Wahlen und Wahlkampf in Zeiten der COVID-19-Krise

Prof. Dr. Lars Holtkamp, Benjamin Garske und Frederik Müller von der FernUniversität Hagen präsentieren erste Ergebnisse ihrer Befragung von Kandidierenden zur (Ober-)Bürgermeister_innenwahlen in NRW im vergangenen Herbst. Wie haben Kandidierende den Wahlkampf während der Corona-Pandemie wahrgenommen? Die Auswirkungen der Pandemie auf Wahl und Wahlkampf werden von einzelnen Kandidierendengruppen – trotz einiger Überschneidungen – recht unterschiedlich bewertet. Doch nicht nur zwischen Amtsinhaber_innen und Kandierenden ohne Amt zeigen sich Unterschiede; auch getrennt nach Einwohnerzahl fallen die Bewertungen unterschiedlich aus.

Während internationale Publikationen zu Wahlen in Zeiten der COVID-19-Krise in Zahl und Reichweite relativ früh zugenommen haben, sind die Auswirkungen auf Wahlen und Wahlkampf in Deutschland bis jetzt nur zögerlich untersucht worden. Das liegt sicherlich auch daran, dass bis dato nur zwei Kommunalwahlen in Deutschland abgehalten wurden – in Bayern und Nordrhein-Westfalen. In einer traditionell eher national ausgerichteten Wahl- und Parteienforschung stoßen diese allerdings auf tendenziell geringeres Interesse. Hier wird dann nicht nur die Chance verspielt, Wahlen unter besonderen Konstellationen auch vor dem Hintergrund möglicher Prognosen für das sogenannte Superwahljahr 2021 zu analysieren, sondern auch die Möglichkeit, Hypothesen auf breiter empirischer Basis statistisch testen zu können oder dies zumindest auf ein breiteres empirisches Fundament zu stellen.

Wahlen und Wahlkampf in Zeiten der COVID-19-Krise

Eine empirische Analyse der nordrhein-westfälischen (Ober-)Bürgermeister_innenwahlen

Autoren

Lars Holtkamp, Prof. Dr., Professor für Politik und Verwaltung. Institut für Politikwissenschaft an der FernUniversität Hagen; Kontakt: FernUniversität Hagen, Lehrgebiet Politik und Verwaltung, Universitätsstraße 33, 58084 Hagen; E-Mail: lars.holtkamp@fernuni-hagen.de.

Benjamin Garske, M.A., wissenschaftlicher Mitarbeiter an der FernUniversität Hagen. Institut für Politikwissenschaft (Lehrgebiet: Politik und Verwaltung); Kontakt: FernUniversität Hagen, Lehrgebiet Politik und Verwaltung, Universitätsstraße 33, 58084 Hagen; E-Mail: benjamin.garske@fernuni-hagen.de.

Frederik Müller, M.A., wissenschaftlicher Mitarbeiter an der FernUniversität Hagen. Institut für Politikwissenschaft (Lehrgebiet: Politik und Verwaltung); Kontakt: FernUniversität Hagen, Lehrgebiet Politik und Verwaltung, Universitätsstraße 33, 58084 Hagen; E-Mail: frederik.mueller@fernuni-hagen.de.

1. Einleitung

Während internationale Publikationen zu Wahlen in Zeiten der COVID-19-Krise in Zahl und Reichweite relativ früh zugenommen haben, sind die Auswirkungen auf Wahlen und Wahlkampf in Deutschland bis jetzt nur zögerlich untersucht worden. Das liegt sicherlich auch daran, dass bis dato nur zwei Kommunalwahlen in Deutschland abgehalten wurden – in Bayern und Nordrhein-Westfalen. In einer traditionell eher national ausgerichteten Wahl- und Parteienforschung stoßen diese allerdings auf tendenziell geringeres Interesse (Holtkamp 2008). Hier wird dann nicht nur die Chance verspielt, Wahlen unter besonderen Konstellationen auch vor dem Hintergrund möglicher Prognosen für das sogenannte Superwahljahr 2021 zu analysieren, sondern auch die Möglichkeit, Hypothesen auf breiter empirischer Basis statistisch testen zu können oder dies zumindest auf ein breiteres empirisches Fundament zu stellen.

Entsprechend beziehen sich die vorliegenden Studien überwiegend auf bayerische Kommunalwahlen. Vereinzelt liegen aber auch erste, deskriptive Analysen zu nordrhein-westfälischen Kommunen oder zur Regierungszufriedenheit auf Bundesebene in Zeiten der COVID-19-Krise vor. Problematisch erscheint vor allem bei ersteren Analysen, dass (Ober-)Bürgermeister_innenwahlen in Bayern unter Sonderbedingungen stattfanden, insofern – anders als in Nordrhein-Westfalen – die Stichwahl allein als Briefwahl zugelassen war. Weil sich Briefwähler_innen hinsichtlich sozialstruktureller Zusammensetzung und Parteipräferenzen tendenziell eher vom gesamten Elektorat unterscheiden, kann dies sicherlich Einfluss auf Wahlergebnisse nehmen.

In den genannten Studien werden im Kern drei unterschiedliche methodische Zugänge gewählt, wovon in der vorliegenden Analyse der Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen zwei angewendet werden: Erstens ermöglichen Aggregat- und/oder Befragungsdaten einen Zeitvergleich (z. B. Dörr et al. 2020). Zweitens erlauben Befragungen einen Quervergleich, indem Expert_innen (hier: Mandatsträger_innen auf lokaler Ebene) zu Erfahrungen im Umgang mit den Einschränkungen durch COVID-19 befragt werden (Kersting 2021), wobei in unserem Fall insbesondere Unterschiede zwischen Kommunen (bspw. Einwohner_innenzahl) und Kandidat_innengruppen (beispielsweise Einzelbewerbung) stärker in den Mittelpunkt rücken. Drittens wäre ein weiterer Quervergleich denkbar, indem die COVID-19 Variable durch die Zahl an Neuinfizierten modelliert wird. Je mehr Neuinfizierte registriert werden, desto stärker sollten Hypothesen zu Wahlen und Wahlkampf in Zeiten der COVID-19-Krise zutreffen. Letzterer Quervergleich allerdings kann hier mithin nachrangig behandelt werden, insofern alle Kommunen im Quervergleich zum Zeitpunkt der Wahl relativ ähnliche Fallzahlen und/oder Restriktionen des öffentlichen Lebens aufweisen.

Zentral ist allen Studien, dass ein per se hoher Amtsinhaber_innenbonus in Zeiten der COVID-19-Krise noch einmal stärker ausgeprägt zu sein scheint. Wähler_innen könnten eventuell in tendenziell unsicheren Zeiten dazu tendieren, auch auf kommunaler Ebene Regierungswechsel zu scheuen (Dörr et al. 2010: 47). Ein gegenteiliger Effekt könnte allerhöchstens entstehen, wenn sich (Ober-)Bürgermeister_innen beispielsweise im Zuge der Eindämmung der Pandemie wegen (unverhältnismäßig) starker Einschränkungen hätten verantworten müssen. Allerdings ist in Nordrhein-Westfalen kein derartiger Fall bekannt, wenn man von wenigen sogenannten COVID-19 Hotspots im Verlauf der ersten Monate der Pandemie (zum Beispiel im Kreis Gütersloh oder Warendorf) und den damit verbundenen landesseitig initiierten partiellen, lokalen Lockdowns absieht. Weil zudem Amtsinhaber_innen generell den nötigen Rückhalt bereits nachgewiesen haben, sind selbst bei amtierenden Einzelbewerber_innen keine Probleme beispielweise in Fragen von Unterstützungsunterschriften zu erwarten (vgl. Gehne 2012: 44). Ihr Bekanntheitsgrad ist in aller Regel höher, sodass auch nicht primär auf die Instrumente des klassischen Straßenwahlkampfes oder größere Veranstaltungsformate zurückgegriffen werden muss, um die Reichweite zu erhöhen. Folgerichtig sollten insbesondere bei Einzelbewerbungen ohne Amtsbonus Probleme in Zeiten der COVID-19-Krise ausgeprägter sein, oder im Zweifel eine Kandidatur eher in Frage gestellt werden. In letzter Konsequenz könnte das aktuelle Kandidat_innenfeld kleiner sein als bei den letzten (Ober‑)Bürgermeister_innen 2014/15.

Der prinzipiell eher robuste Amtsbonus könnte angesichts unsicherer Zeiten aber genauso gut von einem bundesweiten Trend überlagert werden, wie es in Nordrhein-Westfalen bereits früher nachgewiesen werden konnte (zum ‚Sturm der roten Rathäuser‘ vgl. Holtkamp 2008). Aktuelle Erhebungen zeigen, dass in Zeiten der COVID-19-Krise die Regierungszufriedenheit zunächst gestiegen ist, wovon in Bund und Land allerdings überwiegend Christdemokrat_innen profitierten (Dörr et al. 2020: 51). So mussten beispielsweise Amtsinhaber_innen anderer Listen in der bayerischen Kommunalwahl tendenziell eher Verluste verkraften (Leininger/Schaub 2020: 26). Amtsinhaber_innenkandidaturen der CSU erzielten allerdings nicht gleich bessere Ergebnisse als in der vorangegangenen Kommunalwahl. Auch ist die Wahlbeteiligung nicht geringer, unabhängig der COVID-19 Fallzahlen eines Landkreises oder einer Stadt (vgl. Blesse et al. 2020).

Vieles spricht dafür, dass insbesondere in Krisenzeiten Faktoren wie nationale Parteibindung oder Bundestrends in der Wahlentscheidung ausschlaggebender sein dürften und ein eigenständiges Kommunalwahlverhalten1 stärker zurückgedrängt wird. Ähnliches ist für nordrhein-westfälische Kommunen zu erwarten, insofern die (Ober-)Bürgermeister_innenwahl (wieder) an die Ratswahl gekoppelt wurde, und – anders als zum Beispiel in Baden-Württemberg – in Verbindung mit der hohen Zahl an einwohnerstarken Kommunen nationale Parteibindungen und -orientierungen insgesamt eine höhere Betonung erfahren. Gerade hier dürften Einschränkungen durch COVID-19 bei beispielsweise der Kandidat_innenausfstellung und im Wahlkampf schwerer wiegen (vgl. auch Kersting 2021), während der Bekanntheitsgrad der Kandidat_innen in kleineren Kommunen im Allgemeinen höher sein sollte (vgl. Andersen/Bovermann 2002) und dies letztlich die Art und Weise des (Straßen-)Wahlkampfes beziehungsweise die Notwendigkeit dazu abmildert.

2. Die Entwicklung der COVID-19 Pandemie im Zeitverlauf

Ehe die Thesen getestet werden, gilt es zuvorderst die Entwicklung der und Reaktionen auf die COVID-19 Pandemie im Zeitverlauf nachzuzeichnen.

Hierzu lassen sich kursorisch zentrale Ereignisse herausstellen, die nicht nur den Verlauf der COVID-19 Pandemie bestimmen, sondern auch tiefgreifende Einschnitte in das öffentliche Leben und damit auch Einschnitte in den Kommunalwahlkampf nach sich ziehen.2

Am 13. März 2020 verabschiedete das nordrhein-westfälische Landeskabinett ein Maßnahmenpaket zur Eindämmung des COVID-19 Virus in Nordrhein-Westfalen (zum Beispiel eingeschränkte Besuche in Alten- und Pflegeheimen und Kliniken). Im Zeitraum vom 16. März bis 19. April folgte beispielsweise die Schließung von Grund- und weiterführenden Schulen, der Kitas (mit Ausnahme der Fälle des Personals in kritischer Infrastruktur) und der Semesterbeginn an (Fach-)Hochschulen wurde verschoben. Auf nicht notwendige Veranstaltungen mit hoher Teilnehmer_innenzahl sollte weitgehend verzichtet werden. Zugleich wurden sogenannten Amüsierbetriebe (Bars, Museen, Kinos, etc.) geschlossen; ab dem 17. März auch Sport- und Freizeiteinrichtungen, sowie Kurse an öffentlichen und privaten Bildungseinrichtungen wie Volkshochschulen und Musikschulen. Einher gingen damit die Einschränkung der Einkaufsmöglichkeiten (Zutritt zu sogenannten Factory-Outlet-Centern und Shopping-Malls nur zur Deckung des täglichen Bedarfs) und strenge Auflagen an den Betrieb von Restaurants, Gaststätten (zum Beispiel geänderte Öffnungszeiten) und Hotels (ausschließlich zu nicht-touristischen Zwecken). Infolgedessen gab am 18. März das Robert-Koch-Institut Handlungsempfehlungen zum Verbot für Veranstaltungen über 1.000 und zum Verzicht auf Veranstaltungen unter 1.000 Teilnehmer_innen. Am 21. März wurde der Sonderfahrplan Schienenverkehr geschaltet (Reduzierung des Angebots der meisten Linien von S-Bahnen, Regionalbahnen und Regionalexpress).

Angesichts rasant steigender Fallzahlen und der ungeminderten Ausbreitung der COVID-19 Pandemie hat die Landesregierung am 22. März per Rechtsverordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen weitreichende Kontaktverbote auf den Weg gebracht (gültig ab 23. März; zum Beispiel Untersagung von Zusammenkünften und Ansammlungen in der Öffentlichkeit von mehr als zwei Personen; ausgenommen Verwandter gerader Linie Ehegatten, Lebenspartnerinnen und Lebenspartner, Begleitung minderjähriger und unterstützungsbedürftiger Personen, etc. sowie zwingend notwendige Zusammenkünfte aus geschäftlichen, beruflichen und dienstlichen Gründen). Am 27. April trat die allgemeine Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes (MNS) im ÖPNV, Einzelhandel, Apotheken, Arztpraxen, Tankstellen und auf Wochenmärkten, etc. in Kraft.

Erst am 06. Mai wird ein abgestufter Plan zur Erleichterung der COVID-19 Schutzmaßnahmen bekannt gegeben. Er sah vor, ab 11. Mai peu à peu Kontaktverbot und Verhaltensregeln anzupassen (zum Beispiel Angehörige zweier Haushalte im öffentlichen Raum). Zugleich gab es erste Erleichterungen unter anderem für die Gastronomie (insbesondere Speisegaststätten im Innen- und Außenbereich), Hotellerie (ab 21. Mai touristische Nutzung) und den Tourismus. Am 30. Mai wurden Kontaktbeschränkungen und Verhaltensregeln (beispielsweise bis zu zehn Personen im öffentlichen Raum) angepasst. Kultureinrichtungen, wie Kinos, Theater, Opern und Konzerthäuser konnten nun wieder für Besucher öffnen, nicht-kontaktfreier Sport im Freien war unter Einhaltung eines Hygiene- und Infektionsschutzkonzepts wieder möglich. Am 15. Juni traten weitere Anpassungen in Kraft; beispielsweise Erleichterungen für die Zutrittsbegrenzung im Handel, sowie Veranstaltungen und Versammlungen mit mehr als 100 Teilnehmer_innen/Zuschauer_innen unter Rückverfolgung und Hygiene- und Schutzvorkehrungen und weiteres (auch private Festveranstaltungen mit bis zu 50 Personen).

Allgemeine Regelungen zur Kontaktbeschränkung im öffentlichen Raum, die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung in bestimmten Bereichen mit Publikums- und Kundenverkehr blieben (und bleiben) ebenso wie die hohe Unsicherheit bestehen, doch waren so zumindest weite Teile des öffentlichen Lebens und der Zugang zur politischen Arena knapp zwei Monate vor der Kommunalwahl wieder (eingeschränkt) möglich, was es uns in der Analyse erlaubt, zumindest in dieser Zeitspanne und in Fragen der Inzidenzwerte von halbwegs konstanten Rahmenbedingungen im Quervergleich ausgehen zu können (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1: Inzidenzwerte und Maßnahmen in NRW (Kalenderwoche); Quelle: Robert Koch Institut, Survstat@RKI 2.0, Datenbestand §7.1 IfSG – vom 10.02.2021 (bis Ende 5. KW 2021; Meldeweg über Gesundheitsamt), Abgerufen am 16. Februar 2021; Datenbestsand beginnend mit Kalenderwoche 08-2020 (17. Februar 2020)

Entsprechend der Entwicklung der Inzidenzwerte und der Landesvorgaben zur Eindämmung der COVID-19-Krise blieben die Politik beziehungsweise die lokalen Entscheidungs- und Willensbildungsprozesse nicht verschont. Tiefgreifende Kontaktbeschränkungen und Infektionsschutzregeln brachten mit sich, dass lokalpolitische Entscheidungen zunehmend entweder in kleinerer Teilnehmer_innenzahl (sogenannten Pairing-Verfahren) getroffen oder Entscheidungen direkt und ohne Beratung in die Finanz- und Hauptausschüsse geschoben wurden. Zusehends konnte die (beispielsweise fraktionsinterne) Entscheidungs- und Willensbildung nur mehr über gänzlich andere, neue Formate wie Videokonferenzen realisiert werden, verbunden mit allen Nachteilen hinsichtlich einer deutlich reduzierten Einbindung der Öffentlichkeit in politische Aushandlungs- und Entscheidungsprozesse.

Die vielerorts im Frühjahr beginnenden Vorbereitungen zur Kommunalwahl und der (eigentlich) einsetzende Wahlkampf war von den Regelungen in Teilen stark bestimmt. Übliche Wahlkampfaktivitäten mit hohem Bürger_innenkontakt waren ebenso kaum mehr möglich, wie notwendige Nominierungs- und Aufstellungsversammlungen oder Parteitage zur Verabschiedung von Wahlprogrammen. Die Landesregierung reagierte vor allem mit verlängerten Fristen zur Einreichung der Wahlvorschlagslisten und für die Beibringung von Unterstützungsunterschriften.

Mit geringeren Fallzahlen und weiteren Lockerungen setzten Wahlkampfaktivitäten zögerlich wieder ein, oder wurden früh in den digitalen Raum verlegt, wollte man Kandidierende für Ämter oder das eigene politische Programm präsentieren und bekannt machen (vgl. Kersting 2021). Kersting konnte beispielsweise Auswirkungen auf die Arbeit und Vorbereitung der Kommunalwahl über alle Parteien hinweg herausarbeiten, im Detail allerdings nicht entlang der Trennlinie zwischen den sogenannten Volksparteien und den tendenziell eher kleineren Parteien und Wähler_innenvereinigungen, sondern eher zwischen den politischen Strömungen (vgl. Kersting 2021). Dass sich solche Trends auch unter (Ober-)Bürgermeisterkandidierenden vermuten lassen, scheint natürlich. Allerdings ist wie angedeutet stärker davon auszugehen, dass sich Kandidat_innen mit Amtsbonus und insbesondere die der kleineren Kommunen mit eher weniger Problemen konfrontiert sehen und weniger Probleme benennen als neue Kandidat_innen.

3. Datenerhebung

Der vorliegenden Auswertung liegt eine schriftliche Erhebung aller (Ober‑)Bürgermeisterkandidat_innen (und den späteren Wahlsieger_innen) aller kreisangehörigen und kreisfreien Kommunen Nordrhein-Westfalens, in denen der/die (Ober-)Bürgermeister_in gewählt wurde (ausgenommen Landkreise; N = 380 von 396) in insgesamt drei Erhebungswellen und unter Einbezug weiterer Faktoren (zum Beispiel Wahlergebnisse/-beteiligung, Fragmentierung) zum Zeitpunkt der Kommunalwahl 2020 zugrunde.3

Zum Zwecke der Vergleichbarkeit4 werden alle Fallkommunen den in der lokalen Politikforschung gebräuchlichen Einwohner_innenklassen zugeordnet: (a) unter 25.000 (N = 220 von 226), (b) 25.000 bis 49.999 Einwohner_innen (N = 91 von 97), (c) 50.000 bis 99.999 Einwohner_innen (N = 40 von 43) und (d) über 100.000 Einwohner_innen (N = 29 von 30).

Nordrhein-Westfalen hat im innerdeutschen Vergleich den höchsten Anteil an Kommunen mit über 50.000 Einwohner_innen. Die durchschnittliche Gemeindegröße beträgt 45.321,3 Einwohner_innen.

Zuletzt stieg die Einwohner_innenzahl in Nordrhein-Westfalen auf 17.95 Millionen (Stand 31.12.2019). Allein auf die einwohner_innenstärksten Städte (>100.000) entfallen 8.37 Millionen Einwohner_innen, was einen Anteil von 46,6 Prozent an der Gesamtbevölkerung Nordrhein-Westfalens ausmacht.

Die hohe Dichte an Kommunen der oberen Größenklassen bedingt ein mehr an Kommunen mit überdurchschnittlich hoher Zahl an Kandidat_innen je Kommune (vgl. Tabelle 1), womit dieser Aspekt als landespezifische Besonderheit in der Analyse Beachtung finden muss (vgl. Bogumil/Holtkamp 2013: 25, 28).

Tabelle 1: Kandidaturen Nordrhein-Westfalen 2020 (nach Einwohner_innenzahl)
Quelle: Eigene Erhebung; Stand: 31.10.2020.
Abweichung %NRW/SP stellt Repräsentativitätsprüfung unseres Samples dar; positiver Wert gleich Überrepräsentanz, negativer Wert gleich Unterrepräsentanz in der Klasse im Vergleich zur Verteilung der Kandidaturen in NRW.
*In insgesamt 16 Kommunen fanden in 2020 keine (Ober-)Bürgermeister_innenwahlen statt. In Klammern: Alle Kommunen einer Größenklasse.

In Fragen der Rücklaufquote ergibt sich die Besonderheit, dass die Quote innerhalb unseres Samples (N-Response; vgl. Tabelle 1) in den kleineren Kommunen leicht über, und in den einwohnerstärkeren Städten leicht unterhalb des Landesmittels liegt. Dies lässt sich in Teilen auf eine prozentual geringere Teilnahme von Amtsinhaber_innen aus einwohnerstärkeren Städten zurückführen. Auf die Repräsentativität des Samples hat dies allerdings keinen nennenswerten Einfluss.

4. Deskriptive Ausgangsbefunde im Längs- und Querschnitt

Neben den zentralen Ergebnissen der Online-Erhebung (vgl. Kapitel 5) wird zunächst die Analyse auf Ebene der Aggregatdaten zum Zeitpunkt der letzten Hauptwahl – insgesamt 1.345 Kandidaturen aller Parteien, Wähler_innenvereinigungen und Einzelbewerber_innen in 380 (von 396) Fallkommunen – angestrebt und werden damit die wichtigsten Erkenntnisse entsprechend der aus der Literatur bekannten und elaborierten Faktoren (Einwohner_innenzahl, Amtsinhaber_innenkandidatur und Parteizugehörigkeit) deskriptiv dargelegt.

Tabelle 2: Vergleich zur letzten Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen (nach Einwohner_innenzahl)
Quelle: Eigene Erhebung; Stand: 31.10.2020; Landeswahlleiter NRW (Kandidaturen 2014/15 mit Einschränkungen), um eigene Recherche ergänzt.
Bevölkerungsstand: 31.12.2014 und 31.12.2020.
*Ausgenommen Kommunen ohne (Ober-)Bürgermeister_innenwahl in 2014/15 (N = 14) und 2020 (N = 16). Die Vergleichbarkeit zwischen beiden Wahlen ist daher nicht vollumfänglich gegeben und bevorzugt nur in der Tendenz zu analysieren. Einbezogen sind auch Kommunen, die nicht im regulären Turnus, doch an einem Termin in den Jahren 2014 oder 2015 gewählt haben.

Einleitend kann festgestellt werden, dass sich die absolute Zahl an Kandidaturen in Nordrhein-Westfalen im Vergleich zur letzten Kommunalwahl (mit der Besonderheit 2014/15) trotz COVID-19 im Mittel in allen Einwohner_innenklassen erhöht hat (vgl. Tabelle 2). Auffällig ist, dass sich die mittlere Zahl je Kommune vor allem in den einwohner_innenstärksten Städten Nordrhein-Westfalens noch einmal deutlich von der vergangenen Wahl abhebt. Das überrascht sicherlich.

Die Verschiebungen in den kleineren Kommunen fallen moderater aus. Folglich hat die besondere Konstellation der COVID-19-Pandemie zumindest auf die reine Zahl der Kandidierenden, entgegen der zuvor formulierten Annahme, zunächst einmal keinen nennenswerten (negativen) Einfluss gehabt, wobei die eigentliche Wahlabsicht sicherlich vielfach schon vor COVID-19 getroffen wurde.

Tabelle 3: Kandidatur und Wahlsieg des Amtsinhabers im Zeitvergleich (nach Einwohner_innenzahl)
Quelle: Eigene Erhebung; Stand: 31.10.2020; Landeswahlleiter NRW (Kandidaturen 2014/15 mit Einschränkungen), um eigene Recherche ergänzt.
Bevölkerungsstand: 31.12.2014 und 31.12.2020.
*Ausgenommen Kommunen ohne (Ober-)Bürgermeister_innenwahl in 2014/15 (N = 14) und 2020 (N = 16). Die Vergleichbarkeit zwischen beiden Wahlen ist daher nicht vollumfänglich gegeben und bevorzugt nur in der Tendenz zu analysieren. Einbezogen sind auch Kommunen, die nicht im regulären Turnus, doch an einem Termin in den Jahren 2014 oder 2015 gewählt haben.

Hinsichtlich des bedeutungsvollen Amtsinhaber_innenbonus lässt sich grundsätzlich feststellen, dass in 2020 in immerhin 38,4 Prozent der Fallkommunen, in denen eine (Ober‑)Bürgermeister_innenwahl stattfand (N = 145) der Amtsinhaber nicht mehr zur Wahl steht, und damit keine Rolle mehr spielt. In den übrigen 61,6 Prozent der Fallkommunen (N = 235) mit Amtsinhaber_innenkandidatur scheint der Amtsbonus allerdings auch nur marginal schwächer ausgeprägt zu sein als bei der Wahl zuvor.

Mit anderen Worten, kandidiert der oder die Amtsinhaber_in, gewinnt er oder sie in mehr als vier Fünftel der Fälle die Wahl (83,8 Prozent; vertiefend vgl. Gehne 2020, bundesweit vgl. Holtkamp et al. 2020, Holtkamp/Garske 2020). Zwar hat sich die absolute Zahl siegreicher Amtsinhaber_innenkandidaturen damit leicht erhöht, doch war ihr Anteil an allen Kandidaturen Nordrhein-Westfalens 2020 insgesamt geringer (vgl. Tabelle 3).

Die Wahlsiegchancen weichen allerdings im Quer- und Längsschnitt deutlich nach Einwohner_innenzahl ab. Während der Anteil in der kleinsten Einwohnerklasse mit unter 25.000 Einwohner_innen nahezu identisch bleibt, steigt die Quote siegreicher Amtsinhaber_innen in den beiden größeren Klassen auf eine Quote von 90 Prozent (50.000 bis 99.000) beziehungsweise 70,6 Prozent (über 100.000) an. In diesen Einwohner_innenklassen erreichten durchschnittlich mindestens 7 von 10 Amtsinhaber_innen die Wiederwahl, in der zweitgrößten Klasse sogar neun von zehn.

Lediglich Amtsinhaber_innenkandidaturen der Einwohner_innenklasse 25.000 bis 49.999 zeigen eine deutlich geringere Wahlsiegquote als in der Wahl zuvor und auch im Quervergleich. Über die Hintergründe dieser Entwicklung ließe sich an dieser Stelle nur spekulieren. Von einem eindeutig gerichteten und für alle Kommunen gültigen Amtsinhaber_innenbonus lässt sich entlang dieser Ergebnisse allerdings nur eingeschränkt sprechen, was sicherlich auch den Raum für weitere Analysen öffnet.

Tabelle 4: Kandidaturen bei Amtsinhaber_innenkandidatur in Nordrhein-Westfalen (Mittelwert)
Quelle: Eigene Erhebung; Landeswahlleiter NRW (Kandidaturen 2014/15 mit Einschränkungen), um eigene Recherche ergänzt.
*Differenz der Mittelwerte ist auf dem Niveau (p < .05) in beiden Fällen signifikant. Mittelwertvergleich kann somit gegen den Zufall abgesichert werden.
In Klammern: Ohne Amtsinhaber_innen, nur neue Kandidaturen.

Wie in vorangegangenen Studien kann nachgewiesen werden, dass sich eine Amtsinhaber_innenkandidatur in einer Vielzahl von Kommunen negativ auf das Kandidat_innenangebot auswirkt, wenn auch nur in gewissem Maße. Zu diesem Zwecke wird, analog zu früheren Arbeiten, die mittlere Zahl an Kandidaturen bei gegebener und nicht gegebener Amtsinhaber_innenkandidatur gegenübergestellt (vgl. Tabelle 4). Hier zeigt sich, dass bei gegebener Amtsinhaber_innenkandidatur der gesamte Kandidat_innenpool pro Kommune mit knapp 3,29 Kandidaturen (inklusive Amtsinhaber_innen) etwas kleiner ist als bei komplett neuem Kandidat_innenportfolio (3,88 Kandidaturen). Diese Differenz hat sich im Vergleich zur letzten Wahl leicht vergrößert (+0,21 im Vergleich der Differenzen).

Das Verhältnis gleicht sich mit zunehmender Einwohner_innenzahl allerdings an beziehungsweise kehrt sich um (nicht dargestellt). In der kleinsten Einwohner_innenklasse sind es im Mittel 0,72 Kandidaturen weniger als bei komplett neuem Kandidat_innenportfolio, in der Einwohner_innenklasse 50.000 bis 99.999 nur 0,30 Kandidat_innen weniger. Etwas paradox erscheint das Bild in der Einwohner_innenklasse 25.000 bis 49.999 und über 100.000. Hier kandidieren bei Amtsinhaber_innenkandidatur durchschnittlich 0,04 beziehungsweise 0,4 Kandidat_innen mehr.

Analysiert nach Parteizugehörigkeit siegreicher Kandidat_innen zeigt sich, dass sich die Anteile im Vergleich der Kommunalwahlen leicht verschoben haben (vgl. Tabelle 5). Zunächst fällt auf, dass die absolute Zahl der Kandidaturen allein bei den sogenannten Volksparteien SPD (- 35) und CDU (- 27) rückläufig ist (vgl. auch Gehne 2020). Die größte Wahrscheinlichkeit eines Wahlsieges verzeichnet weiterhin die CDU, bei der beinahe jede zweite Kandidatur (62,8 Prozent) erfolgreich ist. Bei der SPD obsiegen rund 38 Prozent der Kandidat_innen – und damit annähernd gleichbleibend viele wie 2014/15 (38,90). Zuwächse in der Wahrscheinlichkeit eines Wahlsieges erfahren vor allem Bündnis90/Die Grünen (+6,4 Prozent), die CDU (+ 5,1 Prozent) und sonstige Parteien (+3,7 Prozent). Weiterhin keine Wahlsieger_innen kommen von der Partei Die Linke. Die AfD, mit insgesamt deutlichem Anstieg an Kandidat_innen, ist ebenso ohne Wahlsieger_innen.

Wie bereits Gehne (2020) herausstellte, stammen die (wieder-)gewählten (Ober‑)Bürgermeister_innen in deutlicher Mehrzahl weiterhin aus den Reihen der sogenannten Volksparteien CDU und SPD (zusammen in 71,5 Prozent der Fälle). Allerdings hat sich das Feld der Wahlsieger_innen weiter ausdifferenziert, insbesondere durch die Wahlsiege der Kandidat_innen von Bündnis90/Die Grünen und der lokalen Wähler_innenvereinigungen.

Tabelle 5: Kandidaturen und Wahlsiege im Zeitvergleich (nach Parteizugehörigkeit)
Quelle: Eigene Erhebung; Stand: 31.10.2020; Landeswahlleiter NRW (Kandidaturen 2014/15 mit Einschränkungen), um eigene Recherche ergänzt. Teilweise Mehrfachnominierungen enthalten.
*Ausgenommen Kommunen ohne (Ober-)Bürgermeister_innenwahl in 2014/15 (N = 14) und 2020 (N = 16). Die Vergleichbarkeit zwischen beiden Wahlen ist daher nicht vollumfänglich gegeben und bevorzugt nur in der Tendenz zu analysieren. Einbezogen sind auch Kommunen, die nicht im regulären Turnus, doch an einem Termin in den Jahren 2014 oder 2015 gewählt haben.

Kaum verändert hat sich hingegen der Anteil siegreicher Amtsinhaber_innen nach Parteien (Tabelle 6). Tatsächlich erringen stets mindestens 80 Prozent der kandidierenden Amtsinhaber_innen auch ihre Wiederwahl. Verglichen mit 2014/15 zeigen sich nur geringfügige Verschiebungen, wobei die Wiederwahlchancen unter den amtierenden (Ober-)Bürgermeister_innen auf gleichwohl hohem Niveau und noch eher bei der SPD am deutlichsten zurückgehen (minus 7 Prozent). Die Ergebnisse untermauern die Vermutung, dass der Amtsbonus von (Ober-)Bürgermeister_innenkandidaturen einer der zentralen Faktoren zur Erklärung von Wiederwahlchancen ist und bleibt.

Tabelle 6: Wahlsiege von Amtsinhaber_innen 2020 nach Parteizugehörigkeit*
Quelle: Eigene Erhebung; Stand: 31.10.2020; Landeswahlleiter NRW (Kandidaturen 2014/15 mit Einschränkungen), um eigene Recherche ergänzt. Teilweise Mehrfachnominierungen enthalten.
*Ausgenommen Kommunen ohne (Ober-)Bürgermeister_innenwahl in 2014/15 (N = 14) und 2020 (N = 16). Die Vergleichbarkeit zwischen beiden Wahlen ist daher nicht vollumfänglich gegeben und bevorzugt nur in der Tendenz zu analysieren. Einbezogen sind auch Kommunen, die nicht im regulären Turnus, sondern an einem Termin in den Jahren 2014 oder 2015 gewählt haben.
In Klammern 2014/15 zum Vergleich.

Untermauert wird diese Erkenntnis ferner durch den Vergleich der Anteile an Stichwahlen im Falle von Amtsinhaber_innenkandidaturen (Tabelle 7). Insgesamt ist die Zahl der Fälle mit Stichwahl zwar im Zeitverlauf gestiegen, mittlerweile wird etwa jede dritte (Ober‑)Bürgermeister_innenwahl erst in der Stichwahl entschieden (30,78 Prozent). Allerdings variiert dies mit dem Faktor Amtsinhaber_innenkandidatur. Wurde in der letzten Kommunalwahl nahezu jede dritte Entscheidung über die neue Verwaltungsspitze bei komplett neuem Kandidat_innenportfolio in der Stichwahl getroffen, sind es 2020 bereits mehr als 44 Prozent. Kandidiert allerdings der oder die Amtsinhaber_in, kommt es aktuell in immerhin knapp weniger als einem Viertel der Fallkommunen zu einer Stichwahl (22,56 Prozent; 2014/15: 13,95 Prozent).

Ursachen für diese Entwicklung dürften sicherlich sowohl in der insgesamt größeren Zahl an Kandidierenden als auch in der allgemeinen und größer werdenden Zersplitterung der lokalen Parteienlandschaft liegen (vgl. auch Gehne 2020).

Tabelle 7: Häufigkeit einer Stichwahl in Kommunen mit und ohne Amtsinhaber_innenkandidatur im Zeitvergleich
Quelle: Eigene Erhebung; Stand: 31.10.2020; Landeswahlleiter NRW (Kandidaturen 2014/15 mit Einschränkungen), um eigene Recherche ergänzt. Teilweise Mehrfachnominierungen enthalten.
*Ausgenommen Kommunen ohne (Ober-)Bürgermeister_innenwahl in 2014/15 (N = 14) und 2020 (N = 16). Die Vergleichbarkeit zwischen beiden Wahlen ist daher nicht vollumfänglich gegeben und bevorzugt nur in der Tendenz zu analysieren. Einbezogen sind auch Kommunen, die nicht im regulären Turnus, doch an einem Termin in den Jahren 2014 oder 2015 gewählt haben.
In Klammern die Anzahl der jeweiligen Fallkommunen.

Zugleich werden die Wahlen um die Verwaltungsspitze knapper; allerdings auch nur leicht. Wahlsieger_innen und der oder die erste_r Wahlverlierer_in konnten im Mittel jeweils etwas weniger Stimmen bei der Hauptwahl auf sich vereinen, die Stimmenanteile also weniger stark konzentrieren als es noch bei der letzten Kommunalwahl der Fall war (nicht dargestellt). Nimmt man die Differenz der Stimmenanteile aus Wahlsieger_innen und Wahlverlier_innen als kleiner Indikator, wie knapp Wahlen im Mittel heutzutage sind, gibt es hingegen kaum Verschiebungen. Im Vergleich ist die Lücke zwischen Wahlsieger_innen und erste_r Wahlverlierer_in nur in den Fällen ohne Amtsinhaber_innenkandidatur etwas kleiner (2014/15: 21,1 Prozent; 2020: 20,8 Prozent), in den Fällen mit Amtsinhaber_innenkandidatur hingegen sogar leicht größer geworden (2014/15: 28,9 Prozent; 2020: 30,3 Prozent); insgesamt bei höherem Stimmenanteil von siegreichen Amtsinhaber_innenkandidaturen (in 2020 AI: 58,7 Prozent; nAI 51,6 Prozent).

In allen Varianten zeigt sich also deutlich der Faktor Amtsinhaber_innenkandidatur – neben den klassischen Faktoren Einwohner_innenzahl und Parteizugehörigkeit. Zumindest die Amtsinhaber_innenkandidatur scheint allein aber kein nennenswerter Faktor in Fragen der Wahlbeteiligung zu sein. So ist in Nordrhein-Westfalen im Vergleich zur vorangegangenen Wahl die Wahlbeteiligung nicht gesunken. Tatsächlich zeigt sich ein moderater Anstieg der durchschnittlichen Wahlbeteiligung, unabhängig davon, ob Amtsinhaber_innen kandidieren oder nicht (vgl. Tabelle 8). Folgerichtig scheint weder die Art der Kandidatur noch die COVID-19-Krise im Allgemeinen eine allzu große negative Auswirkung auf die Wahlbeteiligung gehabt zu haben. Sicher allerdings liegt der Anteil an Briefwähler_innen am gesamten Elektorat deutlich über dem Niveau vergangener Wahlen (Ratswahlen: 42,8 Prozent zu 26,5 Prozent in 2014; vgl. https://www.wahlergebnisse.nrw/).

Tabelle 8: Wahlbeteiligung bei der Hauptwahl in Kommunen mit und ohne Amtsinhaber_innenkandidatur im Zeitvergleich
Quelle: Eigene Erhebung; Stand 31.10.2020; Landeswahlleiter NRW (Kandidaturen 2014/15 mit Einschränkungen), um eigene Recherche ergänzt. Teilweise Mehrfachnominierungen enthalten.
*Ausgenommen Kommunen ohne (Ober-)Bürgermeister_innenwahl in 2014/15 (N = 14) und 2020 (N = 16). Die Vergleichbarkeit zwischen beiden Wahlen ist daher nicht vollumfänglich gegeben und bevorzugt nur in der Tendenz zu analysieren. Einbezogen sind auch Kommunen, die nicht im regulären Turnus, doch an einem Termin in den Jahren 2014 oder 2015 gewählt haben.

5. Zentrale Ergebnisse der Erhebung

Die zentralen Erkenntnisse unserer Online-Erhebung werden im Folgenden entsprechend der zuvor skizzierten, relevanten Faktoren in zwei Blöcken getrennt voneinander analysiert: einerseits nach Amtsinhaber_innen und Nicht-Amtsinhaber_innen, andererseits nach Einwohner_innenzahl entsprechend der oben genannten Klassen.

Ohne die Ergebnisse bereits zu sehr vorweg zu nehmen lässt sich sagen, dass zwischen den Gruppen teils deutliche Unterschiede bestehen. Die Auswirkungen der Pandemie auf Wahl und Wahlkampf werden von einzelnen Kandidierendengruppen – trotz einiger Überschneidungen – recht unterschiedlich bewertet. Mit Blick auf die hier berücksichtigten (Ober-)Bürgermeisterkandidat_innen zeigen sich durchaus Ähnlichkeiten zu den Ergebnissen der Erhebung von Ratsmitgliedern von Norbert Kersting (2021).

5.1 Amtsinhaber_innen versus Nicht-Amtsinhaber_innen

Ein zentraler Teil der Erhebung ist die systematische Analyse der Kandidierenden getrennt nach Amtsinhaber_innen und Nicht-Amtsinhaber_innen. Innerhalb unseres Samples (N=551) sind 92 Teilnehmer_innen Amtsinhaber_innen (16,7 Prozent) und 459 Nicht-Amtsinhaber_innen (83,3 Prozent). Das Verhältnis entspricht beinahe der Verteilung unter allen Kandidierenden Nordrhein-Westfalens, mit leichtem Übergewicht der Nicht-Amtsinhaber_innen in unserem Sample.

Tabelle 9: Hatten Sie bei der Erfüllung der formalen Voraussetzungen für Ihre Kandidatur gravierende Probleme? (Amtsinhaber_innen vs. Nicht-Amtsinhaber_innen)
Quelle: Eigene Erhebung; N = 551.

Der überwiegende Teil der Kandidat_innen sieht unabhängig des Status (Amtsinhaber_innen vs. Nicht-Amtsinhaber_innen) keine gravierenden Probleme bei der Erfüllung formeller Voraussetzungen für die Kandidatur (Tabelle 6). Die Verteilungen innerhalb der Merkmalsträger sind recht homogen, mit klarem Überhang zugunsten der Einschätzung, dass keine gravierenden Probleme wahrgenommen wurden. Im Vergleich sind Amtsinhaber_innen mit wahrgenommenen Problemen innerhalb ihrer Gruppe deutlicher in der Minderheit als unter den Nicht-Amtsinhaber_innen.

Während aus den Reihen der Amtsinhaber_innen 4,6 Prozent Schwierigkeiten zur Erfüllung von Formalia vortragen, trifft dies unter den Nicht-Amtsinhaber_innen auf beinahe jede/n jeden Fünfte/n (18,97 Prozent) zu. Inwiefern die Voraussetzungserfüllung für Amtsinhaber_innen konkret erschwert wurde, lässt sich an dieser Stelle nicht klären.

Probleme mit formellen Vorgaben scheinen somit (naturgemäß) eher Probleme der Herausforderer_innen der Amtsinhaber_innen oder – sofern die bis dato amtierenden (Ober-)Bürgermeister_innen nicht zur Wiederwahl antraten – bei neuen Kandidierenden der (bisher) amtstragenden Partei(en)/Wähler_innenvereinigung(en) zu bestehen.

Blickt man auf einzelne, konkrete Problemfelder rund um die Erfüllung von Vorgaben für die Kandidatur, so spielen hohe Hemmschwellen bei den Bürger_innen, eine Behinderung durch die Verwaltung und eine fehlende oder unzureichende Beachtung durch die (lokalen) Medien insgesamt nur eine äußerst geringe Rolle (Tabelle 10). Dasselbe gilt für weitere Problemlagen, die keinem der anderen hier abgefragten Items zuzurechnen sind. Einschränkungen durch die COVID-19-Pandemie werden hingegen in beiden Gruppen am häufigsten angegeben, wobei auch hier die Amtsinhaber_innen deutlich geringere Anteile ausweisen als die Nicht-Amtsinhaber_innen (3,45 Prozent zu 17,03 Prozent).

Tabelle 10: Auswirkungen der COVID-19-Pandemie betreffend Vorgaben der Kandidatur (Amtsinhaber_innen vs. Nicht-Amtsinhaber_innen)
Quelle: Eigene Erhebung; N = 551, N fehlend = 79; Angegeben sind jeweils ‚ja‘.

Diagramm 1: Weitere Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (Amtsinhaber_innen vs. Nicht-Amtsinhaber_innen)
Quelle: Eigene Erhebung; N = 551, (Amtsinhaber_innen = 87, Nicht-Amtsinhaber_innen = 464).
Dargestellt sind ‚trifft eher zu‘ und ‚trifft voll und ganz zu‘.

Fächert man das Feld potenzieller Einschränkungen durch die COVID-19-Pandemie detaillierter aus (Diagramm 1), zeigen sich einige Abweichungen bei der Verteilung auf die hier betrachteten Items. Beide Teilgruppen (Amtsinhaber_innen und Nicht-Amtsinhaber_innen) weisen zwar in Teilen ähnliche Verteilungsmuster auf, doch lässt sich festhalten, dass Nicht-Amtsinhaber_innen grundsätzlich eher stärkere Einschränkungen benennen als Amtsinhaber_innen. Gerade Einzelbewerber_innen oder Kandidat_innen kleinerer Parteien/Wähler_­innenvereinigungen dürften durch die vor dem Wahltermin weiterhin bestehenden Einschränkungen und gesetzlichen Regelungen negativ beeinflusst worden sein – etwa bei der Beibringung von Unterstützungsunterschriften oder der dafür notwendigen Bekanntmachung der eigenen Kandidatur beziehungsweise der Vorstellung der/des Kandidierenden.

Hinsichtlich der Vorbereitung der Kommunalwahl und des Wahlkampfes innerhalb der Parteien/Wähler_innenvereinigungen benennen Nicht-Amtsinhaber_innen ebenfalls deutlich häufiger stärkere Beeinträchtigungen als die Gruppe der Amtsinhaber_innen. Letztere sind im Sample mit deutlicherer Mehrheit im Bereich geringer oder eher geringerer Beeinträchtigungen verortet als Nicht-Amtsinhaber_innen, was allerdings auch kaum verwundert.

In Teilen kann dies darauf zurückgeführt werden, dass kleinere Parteien/Wähler_innenvereinigungen und Einzelbewerber_innen den für sie eigentlich notwendigen und erhöhten Mehraufwand nicht leisten und auf durch die COVID-19-Pandemie veränderte Rahmenbedingungen weniger adäquat reagieren können als beispielsweise mitgliederstarke Parteien, die in vielen Fällen zudem auch gleich die (Ober-)Bürgermeister_innen stellen.

Zu erwarten war, dass sich beide Merkmalsträger zumindest in Fragen zur Anpassung der Wahlkampfstrategie und der Wahlkampfinstrumente moderat annähern, und selbst Amtsinhaber_innen hier mehrheitlich stärkere oder starke Auswirkungen der COVID-19-Pandemie und die Notwendigkeit von Anpassungen benennen. Dass hingegen Wahlkampfinstrumente innerhalb des Samples insgesamt und in beiden Gruppen seltener stärker angepasst wurden als Wahlkampfstrategien, könnte sich möglicherweise damit erklären lassen, dass Kandidierende – trotz unerwarteter und neuartiger Rahmenbedingungen durch die COVID-19-Pandemie – ihre etablierten und bewährten Formate und Mittel so gut wie möglich beibehalten, diese also nur auf die veränderten Kontexte oder in einer anderen Form anwenden.

Diagramm 2: Hätte die Kommunalwahl aufgrund der COVID-19-Pandemie verschoben werden müssen? (Amtsin-haber_innen vs. Nicht-Amtsinhaber_innen)
Quelle: Eigene Erhebung; N = 551, (Amtsinhaber_innen = 72, Nicht-Amtsinhaber_innen = 400), N fehlend = 79.

Größere Uneinigkeit, sowohl unter Nicht-Amtsinhaber_innen allein als auch zwischen Nicht-Amtsinhaber_innen und Amtsinhaber_innen, besteht in der Frage, ob die Kommunalwahl – im Lichte der COVID-19-Pandemie – hätte verschoben werden müssen (Diagramm 2). Zwar ist jeweils eine klare Mehrheit der Ansicht, dass dies ‚überhaupt nicht‘ oder ‚eher nicht‘ der Fall hätte sein müssen, doch während Amtsinhaber_innen zu einem Anteil von über 96 Prozent mindestens eher keine Bewandtnis zur Verschiebung sehen, ist dies unter Nicht-Amtsinhaber_innen nur bei rund 69,4 Prozent der Fall.

Eine Verschiebung der Kommunalwahl wird von Amtsinhaber_innen hingegen nur von einer Minderheit für notwendig erachtet. Dass Amtsinhaber_innen eine Verschiebung der Wahl als eher nicht nötig erachten, erscheint wenig verwunderlich, insofern Amtsinhaber_innen – trotz akuter Herausforderungen für die Kommunalverwaltung – sich durch kluges Krisenmanagement nicht nur Sympathien, Anerkennung und Zustimmung in der Bürger_innenschaft erarbeiten konnten, sondern auch in stärkerem Maße die eigenen Fähigkeiten und Ideen sowie die Eignung als Stadtoberhaupt bewerben konnten.

Tabelle 11: Einschränkungen für Partei/WVG vs. Einschränkungen für Kommune (Amtsinhaber_innen vs. Nicht-Amtsinhaber_innen)
Quelle: Eigene Erhebung; N = 551.

Interessant ist zudem die Wahrnehmung der Kandidat_innen über die Auswirkungen der COVID-19 Pandemie auf die Partei/Wähler_innenvereinigungen oder die Kommune. Tabelle 11 zeigt die Verteilung der Wahrnehmung.

Im Falle der Kommunen geben beinahe drei Viertel aller Teilnehmer_innen an, dass die Pandemie bedeutende Einschränkungen für die eigene Kommune mit sich bringe. Im Fall der Einschränkungen für die Partei/Wähler_innenvereinigung liegen hingegen nur die Werte der Amtsinhaber_innen auf diesem Niveau, vielleicht auch, weil große, mitgliedsstarke Parteien und Wähler_innenvereinigungen mehr Berührungspunkte damit haben. Nicht-Amtsinhaber_innen sind in nur 60 Prozent der Fälle der Meinung, dass die COVID-19-Pandemie die eigene Partei/Wähler_innenvereinigung bedeutend beeinträchtigt. Zudem scheint der geringere Wert – zumindest in Teilen – in den Antworten von Einzelbewerber_innen begründet zu sein, die dann natürlich auf die Fragen nach Parteien/Wähler_innenvereinigungen gar nicht oder nur im Sinne einer Unterstützung durch diese zutreffen.

Entsprechend der im Fragebogen getätigten Aussagen der Kandidat_innen weichen die Problemlagen (Partei/Wähler_innenvereinigung versus Kommune) allerdings stark voneinander ab. Dies war sicherlich so zu erwarten. So werden Parteien/Wähler_innenvereinigungen vor allem vor Probleme bei Organisation und Durchführung von Aufstellungsversammlungen gestellt, oder vor Probleme in der internen Abstimmung, bei öffentlichen Wahlkampfveranstaltungen bis hin zur kompletten Absage ganzer Veranstaltungen und Veranstaltungsreihen und – vor allem im Lichte weitereichender Kontaktbeschränkungen – vor Probleme, die die deutlich geminderten Kontaktmöglichkeiten im Austausch mit den Bürger_innen zur Vorstellung und Werbung für Programm und Person mit sich bringen.

In Teilen werden aber auch der Wegfall von (Wahlkampf-)Spenden genannt, oder explizit die sich ständig ändernden COVID-19-Regelungen, wobei sich dies sicherlich auf den höheren Organisationsaufwand (Hygienekonzepte, Abstandsregelungen, Teilnehmer_innenlisten und Ähnliches) oder Probleme in der Findung passender Räumlichkeiten bezieht.

Kommunen hingegen scheinen eher vor negativen Auswirkungen auf die Finanz- und Wirtschaftslage zu stehen, pandemiebedingt aber ebenso in Fragen von Schulen und Kinderbetreuung oder der Digitalisierung gefordert zu sein. Zugleich wird die Gefahr intransparenter Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse und die wenigen Möglichkeiten zur demokratischen Partizipation angegeben. Vereinzelt bezeichnen Teilnehmer_innen auch gesellschaftliche Spaltungstendenzen und Proteste gegen COVID-19-Regelungen, Auswirkungen auf den Tourismus oder Überbelastungen der Verwaltung als Problem für die eigene Kommune.

Ob es sich bei den Befragten um Amtsinhaber_innen oder keine Amtsinhaber_innen handelt, hat auf die Verteilung der genannten Problemlagen so gut wie keinen Einfluss.

Tabelle 12: Einschätzung der allgemeinen Wahlchancen von … (Amtsinhaber_innen vs. Nicht-Amtsinhaber_innen)
Quelle: Eigene Erhebung; N = 551, N fehlend = 79.

Ergänzend zu diesen Einschätzungen ist es sicherlich von Interesse, wie die allgemeinen Wahlchancen aller Parteien und Wähler_innenvereinigungen eingeschätzt werden. Tabelle 12 stellt daher die Einschätzungen der Befragten hinsichtlich der Wahlchancen verschiedener Gruppen von (Ober-)Bürgermeisterkandidat_innen dar. Im Vergleich werden dabei bessere Chancen zum Wahlsieg vor allem Amtsinhaber_innen und CDU-Kandidat_innen eingeräumt. Amtsinhaber_innen selbst bewerten die Chancen von Amtsinhaber_innen und CDU-Kandidat_innen jedoch weniger optimistisch als Nicht-Amtsinhaber_innen. Bezüglich der CDU-Kandidat_innen sogar so sehr, dass hier die Mehrzahl jenen Kandidierenden eher gleichbleibende Chancen zurechnet, während Nicht-Amtsinhaber_innen der CDU deutlich größere Chancen einräumen. Der SPD werden mehrheitlich eher gleichbleibende Chancen bescheinigt, wobei Nicht-Amtsinhaber_innen der SPD häufiger schlechtere Chancen einräumen als Amtsinhaber_innen. Auch der AfD werden von Nicht-Amtsinhaber_innen im größeren Ausmaß schlechtere Wahlchancen eingeräumt. Ähnliches gilt für die Gruppe der Einzelbewerber_innen, wobei AfD-Kandidat_innen und Einzelkandidierende, über beide Teilnehmer_innengruppen hinweg, insgesamt eher gleichbleibende Chancen, mit leichter Tendenz zu schlechteren Aussichten, zugeordnet werden.

Weiblichen Kandidaturen billigen beide Gruppen – ähnlich wie bei der SPD – vornehmlich gleichbleibende Chancen zu. Dies trifft – zumindest unter den Amtsinhaber_innen – auch auf sonstige Kandidierende zu, während Nicht-Amtsinhaber_innen bei diesen – genannt wurde vor allem die Partei B90/Grüne – größere Wahlchancen sehen.

Eine – durch die Umstände der Pandemie vermittelte – geringere Wahrnehmbarkeit kleinerer Parteien und Wähler_innenvereinigungen, die stark eingeschränkte Gelegenheit zur inhaltlichen wie persönlichen Profilierung sowie die Rolle der CDU als verantwortliche Regierungspartei im Bund, mit (zu diesem Zeitpunkt) mithin hohen Zustimmungswerten in der Bevölkerung, sind nur drei Aspekte, die die unterschiedliche Einschätzung der Wahlchancen durch die Teilnehmer_innen möglicherweise erklären können. Insgesamt überraschen die Ergebnisse aber nicht und sie spiegeln die zuvor herausgestellten Faktoren und Mechanismen wider.

5.2 Einwohner_innenzahl

Analog zu Kapitel 5.1 werden abschließend die zentralen Erkenntnisse der Online-Erhebung entlang der gewählten Einwohner_innenklassen analysiert und deskriptiv dargelegt. Den deutlich größten Anteil im Sample stellen dabei die Kandidierenden aus Kommunen der kleinsten Größenklasse (< 25.000 EW) mit 45,4 Prozent dar. Der geringste Anteil zeigt sich für die Klasse der Städte zwischen 50.000 und 99.999 Einwohner_innen (14,3 Prozent). Die Sample-Anteile aller Gruppen weisen nur leichte Abweichungen zur Verteilung in der Grundgesamtheit aller Kandidierenden in NRW auf, wobei die kleineren Klassen in unserem Sample überrepräsentiert sind. Betreffend die Amtsinhaber_innen verteilt nach Größenklasse sind – wie unter 3. bereits angedeutet – Überhänge in den kleineren Größenklassen feststellbar (vgl. Tabelle 13).

Tabelle 13: Verteilung nach Einwohner_innenzahl
Quelle: Eigene Erhebung; N = 551.

Tabelle 14 fasst die Anteile Befragter nach Einwohner_innenklassen hinsichtlich der Angabe von Problemen bei der Erfüllung formeller Voraussetzungen für Kandidaturen zusammen. Die deutliche Mehrheit gibt – wie bereits bekannt – keine Probleme an (83,3 Prozent). Anteilig werden in einwohner_innenstärkeren Kommunen eher Probleme benannt als in kleineren Kommunen. Der Anteil steigt zwischen den Klassen stetig an: Während in der kleinsten Klasse nur etwas mehr als jede/r Zehnte (11,6 Prozent) Schwierigkeiten benennt, sind es in den Großstädten schon beinahe jede/r Dritte (30,95 Prozent). Auch dies war sicherlich zu erwarten.

Tabelle 14: Hatten Sie bei der Erfüllung der formalen Voraussetzungen für Ihre Kandidatur gravierende Probleme? (nach Einwohner_innenzahl)
Quelle: Eigene Erhebung; N = 551.

Unter den Teilnehmer_innen, die Probleme bei der Erfüllung formeller Voraussetzungen angeben (Tabelle 15), sind die Einschränkungen durch die Pandemie am häufigsten genannt; vor allem in der Gruppe der Großstädte (29,76 Prozent), wobei der Anteil von Klasse zu Klasse zunimmt (+ 19,36 im Gesamtanteil). Analog gilt dies für alle Items, mit leichten Abweichungen bei der Frage nach der Beachtung durch die Medien und bei weiteren Problemlagen.

Während die Behinderung durch die Verwaltung (2,36 Prozent) und weitere Probleme (1,81 Prozent) durchweg nur von einem kleinen Bruchteil der Befragten genannt werden, ist eine Hemmschwelle bei Bürger_innen – trotz geringem Durchschnittsanteil (3,45 Prozent) – unter Befragten der größeren Kommunen häufiger (7,59 Prozent und 8,33 Prozent).

Tabelle 15: Auswirkungen der COVID-19-Pandemie betreffend Vorgaben der Kandidatur (nach Einwoh-ner_innenzahl)
Quelle: Eigene Erhebung; N = 551; Angegeben sind jeweils ‚ja‘.

Auch die Angabe der weiteren Auswirkungen (Diagramm 3) zeigt eine gewisse, aber eingeschränkte Beziehung zur Einwohner_innenzahl. Unterschiede je nach Größe der Kommune sind zwar erkennbar. Ähnlichkeiten zeigen sich allerdings darin, dass die Wahl der Wahlkampfinstrumente und -strategien sowie die generelle Einschränkung des Wahlkampfes stets von dem größten Anteil Kandidierender benannt werden; mit leichten Abweichungen in der Verteilung.

Zwischen den drei kleinsten Einwohner_innenklassen nehmen hier die Anteile für alle Items generell zu, sinken in der Klasse über 100.000 insbesondere hinsichtlich Instrumente und Strategien sowie der Beeinträchtigung des Wahlkampfes allerdings erkennbar wieder ab, bleiben jedoch mit knapp 50 Prozent durchaus relevant. Gegenteilig ist es im Falle der erschwerten Vorbereitungen zur Kommunalwahl und den Problemen bei der Erfüllung formeller Vorgaben, insofern beides insbesondere in kleineren Kommunen im Kern eher weniger Probleme bereitet als in den einwohner_innenstarken Kommunen Nordrhein-Westfalens.

Diagramm 3: Weitere Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (nach Einwohner_innenzahl)
Quelle: Eigene Erhebung; N = 551
Dargestellt sind ‚trifft eher zu‘ und ‚trifft voll und ganz zu‘

Inwieweit die Kommunalwahl hätte verschoben werden müssen (Diagramm 4), lassen sich hinsichtlich Einwohner_innenzahl durchaus Unterschiede ausmachen. Zwar überwiegt überall die Einschätzung, dass dies ‚überhaupt nicht‘ oder‘ eher nicht‘ der Fall hätte sein müssen, doch insbesondere in den einwohner_innenstarken Städten Nordrhein-Westfalens nimmt der prozentuale Anteil derer, die dies ‚eher‘ oder ‚voll und ganz‘ für nötig erachten erkennbar zu. Sind es in der kleinsten Klasse lediglich 5,2 Prozent der Teilnehmer_innen, die eine Verschiebung für ‚voll und ganz‘ für notwendig halten, so steigt der Anteilswert kontinuierlich an und erreicht in der höchsten Einwohner_innenklasse Anteile von 13,1 Prozent. Zugleich reduziert sich der Anteil derer, nach der die Wahl nicht zu verschieben sei, massiv.

Erklärt werden kann dies sicherlich damit, dass Kandidierende insbesondere der weniger bekannten Parteien und Wähler_innenvereinigungen in größeren Städten den Aufwand erheblich erhöhen müssen, will man die Kandidatur möglich machen beziehungsweise erfolgreich sein und eine Chance auf den Wahlsieg haben. Abseits hiervon sind die Unterschiede zwischen den anderen Items eher marginal.

Diagramm 4: Hätte die Kommunalwahl aufgrund der COVID-19-Pandemie verschoben werden müssen? (nach Einwohner_innenzahl)
Quelle: Eigene Erhebung; N = 551.

Die Verteilung der Teilnehmer_innen in den vier Einwohner_innenklassen zur Frage, inwieweit die COVID-19-Pandemie die eigene Partei beziehungsweise Wähler_innenvereinigungen und die eigene Kommune vor entscheidende Probleme stellt, zeigt ein deutliches, und zumindest für die Kommune auch ein recht einheitliches Bild (vgl. Tabelle 16).

Der Anteil an Teilnehmer_innen, die Einschränkungen durch COVID-19 für die eigene Partei oder Wähler_innenvereinigung angibt, liegt in allen Klassen bei 50 Prozent und mehr. Je größer die Kommune, desto weniger häufig werden aber überzeugend Probleme gesehen. In den einwohner_innenstärksten Kommunen Nordrhein-Westfalens ist das Verhältnis komplett ausgeglichen.

Anders ist das Bild bei den (prognostizierten) Problemen für die eigene Kommune. So beträgt die Zustimmung in allen Einwohner_innenklassen über 70 Prozent. Die Unterschiede zwischen den Klassen sind eher marginal, sodass im Ergebnis unabhängig der Einwohner_innenzahl immer knapp 7 von 10 Teilnehmer_innen gravierende Probleme für die eigene Kommune sehen.

Analog zu Kapitel 5.1 wird auch hier die Einschätzung der Teilnehmer_innen zu den allgemeinen Wahlchancen aller Parteien und Wähler_innenvereinigungen abgebildet (vgl. Tabelle 17). Die für die Amtsinhaber_innen und Nicht-Amtsinhaber_innen im vorherigen Abschnitt herausgestellten Verteilungsmuster zeigen sich in vergleichbarer Weise auch hier. Anteilsmäßig wird in allen Klassen vor allem CDU-Kandidat_innen und Amtsinhaber_innen am häufigsten eine höhere Siegchance eingeräumt. Die Antworten der Teilnehmer_innen aus Kommunen mit 50.000 bis 99.999 Einwohner_innen sticht sicherlich etwas heraus, weil die Einschätzung, dass CDU-Kandidat_innen und Amtsinhaber_innen bessere Chancen haben, deutlicher heraustritt als anderswo.

Tabelle 16: Einschränkungen für Partei/WVG vs. Einschränkungen für Kommune (nach Einwohner_innenzahl)
Quelle: Eigene Erhebung; N = 551.

Tabelle 17: Einschätzung der allgemeinen Wahlchancen von … (nach Einwohner_innenzahl)
Quelle: Eigene Erhebung; N = 55.

Analog zu Kapitel 5.1 wird auch hier die Einschätzung der Teilnehmer_innen zu den allgemeinen Wahlchancen aller Parteien und Wähler_innenvereinigungen abgebildet (vgl. Tabelle 17). Die für die Amtsinhaber_innen und Nicht-Amtsinhaber_innen im vorherigen Abschnitt herausgestellten Verteilungsmuster zeigen sich in vergleichbarer Weise auch hier. Anteilsmäßig wird in allen Klassen vor allem CDU-Kandidat_innen und Amtsinhaber_innen am häufigsten eine höhere Siegchance eingeräumt. Die Antworten der Teilnehmer_innen aus Kommunen mit 50.000 bis 99.999 Einwohner_innen stechen sicherlich etwas heraus, weil die Einschätzung, dass CDU-Kandidat_innen und Amtsinhaber_innen bessere Chancen haben, deutlicher heraustritt als anderswo.

SPD-, AfD- und Einzelbewerber_innen werden in allen Einwohner_innenklassen mindestens gleichbleibende, teils aber auch schlechtere, weiblichen Kandidaturen hingegen insgesamt gleichbleibende Wahlsiegchancen eingeräumt. Im Falle der Einzelkandidaturen und der weiblichen Kandidaturen werden die Wahlsiegchancen in den einwohner_innenschwächeren Klassen höher bewertet. Umgekehrt ist es hingegen bei der SPD. Deren Kandidat_innen, wie auch die der CDU, werden mit steigender Einwohner_innenzahl allgemein eher bessere Chancen eingeräumt als beispielsweise Einzelbewerber_innen, was allerdings sicherlich auch nicht überraschen dürfte.

6. Fazit und Ausblick

Der diese Analyse einleitende Quer- und Längsschnittvergleich zwischen Kommunen unterschiedlicher Einwohner_innenklassen bei den nordrhein-westfälischen (Ober‑)Bürgermeister_innenwahlen lässt nicht nur Aussagen über die Entwicklung der Kandidat_innenfelder zu, sondern arbeitet dezidiert die Vormachtstellung und Stellung der Amtsinhaber_innen in der Wahlarena heraus.

Neu daran ist aber vor allem der stark durch COVID-19 bestimmte Kontext, innerhalb dessen die nordrhein-westfälischen (Ober-)Bürgermeister_innenwahlen durchgeführt wurden. Eingangs vermutete – hypothetisch mit den Einschnitten durch COVID-19 verbundene – Veränderungen haben sich im Zeitvergleich allerdings nur in Teilen bestätigt.

Allen voran hat sich die absolute Zahl an Kandidaturen in nahezu allen Einwohner_innenklassen entgegen der Erwartung noch einmal deutlich erhöht. Aufgrund der vielen (rechtlichen) Einschränkungen des öffentlichen und politischen Lebens, die die Einzelbewerber_innen und neue Kandidat_innen nachweislich stärker treffen als Amtsinhaber_innen und Kandidierende größerer Parteien, hätte man genauso gut davon ausgehen können, dass Bewerber_innen letztlich von einer Kandidatur absehen. Dies ist landesweit nicht zu beobachten.

Weiterhin zeigt sich, dass die – ohnehin großen – Wiederwahlchancen kandidierender Amtsinhaber_innen, unabhängig ihrer Parteizugehörigkeit, auf hohem Niveau verbleiben. Dies wiederum überrascht nicht, insofern die herausgehobene Stellung der kommunalen Exekutive einerseits, aber auch die vielen Möglichkeiten, als Amtsinhaber_in in krisenhaften Situationen mit allen Vorteilen der Wahrnehmbarkeit und der eigenen Publizität agieren zu können, die Wiederwahlchancen maßgeblich beeinflussen kann. Ob nun die Parteiorientierung der Wähler_innen oder ein vornehmlich lokal wirksamer Amtsbonus stärker wirkt, lässt sich hingegen an dieser Stelle nur schwerlich einschätzen.

Zugleich hat sich das Portfolio der Parteizugehörigkeiten amtierender Stadt- und Gemeindeoberhäupter mit dieser Wahl etwas erweitert. Niemals zuvor stellen andere Parteien und Wähler_innenvereinigungen so viele (Ober-)Bürgermeister_innen in Nordrhein-Westfalen. Dies soll und kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die überwiegende Mehrheit der (Ober-)Bürgermeister_innen weiterhin Kandidat_innen der sogenannten Volksparteien CDU und SPD sind.

Andererseits häufen sich die Fälle mit Stichwahl, sowohl im Falle einer Amtsinhaber_innenkandidatur als auch ohne. Ein Mehr an Stichwahlen kann ein Indiz für ein Mehr an Konstellationen sein, in denen das Kandidat_innenangebot relativ hoch ist.

Als Randaspekt kann verbucht werden, dass die Teilnehmer_innen die Wahlsiegchancen im Lichte der Covid-19-Krise im Allgemeinen durchaus realistisch einzuschätzen wissen – mit starkem Überhang der Amtsinhaber_innen und eingeschränkt auch der CDU-Kandidat_innen. Allen voran lassen insbesondere die Wahlergebnisse der CDU-Kandidat_innen die Vermutung zu, dass die Wahlsieger_innen – wenn überhaupt – von einer bundespolitisch motivierten Parteiorientierung profitierten konnten, ganz unabhängig davon, wie robust sich CDU-Kandidat_innen bei zugleich größeren Verlusten von SPD-Kandidat_innen in ihrem sogenannten Kernland behaupten können. Dies macht die CDU-Kandidat_innen aber nicht gleich zu vom Krisenbonus für amtstragende und Regierungsparteien getragene Profiteure der großen (gesellschaftlichen) Einschnitte in der Zeit der COVID-19-Krise. Weit mehr ist eine Überlagerung gegebener Rahmenbedingungen, aktueller Wahltrends der höheren föderalstaatlichen Ebenen und lokalspezifischen Faktoren (beispielsweise der lokalpolitische Kontext) zu beobachten.

Des Weiteren ist auch in Nordrhein-Westfalen wieder eine Zunahme der Wahlbeteiligung (in der Hauptwahl am 13. September) zu verzeichnen. Die vielfältigen Auswirkungen der COVID-19-Krise konnten die Wahlbeteiligung also nicht entscheidend hemmen. Fraglich bleibt allerhöchstens, wie nachhaltig der zuletzt beobachtete Trend ist.

In der vorliegenden Analyse sind allerdings vor allem erste Erkenntnisse zu den konkreten Auswirkungen der COVID-19-Krise auf (Ober-)Bürgermeister_innenwahlen und deren Wahlkampf zentral, hier gruppiert nach den Merkmalen Amtsträger_innenschaft und Einwohner_innenklasse. Der Anteil derer, die über deutliche Probleme bei der Erfüllung formeller Voraussetzungen berichten, ist insgesamt allerdings eher moderat. Es sind vor allem neue Kandidat_innen, die Probleme benennen. Die Zahl der Kandidat_innen mit Problemen nimmt erkennbar mit der Einwohner_innenklasse zu, hier allerdings vor allem mit pandemiebedingten Problemen.

Diese Einschätzung deckt sich durchaus mit Erkenntnissen aus anderen Erhebungen, die – wie zum Beispiel im Falle Norbert Kerstings (2021) – allerdings andere Merkmalsträger, wie beispielsweise amtierende lokale Mandatsträger_innen zum Zeitpunkt vor der Wahl beleuchten.

Unterschiede in der Beurteilung zur Notwendigkeit einer Verschiebung der Kommunalwahl werden hingegen insbesondere zwischen Amtsinhaber_innen und Nicht-Amtsinhaber_innen deutlich – was sicherlich nicht verwundert, könnten Amtsinhaber_innen von einer im Lichte der COVID-19-Krise stattfindenden Wahl doch tendenziell eher profitieren. Je größer aber die Kommune, desto eher wird die Einschätzung vertreten, dass die Wahl hätte verschoben werden müssen.

Zugleich werden die (pandemiebedingten) Probleme für die eigene Kommune über alle Merkmalsgruppen hinweg als (wesentlich) stärker erachtet als die für die eigene Partei beziehungsweise eigene Wähler_innenvereinigung. Hier schwingt sicherlich auch die Sorge mit, dass eine vielerorts angespannte Finanzlage nachhaltig weiter Schaden nehmen könnte, und Handlungsspielräume wieder weiter eingeengt werden.

Von allen Teilnehmer_innen werden überdies die Wahlsiegchancen der Bewerber_innen unterschiedlicher Parteien und Wähler_innenvereinigungen wie zu erwarten prognostiziert. Vor allem Amtsinhaber_innen wird deutlich ein Wahlsieg zugetraut, insbesondere den Amtsinhaber_innen der sogenannten Volksparteien. Nichtsdestotrotz kann auch hier eine durchaus veränderte lokale Parteienlandschaft mit der damit einhergehenden leichten Verschiebung der Machtverhältnisse beobachtet werden. Kleinparteien und Wähler_innenvereinigungen werden auch in Nordrhein-Westfalen nicht per se als chancenlos erachtet werden.

Wegen relativ konstanter Inzidenzwerte in den letzten Wochen vor der Wahl und den damit verbundenen landesweiten (ersten) Lockerungen des öffentlichen Lebens im Frühsommer konnten keine statistisch bedeutsamen Zusammenhänge zum Beispiel zwischen Nominierung, Inzidenzwert, und Wahlsiegchancen identifiziert werden, weswegen an dieser Stelle darauf verzichtet wurde. Allerdings scheint diese Frage vor allem im innerdeutschen Vergleich im sogenannten Superwahljahr 2021 und einem in Teilen unterschiedlichen institutionellen Setting durchaus spannend und fruchtbar zu sein.

In der Zusammenschau aller Ergebnisse zeigt sich, dass die COVID-19-Krise auch in der Einschätzung aller Kandidierenden zur (Ober-)Bürgermeister_innenwahl erhebliche Spuren hinterlassen hat. Kommunen, Parteien und Wähler_innenvereinigungen sowie Kandidat_innen standen vielfältigen Problemlagen gegenüber, die zuvorderst klassische Wahlkampfstrategien über Bord geworfen haben. Lediglich Amtsinhaber_innen dürften etwas geräuschloser durch die Zeit gekommen sein, und konnten abermals in der Mehrheit der Fälle relativ sicher ihre Wahl bestätigten.

Das alles ist nicht neu, stellt aber angesichts der tiefgreifenden Einschnitte des öffentlichen Lebens alte Erklärungsansätze genauso gut vor die (Anschluss-)Frage, inwieweit in Zeiten der COVID-19-Krise stärker denn je (Sozial-)Profile und Einstellungen einerseits, Nominierungsprozesse und zeitgenössische Wahlkampf(-instrumente) andererseits Wahlsiegchancen bestimmen. Wichtiger ist zudem die Frage, inwieweit klassische, elaborierte Einflussfaktoren wie zum Beispiel Einwohnerzahl, Amtsinhaberkandidatur und Parteizugehörigkeit letztlich an Erklärungskraft verlieren oder überlagert werden.

Andere Annahmen – wie beispielsweise die Erwartung eines kleineren Kandidat_innenfeldes – konnten nicht bestätigt werden. Ganz im Gegenteil hat sich das Kandidat_innenfeld noch einmal deutlich vergrößert. Auch dies gilt es in weiteren Studien zu ergründen.

Hinsichtlich des sogenannten Superwahljahres bietet die hier vorgestellte Analyse letztlich die Chance, zentrale Zusammenhänge zwischen den Einschnitten durch die COVID-19-Krise und Wahlkampf beziehungsweise Wahlverhalten zu schärfen und elaborierte Hypothesen weitergehend zu untersuchen, ob im innerdeutschen Vergleich oder losgelöst von der föderalstaatlichen Ebene.

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Zitationshinweis:

Holtkamp, Lars / Garske, Benjamin / Müller, Frederik (2021): Wahlen und Wahlkampf in Zeiten der COVID-19-Krise, Eine empirische Analyse der nordrhein-westfälischen (Ober-)Bürgermeister_innenwahlen, Forschungspapier, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online verfügbar: https://regierungsforschung.de/wahlen-und-wahlkampf-in-zeiten-der-covid-19-krise/

This work by Lars Holtkamp, Benjamin Garske and Frederik Müller is licensed under a CC BY-NC-SA license.

  1. Die kommunale Wahlforschung war lange Zeit von der Fragestellung geprägt, inwieweit eigenständiges Kommunalwahlverhalten festzustellen ist. Angelehnt an das sozialpsychologische Modell des Wahlverhaltens hängt diese Frage eng mit der Gewichtung der Faktoren Parteiidentifikation, der Kandidat_innenorientierung oder der Themenorientierung zusammen. Eigenständiges Kommunalwahlverhalten wird sodann vor allem auf eine stärkere Kandidat_innenorientierung der Wähler_innen zurückgeführt, während ganz gegensätzlich gering ausgeprägtes eigenständiges Kommunalwahlverhalten die Dominanz der nationalen Parteiidentifikation betont. Der Initialpunkt dieser Debatte war ein Aufsatz von Paul Kevenhörster Mitte der 1970er Jahre mit der These, dass das Wahlverhalten eben nicht ein nach Ebenen differenziertes sei, und Unterschiede zwischen bspw. Kommunalwahl- und Bundestagwahlergebnissen überwiegend auf unterschiedliche Partizipations- und Mobilisierungspotenziale zurückzuführen seien (Kevenhörster 1976: 258). Insgesamt sei das kommunalpolitische System zu wenig ausdifferenziert, als dass es mehr sein könne als lediglich ein „Reflex gesamtsystemaren Wahlverhaltens“ (Kevenhörster 1976: 244). Während Kevenhörster mit dem konstatierten geringen ebenenspezifischen Wahlverhalten also klar die sogenannte Konvergenzhypothese vertritt, haben Löffler und Rogg in Abgrenzung hierzu die Differenzhypothese entwickelt (Gabriel 1997). Löffler und Rogg gehen davon aus, dass die bei Bürger_innen und Mandatsträger_innen verbreitete Vorstellung von der parteidistanzierten sachorientierten kommunalen Selbstverwaltung die Bedeutung von Parteiorientierungen für die kommunale Wahlentscheidung sinken lässt, während die Kandidat_innenorientierung der Wähler_innen stark ausgeprägt ist, was insbesondere an baden-württembergischen Kommunen gezeigt wird (Löffler 2004; Löffler/Rogg 1985). []
  2. Im Folgenden: Pressemitteilungen des Landesportals der Landesregierung Nordrhein-Westfalen (http://www.land.nrw) sowie die fortlaufenden Veröffentlichungen zur Coronavirus SARS-CoV-2 Chronik des Bundesministeriums für Gesundheit. []
  3. Die Teilnahme an der Erhebung erfolgte online via Questback Unipark in drei Erhebungswellen, die sich bis kurz nach der Kommunalwahl zogen. Die nötigen E-Mail-Adressen aller Kandidat_innen wurden im Vorfeld der Erhebung dem jeweiligen Ratsinformationssystem, den Internetpräsenzen der Kandidat_innen oder anderen öffentlich zugänglichen Online-Quellen und Publikationen entnommen. In einigen Fällen konnte lediglich die sogennante Funktionsadresse ermittelt werden (bspw. info@xyz-musterstadt.de), dies zog hinsichtlich der Ausschöpfungsquote aber keine nennenswerte Verzerrung nach sich. []
  4. Anzumerken ist, dass insbesondere die innerdeutsche Vergleichbarkeit von Analysen auf Ebene der (Aggregat-)Daten der (Ober‑)Bürgermeister_innenwahlen nur eingeschränkt gegeben ist. Zum einen mag das sicherlich darin geschuldet sein, dass sich über einen längeren Betrachtungszeitraum Einwohnerzahlen (insbesondere an den Klassengrenzen) verändert haben, andererseits trotz landesweiter Kommunalwahlen nicht in jeder Kommune gewählt wurde. Bedeutender aber ist, dass bis dato die (Ober-)Bürgermeister_innenwahlforschung nicht auf eine einheitliche, lückenlose und bundesweite Datengrundlage (amtliche Statistik, etc.) in entsprechender Datentiefe zurückgreifen kann. In weiten Teilen sind Aggregat- und Wahldaten wie hier nur in Eigenrecherche über zum Beispiel die Homepages der Stadtverwaltungen und/oder Veröffentlichungen von Drittanbietern (beispielsweise votemanager.com) zu erhalten und einzeln betrachtet auch nicht immer vollständig. Dies mag in Teilen sicherlich auch den Vorzug regional begrenzter Studien erklären. []

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