Ullrich Fichtner: Geboren für die großen Chancen. Über die Welt, die unsere Kinder und uns in Zukunft erwartet

Die Welt ist „im Eimer“, konstatiert Ullrich Fichtner zu Anfang seines Buches Geboren für die großen Chancen. Über die Welt, die unsere Kinder und uns in Zukunft erwartet mit einem Augenzwinkern. Der SPIEGEL-Journalist hält mit seinem klugen und lesenswerten Buch gegen das, was oft genug suggeriert und zu einem Horror-Narrativ zusammen gerührt wird, so Jürgen Turek, der Senior Fellow am Centrum für angewandte Politikforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Inhaber der Turek Consultant ist. Fichtner sei ein großartiges Buch gelungen, das greifbare  Zukunftsszenarien für die Weltgesellschaft entwirft.

Das kann so alles nicht weiter gehen! Der ganze Irrsinn unserer Zeit – Globalisierung, der Klimawandel, Krieg, die Inflation, Plastik, Migration, die Bürokratie, der Hass im Netz, der Griesgram und die Angst – alles dies macht das Leben der Menschheit kaputt. So könnte man meinen, wenn man liest, sieht und hört, was da Tag für Tag im Internet und Fernsehen erzählerisch geschieht. „A man bites a dog, that’s no news, but a dog bites am man, that’s news!” So hat es mal ein Grundsatz der Publizistikwissenschaft auf den Punkt gebracht, den alle Erstsemester zu lernen hatten.

Ullrich Fichtner: Geboren für die großen Chancen. Über die Welt, die unsere Kinder und uns in Zukunft erwartet

Deutsche Verlags-Anstalt, München, 2023, 320 Seiten, ISBN 978-3-421-07015-9, 24,00 Euro

Autor

Jürgen Turek, M. A., ist Inhaber der Turek Consultant in München und Senior Fellow am Centrum für angewandte Politikforschung (C•A•P) der Ludwig-Maximilians-Universität München.

 

 

Das kann so alles nicht weiter gehen! Der ganze Irrsinn unserer Zeit – Globalisierung, der Klimawandel, Krieg, die Inflation, Plastik, Migration, die Bürokratie, der Hass im Netz, der Griesgram und die Angst – alles dies macht das Leben der Menschheit kaputt. So könnte man meinen, wenn man liest, sieht und hört, was da Tag für Tag im Internet und Fernsehen erzählerisch geschieht. „A dog bites a man, that’s no news, but a man bites a dog, that’s news!” So hat es mal ein Grundsatz der Publizistikwissenschaft auf den Punkt gebracht, den alle Erstsemester zu lernen hatten. Es geht um das Besondere, was Aufmerksamkeit weckt, und was der ‚Boulevard‘ und das Internet gerne zur Katastrophe aufgeblasen präsentieren. Und was irgendwie dann auch wissenschaftlich untermauert und in einen negativen Rahmen gepresst werden kann. So geht die Flut schlechter Nachrichten auf uns hernieder, die Katastrophen-Meldungen, die durch die sozialen Medien und ihre Verschwörungstheorien noch befeuert werden. Ullrich Fichtner erklärt es in seinem neuen Buch so: Seriöse Medien in demokratischen Kulturen verstehen sich – das ist ihr Job – als Wächter des Zeitgeschehens und verfolgen den Auftrag Missstände aufzuzeigen. Also konzentrieren sie sich auf Fehler, auf falsche Versprechungen, sie stellen das Scheitern von Plänen aus, nicht ihr Gelingen. Wer so – in bester journalistischer Absicht – informiert gerät in Gefahr, eine einseitig schlechte Weltsicht zu pflegen, die an der Ausgewogenheit kein großes Interesse mehr hat. Und warum schreibt er dies? Weil er in seiner Schrift auf Sachverhalte eingeht, deren Stellenwert allzu oft im täglichen Informationskrieg um den größten Skandal untergehen.

Die Welt ist also „im Eimer“, wie es Fichtner ironisch und augenzwinkernd konstatiert, aber folgt daraus der jüngste Tag? Ist das der Leichenschmaus der letzten Generation, was die journalistische Zunft Tag für Tag und rund um den Globus serviert? Und was folgt daraus? Eine Familie zu gründen und Kinder in die Welt zu setzen? Nein, das könnte man meinen, und so hört man es deshalb auch oft. Doch das lässt Fichtner nicht stehen. Der SPIEGEL-Journalist hält mit seinem klugen und lesenswerten Buch gegen das, was oft genug suggeriert und zu einem Horror-Narrativ zusammen gerührt wird. Und vorab: Ein Traktat, in dem es um einen Paradigmenwechsel in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft geht, um neue Technologien, Verantwortung, Verhaltensweisen, Entwicklungspfade, kann ob der Chancen und Möglichkeiten für die nächsten Generationen, die da beschrieben werden, nicht nur erkenntnisreich und tröstlich, sondern auch ein Muntermacher bei der Lektüre sein.

Realistisch und offen für die Zukunft

Und dies kommt ohne Blauäugigkeit und Naivität daher. In dem Buch, so ist es das Versprechen seines Autors, das er auch hält, werde weder schöngefärbt noch gejammert, obwohl es um die Zukunft geht, um unsere Aussichten und die unserer Kinder. Die Welt werde genommen, so gebrechlich sie eben ist, Gefahren würden nicht ausgespart, aber ein guter Verlauf für alle und alles werde trotzdem für möglich gehalten (S. 11). Realistisch und offen für die Zukunft nähert sich Fichtner also seinem Sujet an und man ist gespannt, was er daraus macht. Zunächst mengt er seiner Betrachtung einen weiteren, wichtigen Befund bei: die Fallen der Wahrnehmung. Nicht nur sei diese durch den negativen Neuigkeitswert, das Sensationalistische einer Nachricht und die vermeintliche Ruchlosigkeit der Menschheit geprägt, sondern auch durch eine kognitive Dissonanz beim Empfänger. In der Publizistik bedeutet dies, dass jeder Rezipient nur diejenigen Informationen wahrnimmt, die ohnehin seiner Auffassung entsprechen, und er geneigt ist, alles andere, was stört, auszublenden. Es herrschen also gelegentlich hartnäckige Diskrepanzen zwischen Wirklichkeit und der Wahrnehmung von Wirklichkeit vor. Bei der Frage etwa, wie viele Menschen in extremer Armut leben – 10 Prozent? 30? 50? – würden etwa 90 Prozent auf eine falsche Antwort tippen. Die richtige Zahl laute 10 Prozent. Wobei auch Aufklärung oft wenig bewirke, denn „falsche Gewissheiten von anno Tobak würden … mit Liebe gepflegt“ (S. 45). Das dies so sei, hänge auch mit zwei Denksystemen des Menschen zusammen. System eins nennt Fichtner mit Verweis auf den Wirtschaftswissenschaftler Daniel Kahnemann das „unwillkürliche“, System 2 das „mühevolle“ System (S. 49). Das erste meint das „Bauchgefühl“, das zweite das „informierte Abwägen.“ Beide Systeme seien ständig in Gang. Allerdings bräuchten die komplexen Gegenwartsfragen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft mehr von Zweitem, vom mühsamen Denken also, das Stereotypen entlarven und zusätzlich zur Intuition den rationalen Zugang zur Welt eröffnen würde. Dieser Hinweis ist an dieser Stelle wichtig. Denn das vorliegende Buch geht nicht nur auf die rasanten und großen technologischen Umbrüche der Gegenwart und Zukunft und ihre Möglichkeiten ein; es beharrt auch auf der Sicht, dass Fortschritte hin zu einem Paradigmenwechsel im fortgeschrittenen Anthropozän sehr viel mit veränderten Einstellungen und Hinterfragung zu tun haben.

Paradigmenwechsel zu einem neuen Narrativ des Anthropozän

Der Leser ist also vor seinen eigenen Vorurteilen gewarnt, aber gleichzeitig auch ermuntert, sich anderen Blicken auf die Zukunft zu stellen. Denn nach Fichtner vollzieht sich gerade eine Revolution der Industriegesellschaft und diese fordert nichts weniger als einen Paradigmenwechsel bei der Beurteilung der wichtigen Zukunftsfragen ein. Das alte Narrativ des Anthropozän ist nicht mehr tragbar und die Geschichte der Menschheit ist als Erfolgsgeschichte der Industrialisierung von A nach B bis C nicht mehr erzählbar. Das Anthropozän, das geologische Zeitalter, in dem die Menschheit den dominanten geophysikalischen Einfluss auf das Erdsystem gehabt hätte und daraus ihre Verantwortung für die Zukunft des Planeten abgeleitet worden sei, benötige dringend ein korrigierendes Narrativ. Der Zustand der Erde sei desaströs und das Ende der Fahnenstange sei erreicht. Jetzt müsse tatsächlich die Menschheit zusammenstehen und kooperieren, um ihre Lebensgrundlagen zu erhalten. Diese Erkenntnis und die Gewissheit, dass heute viele Menschen auf der ganzen Welt dieses Zeitgefühl teilten, seien der Treibstoff des Paradigmenwechsels. Als Paradigmata versteht der Autor psychologische Tiefenstrukturen, die als prägende Zeitgeistströmungen erkenntnis- und handlungsleitend seien. Schädliche oder falsche Prämissen zu erkennen und durch richtige oder gute zu ersetzen sei demnach nicht nur ein technischer Vorgang, sondern auch eine enorme psychologische Herausforderung. Dies sei bei komplexen globalen Kontexten zweifellos ein Kraftakt – schwierig, aber möglich. Als Beispiel nennt er den Kampf gegen das Ozonloch in der Atmosphäre, den die Menschheit durch konzertiertes Handeln und durch eine Technikalternative gewonnen habe. Und so ist Ullrich Fichtner Optimist, dass dies auch bei den großen Herausforderungen der Menschheit gelingen werde, allen voran beim Klimawandel, der zum entscheidenden Innovationstreiber unserer Zeit geworden sei. Entscheidend sei jetzt, dass sich eine außergewöhnliche Konstellation abzeichnen würde: Es ergebe sich, „dass der Umbruch im Bewusstsein (der Menschen, Anm. des Verf.), das neue Paradigma, auf die unerhörten neuen Möglichkeiten exponentiell fortschreitender Wissenschaften trifft, die nach aller Wahrscheinlichkeit eine multiple Revolution einläuten werden“ (S. 17).

Drei Revolutionen des Anthropozän

Die multiple Revolution tituliert Fichtner mit Rekurs auf den Zukunftsforscher Matthias Horx als Summe „langsame(r) Lawinen“: Dies sind die mit der Digitalisierung einhergehende Entmaterialisierung und totale Datafizierung, die Vervollkommnung der lernenden Maschinen durch Künstliche Intelligenzen (KI) und die Ausdifferenzierung der neuen Bio- und Medizintechnologien. In diesem Rahmen ergeben sich Chancen für die heute Neugeborenen, die ihr Leben in andere Bahnen lenken können und werden. In diesem Rahmen nun reiht Fichtner Chancen und Herausforderungen aneinander, wobei die Herausforderungen durch die Erderwärmung und die Dringlichkeit von Systemveränderungen noch viel größer seien als erwartet. Gleichzeitig zeigt er auf, dass zum Beispiel die Frage nach der Energieversorgung im Prinzip beantwortet ist und dass die Kreislaufwirtschaft eine Antwort darauf gebe, wie die Produktionssysteme und Warenkreisläufe der Welt zu gestalten seien. Insgesamt zeigt er an vielen Beispielen auf, dass die Konvergenz der Einzelheiten dieser Revolution alles verändern wird. Da ist etwa die enorme Entmaterialisierung durch Big Data. Im Jahr 2000 waren noch 75 Prozent aller Daten analog niedergelegt worden. Seit 2007 sind es weniger als ein Prozent. Die Summe aller Daten hat sich in diesem Zeitraum von 2,6 Milliarden Gigabyte auf 276 Milliarden Gigabyte erhöht. Bis zum Jahr 2011 ist sie auf 1,8 Billionen Gigabyte angeschwollen und bis 2020 hat sie sich auf etwa 64,2 Zetabyte erhöht. Big Data habe dabei zusammen mit anderen Erfindungen des neuen Anthropozän ein enormes Veränderungspotenzial. Ähnlich wie der Buchdruck erhöhten die Daten nicht nur die Verfügbarkeit von Informationen, sondern sie hätten erneut das Potenzial, die Kultur zu verändern und eine neue Aufklärung anzuschieben. Die Technologie und der Zugang seien vorhanden. Das Smartphone verschmelze seit 2007 das Wissen der Welt.  Jedes verfügt über eine größere Rechenleistung als die der NASA-Computer, die 1969 die erste Mondlandung steuerten. Das Zusammenspiel zwischen Handys und Clouds mache es möglich, dass in heutigen Hosentaschen die gesamte digitalisierte Welt Platz finden kann. Der Mensch ist allzeit verbunden mit jeder frei verfügbaren Information auf der Welt und jede frei verfügbare Information stehe jedem Menschen zur Verfügung, wann immer er will.

Vor dem Hintergrund dieser Grundströmungen – in der Zukunftsforschung auch Megatrends genannt – entwirft Fichtner die Lebenswelten eines heute geborenen Kindes, seine Städte, das Land oder seine Sozialstruktur. Die Ankunft in immersiven Computerwelten1 ist Thema, aber auch die Zukunft der Arbeit, der Umgang mit Robotik und KI, der Gesundheit, mit der Frage, wie sich Politik verändert, welche Themen groß werden und wie sich die Sicht auf die Dinge verändert. Und welches Rüstzeug man haben muss, um mit den Herausforderungen der Menschheit umzugehen. Da ist zum Beispiel die Stadt der Zukunft, die smart ist und die Bedürfnisse ihrer Bewohner in selbstständig vernetzten, maschinellen Systemen wie etwa der Gesundheitstelematik bedient. 3D-Drucker und die Zirkularität von Baustoffen seien dabei im Städtebau äußerst wichtig, schon allein, um die Ausgaben für CO2-Abgaben zu minimieren. Oder Sharing-Modelle, um die Mobilität anders zu organisieren und den Verbrauch von Material zu optimieren. Und „Urban Agriculture“, wo es darum geht, Gemüse im Keller oder auf dem Dach zu ziehen Die neue Lebenswelt sei von biomechanischen und gentechnologischen Fortschrittsprüngen geprägt. In der Medizin fließe alles zusammen. Ein Dutzend Technologien seien nun reif für den Gebrauch, von denen jede für sich genommen das Etikett „bahnbrechend“ verdiene. Gesundheit würde zunehmend individualisiert, wobei dank Big Data die Informationen besser und die Analysen präziser sein würden. Früherkennung und die Therapie schwerster Erkrankungen seien dank vieler Innovationen in einem ungeahnten Maße möglich, allein der Krebs würde in naher Zukunft dank mRNA-Therapien vermutlich gentechnologisch besiegt.

Mit alldem wachse das heute geborene Kind wie selbstverständlich auf.  Und so entsteht Stück für Stück das Bild einer Welt, die lebenswert und anziehend ist, interessant und fordernd, eine Welt, die sich wie ehedem aus der Neugier und dem Drang der Menschen nach guten Lösungen für schlechte Zustände formen wird. Und dann kommt Fichtner zur Politik des heute geborenen Kindes. Er ist zuversichtlich, dass sich die Generation des geläuterten Anthropozäns mit kooperativen Politikstilen profilieren wird. Sie werden sich die Errungenschaften der multiplen Revolution unbefangen und produktiv aneignen, so wie es den Generationen in der Industrialisierung mit den neuen technologischen Möglichkeiten letztlich gegen alle Widerstände auch gelang. Dabei seien Kooperation und politisches Engagement angesagt, denn es gelte sich gegen die autoritäre Konkurrenz, allgegenwärtige Korruption, radikaldemokratische Simplizität oder kriminelle politische Machenschaften zu behaupten. Der wachsende Druck zur Kooperation – etwa beim Klima – spricht für Fichtners Sicht der Dinge, aber auch die Verschiebungen bei der „Infrastruktur der Öffentlichkeit“ (S. 274) und der Wahrnehmung des Weltereignisses an sich. Entgegen den sirenenhaften Einflüsterungen in den jeweiligen Etappen der Verschwörung seien heute eine große Zahl von institutionellen, journalistischen oder ungebundenen Sendern auf allen Plattformen mit realen Nachrichten und Narrativen präsent, mit denen sich eine konstante plurale Öffentlichkeit bei den Empfängern organisieren lässt. Ein Sturmangriff auf ‚fake‘, Manipulationen und verzerrte Wahrnehmungen sei inkludiert.

Ganz zum Schluss erzählt der SPIEGEL- Journalist dann die Geschichte von Yacouba Sawadogo, einem Bauer aus Burkina Faso, der vorlebt, was das neue Paradigma des Anthropozän bedeuten kann. Eine Geschichte, die ein Gleichnis sei für das neue Paradigma des Anthropozäns, das steht für ein bewusstes Miteinander von Natur und Mensch. Sawadogo hat lange Zeit mit dem Ackerboden und einer als feindlich empfundenen Umwelt gekämpft. Mit harter Arbeit und einem biotechnischen Verständnis für Landwirtschaft in extremen Situationen ausgestattet, gelang es ihm, über Jahre eine Fläche – zweimal so groß wie Belgien – landwirtschaftlich nutzbar zu machen und gleichzeitig ein Biotop zu schaffen, das Wälder entstehen ließ, die einen neuen Lebensraum für Menschen und Tiere vieler Arten schuf. So entstand nicht nur ein gigantisches Biotop, das viele Landsleute und ausländische Kollegen für unmöglich hielten, und das durch seine Beharrlichkeit, indigenes Know-How und fortlaufenden Bemühungen in die Welt gelangte; in der Sahelzone entstand so eine sozio-ökonomische Bewegung, die sechs Millionen Hektar neues Waldland erschuf, bestanden mit Hunderten Millionen Bäumen und Sträucher. Sawadogo formulierte damit auch eine tragfähige Antwort auf den Klimawandel: In den begrünten Regionen sank die durchschnittliche Tagestemperatur von 45 auf 40 Grad Celsius. Durch die Umwandlung der Wüste in Ackerland wurden die Kohlendioxyd-Emissionen in den betroffenen Gebieten signifikant gesenkt. Fichtner schreibt: „Wo zuvor Wüste war, fächerte sich das bunte Leben auf. Mehr als fünf Millionen Menschen, heißt es, haben sich dank der neuen Wälder aus dem Hunger herausarbeiten können. Und die dafür nötigen Bedingungen haben sie, vorbildlich Akteure des Anthropozäns, im Einklang mit der Natur gestaltet, mit ihrer eigenen Hände Arbeit, mit ihren Möglichkeiten, ihrer Kraft“ (S. 297).

Zukunftsgesellschaft

Fichtner ist ein großartiges Buch gelungen. Denn es zeigt die Zukunft einer Weltgesellschaft auf, die mit Händen greifbar ist, wenn sie der Mensch nicht wieder durch seine Gewaltnatur und Destruktivität, seine Ignoranz und Dummheit in eine falsche Richtung lenkt. Der Autor leugnet die vielfältigen Rückschläge und Destruktionen in der menschlichen Entwicklung nicht und er weicht den vielen grausamen Erzählungen der Menschheitsgeschichte auch nicht aus. Aber die Dystopie ist seine Sache nicht. Er sieht – in Summe betrachtet – die Fortschrittlichkeit der Menschheit mehr als ihre Abgründigkeit. Hier darf man anderer Ansicht sein, aber unbegründet ist Fichtners Optimismus keinesfalls. Was letztlich zählt: Eine gute Gesellschaft versetzt den Einzelnen in den Besitz seiner Möglichkeiten und bietet sich als sicherer Ort ihrer Mitglieder an. Hierzu drängt sich die Konvergenz der technologischen Revolutionen als Fortschrittsmaschine auf. Diese „langsamen Lawinen“ sind mächtige Problemlöser unserer Zeit, wenn man sie entsprechend verantwortungsvoll nutzt. Das fängt beim Klimaschutz an und hört bei der Wahrung von Menschenrechten auf. Einiges von dem, was Fichtner beschreibt, ist neu, einiges zeichnet sich seit einiger Zeit ab oder ist sogar schon mehr oder weniger Realität. Der Reiz indes liegt im Narrativ. Die Erzählung, die er liefert, fordert die vielen Dystopien, die im Umlauf sind, heraus. Auch dies zeichnet dieses Buch aus. Denn in der Tat, faszinierende Zukunftspfade zeichnen sich für das 21. Jahrhundert ab. Hier schießen Erwartungen auch über das Mögliche hinaus, was für wohlmeinende und aufgeklärte Leser nicht verwunderlich ist, was aber moderne ‚Maschinenstürmer‘ sicherlich gerne aufspießen werden. Missverständnisse in der Perzeption zukünftiger Entwicklungen und Rückschläge in der tatsächlichen Umsetzung muss man eben hinnehmen und Fichtner wird dies wissen. Das gilt im Großen wie im Kleinen. Bei der Informationsrevolution zum Beispiel hat sich gezeigt, dass nicht eine bedingungslose Digitalisierung an sich erstrebenswert sein kann, sondern ihr Charakter als bewusst genutztes Instrument. So hat das dänische Bildungsministerium Anfang 2024 beschlossen, die Bestrebungen einer totalen Digitalisierung des Klassenzimmers nicht weiter zu verfolgen. Man sei zu ambitioniert gewesen und zu sehr seien die Schüler im Unterricht durch andere Verlockungen im Netz abgelenkt. Semantik und Syntax drohten zudem zu veröden. So hielt das wieder Einzug in den Unterricht, das Lernen allüberall seit jeher prägt: das in Büchern gedruckte Wort. Na dann, ist man mit Fichtner geneigt zu sagen, setzen wir diese Erkenntnis eben in der Welt des heute neugeborenen Kindes als konstruktiven Hebel um!

Zitationshinweis

Turek, Jürgen (2024): Ullrich Fichtner, Geboren für die großen Chancen. Über die Welt, die unsere Kinder und uns in Zukunft erwartet, Deutsche Verlags-Anstalt, München, 2023, 320 Seiten, ISBN 978-3-421-07015-9, 24,00 Euro, Rezension, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online Verfügbar: https://regierungsforschung.de/ullrich-fichtner-geboren-fuer-die-grossen-chancen-ueber-die-welt-die-unsere-kinder-und-uns-in-zukunft-erwartet/

This work by Jürgen Turek is licensed under a CC BY-NC-SA license.

  1. Gemeint ist damit das „Eintauchen“ in computergenerierte Erlebniswelten, etwa über 3D-Brillen. []

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