Vetofunktion des Bundesrates in Theorie und Praxis

PD Dr. phil. habil. Markus Reiners, der an der Leibniz Universität Hannover lehrt und forscht, geht der Position des Bundesrates als Vetospieler auf den Grund. Allgemein bekannt ist, dass der Bundesrat nur wenige Gesetzesvorlagen scheitern lässt. Aber unterscheidet sich das Verhalten des Bundesrates, wenn man die Mehrheiten in Bundesrat und Bundestag einbezieht? Ja, in Nuancen lassen sich Unterschiede hinsichtlich der Kooperation und des Wettbewerbs feststellen.

Dem Bundesrat kommt bei divergierenden oder gleichgerichteten Mehrheiten zwischen beiden legislativen Kammern Bedeutung zu. Generell ist anzunehmen, dass parteipolitisch kompatible Konstellationen von Bundestag und Bundesrat (konstruktive Struktur) den Gesetzgebungsprozess vergleichsweise forcieren und parteipolitisch gegenläufige Mehrheitsverhältnisse (destruktive Struktur) einen solchen blockieren. Fraglich ist, ob und unter welchen Konstellationen Blockademöglichkeiten vom Bundesrat genutzt werden.

Vetofunktion des Bundesrates in Theorie und Praxis

Autor

PD Dr. phil. habil. Markus Reiners ist Privatdozent am Institut für Politikwissenschaft der Leibniz Universität Hannover. Er lehrt und forscht u.a. im Bereich Politischer Institutionen.

Kontext: Bundesrat als potenzieller und institutioneller Vetoplayer

Dem Bundesrat kommt bei divergierenden oder gleichgerichteten Mehrheiten zwischen beiden legislativen Kammern Bedeutung zu (Jun 2011: 107). Generell ist anzunehmen, dass parteipolitisch kompatible Konstellationen von Bundestag und Bundesrat (konstruktive Struktur) den Gesetzgebungsprozess vergleichsweise forcieren und parteipolitisch gegenläufige Mehrheitsverhältnisse (destruktive Struktur) einen solchen blockieren (Bandelow 2003: 331). Fraglich ist, ob und unter welchen Konstellationen Blockademöglichkeiten vom Bundesrat genutzt werden, oder ob die Potenziale nur theoretischer Natur, und die Mechanismen – entgegen der vielfachen Meinung – in der Praxis eher nachrangig sind. Die Frage lautet demnach, ob, wann und in welcher Intensität der Bundesrat tatsächlich als „destruktiver“ Vetospieler agiert, oder ob er vielmehr als „konstruktiver“ Vetospieler agiert, und warum dies gegebenenfalls so ist.

Der zentrale Befund, wonach der Bundesrat quantitativ betrachtet nur einen geringen Anteil von Gesetzesvorlagen letztlich scheitern lässt und seine Vetospielerposition im kooperativen Föderalismus „konstruktiv“ ausübt, ist weithin bekannt.1 Der hiesige Erkenntnisgewinn geht jedoch darüber hinaus. Dieser fokussiert sich auf eine differenzierte Erweiterung, indem das Datenmaterial zusammengeführt und aggregiert wurde, ferner auf eine Unterscheidung zwischen Einspruchs- und Zustimmungsgesetzen und zudem auf eine nahezu gänzliche Betrachtung bestehender Wahlperioden seit 1949 (hierzu Reiners 2018: 33ff.).2

Um den Bundesrat im Sinne der Frage zu betrachten, gerät die Identifizierung und Anzahl der Vetospieler ins Blickfeld und ob sich diese absorbieren (Buzogány/Kropp 2013: 261ff.). Sind im Bundesrat nun dieselben Mehrheiten bzw. Konstellationen wie im Bundestag vorhanden, so greift theoretisch der Mechanismus einer Absorption, da die Regierungsparteien den Bundesrat (als institutionellen Vetospieler) absorbieren und beide legislativen Organe eine hohe Kongruenz aufweisen. Betrachtet man hingegen Situationen, in denen die legislativen Organe unterschiedliche Mehrheitsverhältnisse aufweisen, bleiben die Regierungsparteien als Vetospieler unverändert erhalten. Der Bundesrat tritt nun – so oft die Annahmen – als destruktiver Vetospieler auf, es findet dementsprechend keine Absorption statt.

Zustimmungs- und Einspruchsgesetze

Neben den Abgeordneten des Bundestages und der Bundesregierung hat der Bundesrat nach Art. 76 Abs. 1 GG das Recht der Gesetzesinitiative. Die Mitwirkungsmöglichkeiten und Befugnisse richten sich allerdings danach, ob es sich um Einspruchs- oder Zustimmungsgesetze handelt (Lhotta 2003: 19ff.; Stüwe 2004: 27ff.; Johne 2004: 10ff.; Jun 2011: 109).

Bei Zustimmungsgesetzen muss der Bundesrat mit der Stimmenmehrheit zustimmen. Hier hat er ein absolutes Vetorecht. Zustimmungspflichtig sind Gesetze, welche die Verfassung ändern, die in bestimmter Weise Auswirkungen auf die Länderfinanzen haben oder Gesetze, für deren Umsetzung in die Organisations-/Verwaltungshoheit der Länder eingegriffen wird. In der Praxis versagt der Bundesrat nicht sofort seine Zustimmung, sondern sucht zunächst einen Kompromiss durch die Anrufung des Vermittlungsausschusses (Stüwe 2004: 27ff.; Jun 2011: 109; Scherf/Bücker 2011: 144; Reiners/Hitschold 2020: 295ff).3

Im Verlauf der Geschichte hat einerseits ein Wandel der Tatbestände stattgefunden, die eine Zustimmung erfordern, aber auch eine Veränderung des Anteils zustimmungsbedürftiger Gesetze, gemessen an der Gesamtzahl erlassener Gesetze. Ging der Parlamentarische Rat noch von 10% zustimmungsbedürftigen Gesetzen aus, und waren es zu Beginn der Bundesrepublik tatsächlich etwa 40%, so waren es vor der Föderalismusreform bereits bis zu 60%, was verdeutlicht, dass die Vetomacht des Bundesrates im Laufe der Zeit deutlich angewachsen ist (vgl. Schmidt-Jortzig 2005: 6ff.; Reutter 2006: 14; Bundesrat 2012).4

Mit der Föderalismusreform war u.a. eine Rückführung der Bundesratsbeteiligung intendiert, die die Zustimmungstatbestände für den Bundesrat reduziert oder zumindest modifiziert hat. Seit der Föderalismusreform 2010 ist der Anteil der zustimmungspflichtigen Gesetze deutlich unter 40% um nahezu 20% gesunken (vgl. Jun 2011: 112ff.; Zohlnhöfer 2011: 155).

Bei den übrigen Gesetzen hat der Bundesrat nur ein Einspruchsrecht, demnach ein suspensives Vetorecht. Bei ihnen ist die Vetomacht geringer (Scherf/Bücker 2011: 144; Blank 2012: 81). Der Bundesrat hat die Möglichkeit untätig zu bleiben, was sein Einverständnis signalisiert, oder den Vermittlungsausschuss anzurufen und in letzter Konsequenz Einspruch einzulegen (Jun 2011: 145; Reiners/Hitschold 2020: 297ff.).

Klassifizierungen und Thesen

Zur Analyse der Materie und für einen sinnvollen Vergleich wurden die Verhältnisse im Bundesrat in Klassifizierungen eingeteilt und vorab Hypothesen formuliert. Folgende Klassifizierungen wurden gebildet:

  • Klassifizierung 1: Dominanz der Bundesregierung auch im Bundesrat (kooperative, konstruktive Struktur)
  • Klassifizierung 2: Dominanz der Opposition des Bundestages im Bundesrat (kompetitive, gegenläufige Struktur)
  • Klassifizierung 3: Dominanz von „neutralen“ politischen Kräften im Bundesrat oder Pattsituation, wenn demnach keiner der Kräfte aus den Klassifizierungen 1 oder 2 eine Mehrheit im Bundesrat besitzt (neutrale Struktur/Patt).

Die Klassifizierung und folgende Hypothesenbildung lassen im Ergebnis Aussagen zu, welche Faktorkonstellationen welche Resultate hervorbringen, und unter welchen Bedingungen demnach mit welchem Verhalten zu rechnen ist bzw. welche Strategien zum Einsatz kommen. Die aus den Klassifizierungen abzuleitenden Hypothesen lauten:

These 1: Bei Klassifizierung 1 agiert der Bundesrat eher vergleichsweise kooperativ oder konstruktiv, was sich darin zeigt, dass die Zahl der Einsprüche des Bundesrates bei Einspruchsgesetzen tendenziell sinkt und bei Zustimmungsgesetzen respektive Gesetzesbeschlüssen des Bundestages der Bundesrat seine Zustimmung tendenziell weniger verweigert.

These 2: Bei Klassifizierung 2 agiert der Bundesrat eher vergleichsweise kompetitiv oder destruktiv, was sich darin zeigt, dass die Zahl der Einsprüche des Bundesrates bei Einspruchsgesetzen tendenziell steigt und, bei Zustimmungsgesetzen respektive Gesetzesbeschlüssen des Bundestages der Bundesrat seine Zustimmung tendenziell eher verweigert.

These 3: Bei Klassifizierung 3 agiert der Bundesrat eher noch moderat kompetitiv, allerdings weniger kompetitiv (destruktiv) als unter Zugrundelegung der Verhältnisse aus Klassifizierung 2, was sich darin zeigt, dass Ergebnisse produziert werden, die tendenziell unter den Werten liegen, die bei Voraussetzungen gegenläufiger Verhältnisse entstehen.

Statistische Belege zum Untersuchungskontext, zentrale Aussagen und Ergebnisse

Im Zentrum stand u.a. der Aspekt, ob Politikprozesse reibungsloser verlaufen, wenn kompatible Handlungsstrukturen zwischen Bundesrat und Bundestag vorliegen, so die vielfache Unterstellung, oder das Gegenteil der Fall ist, wenn eher kompetitive Strukturen existieren. Zur Beantwortung der Frage empfehlen sich Statistiken des Bundesrates (Bundesrat 2012; Bundesrat 2013; Bundesrat 2016; vgl. Reiners 2018). Wesentlich für den Kontext ist die Tatsache, wie oft der Bundesrat sein Machtpotenzial tatsächlich eingesetzt hat.

Mit Blick auf die detaillierten Ausführungen in der Mutterstudie ist festzuhalten, dass die Stellung des Bundesrates bei Einspruchsgesetzen ohnehin nicht derart stark ist wie bei Zustimmungsgesetzen. Ferner werden auch nur wenige Einsprüche geltend gemacht. Diese sind bei überwiegend gegenläufigen Verhältnissen etwas höher als in Zeitabschnitten einer neutralen Struktur bzw. insbesondere in solchen, in denen keine kompatiblen Mehrheiten zwischen Bundestag und Bundesrat vorliegen (Reiners 2018). Hinsichtlich der Zustimmungsgesetze sind die Zahlen aussagekräftiger. Bei diesen hat der Bundesrat in ca. 5% der Fälle seine Zustimmung verweigert. Dies wurde an den letztlich vom Bundespräsidenten ausgefertigten und verkündeten Zustimmungsgesetzen gemessen.

Hinsichtlich des institutionellen Vetopotenzials ist der Bundesrat bei Zustimmungsgesetzen in einer exponierten Rolle. Hier kann er ein Gesetz endgültig verhindern. In der Praxis hat das zweite legislative Organ davon allerdings bislang selten Gebrauch gemacht, wobei die Anzahl der Zustimmungsverweigerungen des Bundesrates von kompetitiven hin zu neutralen Verhältnissen abnimmt, und dies nochmals hinsichtlich kooperativer, konstruktiver Strukturen. Diese Tendenz ist auch mit Blick auf ein Scheitern von Gesetzen zu beobachten, wenn auch geringer ausgeprägt, was bedeutet, dass es im Nachgang einer Zustimmungsverweigerung des Bundesrates meist zu Kompromissen kommt. In der Praxis macht der Bundesrat demnach eher selten Gebrauch von der Möglichkeit, Gesetzesvorlagen endgültig zu verhindern.

Insgesamt ist festzustellen, dass sich die drei Hypothesen im Grunde bestätigen lassen. Dies bedeutet, dass der Bundesrat unter Zugrundelegung einer Dominanz der Parteien der Bundesregierung im Bundesrat vergleichsweise kooperativ respektive konstruktiv agiert. Unter Zugrundelegung von gegenläufigen Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat, agiert dieser kompetitiver, wenn auch nur nuancenhaft. Unter Zugrundelegung einer Dominanz von neutralen Kräften im Bundesrat oder einer Pattsituation, agiert das Gremium weniger kompetitiv als in der eben beschriebenen Situation, jedoch mehr als eingangs genannt. Die Ergebnisse hinsichtlich der drei Klassifizierungen weichen allerdings weniger voneinander ab als dies oft vermutet wird, die Varianzen sind daher eher begrenzt und dürften landläufige Vorannahmen doch deutlich relativieren.

Unter dem Strich handelt sich sicherlich um einen Fehlschluss, den Bundesrat als Vetospieler zu ignorieren, denn einerseits ist es unerheblich, ob Macht tatsächlich genutzt wird. Wesentlicher ist, dass das Potenzial hierzu besteht. Andererseits sind Varianzen verifizierbar, auch wenn die Ergebnisausprägungen mit Blick auf die Konstellationen nicht derart variieren, wie vielfach angenommen wird. Blickt man tiefer und analysiert man differente Zeitabschnitte, so sind etwas klarere Konturen zwischen den einzelnen Klassifizierungen erkennbar.

Bei kompatiblen Verhältnissen zwischen beiden Gremien ist Regieren sicher etwas liquider. Den Bundesrat unter der Prämisse kompetitiver Verhältnisse als destruktiven Vetospieler zu deklassieren, mag jedoch überzogen klingen. Liegen solche Strukturen vor, so treten eher Verzögerungseffekte auf, was ein effizientes Regieren erschwert, weil verstärkt Verhandlungen über ein Vermittlungsverfahren nötig werden. Der Bundesrat besticht im kooperativen Föderalismus gerade durch seine Verhinderungsmacht, demnach mit der Drohung eines Scheiterns von Gesetzesvorlagen, was im Vorfeld vielfach zu Anpassungen führt und über einen Mechanismus der Vetoantizipation wirkt (vgl. Burkhard/Manow 2006). Dies bedeutet letztlich, dass die Präsenz eines zweiten legislativen Organs Entscheidungen zurückverlagert und in einen Verhandlungskontext einbettet. Das Wissen um differente Mehrheitsverhältnisse führt somit zu Vorwirkungen, erhöht den Konsensdruck schon zu Beginn von Gesetzesvorhaben und sorgt schon vor oder während des legislativen Prozesses für eine Veränderung von Policies (Lhotta 2003: 16ff.; Johne 2004: 10ff.; Stüwe 2004: 27ff.).5

Bislang ist noch jede Regierung von der Kooperation der Länder abhängig gewesen, die nur teils oder nicht der parteipolitischen Konstellation der Bundesregierung entsprochen haben (Lhotta 2003: 19f.). Ferner gibt es im Bundesrat sehr wohl parteipolitisch motivierte Blockadeaktionen (Stüwe 2004: 29). Glaubt man landläufigen Meinungen, so hat man den Eindruck, dass eine solche Blockadepolitik alltäglich ist. Tatsächlich sind aber keine permanenten Zustimmungsverweigerungen zu beobachten, sondern mehr inhaltliche Einflussnahmen im Wege der kooperativen Mitregierung. Der Bundesrat hat sich somit bislang eher als Konkordanz- denn als Konfliktorgan erwiesen (Lhotta 2003: 20f.; Stüwe 2004: 30; Bundesrat 2013; Bundesrat 2016).6

Burkhard und Manow modellieren die Auswirkungen der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat auf die strategische Interaktionsorientierung von Bundesregierung und Opposition und damit auf die Politikergebnisse mit Hilfe der Autolimitationsthese. Sie kommen zum Ergebnis, dass sich deutlich gegenläufige Mehrheiten zwischen beiden Organen im Regelfall nicht in einem offenen politischen Konflikt niederschlagen, sondern zu Kompromissen und politischer Selbstbeschränkung der Bundesregierung führen (2006). Die vorliegende Untersuchung weist in eine ähnliche Richtung.

Betrachtet man die Interaktionsmechanismen und Entscheidungsmodi im kooperativen Föderalismus, ist anerkannt, dass die Mehrzahl moderner Demokratien mehr dem Typus der Konsensdemokratie zuzuordnen ist, also starke Verhandlungselemente aufweist (Schmidt 2000: 33ff.).7 In der Bundesrepublik Deutschland liegt ein wesentliches Augenmerk auf dem Parteienwettbewerb und dem Mehrheitsprinzip. Derartige Entscheidungsmuster sind charakteristisch für konkurrenzdemokratische Systeme. Die Bundesrepublik könnte unter diesem Aspekt daher zum Typus der Westminsterdemokratie gezählt werden, wenn nicht weitere institutionelle Entscheidungsstrukturen vorhanden wären, die die Durchsetzung des Mehrheitswillens blockieren. Wenn es explizit um die Einforderung von Konsensentscheidungen geht, spielt der Bundesrat als institutioneller Vetospieler eine ganz erhebliche Rolle.

Im politischen System der Bundesrepublik ist die Macht der Regierung vergleichsweise stark begrenzt. Dies begründet auch die Einordnung des Systems als ein grundsätzlich konsensdemokratisches. Schmidt spricht nicht umsonst vom „Grand Coalition State“ (2002: 58). Bei divergierenden Mehrheiten zwischen beiden legislativen Organen kann die Opposition somit über den Bundesrat mitregieren. Das Charakteristische im hiesigen politischen System sind demnach Verflechtungen zwischen der parlamentarischen und der bundesstaatlichen Arena (Lehmbruch 2000: 27). Die Logik des konkurrenzgeprägten Parteienwettbewerbs widerspricht dabei den Realitäten eines konsensdemokratischen kooperativen Föderalismus.

Bei den Entscheidungsstrukturen zwischen Bund und Ländern, sind letztlich Konkurrenzen und kooperative Formen zu diagnostizieren. Das Zusammenspiel zwischen Parteienkonkurrenz und Konsens verbindet sich auf der Ebene der zwei legislativen Organe, wobei eine Wechselwirkung zwischen beiden Interaktionsformen besteht (Bräuninger/Geschwend/Shikano 2010: 223ff.; vgl. Leunig/Träger 2012b). Beide Formen stehen daher in einem Spannungsverhältnis, denn kompetitive Orientierungen erschweren im Parteienwettbewerb einerseits die Kompromissfindung in Verhandlungen zwischen Bund und Ländern. Andererseits schwächen Kooperationen zwischen Bund und Landesregierungen die Parlamente und drohen unter Umständen den Parteienwettbewerb zu torpedieren (Benz 2001: 176).

Bedeutsam ist, dass zu einem Großteil der Gesetze (Zustimmungsgesetze) nicht eine Bundestagsmehrheit entscheidet, sondern eine Art Koalition zwischen beiden Institutionen. Diese Verhandlungen unterliegen selbstverständlich den Prämissen eines Parteienwettbewerbs, allerdings ist der Prozess ein anderer. Die Opposition kann sich im Plenum kompetitiv verhalten und sich gegen ein Gesetz aussprechen, auch wenn sie im Ausschuss kooperativ agiert. Landesregierungen sind im Bundesrat hingegen an Absprachen faktisch gebunden. Wenn sie sich auf eine Kooperation einlassen, müssen sie einem Gesetzesentwurf zustimmen. Dies widerspricht der Logik der Parteienkonkurrenz, nach der sich die Opposition als Wahlalternative präsentieren sollte. Damit wird durch eine kompetitive Strategie eine verbindliche Kooperation unmöglich (Benz 2003: 178).

Die Ausführungen bedeuten nicht, dass Parteienkonkurrenzen außer Kraft gesetzt sind. Erklärbar sind solche Einigungen, trotz kompetitiver Grundausrichtung, mit spezifischen strukturellen Vorkehrungen des Verhandlungssystems im kooperativen Bundesstaat (Benz 2003: 178). Um nur zwei Institutionen zu nennen, hat die im Gesetzgebungsprozess de facto dominante Bundesregierung durch das Initiieren von Gesetzen die Möglichkeit, den Ausgangspunkt von Verhandlungen zu definieren (Agendasetting). Auch stellt z.B. der Vermittlungsausschuss eine Vorkehrung dar, die gegen ein Scheitern von Gesetzen gerichtet ist. Allerdings ist ebenfalls zu betonen, dass längere Zeiträume mit gegenläufigen Mehrheiten nicht besonders günstig für eine Politik sind. Kompromisse stellen häufig auch Einigungen auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner dar, und Verhandlungen scheitern oft dann, wenn ambitionierte Programme und Gesetze umgesetzt werden sollen (Benz 1999: 135ff.; vgl. Burkhard/Manow 2006).

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Zitationshinweis

Reiners, Markus (2021): Vetofunktion des Bundesrates in Theorie und Praxis, Essay, Erschienen auf: regierungsforschung.de. Online Verfügbar: https://regierungsforschung.de/vetofunktion-des-bundesrates-in-theorie-und-praxis/

 

This work by Markus Reiners is licensed under a CC BY-NC-SA license.

  1. Hinweise: z.B. Jun 2011: 106ff.; Träger 2012: 39ff.; Abresch/Leunig 2012: 79ff.; Nagel/Leunig 2012: 107ff.; Leunig 2012: 149ff.; Leunig/Träger: 2012a: 185ff.; Träger/Thiel 2012a: 225ff.; Träger/Thiel 2012b: 261ff. []
  2. Zur Vetospielertheorie: Tsebelis 1999: 591ff.; vgl. auch Tsebelis 2002; Nemitz 2000: 2ff.; Fisch 2000: 118; Bandelow 2003: 2; Benz 2003: 208ff.; Benz 2009: 53; Reiners 2008: 94; Reiners 2008: 40; Reiners 2011: 566f.; Blank 2012: 7ff. []
  3. Man unterscheidet verfassungsändernde und föderative Gesetze. Bei verfassungsändernden Zustimmungsgesetzen muss der Bundesrat mit zwei Dritteln seiner Stimmen zustimmen, wobei bestimmte Bereiche ausgeschlossen sind (Bestandsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG). Bei föderativen Gesetzen reicht die Zustimmung mit der Stimmenmehrheit. []
  4. Die Föderalismusreformen I und II traten am 1. September 2006 bzw. 1. August 2009 in Kraft. []
  5. Eine (wie auch immer geartete) Koalition agiert oft im Schatten von Mehrheitsentscheidung. Dieser Schatten der Mehrheit verstärkt den Konsensdruck. Aus dieser Perspektive darf es zweifelhaft erscheinen, ob überhaupt Vetostrukturen im Sinne eines „divided government“ vorliegen (Tsebelis 1999: 591ff.). []
  6. Z.B. ist oft ein Einlenken der Regierung gegenüber der Bundesratsmehrheit beobachtbar. Ferner gelingt es der Regierung vielfach, die Phalanx der Oppositionsländer durch Zusagen zu durchbrechen. Zudem ist oft ein Bemühen von Regierungen zu verifizieren, in Gesetzen auf Regelungen zu verzichten, die eine Zustimmungsbedürftigkeit begründen könnten (Stüwe 2004: 29f.). []
  7. Die Kapazitäten von auf Konsens gerichteten Verhandlungen werden inzwischen positiver eingeschätzt. Die empirische Demokratieforschung hat z.B. gezeigt, dass Konsensdemokratien den Wettbewerbsdemokratien eher überlegen sind, denn Länder mit starken verhandlungsdemokratischen Elementen besitzen eine große Stabilität, sie sind ferner zu großer wirtschaftlicher Leistung und zu einem ho­hen Niveau an sozialer Sicherung fähig (Eberlein/Grande 2003: 187). []

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