Transformation zur Nachhaltigkeit

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Transformation bedeutet, vorhandene Strukturen und Systeme zu überdenken und anzupassen, um nachhaltige Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit zu finden. Wie kann das in der öffentlichen Verwaltung gelingen? Darüber spricht Kristina Weissenbach, die an der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen forscht, mit Yvonne Balzer, die Mitglied der Geschäftsleitung der PD in Düsseldorf ist. Auf welche Hürden stößt man, um der Herausforderung der Nachhaltigkeit in der Verwaltung zu begegnen? Welche innovativen Ansätze strategischen Handelns in der Verwaltung können zu einer erfolgreichen Kooperation mit der Wissenschaft führen? Diese und weitere Fragen beantwortet Yvonne Balzer im Interview.

In Zeiten der fortschreitenden Klimakrise und den daraus resultierenden Konsequenzen für Politik und Gesellschaft erfordert es eine grundlegende Neuausrichtung des politischen Denkens und Handelns. Umbrüche geschehen nicht von heute auf morgen und grundlegende Veränderungen benötigen Zeit – das weiß auch Dr. Dirk Messner, Vorsitzender des Umweltbundesamts. Im Rahmen der PD-Gastprofessur lehrte er an der NRW School of Governance, um gemeinsam mit Studierenden in unterschiedlichen anwendungsorientierten Formaten Fragen zu bearbeiten wie: Wer partizipiert in Deutschland wie im Feld der Klimapolitik?

Transformation zur Nachhaltigkeit – „Das geht nur auf den Schultern von vielen.“

Interview mit Yvonne Balzer, Mitglied der Geschäftsleitung der PD in Düsseldorf

Autorin

Kristina Weissenbach ist Akademische Rätin am Institut für Politikwissenschaft und vertritt die Welker-Stiftungsprofessur für Ethik in Politikmanagement und Gesellschaft an der NRW School of Governance / Universität Duisburg-Essen. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen unter anderem Politische Partizipation und Parteien, Demokratie- und Parteienförderung, Politische Kommunikation und das Feld der Citizen Science.

Für die Unterstützung im Transkriptionsprozess gilt der Dank Anna Augusto Ezequiel dos Santos.

In Zeiten der fortschreitenden Klimakrise und den daraus resultierenden Konsequenzen für Politik und Gesellschaft erfordert es eine grundlegende Neuausrichtung des politischen Denkens und Handelns. Umbrüche geschehen nicht von heute auf morgen und grundlegende Veränderungen benötigen Zeit – das weiß auch Dr. Dirk Messner, Vorsitzender des Umweltbundesamts. Im Rahmen der PD-Gastprofessur lehrte er an der NRW School of Governance, um gemeinsam mit Studierenden in unterschiedlichen anwendungsorientierten Formaten Fragen zu bearbeiten wie: Wer partizipiert in Deutschland wie im Feld der Klimapolitik? Welche Effekte hat das für die Politik des Klimaschutzes, für Politikberatung und Verwaltung? Wie sieht die Dekarbonisierungsstrategie der Bundesregierung eigentlich aus? Und welche Rolle (kann) die Forschung zu Künstlicher Intelligenz bei Klimaschutz und Nachhaltigkeitsfragen spielen?

Transformation bedeutet, vorhandene Strukturen und Systeme zu überdenken und anzupassen, um nachhaltige Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit zu finden. Doch wie kann dieser Weg gelingen – zum Beispiel für die öffentliche Verwaltung von morgen? Das hat Dr. Kristina Weissenbach Yvonne Balzer, Standortleiterin der PD in Düsseldorf gefragt. Im Interview skizziert Balzer die zentralen Hürden und Herausforderungen, zeigt aber auch auf, welche innovativen Ansätze strategischen Handelns in der Verwaltung zu einer erfolgreichen Kooperation mit der Wissenschaft führen und so mehr Teilhabe und Transparenz über Sektoren hinweg garantieren.

Kristina Weissenbach: Frau Balzer, in unserem PD-Seminar mit dem Gastprofessor Dirk Messner haben wir zum Thema Transformation zur Nachhaltigkeit gearbeitet, das ist sein Feld der Expertise. Im Rahmen der PD-Gastprofessur interessieren uns unterschiedliche Transformationskontexte. Nachhaltigkeit und Klimaneutralität – das war ein erster Sektor, über den wir gesprochen haben. Meine offene Frage an Sie: Welche Herausforderungen für unsere Gesellschaft sehen Sie hier persönlich, aber vielleicht auch als PD, denn am drängendsten?

Yvonne Balzer: Wenn ich an das Thema Nachhaltigkeit denke, dann sind es gesellschaftlich natürlich genau die Themen, die Sie eben aufgezählt haben. Also: Wie schaffen wir es, unsere Ressourcen jedweder Art so zu nutzen und so zu gestalten, dass sie auch für die nachfolgende Generation noch verfügbar sind? Ich glaube, das ist eine sehr große Aufgabe und die können wir meiner Meinung nach auch nicht ausschließlich lokal lösen, sondern nur im europäischen wie globalen Kontext. Da spielt Weitsicht eine sehr wichtige Rolle und es kommt auch viel auf Interessensausgleich an.

Wenn ich aus PD-Sicht heraus antworte, sind Nachhaltigkeit und Transformation für uns tatsächlich wichtige Handlungsfelder, die eine Verwaltung beschäftigen sollten. Genau da sehe ich aber auch einige große Herausforderungen, die zu bewältigen sind.

Da ist zunächst das Thema Budget / Haushalt. Wir haben es erst kürzlich gemerkt, was passiert, wenn die Haushaltsmittel nicht ausreichend zur Verfügung stehen oder reduziert werden. Ich glaube, da kann man auch gut helfen, indem die Verwaltung lernt oder vermittelt bekommt, wie man strategische Prioritäten setzt, wie man ein Portfolio steuert oder ein Portfolio Management von Projekten oder Aktivitäten aufsetzt und das sowohl strategisch als auch operativ umsetzt. Das kenne ich bisher sehr wenig aus der Verwaltung. In der Privatindustrie ist das gang und gäbe. Wir selbst als PD managen unser Projektportfolio sowohl operativ bezüglich unserer Ressourcen, Kapazitäten, Aktivitäten als auch strategisch – ich glaube, das würde [der Verwaltung] schon wesentlich helfen, sich flexibel an neuen Anforderungen auszurichten ohne Wirkung und Ergebnis aus den Augen zu verlieren.

Das Zweite, was ich sehe – in meinen Augen die größte Herausforderung – ist der Kompetenzaufbau. Sich Skills anzueignen, die die Verwaltung auch in die Lage versetzen, genau das oben genannte zu tun. Die drei Kernskills, die ich da sehe, sind zum einen nach wie vor Projektmanagement. Das ist nichts Neues. Zum anderen ist da aber auch strategisches Handeln, was die Verwaltung, glaube ich, noch stärker lernen muss. Die Verwaltung handelt im Prinzip immer noch innerhalb eines Haushaltsjahres oder nach Legislaturperioden, die natürlich politisch geprägt sind und weniger strategisch oder nachhaltig wirkungsorientiert.

Und das Dritte ist für mich letztlich auch ein Stück weit wirtschaftliches Handeln im Sinne des unternehmerischen Handelns. Dass eine Verwaltung nicht unternehmerisch handeln muss, ist klar. Aber sie sollte wirtschaftlich, nachhaltig handeln, und zwar kongruent zu einem unternehmerischen Handeln. Also was muss ich tun oder was brauche, um auch langfristig Erfolge zu erzielen? Welche Rahmenbedingungen sind tragfähig? Wie soll ich sie verändern, damit Wirtschaft, Wissenschaft und die Gesellschaft ihre Verantwortung wahrnehmen können und ergebnisorientiert wirtschaftlich handeln können? Wenn die politischen Rahmenbedingungen nicht so gesetzt sind, wird es schwierig, zum Beispiel überföderal oder übergreifend große Projekte oder Programme durchzuführen. Das lässt teilweise unsere Gesetzeslage gar nicht zu, was absurd ist, weil wir genau diese Kompetenz brauchen, um die aktuellen Herausforderungen und Zukunftsthemen lösen können. Das geht nur vernetzt und gemeinsam. Das war jetzt eine lange Antwort auf eine kurze Frage.

Weissenbach: Ich würde gerne an zwei Stellen direkt ansetzen, zuletzt von hinten begonnen. Das strategische Handeln als Kernkompetenz, die noch erweitert werden muss, haben Sie benannt. Wenn wir konkret über politische Institutionen und Akteure sprechen – über Ministerien oder konkrete Politiker:innen. Was sind aus Ihrer Sicht die Innovationen, die zu diesem Kompetenzaufbau strategischen Handelns beitragen? Ich denke da an die Rolle von Wissenschaft und wissenschaftlichen, evidenzbasierten Erkenntnissen, die hier vielleicht auch weiterhelfen können. Die Zeitabläufe, die innere Struktur und Arbeitsroutinen innerhalb eines Ministeriums, die Wege zum Beispiel, die Laufmappen nehmen, erschweren es häufig wissenschaftlichen Erkenntnissen Raum zu geben. Die Akzeptanz und Einbindung empirischer Ergebnisse aus der Wissenschaft in den Entscheidungsprozess in Ministerien erscheinen schwierig, obwohl dadurch strategisches Handeln befördert werden könnte. Was sind da vielleicht innovative Brücken, die das zulassen in so einem Ablauf, den sie als Beratungsorganisation gut kennen? Wie schafft man diese Räume?

Balzer: Also genau das, was Sie sagen: sicherlich durch eine deutlich intensivere Zusammenarbeit mit der Wissenschaft. Also, dass man Projekte beispielhaft mit Ihnen – der NRW School of Governance – oder mit anderen Hochschulen oder wissenschaftlichen Einrichtungen gemeinsam bestreitet und diese Expertise aktiv in Planungs- und Entscheidungsvorhaben der Verwaltung aufnimmt – in bestimmte Projekte, in Vorhaben, in Aktivitäten, die geplant werden, um somit auch evidenzbasierte Ansätze und Impulse aktiv aufgreifen zu können. Das passiert viel zu wenig, insbesondere bei zukunftsgerichteten Themen wie bspw. den KI-Einsatz.

Das Zweite sind für mich Netzwerkformate. Auch da sehen wir tatsächlich positive Entwicklungen, sowohl bundesweit als auch in den Ländern. Über die diversen Netzwerk- und Kooperationsformate – sei es das NExT-Expertennetzwerk, der Gov Tech Campus, GovLabDE, BeKI oder ZENDIS etc. – all diese ermöglichen es, außerhalb der Linien in gemeinsamen Projekten miteinander im geschützten Raum vernetzt an konkreten Themen zu arbeiten, Papiere zu erstellen und Lösungen zu erarbeiten. Im Falle des EGov Campus wird zu diesem Thema auch tatsächlich Bildungsarbeit für die Verwaltungsmitarbeitenden geleistet. Riesenpotenzial! Da sind uns eigentlich die Hände gar nicht gebunden. Das kann man noch viel stärker nutzen.

Und das Dritte, was ich sehe, ist vermutlich etwas schwieriger: Die internationale Zusammenarbeit deutlich zu fördern und noch stärker in das operative Handeln von Ministerien aufzunehmen. Im Wirtschaftsministerium wäre es für mich absolut gesetzt, dass ich Menschen habe, die Trendscouting betreiben, die den Markt systematisch beobachten und antizipieren, mitbekommen, was andere machen. Wo sind die Best Practices innerhalb von Deutschland, in anderen Bundesländern, wo sind sie im europäischen Kontext? Wie können wir daraus lernen? Was lässt sich adaptieren, was sollten wir vermeiden? Man kann aus Fehlern sehr gut lernen. Das Ganze so aufzubauen ist meines Erachtens auch möglich, wird aber viel zu wenig genutzt. Statt Silodenken und „not-invented-here“ Symptome wäre eine Öffnung und übergreifende Zusammenarbeit viel sinnvoller und effektiver. In Zeiten der Ressourcenknappheit müssen wir viel intelligenter agieren, Ressourcen bündeln und flexibel einsetzen, genau dann, wenn sie gebraucht werden.

Weissenbach: Die zweite Stelle, an der ich gerne ansetzen würde, die Sie aber auch benannt haben, ist Akzeptanz und Teilhabe. Das ist etwas, was wir auch in unserem Seminar mit Dirk Messner besprochen haben: Wir sehen in Zeiten von Krisen, in Zeiten von Transformationsnotwendigkeiten und von Wandel, dass Menschen immer weniger mitmachen in den Institutionen der repräsentativen Demokratie, beispielsweise Parteien oder Wahlen oder auch Formaten wie klassischen Town Hall Meetings oder Workshops auf der lokalen Ebene. Dass sie rausgehen aus diesen, wie wir sie nennen, konventionellen Formen hinein in unkonventionelle Formen. Wir sehen das auf der Straße, wir sehen das im Netz. Wir beobachten, dass Mitmachen in der Politik Bürger:innen dann mehr Spaß bringt, wenn es kurzfristig, zu einem konkreten Thema oder Projekt möglich ist. Die These ist hier, dass Akzeptanz für Transformationsprojekte auf Seiten der Bürger:innen und ein Verständnis für Abläufe in der Verwaltung nur dann geschaffen werden kann, wenn Teilhabemöglichkeiten bestehen und wenn Transparenz herrscht. Zwei konkrete Punkte, bei denen ich mir gut vorstellen kann, dass sie als PD auch ansetzen können. Wie stellt man Teilhabe her? Ist das eine Wie-Frage oder möchte man überhaupt, dass Bürger:innen Einblicke gewährt bekommen? Und auf der anderen Seite die Frage: Wie(viel) Transparenz stellt man her? Das sind die zwei Bedingungen, die im Forschungsstand als so wichtig gelten und Akzeptanzbeförderer sind.

Balzer: Das ist eine sehr gute und wichtige Frage. Auch ich teile diese Beobachtung und es scheint, dass sich Politik und Verwaltung zu wenig an den konkreten Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger orientiert. Für die Betroffenen ist zu wenig Nutzen spürbar und zu wenig konkrete Problemlösung. In komplexen Systemen neigen wir schnell dazu, uns um Strukturen, Verfahren, Prozesse und Regeln zu kümmern. Das eigentliche Ziel, nämlich eine konkrete Problemlösung zu schaffen, wird dann schnell aus den Augen verloren und wir beschäftigen uns mit uns selbst. Das sehen wir auch in Verwaltungsorganisationen. Ich habe sicherlich nicht die Lösung, aber einige Ideen oder Erfahrungen, die wir als PD versuchen einzubringen. Wir legen bewusst einen deutlich stärkeren Fokus auf die Wirkungsorientierung in unserer Beratung. Unser Handeln braucht eine viel stringentere Ergebnisorientierung. Das führt zu pragmatischen Lösungen und schnellerer Umsetzungsgeschwindigkeit, hilft uns im Übrigen auch im Bürokratieabbau. Wenn die Beteiligten spüren, dass sich ihr Engagement lohnt, sich etwas zum Positiven verändert, steigt auch die Motivation sich einzubringen. Teilhabe zu ermöglichen, ist ebenfalls ein wichtiges Element. Die Zeiten der alleinigen Top-Down Entscheidungen sind vorbei, es braucht einen konstruktiven Diskurs unterschiedlicher Perspektiven, um die beste Lösung für komplexe Problemstellungen zu finden. Teilhabe – wie stellt man sie her oder wie kann man sie erhöhen? Wie Sie es schon gesagt haben, das eine sind natürlich Partizipationsformate anzubieten. Die gibt es auch schon, z.B. in Form von Bürgerdialogen oder den neueren Formaten wie Hackatons, Barcamps etc. Die können wir noch viel breiter anbieten und auf Themen fokussieren, die eine hohe gesellschaftliche Relevanz haben. Teilhabe bedeutet aber auch Verantwortung zu übernehmen. Da sehe ich noch viel Handlungsbedarf im Sinne von Themen zu entwickeln, voranzubringen, sich zu engagieren nicht nur für die eigenen Bedarfe, sondern für die Gesellschaft und unseren Wohlstandserhalt. Was heißt, Verantwortung zu übernehmen, auch als Bürger:in? Das bedeutet, sich für unsere Werte einzusetzen, auch wenn es unbequem wird? Welche Werte verbinden uns denn als Gesellschaft oder als Organisation? Für welche Werte kann ich auch eintreten – als Mensch, als Individuum in einer Organisation oder als Teil unserer Gesellschaft? Und wenn diese Werte nicht mehr kongruent laufen mit dem aktuellen Geschehen dann stehen hier Menschen auf und engagieren sich für oder gegen etwas. Diesen Effektmal stärker zu erforschen und dann auch anzuwenden auf die Aufgaben, die wir zu bewältigen haben, wäre sehr hilfreich. Wir können die meisten Probleme nicht mehr nur in einem Ministerium oder innerhalb eines Bundeslandes klären. Wir brauchen das kooperative und vernetzte Engagement der Menschen – sowohl in den Organisationen als auch außerhalb. Das können wir nicht nur auf wenigen Schultern austragen, das geht nur auf den Schultern sehr Vieler. Das stärkt auch unser Demokratieverständnis. Sonst wird es sehr schnell autoritär oder gar diktatorisch oder wir landen in einer Beliebigkeit, die uns nicht hilft, Probleme dieser Art zu lösen.

Weissenbach: Ich kann mir vorstellen, dass Sie das sehr gut in konkrete Instrumente runterbrechen können. Was wären solche innovativen, neuen Teilhabeformate? Wir kennen die etablierten, wir kennen auch die Limitationen der etablierten Formate. Aber wenn die These ist, wir stehen vor neuen Transformationsherausforderungen, was wären denn solche neuen Transformationsinnovationen?

Balzer: Was wären neue Teilhabeformate? Also ganz neu ist es nicht, aber die Nutzung digitaler Dialogplattformen sind heute state-of-the-art. Die Gen Z und weitere wachsen mit digitalen Medien auf. Insofern sind auch Social-Media-Kanäle wie Instagramm, Facebook & Co. nicht mehr wegzudenken, um die jüngere Generation zu erreichen. Es wäre sinnvoll, Teilhabeformate auch dort anzubieten und diese als Diskussionsplattform zu nutzen.

Das andere ist sicherlich auch noch mal stärker in die analoge Welt hineinzugehen und mit den Verwaltungen zusammen – und da ist ja primär eine andere Generation unterwegs – die Jüngeren abzuholen. In die Schulen zu gehen oder die Schulen einzuladen, in die Hochschulen zu gehen oder die Studierenden einzuladen in die Runden, in denen wir nach Lösungen suchen und in denen man gemeinsam Lösungen auch kontrovers diskutieren kann, um tatsächlich Teilhabe oder dieses Verantwortungsgefühl zu stärken und Teilhabe aktiv werden zu lassen. Das sind für mich mal zwei Kanäle, die man sicherlich noch deutlich stärker bedienen kann, als wir das heute tun.

Weissenbach: Im Bereich der Citizen Science – der Bürger:innen-Forschung tun wir in der Politikforschung genau das: Mit Bürger:innen von der Formulierung der Fragestellung über die Datenerhebung bis zur Analyse gemeinsam forschen, beispielsweise zu politischer Teilhabe und der Frage, unter welchen Bedingungen Bürger:innen gerne mitmachen. Genau das, was Sie jetzt gesagt haben, ist durchaus auch erfrischend in der analogen Welt: Schulen und Hochschulen sind das eine, andere Räume oder ‚Public Spaces‘, die man sich vorstellen kann, sind die bereits etablierten: die Feuerwehr, das Museum, der Sportverein. Das sind genau die Orte, wo wir diese Citizen Science Projekte konzipieren. Häufig scheitern diese Projekte genau an dem Punkt des Zurückzubindens in den politischen Prozess, der Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Bürgerinnen und öffentlicher Verwaltung. Eben jener wichtige Moment, wo Vertrauen und Transparenz geschaffen werden kann. Sodass Bürger:innen wirklich sehen: Mein Mitmachen hat sich gelohnt. Was würden Sie hier als Lösung anbieten, um dieses Problem zu beheben?

Balzer: Ja, das ist richtig, es eine Sollbruchstelle. Es gibt keinen etablierten Prozess dafür im Verwaltungsablauf. Für Startups gibt es dies beispielsweise in der Verwaltungsorganisation, sodass ihre Bedarfe adressiert und bearbeitet werden können und sie auch in bestimmte Formate eingebunden werden können Das andere ist zu versuchen, Synergien zu finden, um zusätzlichen Aufwand zu minimieren und ein Engagement zu erwirken. Zielführend ist in der Regel auch herauszufinden Was konkrete Ziele und Ergebnisse sind, die unsere politischen Stakeholder oder andere Entscheider erreichen wollen oder müssen? Wie kann ich mit meinem Beitrag, mit meinem Format oder mit meinem Thema dazu beitragen? Das möglichst konkret, sodass man auch wirklich inhaltlich substanziell arbeitet und gemeinsam eine Allianz der Willigen bilden kann. Das ist jetzt gar nichts Neues, das gab es früher auch schon, aber dass wir heute wieder mehr inhaltlich und weniger politisch agieren, um wirklich etwas zu bewegen, das könnte ein Weg sein. Die Allianz der Willigen sollte wieder stärker auf einer inhaltlichen Ebene stattfinden. Wir diskutieren sehr viel politisch und ideologisch und der Inhalt geht verloren. Man fragt sich dann irgendwann zum Schluss: Worum ging es denn eigentlich? Was wollten wir eigentlich erreichen? Es ist essenziell wichtig, zu klären: Was ist das Ziel, das wir erreichen wollen? Was ist das Ergebnis? Welche Maßnahmen zahlen darauf ein? Wie kann ich den Erfolg, den Fortschritt messen? Ich glaube, Erfolg ist reizvoll und motivierend, dafür lassen sich viele gewinnen.

Weissenbach: Um zum Abschluss zu kommen: Wir interessieren uns in unterschiedlichen Forschungsprojekten an der NRW School of Governance für das Zusammenspiel von Politik, Verwaltung, Bürger:innen und den Medien. Mit dem technologischen Wandel der letzten Jahre beobachten wir, dass organisierte Interessen durch „dieses Internet“, durch soziale Medien und künstliche Intelligenz eine viel höhere Mobilisierung erreichen und zum Zeitpunkt x kurzfristig sehr schnell große Gruppen zusammenzubringen – die dann auch für das Regieren im jeweiligen Politikfeld relevant werden. Ein Beispiel unter vielen ist hier sicher Fridays for Future. Angela Merkel hat einmal gesagt „Geben Sie mir noch zwei Gretas mehr und ich kann ganz anders regieren.“ Wie ordnen Sie das ein? Gerade, weil wir uns in unserem Themenschwerpunkt jetzt in ebendiesem Politikfeld Klima befinden. Wie ordnen Sie die Rolle von Bewegungen auf der Straße, Bewegungen im Netz und das Zusammenspiel zwischen Regierung und Verwaltung auf dem Weg zu einer erfolgreichen Politik der Transformation zur Nachhaltigkeit ein?

Balzer: Das ist eine sehr gute Frage. Das Engagement auf der Straße schätze ich sehr, solange es konstruktiv ist und sich innerhalb der demokratischen Spielregeln bewegt. Das ist unser gutes Recht und ein hohes Gut der Demokratie. Es ist ein Kanal, wie wir unterschiedliche Meinungen äußern und auch Menschen hinter bestimmte Themen versammeln können und ein Sprachrohr finden für einen politischen Diskurs. Ich bin selbst im Osten aufgewachsen und habe die Demonstrationen in Leipzig miterlebt. Ich bin überzeugt, dass wir ohne diese Bewegung der Menschen, keine friedvolle Revolution erreicht hätten. Demonstrationen sind also ein wichtiger Ausdruck dessen, was die Bürger:innen zutiefst und in der Breite bewegt. Deshalb ist es wichtig, dass unsere Politiker:innen diese Bewegungen auf der Straße ernst nehmen, als Ausdruck der Gesellschaft oder Teile der Gesellschaft, die ein gesellschaftlich relevantes Anliegen haben. Es hat ja einen Grund, warum ich auf die Straße gehe – Unzufriedenheit zum Beispiel oder ein größeres Bedürfnis, wenn wir beispielsweise für Frieden auf die Straße gehen und unsere Solidarität bekunden. Das ist bedeutsam, menschlich und hat eine große Wirkung.

Es ist auch ein wertvolles Instrument, um den „Puls“ in der Gesellschaft zu fühlen. Was bewegt die Gesellschaft oder die Bürger:innen? Es ist eine große Chance für unsere Politiker:innen, dieses Feedback sinnvoll für ihre Arbeit zu nutzen und dieses aktiv aufzugreifen. Dann werden auch Lösungen gefunden, die nicht am Bedarf der Menschen vorbeigehen, sondern nützlich und wirksam sind.

Auch die Bekanntheit oder Reputation – wie bei Greta -medial zu nutzen, ist ein wirksames Mittel. Die Sympathiewelle um Greta wurde medial genutzt, um Menschen und ihre Haltung zum Klima zu beeinflussen. Es ist natürlich ein schmaler Grat bis zur Manipulation, da komme ich wieder auf unsere Werte zurück, die Werte, die wir als Gesellschaft bewahren wollen auf dem Boden unseres Grundgesetzes. Wenn das nicht mehr gegeben ist, wäre die rote Linie überschritten, wo man nicht mehr mitmachen kann und sollte.

Weissenbach: Ich danke Ihnen für Ihre Einschätzungen.

Zitationshinweis

Weissenbach, Kristina (2024): Transformation zur Nachhaltigkeit – „Das geht nur auf den Schultern von vielen.“, Interview mit Yvonne Balzer, Mitglied der Geschäftsleitung der PD in Düsseldorf, Interview, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online Verfügbar: https://regierungsforschung.de/transformation-zur-nachhaltigkeit/

This work by Kristina Weissenbach is licensed under a CC BY-NC-SA license.

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