Parteiendemokratie im Wandel

Nach dem Debakel bei der Bundestagswahl 2017 strebt die SPD eine Partei-Reform an: Mitgliedern sollen mehr Mitspracherechte und -möglichkeiten eingeräumt werden. Die CDU startete bereits 2015 mit der Kampagne „Meine CDU 2017“ eine Initiative, um die Partei zu verjüngen und verstärkt weibliche Mitglieder sowie Mitglieder mit Migrationshintergrund zu gewinnen. In anderen Parteien, wie etwa der FDP, laufen bereits seit Längerem Initiativen zur Partei-Reform. Diese und weitere Beispiele aus der Vergangenheit zeigen: Parteien unterliegen stetig und in vielfältiger Hinsicht Veränderungsprozessen – sei es im organisatorischen, im programmatischen oder im kommunikativen Bereich. Dadurch versuchen die Parteien, sich ihnen stellenden Herausforderungen, wie einer schwindenden Mitgliederbasis oder mangelndem Vertrauen in ihre Problemlösungskapazitäten, zu begegnen.

Als Teil des politischen Systems tragen Parteien zur politischen Willensbildung bei, artikulieren und aggregieren gesellschaftliche Interessen, stellen sich mit ihren Programmen und ihrem Personal zur Wahl und besetzen öffentliche Ämter mit ihren Kandidaten. Aktuelle Entwicklungen in Gesellschaft und Politik stellen die Parteien und das politische System, in dem sie agieren, dabei vor immer neue Herausforderungen. So wächst beispielsweise mit der Gründung und Etablierung neuer Parteien die Konkurrenz um mediale Aufmerksamkeit, Wählerstimmen, Parteimitglieder, Mandate und finanzielle Mittel.

Vor diesem Hintergrund soll der Schwerpunkt „Parteiendemokratie im Wandel“, der am 1.10. startet, beleuchten, wie sich gegenwärtig die Parteiendemokratie im Allgemeinen und die Parteien im Besonderen verändern.

Sollten Sie spannende Einblicke in den Themenschwerpunkt „Parteiendemokratie im Wandel“ in Form von Forschungspapieren, Essays oder Arbeitspapieren verfassen oder bereits vorliegen haben, freuen wir uns über Ihren Beitrag. Weitere Informationen finden Sie  in unserem Call for Papers und hier.

Maß und Mitte in grün

Michael Lühmann vom Göttinger Institut für Demokratieforschung analysiert die Erfolgsfaktoren der Grünen. Nicht nur die aktuelle Aufmerksamkeit für das Thema Klima und Umwelt verhelfen den Grünen zum Erfolg. Auch das populäre Führungspersonal, der programmatische Kompass mit ideengeschichtlicher Unterfütterung und das Themenbündel aus Klima, Haltung, Sozialpolitik überzeugten viele WählerInnen von den Grünen.

Draußen vor der Tür? Russlanddeutsche Wähler und ihre unvollständige politische Integration in die deutsche Parteiendemokratie

Prof. Dr. Achim Goerres und Dr, Sabrina J. Mayer von der Universität Duisburg-Essen und Prof. Dr. Dennis C. Spies von der University of Southern Denmark schlussfolgern, dass russlanddeutsche Wähler nur eingeschränkt als Gesamtgruppe in die deutsche Parteiendemokratie integriert sind. Der Kontext der ersten deutschen Migrantenwahlstudie zeigt, dass sich diese eingeschränkte Integration in die Parteiendemokratie sowohl durch eine deutlich geringere Wahlbeteiligung als auch durch eine deutlich größere Unkenntnis von Parteien und Spitzenkandidaten ausdrückt.

Wie erneuert man eigentlich eine Parteiorganisation?

Fedor Ruhose und Daniel Stich von der SPD Rheinland-Pfalz gehen der Frage nach, wie man eigentlich eine Parteiorganisation erneuert. Was kann die Bundes-SPD dabei von Erneuerungsprozessen der Landesverbände lernen? Am Beispiel der Reformschritte der SPD Rheinland-Pfalz leiten die Autoren konkrete Eckpunkte her, um die Bundes-SPD organisatorisch neu aufzustellen.

 

Aus zwei mach drei

Im Nachgang zum 31. Bundesparteitag der CDU in Hamburg analysieren Anne Goldmann, Sandra Plümer und Arno von Schuckmann, welche Konsequenzen sich durch die erstmalige Verteilung von drei Ämtern auf drei Personen ergeben. Dabei gehen die wissenschaftlichen Mitarbeiter der NRW School of Governance sowohl auf das Verhalten der einzelnen Akteure als auch ihre Beziehungen untereinander ein. In Anlehnung an die Agenturtheorie identifizieren die Autoren zwei mögliche Prinzipal-Agent-Verhältnisse an der Führungsspitze und zeigen Differenzen zwischen den Zielvorstellungen der Akteure sowie Informationsasymmetrien innerhalb des Dreigestirns auf. Schließlich zeigt das Essay mögliche Lösungsansätze auf.

Mehr wir statt ihr

Jonathan Schneider und Marcus Lamprecht beschreiben das Problem der Repräsentationslücken im deutschen Parlamentarismus. Die Biografien von Bundestagsabgeordneten spiegeln die Heterogenität der Bevölkerung nicht wieder und bleiben beispielsweise Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund unterrepräsentiert. Als Lösungsvorschlag für diese Repräsentationsdefizite bieten die Autoren sogenannte Vorwahlen an. Im Gegensatz zu elitedominierten innerparteilichen Nominierungsverfahren ermöglichen Vorwahlen eine breite Beteiligung und eine demokratischere Ausgestaltung der Kandidatenaufstellung.

Horror GroKoi

Dr. Volker Best analysiert die innerhalb der SPD 2017/18 auf zwei Parteitagen geführte Debatte um die Frage, ob sich die Partei entgegen ihrer Ankündigung am Abend der Bundestagswahl 2017, in die Opposition zu gehen, nach dem Scheitern der Sondierungen einer Jamaika-Koalition doch für eine erneute Große Koalition offen zeigen sollte. Die Analyse der Argumente der GroKo-Gegner und GroKo-Befürworter erfolgt entlang der Kategorien „Parteiraison / Strategie“, „Politikinhalte“ und „Demokratie“ sowie in der Chronologie der Parteitage. Abschließend werden Struktur, Verlauf und Ergebnis des Debattenprozesses kritisch reflektiert.

Abgrenzung, Anbiederung, Abwanderung

Prof. Dr. Christoph Kopke und Alexander Lorenz gehen der Frage nach, wie die anhaltenden Wahlerfolge der AfD die Parteien der politischen Rechten in Bewegung versetzt haben. Insbesondere für das zersplitterte Lager der Rechtsaußenparteien ist mit der AfD eine bislang kaum zu schlagende Konkurrenz um Wählerstimmen, Personal und Einfluss entstanden. Wie gehen die Parteien der politischen Rechten von CDU/CSU bis hin zu den Parteien am äußersten Rechten Rand mit dieser Herausforderung um?

Neue innerparteiliche Konflikte in der LINKEN und Wagenknechts Bewegung aufstehen

© Christian Hüller

Dr. Hendrik Träger bilanziert, dass sich die LINKE mehr als elf Jahre nach ihrer Gründung wieder in einer konfliktreichen Situation befindet. Neben dem parteiinternen Konflikt um die Positionierung in der Migrations- und Asylpolitik und anstehenden Landtagswahlen könnte Wagenknechts Sammlungsbewegung aufstehen zur weiteren Fragmentierung des linken Lagers beitragen. Auch die erheblichen Verluste von Wählern an die AfD stürzen die LINKEN in ein strategisches Dilemma.

Büchse der Pandora? Minderheitsregierungen und der Umgang mit der AfD

Dr. Martin Pfafferott erklärt, dass die Fragmentierung der Parteiensysteme Regierungsbildungen kompliziert gemacht hat. Minderheitsregierungen bieten innovative Auswege und werden mit demokratisierenden Potenzialen verbunden. Wer von diesem Format profitiert, ist allerdings nicht ausgemacht: Angesichts der Entwicklung der Parteiensysteme könnte es beispielsweise die AfD sein.

Kommunalpolitik abseits der Parteien?

Michael Angenendt untersucht das demographische Profil und die Beitrittsmotive von Wählergemeinschaftsmitgliedern im Vergleich zu Parteimitgliedern. Trotz ihrer Popularität sind kommunale Wählergemeinschaften in der deutschen Politikwissenschaft noch nicht gründlich erforscht. Wählergemeinschaften präsentieren sich zwar als partizipatorische Alternative zu den Parteien, sie sind ihnen aber im Hinblick auf das demographische Profil  und die Beitrittsmotive ähnlicher als ihnen vielleicht genehm ist. Dies legt nahe, dass Wählergemeinschaften parteienferne Bevölkerungsschichten bisher nicht in die Kommunalpolitik integrieren können.

Parteien im Wettbewerb als Dienstleister der Freiheit

Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte bilanziert, dass zu den wichtigen gesellschaftlichen Konfliktlinien eine vierte Konfliktlinie hinzugekommen ist und den Parteienwettbewerb beeinflusst. Diese Konfliktlinie umfasst das Spannungsfeld zwischen globalisierten Weltbürgern und nationalkonservativen Gemeinschaften. Hier entsteht eine Repräsentationslücke, die etablierte Parteien nicht füllen. Trotzdem sollte die Anpassungs- und Wandlungsfähigkeit von Parteien nicht unterschätzt werden.

Politische Unterrepräsentation von Menschen mit Migrationshintergrund nach der Bundestagswahl 2017

Aimie Bouju konkludiert, dass Menschen mit Migrationshintergrund im Bundestag unterrepräsentiert sind. Bei ihrer Bewerbung für ein Mandat innerhalb der Parteien stoßen sie mit den Binnen- und Außenselektionskriterien auf ähnliche Hürden wie andere Bewerber auch. Feststeht, dass der Fokus auf andere parteiinterne Regeln und Selektionskriterien den Erfolg oder das Scheitern insbesondere von neuen CDU- und SPD-Bewerberinnen mit bestimmtem Migrationshintergrund deutlich beeinflusst.

Wie die liberale Demokratie mit Populismus umgehen kann

Jan Philipp Thomeczek analysiert Umgangsstrategien, die Parteien in Umgang mit Rechtspopulisten zur Verfügung stehen. Nicht nur in Ländern wie Österreich, in denen populistische Parteien als Koalitionspartner an der Regierung beteiligt sind, ist der Populismus gegenwärtig. Auch in Ländern wie Deutschland, in denen die AfD als Oppositionspartei ins Parlament eingezogen ist, sind rechtspopulistische Parteien ein Thema. Welche Umgangsstrategien stehen anderen Parteien zur Verfügung?

Die Öffentlichkeit der Willensbildung politischer Parteien

Wenn auch nicht nach amerikanischen Maßstäben, so werden Parteitage doch auch in Deutschland als Spektakel inszeniert. Auf großen Bühnen, untermalt von lauter Musik, schmettert das politische Spitzenpersonal den Delegierten der Partei maßgeschneiderte Reden entgegen. Ihre Wirkung soll dabei keinesfalls auf diese beschränkt bleiben: Die Anwesenheit der Presse ist Selbstverständlichkeit. Live-Übertragungen, nachträgliche Berichterstattungen und Analysen sollen der Partei die so dringend gesuchte Aufmerksamkeit sichern.