird folgend aus Perspektive der politischen Kommunikation und der damit einhergehenden Verbindung von Sprache und Politik mit einem Fokus auf die verbale Kommunikationsebene beschrieben, während politische Kommunikation als „zentraler Mechanismus bei der Generierung, Formulierung und Artikulation politischer Interessen, ihrer Aggregation zu entscheidbaren Programmen sowie der Durchsetzung und Legitimierung politischer Entscheidungen“ nach Donges und Jarren (2022: 9) verstanden wird. In diesem Essay wird die verbale Kommunikationsebene Robert Habecks betrachtet. Politische Kommunikation wird als Mittel der Entscheidungs- und Darstellungspolitik2 angesehen und somit schließlich als Machtmittel bzw. als ein „Werkzeug zur Macht“ verstanden.

Insgesamt wurden in der dem vorliegenden Essay zugrundeliegenden Ausarbeitung jeweils drei Bundestagsreden, Fernsehinterviews und Instagram-Statements von Robert Habeck aus dem Zeitraum von Ende Februar bis Mitte Oktober analysiert. Der thematische Schwerpunkt aller Beiträge lag auf den Folgen der Ukrainekrise für Deutschland bzw. auf der sogenannten Zeitenwende. Insbesondere wurden hierbei Waffenlieferungen und die Konsequenzen auf den Energiesektor thematisiert.

Als Grundlage für die Untersuchung dienten die strategischen Maximen der politischen Kommunikation, die der Politolinguist Josef Klein vor einigen Jahren entwickelte (vgl. Klein 2019: 43). Ferner wurden wiederkehrende Argumentationstypen in Anlehnung an Wengelers kontextspezifische Topoi (Wengeler 2021) und weitere Stilmittel herausgearbeitet. Durch die Kombination dieser Zugänge ist es möglich, sowohl wiederkehrende Argumentationsmuster der Zeitenwende offenzulegen als auch zu überprüfen, inwiefern Habeck sich an „Grundregeln“ der politischen Kommunikation hält bzw. wie er sie individuell ausfüllt. Auf diese Weise wird Habecks Kommunikation der Zeitenwende aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet und ist dabei für weitere individuelle Auffälligkeiten offen.

Strategische Maximen der politischen Kommunikation treffen den individuellen Stil Robert Habecks

„Meine Damen und Herren, natürlich verstehe ich die Dringlichkeit, mit der Leute sagen: Macht doch schneller! – Vielleicht wäre ein Embargo, das jetzt sofort auf alle drei Rohstoffe verhängt würde, der Gamechanger. Vielleicht wäre der Krieg in der Ukraine dann nach drei, vier Tagen zu Ende – vielleicht aber auch nicht. (…)

Deswegen ist die Politik der Bundesregierung, nicht unbedacht zu handeln, sondern Schritt für Schritt die Voraussetzungen zu schaffen und uns außenpolitisch und sicherheitspolitisch Freiraum zu erkämpfen, um dann die Maßnahmen, die wir ergreifen, auch durchzuhalten. Das ist das Gebot der Stunde: eine kluge, umsichtige, aber energische Politik“ (Habeck 2022c: 2022).

Kennzeichnend für das untersuchte Material ist, dass Habeck in nahezu jedem Redebeitrag stark kontextualisiert und politische Sachverhalte bzw. politische Maßnahmen und Entscheidungsprozesse detailliert erklärt. Alles wird in einen größeren Zusammenhang gestellt. Auch „schmerzliche“ Entscheidungen wie die vorübergehende Verlängerung von Kohlekraftwerken, die Lieferung von Waffen oder der Ausbau der Zusammenarbeit mit „schwierigen Partnern“ werden als vorübergehend notwendig oder unausweichlich kommuniziert. Das große Ganze, etwa die Transformation hin zu mehr Klimaschutz oder die Verbesserung der Menschenrechte, wird dabei nicht ausgeklammert, sondern in Relation gesetzt und auf positive Entwicklungen verwiesen. Die daraus resultierende Botschaft, Ambition und Realismus miteinander zu vereinen, ergänzt Habeck durch eine ungewöhnlich transparente Kommunikation, in der er eigene Zweifel, Gewissenskonflikte und Kontroversen, die ihn bei der Entscheidungsfindung begleitet haben, nach außen trägt. Ein Paradebeispiel hierfür findet sich bereits in seiner ersten Parlamentsrede nach Kriegsbeginn am 27.02.2022 (Habeck 2022a), in der er die Entscheidung für Waffenlieferungen in die Ukraine erklärt:

„Sie ist richtig, aber ob sie gut ist, das weiß heute keiner. Ich weiß es auch nicht. Ich habe mich immer sehr offen dafür gezeigt, diesen Schritt zu gehen. Denn wer weiß schon, wie sich dieser Krieg entwickelt? Und wer weiß, ob aus dieser Entscheidung heraus nicht weitere Entscheidungen getroffen werden und wir nicht irgendwann lauter Waffen für einen dauerhaften, langen Krieg in Europa liefern? Auch das ist möglich. Wir müssen uns deswegen von der Grundprinzipienfrage leiten lassen, warum wir uns solche schweren, auch uns an die Grenze führenden Entscheidungen zumuten. Diese Antwort kann nur in der Solidarität mit der Freiheit und der Demokratie der Völker und der Menschen stehen, die für diese kämpfen“ (Habeck 2022a: 1369).

Diese Transparenz, die von medialer und politisch oppositioneller Seite manchmal als „beim Denken zuschauen“ (siehe u. a. Merz 2022) bezeichnet wurde, dürfte ein wesentliches Erfolgsgeheimnis in der Kommunikation des Vizekanzlers gewesen sein. Wenngleich Habeck Unsicherheiten ansprach, folgte daraus kein unsicheres Auftreten. Das Schema „Kontext, Abwägung, Handlungsplan, Möglichkeit zur Kurskorrektur“ sorgte möglicherweise dafür, dass sich zum einen unsichere Bürgerinnen und Bürger im Entscheidungsprozess wiederfanden und dass zum anderen die ambitionierte grüne Wählerschaft Verständnis für gewisse Einschnitte in der Programmatik zeigte. Dennoch gab es auch Ereignisse und Entscheidungen, die für einen grünen Spitzenpolitiker und Klimaminister in besonderem Maße als kontrovers bzw. konfliktbehaftet bezeichnet werden können. Zum Beispiel Habecks Reise an den Persischen Golf nach Katar und in die Vereinigten Arabischen Emirate, wo er nach neuen Energiepartnerschaften suchte, um die russischen Öl- und Gaslieferungen auszugleichen. Weder die allgemeine Beschaffung fossiler Energieträger noch die Verhandlungen mit autoritären Regimen, denen schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden, können als populäre Handlungen einer bis dato nicht einmal halbjährigen grünen Regierungsbeteiligung ausgelegt werden. Doch auch hier fiel Habeck kommunikativ auf: Keine vorbereiteten Reden, sondern scheinbar improvisierte und spontane Statements auf Instagram im lockeren Sprachstil, wie man sie aus dem Influencer-Bereich kennt. So unvorbereitet wie viele Bürgerinnen und Bürger auf diese Situation waren, rahmt auch Habeck seine Reise und „kommentiert sich selbst“ (Lochte 2022): „Ich bin jetzt hier in Doha, am zweiten Tag einer Reise, die irgendwie total merkwürdig ist. In der Ukraine sterben die Menschen und hier seht ihr ja, wie die Skyline ist“ (Habeck 2022b).

Wie es der Soziologe Julian Müller in einem Interview mit dem Bayrischen Rundfunk nennt, spricht Habeck und liefert den Kommentar gleich mit (Lochte 2022). Dies kann auch als Versuch einer „Flucht nach vorne“ interpretiert werden, um dem Vorwurf der Doppelmoral zu entgehen. Auffallend an den Instagram-Beiträgen vom Golf ist auch die informelle Sprache, die Habeck spontan und nahbar wirken lässt, was im Kontrast zu seinen häufig rhetorisch eher anspruchsvolleren Parlamentsreden steht. Die kleineren Anekdoten über (positive) Entwicklungen in Katar und in den Vereinigten Arabischen Emiraten können zudem als Versuch gedeutet werden, den Image-Schaden abzumildern. Häufig entwirft Habeck ein positives Zukunftsnarrativ, wie etwa im Folgenden:

“Das dritte Thema, das ist ja natürlich eine politisch sagen wir interessante Region, dass ich immer angesprochen habe, sind die Arbeits- und Menschenrechte. Die natürlich ein großes Thema sind. Es gibt nur 300.000 Kataris, 10 % der Bevölkerung, 3 Millionen Menschen leben hier. Der Rest arbeitet hier häufig unter nicht so ganz guten Bedingungen. Früher waren es katastrophale Bedingungen, seitdem der Druck da war, der Druck auch aus Deutschland, hat sich etwas geändert” (Habeck 2022b). 

An wieder anderer Stelle, etwa in seinem Instagram-Statement vom 28.04.2022, nutzt er persönliche Anekdoten und schildert eigene Eindrücke, um seine Entscheidungen (in diesem Fall Waffenlieferungen an die Ukraine) zu bekräftigen:

„Immer wenn ich darüber rede und darüber nachdenke, fallt mir mein Besuch in der Ukraine von vor einem Jahr ein. Es ist fast genau ein Jahr her, dass ich in der Ukraine war. Ich war im Donbass und in Mariupol und vor allem ein Abend in Mariupol, geht mir nicht aus dem Kopf, weil die Orte, wo ich war, das Hotel, in dem ich übernachtet habe, inzwischen zerstört ist (…) Was ich damit sagen will, ist: Wir stimmen im Bundestag und entscheiden im Kabinett für schwere Waffen. Aber es sind ganz schwierige Entscheidungen, und die soll man auch nicht wegwischen. Auch die Entscheidungen, die wir treffen, werden Menschen töten“ (Habeck 2022d).

Habecks „Versprechen“, trotz offener Zweifel und trotz Kontroversen: Es ist das Beste, was im Moment getan werden kann bzw. es ist Teil einer positiven Gesamtentwicklung und nur ein temporärer Einschnitt.  Damit sich die Dinge in der Politik positiv entwickeln, schlägt Habeck ein gemeinsames Handeln vor, was sich in seinem kommunikativen Auftritt unter anderem in der starken Betonung des „Wir“ niederschlägt, mit dem er kollektive Identitäten anspricht:

„Wir werden also für die Bereiche der Wirtschaft, die möglicherweise von Sanktionen betroffen sind, ähnliche Schutzmaßnahmen treffen, wie wir es in der Coronapandemie getan haben. Wir werden die Reserven für Kohle, Öl und Gas hoch halten und sind schon längst dabei. Wir werden aber auch den Ausstieg aus der Verbrennung von fossilen Energien deutlich beschleunigen müssen und an dieser Stelle nicht mehr über Jahrzehnte reden“ (Habeck 2022a: 1369).

Zu diesem Bild trägt auch die – zumindest im Untersuchungszeitraum – auffallend geringe negative Darstellung des politischen Mitbewerbers bei. Gleichwohl schlägt auch Habeck politisches Kapital aus den „Fehlern der Vergangenheit“, die unter Führung der CDU in Sachen Energieabhängigkeit gemacht wurden. So zum Beispiel nach der Kritik an seiner Person durch den Oppositionsführer Friedrich Merz:

„Lieber Herr Merz, 16 Jahre lang hat die Union dieses Land und viele Bundesländer regiert. 16 Jahre energiepolitisches Versagen. Und wir räumen in wenigen Monaten auf, was Sie in 16 Jahren verbockt, verhindert und zerstört haben“ (…) „Dass die Union in dieser Krise, in dieser Wirtschaftskrise, ernsthaft gegen die notwendigen Investitionen in erneuerbare Energien, in Energieeffizienz, in den Wasserstoffhochlauf und auch gegen Investitionen in die Robustheit der Unternehmen, die verfassungswidrig sein sollen, klagt, das ist ökonomischer Wahnsinn. Wie wollen Sie denn den Unternehmen erklären, dass sie am Ende in dieser Situation, wo wir einen Nachfrageschock haben, keine staatliche Unterstützung mehr bekommen? Es zeigt, wessen fossilen Geistes Kind Sie noch immer sind“ (Habeck 2022e: 5420-5421).

Hier konstruiert Habeck einen Vergleich zwischen der aktuellen und der alten Bundesregierung. Die jetzige stellt er als „Möglichmacherin“ dar, die frühere als „Bremserin“, die rückwärtsgewandt Innovationen verhindert habe.

Argumentationstypen der Zeitenwende

Die „Zeitenwende“ wurde mittels unterschiedlicher Topoi argumentiert, u. a. mit den Topoi der Verantwortung und Sicherheit, der Werte, des Systemkonflikts und der Möglichkeiten/Chancen. Habeck betont häufig, dass er als Vizekanzler und Minister bei allen Entscheidungen Verantwortung für das ganze Land trage und dass die (ökonomische) Sicherheit der deutschen Bevölkerung bei allen politischen Maßnahmen hohe Priorität habe. In Bezug auf die Unterstützung der Ukraine verweist er auch auf die gemeinsamen freiheitlich-demokratischen Werte, die geteilt würden, sowie auf den Systemkonflikt zwischen Demokratie und Autokratie, den der russisch-ukrainische Krieg darstelle. Darüber hinaus war häufig zu beobachten, dass Habeck positive Zukunftsnarrative entwirft, also mit Chancen und Möglichkeiten argumentierte.

Die Kommunikationsmarke Habeck: Ein Fazit

Insgesamt lässt sich aus den Beobachtungen schließen, dass Habeck die wesentlichen strategischen Maximen der Kommunikation, ob bewusst oder unbewusst, befolgt und sie mit seinem individuellen, nicht kopierbaren Stil füllt. Insbesondere die Maxime „Demonstriere Leistungsfähigkeit und Durchsetzungskraft!” (Klein 2019: 43) und „Mache dir durch deine Rede in relevanten Gruppen möglichst viele geneigt und möglichst wenige zu Gegnern!“ (Klein 2019: 43) konnten in Form von Habecks starker Kontextualisierung und offener Abwägung in besonderer Weise beobachtet werden. Durch die offene Art der Kommunikation und die Betonung, dass politisches Handeln nicht in Stein gemeißelt ist, wird auch die Maxime „Halte dir Operationsspielräume offen!“ von Habeck befolgt. Die zwei weiteren Maxime, die positive Darstellung der eigenen bzw. die negative Darstellung der „gegnerischen“ Position (Klein 2019: 43), konnten ebenfalls in großer Zahl beobachtet werden, wenn auch ohne markante Besonderheiten.

Habeck hat seine Kommunikation stets der politischen Situation und der Bedeutung für seine Zielgruppen angepasst. Als markantestes Stilmittel ist dabei die offene Art der Kommunikation zu unterstreichen mit der Habeck häufig auch persönliche Zweifel thematisiert. Damit bricht er auf den ersten Blick mit einem Grundsatz der öffentlichen Arena: “Politiker wollen als Entscheider wahrgenommen werden. Unsichere Wähler wählen keine unsicheren Politiker” (Korte 2022: 289). Habeck gelingt es jedoch, Unsicherheiten zu kommunizieren und trotzdem überzeugende Lösungen anzubieten, indem er sich nach Ansprache von Zweifeln immer wieder klar und eindeutig positioniert und den Blick in die Zukunft richtet.  Deutlich wird auch, dass er Handlungen vor allem im Hinblick auf ihre Folgen bewertet. Damit folgt er meist eher dem verantwortungsethischen Prinzip nach Weber (Weber 2010: 54-56). Dadurch, aber auch durch seine vielfältige und lebendige Sprache, scheint es ihm auch zu gelingen, Umbrüche zu legitimieren, die insbesondere seine Partei vor Herausforderungen stellen. Er kommuniziert sie im betrachteten Material mittels einer Gegenwartsdiagnose und einer klaren Handlungsplanung für die Zukunft und hebt die Herausforderungen als gemeinsame Aufgabe, aber auch als Chancen hervor, die nur im kollektiven Miteinander bewältigt werden können. Damit bleibt er gewissermaßen auch dem treu, was er in seinen politischen Büchern artikuliert und ihn in seinem Machtverständnis stark mit Hannah Arendt verbindet:

„Zeitgemäß verstanden ist Macht also dialogisch, nicht monologisch, sie ist informell und subtil, nicht starr und autoritär. Zeitgemäß verstanden zeigt sich Macht nicht darin, dass man Gehorsam oder Unterwürfigkeit verlangt, nicht darin, dass Machthabende wie Potentaten auftreten, sondern dass sich Gruppen formieren und Menschen sich untereinander verabreden, Dinge zu tun, zu handeln. So formt die Ausübung von Macht eine Gesellschaft“ (Habeck 2021: 343).

Quellenverzeichnis

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Zugegriffen: 28.07.2023.

Arendt, Hannah. 1970.  Macht und Gewalt. München: Piper (Amerikanische Originalausgabe „On Violence“, New York: Harcourt, Brace and World 1970; dt. Erstausgabe 1970).

Bergmann, Knut. 2022. »Mehr Fortschritt wagen«?: Parteien, Personen, Milieus und Modernisierung: Regieren in Zeiten der Ampelkoalition. Bielefeld: transcript Verlag. ISBN: 9783732863075

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Habeck, Robert. 2022a. In Deutscher Bundestag: Stenographische Berichte, 20. Wahlperiode, 19. Sitzung, S.1368-1369. https://dserver.bundestag.de/btp/20/20019.pdf. Zugegriffen: 28.07.2023.

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Habeck, Robert. 2022d. Instagrambeitrag, 28.04.2022. https://www.insta- gram.com/p/Cc4ieSwpusf/. Zugegriffen: 28.07.2023.

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Scholz, Olaf. 2022. Regierungserklärung des Bundeskanzlers am 27. Februar 2022. https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/regierungserklaerung-von-bundeskanzler-olaf-scholz-am-27-februar-2022-2008356. Zugegriffen: 28.07.2023.

Weber, Max. 2010 (1919). Politik als Beruf. 11. Aufl. Berlin: Duncker & Humblot. https://doi.org/10.3790/978-3-428-53479-1.

Wengeler, Martin. 2021. Topos. In Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in
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Zimmerer, Franziska. 2022. Robert Habeck und die neue Art, zum Volk zu sprechen. Welt (Online). 29.04.2022. https://www.welt.de/debatte/kommentare/plus238455149/Regierungs- kommunikation-Robert-Habeck-und-die-neue-Art-der-Kommunikation.html. Zugegriffen: 28.07.2023.

Zitationshinweis

Pingel, Linus (2023): Politische Kommunikation im Krisenmodus, Wie Robert Habeck anfänglich die Zeitenwende kommunizierte, Essay / Student Paper, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online verfügbar: https://regierungsforschung.de/politische-kommunikation-im-krisenmodus/

This work by Linus Pingel is licensed under a CC BY-NC-SA license.

  1. „Legitimation besitzt Regierungshandeln, wenn sich der Wille des wählenden Souveräns in der Gesetzgebung wiederfinden kann. Für Regierungen und ihre Spitzenakteure übersetzt sich das normative in ein instrumentelles Spannungsverhältnis: Bei der Auswahl von Problemlösungsstrategien müssen nicht nur die tatsächlich zur Verfügung stehenden Steuerungs- und Machtressourcen beachtet, sondern auch ihre Folgen für den eigenen Machterhalt bewertet werden“ (Grunden 2009: 19). Machtrationales Handeln in Bezug auf politische Kommunikation bedeutet also, die Folgen für den eigenen Machterwerb und -erhalt zu berücksichtigen und die Kommunikation entsprechend anzupassen. []
  2. Die Unterscheidung von Entscheidungs- und Darstellungspolitik treffen unter anderem Korte und Fröhlich (2009: 13) und  Sarcinelli (2011: 119–135). []

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