Transformation, Politikwandel und die Landtagswahlen 2022

Transformation und Wandel werden in den kommenden Jahren zentrale Relevanz für Politik und Gesellschaft in der Bundesrepublik haben. Dies hat insbesondere die neue Ampel-Regierung im Koalitionsvertrag unter dem Motto „Mehr Fortschritt wagen“ verdeutlicht. Die langfristige Überwindung der Pandemiefolgen, die Bewältigung der Klimakrise, der Umgang mit gesellschaftlicher Polarisierung, Spaltung und sozialer Ungleichheit – diese und viele weitere Herausforderungen erfordern Kreativität und ein Umdenken. Beispielhaft lassen sich vier große „D“ der Transformation nennen, die in den nächsten Jahren zentrale Richtschnur politischen wie gesellschaftlichen Handelns sein werden: Dekarbonisierung, Digitalisierung, Demografie und Demokratie. Wie genau diese Facetten der Transformation ausbuchstabiert werden, wie daraus entstehende Zumutungen sozial abgefedert werden sollen, wie die Bürger*innen dabei mitgenommen werden, all dies wird auch in den 2022 anstehenden Wahlen entschieden.

Neben der Wahl des Bundespräsidenten am 13. Februar 2022 durch die Bundesversammlung werden die Wähler*innen in gleich vier Bundesländern – dem Saarland, Schleswig-Holstein, Nordrhein- Westfalen und Niedersachsen – über die Ausbuchstabierung der Transformation entscheiden, indem sie einen neuen Landtag wählen. Insbesondere der Landtagswahl am 15. Mai in Nordrhein-Westfalen kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, handelt es sich doch um das einwohnerstärkste und in absoluten Zahlen auch wirtschaftsstärkste Bundesland. Zugleich ist NRW ein Vorreiter im Hinblick auf Transformation und Wandel: Bereits seit Jahrzehnten ist hier der Strukturwandel fester Bestandteil politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen.

Vor diesem Hintergrund soll der Schwerpunkt „Transformation, Politikwandel und die Landtagswahlen 2022“ sowohl Transformation und Politikwandel im Bund, aber insbesondere auch mit Blick auf die oben aufgezählten Landtagswahlen beleuchten.

Regierung ohne Mehrheit

Tim Engelhardt, der an der Universität Leipzig studiert, wirft einen Blick auf Minderheitsregierungen, insbesondere in Sachsen. Eine stärkere Fragmentierung des Parteisystems, hohe, generationenübergreifende Zustimmungswerte für die AfD und ein schlechteres Abschneiden anderer Parteien bei Wahlen erschweren die Bildung von Koalitionen in Sachsen. Um in Zukunft regieren zu können, wird demnach die Option einer Minderheitsregierung nicht nur sinnvoll, sondern eventuell auch notwendig werden, so Engelhardt.

Ein Wahlkampf in der „Zwischenzeit“ und ein historischer Wahlsieg der CDU

Vor fast 100 Tagen präsentierte und unterzeichnete die schwarz-grüne Koalition mit Daniel Günther als Ministerpräsidenten in Schleswig-Holstein ihren Koalitionsvertrag. Prof. Dr. Wilhelm Knelangen von der Christian-Albrechts-Universität Kiel wirft einen Blick zurück auf den Wahlkampf, das Wahlergebnis und den Koalitionsvertrag und wagt einen Ausblick auf die künftigen Herausforderungen für die Arbeit der neuen Koalition.

 

Demokratie im Lichte direkter und repräsentativer politischer Partizipation

PD Dr. Markus Reiners, der an der Leibniz Universität Hannover zu politischen Institutionen lehrt und forscht, einen normativen Blick auf repräsentative und direktdemokratische Partizipationsformen. Sind unsere systematischen Rahmenbedingungen angesichts gesellschaftlicher Transformationen, Problemen der Repräsentation  und eines möglichen Demokratiedefizits noch hinreichend? Welche Rolle spielen Mittel der direkten Demokratie – wie Referenden – bei der Lösung bestehender Probleme?

Auffällig und unauffällig durch die Transformation?

Dr. Matthias Diermeier, der am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) das Kooperationscluster Demokratie, Gesellschaft, Marktwirtschaft leitet, wirft einen Blick auf das Ruhrgebiet und die Landtagswahl 2022 in Nordrhein-Westfalen, denn hier türmen sich die Stolpersteine einer erfolgreichen Bewältigung der parallellaufenden Transformationen. Welche Auswirkungen dessen gibt es im Ruhrgebiet und wie kann die Zukunftskoalition den Herausforderungen begegnen?

Frischer Wind für neue Perspektiven

Prof. Dr. Nicolai Dose vom Rhein-Ruhr-Institut für Sozialforschung und Politikberatung e.V. an der Universität Duisburg-Essen sowie Dr. Nils Beier und Sophie Evers mit ihren Kolleg:innen von Accenture geben in ihrer Studie Einblicke in Talentaustauschprogramme zwischen öffentlicher Verwaltung und Privatwirtschaft. Die aktuelle Bundesregierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag ambitionierte Ziele zur Modernisierung der Verwaltung gesetzt. Um diese Ziele zu erreichen, können Talentaustauschprogramme einen wertvollen Beitrag leisten. Welche Chancen bieten sie und welche Herausforderungen gilt es zu beachten?

Zu wenig Diversität?

Simone Tosson, die an der Universität Duisburg-Essen unter anderem zu Themen der Repräsentation und Responsivität forscht, wirft einen Blick auf die Zusammensetzung des neuen Landtags in Nordrhein-Westfalen. Wie ist es um die Repräsentation gesellschaftlicher Gruppen bestellt? Im Hinblick auf Geschlecht und Bildungsabschluss lassen sich deutliche Ungleichgewichte feststellen.

Transformation durch Experten

Dr. Stefan Brüggemann, der als Geschäftsführer der Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik (BAPP) tätig ist, wirft einen Blick auf die wissenschaftliche Politikberatung. Die großen Herausforderungen unserer Zeit lassen sich nicht allein aus der Politik heraus steuern, sondern benötigen Politiker Erkenntnisse aus der Wissenschaft, um Transformationsthemen angehen zu können. Wie gestaltet sich das Beratungsverhältnis zwischen Wissenschaft und Politik? Welche Chancen und Hemmnisse bringt die wissenschaftliche Politikberatung mit sich? Und welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit sie hinsichtlich der Transformationsthemen mitgestalten kann?

Demokratiegefährdungen durch Bildungsungleichheiten

Dr. Philipp Legrand, der an der Kommunalen Hochschule für Verwaltung in Niedersachsen und am Niedersächsischen Studieninstitut für kommunale Verwaltung tätig ist, nimmt die ungleichen Bildungschancen im deutschen Schulsystem in den Blick. Der sozioökonomische Status der Eltern wirkt sich auf die Bildungschancen der Kinder aus und hat nicht jedes Kind die gleichen Chancen auf den Kompetenzerwerb. Da diese Kompetenzen sich auch aus die politische Partizipation auswirken, ist die Verteilung von Bildungschancen auch aus demokratischer Perspektive hochrelevant.

Suffizienzansätze in der nationalen Energie- und Klimapolitik in Deutschland

© Sebastian Kiefer

Steigende Energiepreise und die Importabhängigkeit von fossilen Energieträgern – unter anderem aufgrund des Krieges in der Ukraine – erfordern eine politische und gesellschaftliche Reaktion. Wie kann es gelingen, weniger Energie zu verbrauchen? Hier kann die Energiesuffizienz als Nachhaltigkeitsstrategie Ansatzpunkte liefern. Dr. Benjamin Best, der am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie forscht, geht der Frage nach, welche Pläne und Instrumente für Energiesuffizienz die politischen Institutionen in Deutschland vorlegen.

Strukturwandel im Ruhrgebiet

Prof. Dr. Manfred Mai, der außerplanmäßiger Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen ist und verschiedene Referate der Staatskanzlei Nordrhein-Westfalen geleitet hat, wirft einen Blick auf die Daueraufgabe Strukturwandel. Nachdem lange Zeit eine Ansiedlungspolitik verfolgt wurde, scheint nun das Entstehen einer Wissenschaftsregion ein zukunftsträchtiges Szenario für das Ruhrgebiet zu sein. Strukturpolitik sollte künftig stärker darauf setzen, dass aus den wissenschaftlichen Erkenntnissen marktfähige Innovationen werden.

Transformatives Regieren: Über modernes Führen in der ampeligen Lern-Koalition

Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte, der an der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen lehrt und forscht, wirft einen Blick auf das Regieren der Ampel-Koalition und ihr ambitioniertes Transformationsvorhaben, eine Wachstumsgesellschaft in eine digitale sozial-ökologische Nachhaltigkeitsgesellschaft zu katapultieren. Wie lässt sich das Regieren zu dritt vor diesem Hintergrund beschreiben?

Kontinuität statt Zwangsheirat?

Ist Nordrhein-Westfalen ein völlig neuartiges, künstliches Produkt der Zeitumstände, ohne Vorgeschichte und Traditionen, eine Erfindung der Briten? Dieses Bild wirkt bis heute. Schaut man in die ältere Literatur zur Vor- und Gründungsgeschichte Nordrhein-Westfalens, fällt rasch auf, dass es bereits in den 1920er Jahren verschiedene Pläne zur Neuordnung des Deutschen Reiches die Idee zur Gründung eines rheinisch-westfälischen Bundesstaates entwicklen, erklärt Dr. Guido Hitze von der Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen.

Oppositionslose Zeiten im Saarland? Einschätzungen zum Wahlausgang am Freitag vor der Wahl

„Wir werden es verteidigen.“ So endete die Regierungserklärung zur „Zeitenwende“ von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Sonntag, den 27. Februar 2022 vor dem Deutschen Bundestag. Gemeint war die Verteidigung des „freien und offenen, gerechten und friedlichen Europas“. Doch anders als sonst war der Imperativ des Kanzlers keine rhetorische Routineformulierung. Allen Zuhörerinnen und Zuhörern war vielmehr klar, dass der Verteidigungsfall der Bundesrepublik Deutschland eintreten kann.

Verhandlungspositionen im Bundesrat

© Bundesrat

Auf Bundesebene regiert seit der letzten Bundestagswahl die Ampel-Koalition. Dennoch kann es der Union aktuell gelingen, bestimmte Vorhaben der Regierung über den Bundesrat zu blockieren. Doch das kann sich mit den kommenden Landtagswahlen in vier Bundesländern ändern. Dr. Knut Bergmann und Dr. Christian Rusche vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) analysieren spieltheoretisch, wie diese Wahlen ausgehen müssten, damit die Ampel-Koalition durchregieren kann bzw. die Union weiterhin über Blockadepotenzial verfügt.