Politische Parteien in einer unlösbaren Doppelrolle

Dr. Uwe Lammers, der unlängst an der Universität Flensburg promoviert hat, analysiert die Doppelrolle, in der sich politische Parteien befinden. Ihre Vertreter werden von den Bürgern eines Staates mit dem Mandat ausgestattet, ihre Interessen wahrzunehmen und ihre Positionen zu vertreten. Zum Teil ist solch ein Mandat mit erheblichen Vollmachten und Kompetenzen, aber auch mit Restriktionen, verbunden, so dass die jeweiligen Rollen und Ressourcen von Sprecher, Akteur, Auftraggeber, Klient und Mandat permanent in- einander übergehen, ohne vordergründig genau zu wissen, wer hier gerade spricht und was beansprucht.

Dieser Titel mit seinem äußerst regressiven und paternalistischen Duktus von Hausmeister und Eigentümer – in anderer Lesart auch: Herr und Knecht, oder: Koch und Kellner (usw.) – ist bewusst provokant gewählt. Darauf wird noch im Text zurückzukommen sein. Denn der Diskurs über politische Parteien und Politiker im Allgemeinen, ihre gegenwärtige – ergo: so bezeichnete – Legitimationskrise (sic!) und vermeintliche ad-hoc-Lösungen im Besonderen („Man muss ja nur, …“) ist von einer ganzen Reihe gegenseitiger Missverständnisse, Klischees und Wissenslücken begleitet. Im folgenden Essay sollen diese sozialtheoretisch erläutert werden. Gezeigt werden soll, dass die fortlaufenden Konflikte im Wesen deliberativer Demokratien selbst angelegt sind, wie sie bereits im antiken griechischen Konflikt von Oikos und Polis entstehen und bis heute uneinholbar reproduziert werden. Sie gelten in ihrer heutigen Adaption sogar als positive Errungenschaft der Moderne, die vehement verteidigt und eingefordert wird.

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Trump, beide Parteien und die US-Demokratie in Trouble

Dr. Patrick Horst analysiert das Wahlergebnis der sogenannten Midterms. Bei diesen Wahlen mussten die Republikaner Verluste bei den Gouverneursämtern und den Landtagsmandaten in den Einzelstaaten sowie den Verlust der Mehrheit im Repräsentantenhaus in Washington, D.C. hinnehmen, konnten jedoch ihre Mehrheit im Senat halten. Was bedeutet dieser Ausgang der Wahl für die nächsten zwei Jahre der Trump-Präsidentschaft? Und welche Bedeutung haben diese Ergebnisse für die Demokratie in einer stark polarisierten Gesellschaft?

Ende Oktober hat Martin Thunert (2018) an dieser Stelle das Ergebnis der US-Halbzeitwahlen (Midterm Elections) schon ziemlich genau vorausgesagt: „Ein gut möglicher Ausgang“ seien Verluste der Republikaner bei den Gouverneursämtern und den Landtagsmandaten in den Einzelstaaten sowie der Verlust der Mehrheit im Repräsentantenhaus in Washington, D.C. Sehr wahrscheinlich sei darüber hinaus, dass die Republikaner ihre Mehrheit im exklusiven Senat, der anderen Kammer des Kongresses, halten oder sogar leicht ausbauen würden. Genauso ist es gekommen – was die Frage nahelegt: Warum war der Ausgang dieser Wahl für kundige Politikwissenschaftler – zumindest eine Woche vor der Wahl – ein offenes Geheimnis? Dieses Rätsel soll in dieser kurzen Analyse genauso aufgelöst werden wie die Frage beantwortet, was das Ergebnis der Halbzeitwahlen für die kommenden zwei Jahre der Präsidentschaft Trumps und für die Zukunft der US-amerikanischen Demokratie bedeutet.

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Mehr wir statt ihr

Jonathan Schneider und Marcus Lamprecht von der NRW School of Governance beschreiben das Problem der Repräsentationslücken im deutschen Parlamentarismus. Die Biografien von Bundestagsabgeordneten spiegeln die Heterogenität der Bevölkerung nicht wieder und bleiben beispielsweise Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund unterrepräsentiert. Als Lösungsvorschlag für diese Repräsentationsdefizite bieten die Autoren sogenannte Vorwahlen an. Im Gegensatz zu elitedominierten innerparteilichen Nominierungsverfahren ermöglichen Vorwahlen eine breite Beteiligung und eine demokratischere Ausgestaltung der Kandidatenaufstellung.

Umrahmt von acht Männern präsentierte sich Bundesinnenminister Horst Seehofer im März 2018 mit seiner neuen Führungsmannschaft. Heftige Kritik entbrannte über die nicht geschlechterparitätische Besetzung der Führungsebene und lenkte den Fokus auf ein seit Jahren virulentes Thema: Die mangelnde Repräsentation der Bürgerinnen. Ein Problem, das weit über das Bundesministerium für Inneres, Bau und Heimat hinausreicht. So ist zwar das Kabinett Merkel IV nahezu hälftig mit Frauen und Männern besetzt, missachtet dafür jedoch die Realität der deutschen Migrationsgesellschaft. Auch die Zusammensetzung des 19. Deutschen Bundestages offenbart grundlegende Repräsentationsprobleme einer immer heterogeneren Gesellschaft.

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Horror GroKoi

Dr. Volker Best von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn analysiert die innerhalb der SPD 2017/18 auf zwei Parteitagen geführte Debatte um die Frage, ob sich die Partei entgegen ihrer Ankündigung am Abend der Bundestagswahl 2017, in die Opposition zu gehen, nach dem Scheitern der Sondierungen einer Jamaika-Koalition doch für eine erneute Große Koalition offen zeigen sollte. Die Analyse der Argumente der GroKo-Gegner und GroKo-Befürworter erfolgt entlang der Kategorien „Parteiraison / Strategie“, „Politikinhalte“ und „Demokratie“ sowie in der Chronologie der Parteitage. Abschließend werden Struktur, Verlauf und Ergebnis des Debattenprozesses kritisch reflektiert.

 

Der Regierungsbildungsprozess im Nachgang der Bundestagswahl 2017 dauerte nicht nur mit 171 Tagen doppelt so lange wie der bis dahin ebenfalls mit Abstand längste Regierungsbildungsprozess 2013. Er brachte auch zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik eine Wiederauflage einer Großen Koalition hervor. Dabei handelte es sich mehr als je zuvor um eine „Regierungsbildung wider Willen“.

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Abgrenzung, Anbiederung, Abwanderung

Prof. Dr. Christoph Kopke von der Hochschule für Wirtschaft und Recht und Alexander Lorenz von der Universität Potsdam gehen der Frage nach, wie die anhaltenden Wahlerfolge der AfD die Parteien der politischen Rechten in Bewegung versetzt haben. Insbesondere für das zersplitterte Lager der Rechtsaußenparteien ist mit der AfD eine bislang kaum zu schlagende Konkurrenz um Wählerstimmen, Personal und Einfluss entstanden. Wie gehen die Parteien der politischen Rechten von CDU/CSU bis hin zu den Parteien am äußersten Rechten Rand mit dieser Herausforderung um?

Seit der letzten Bundestagswahl sitzt mit der AfD wieder eine Partei rechts der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag. Inzwischen ist sie in allen Landesparlamenten der Republik vertreten. In einigen Bundesländern konkurriert sie in den Umfragen gegenwärtig mit den taumelnden Volksparteien CDU und SPD.

Innerhalb von wenigen Jahren hat die 2013 ins Leben gerufene AfD sich radikalisiert und „einige Metamorphosen“ (Häusler 2018) vollzogen. Die ersten Phasen ihrer Entwicklung erinnern in vielerlei Hinsicht an den schnellen Aufstieg der sich 1983 von der CSU abgespaltenen Partei Die Republikaner (REP).

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Lobbyismus in der modernen Politikberatung

Dr. Rupert Pritzl vom Bayerischen Wirtschaftsministerium erklärt den Unterschied zwischen Korruption und Lobbying. Eine klare Grenzziehung zwischen legaler und illegaler Interessenvertretung fällt in der Praxis nicht leicht, denn die Grenzen sind oft fließend. Deswegen haben Interessengruppen und Lobbyisten oft einen schlechten Ruf und stehen im Verdacht von Klüngelwirtschaft. Mehr Transparenz könnte einen Beitrag leisten, um Lobbyismus und Korruption genauer zu erfassen und trennschärfer voneinander abzugrenzen.

Kassandrarufe beherrschen schon fast täglich unsere Schlagzeilen, nach denen Korruption und die „große Gier“ unser Land beherrschen und Deutschland in den Abgrund von Filz und Sumpf steuern. Andere beklagen ein Wettrüsten der Lobbyisten, sehen Politiker als Marionetten der Strippen ziehenden Lobbyisten und rufen die „Lobbyrepublik Deutschland“ aus. Interessengruppen und Lobbyismus haben in Deutschland einen schlechten Ruf und werden häufig mit heimlicher Macht und illegitimen Interessen in Verbindung gebracht oder gleich unter den Generalverdacht von Korruption, Patronage oder Klüngelwirtschaft gestellt.

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Neue innerparteiliche Konflikte in der LINKEN und Wagenknechts Bewegung aufstehen

© Christian Hüller

Dr. Hendrik Träger von der Universität Leipzig bilanziert, dass sich die LINKE mehr als elf Jahre nach ihrer Gründung wieder in einer konfliktreichen Situation befindet. Neben dem parteiinternen Konflikt um die Positionierung in der Migrations- und Asylpolitik und anstehenden Landtagswahlen könnte Wagenknechts Sammlungsbewegung aufstehen zur weiteren Fragmentierung des linken Lagers beitragen. Auch die erheblichen Verluste von Wählern an die AfD stürzen die LINKEN in ein strategisches Dilemma.

Die Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse in der LINKEN werden häufig durch Konflikte zwischen den Parteiflügeln beziehungsweise den beiden großen Strömungen – den ‚Reformern‘ einerseits und den ‚Orthodoxen‘ andererseits – geprägt. Daraus resultiert die Aufgabe, die „unterschiedliche[n] Ambitionen und Rivalitäten so zu managen, dass es keine für die Partei zerstörerischen Folgen haben wird“. Dies schien der seit 2012 amtierenden Parteiführung um Katja Kipping und Bernd Riexinger zunächst zu gelingen. Allerdings brachen die Konflikte innerhalb der LINKEN in den vergangenen Monaten wieder auf und gewannen zuletzt erheblich an Schärfe: Im November 2018 wurden sogar „Rufe nach Wagenknechts Rücktritt laut“.

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Büchse der Pandora? Minderheitsregierungen und der Umgang mit der AfD

Dr. Martin Pfafferott ist Referent bei der Friedrich-Ebert-Stiftung und erklärt, dass die Fragmentierung der Parteiensysteme Regierungsbildungen kompliziert gemacht hat. Minderheitsregierungen bieten innovative Auswege und werden mit demokratisierenden Potenzialen verbunden. Wer von diesem Format profitiert, ist allerdings nicht ausgemacht: Angesichts der Entwicklung der Parteiensysteme könnte es beispielsweise die AfD sein.

Nachdem im November 2017 jäh und für die meisten BeobachterInnen unerwartet die Verhandlungen über eine „Jamaika“-Koalition auf Bundesebene abgebrochen wurden, erfuhr ein in Deutschland unübliches Format einen ungeahnten Aufschwung: Die Minderheitsregierung. Die BefürworterInnen dieses Formats reichten von SPD-GegnerInnen einer Großen Koalition über JournalistInnen und BürgerInnen, die sich hiervon eine Wiederbelebung der parlamentarischen Debatte erhofften, bis hin zu taktisch agierenden Merkel-Rivalen innerhalb der Union. So unterschiedlich die Intentionen, so war die Stoßrichtung zumeist die, mit dem ungewohnten Format ein neues, progressives Kapitel der Parteiendemokratie aufzuschlagen.

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Kommunalpolitik abseits der Parteien?

Michael Angenendt von der Heinrich-Heine-Universität untersucht das demographische Profil und die Beitrittsmotive von Wählergemeinschaftsmitgliedern im Vergleich zu Parteimitgliedern. Trotz ihrer Popularität sind kommunale Wählergemeinschaften in der deutschen Politikwissenschaft noch nicht gründlich erforscht. Wählergemeinschaften präsentieren sich zwar als partizipatorische Alternative zu den Parteien, sie sind ihnen aber im Hinblick auf das demographische Profil  und die Beitrittsmotive ähnlicher als ihnen vielleicht genehm ist. Dies legt nahe, dass Wählergemeinschaften parteienferne Bevölkerungsschichten bisher nicht in die Kommunalpolitik integrieren können.

Wählergemeinschaften haben sich in den vergangenen Jahrzehnten auf kommunaler Ebene zu ernsthaften Konkurrenten gegenüber den Parteien entwickelt, vielerorts dominieren die ‘Parteifreien‘ den politischen Wettbewerb in den Rathäusern. Trotz ihrer mittlerweile fast flächendeckenden Präsenz in den Städten und Gemeinden hält sich die Politikwissenschaft hierzulande bislang jedoch bei der Erforschung des Phänomens eher bedeckt. Bis zum Ende der 1990er Jahre entstanden lediglich einzelne Regionalstudien, eine erste bundesweite Studie wurde in der Mitte des letzten Jahrzehnts durchgeführt und bildet den gegenwärtigen Forschungsstand weitgehend ab.

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Parteien im Wettbewerb als Dienstleister der Freiheit

Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte von der NRW School of Governance bilanziert, dass zu den wichtigen gesellschaftlichen Konfliktlinien eine vierte Konfliktlinie hinzugekommen ist und den Parteienwettbewerb beeinflusst. Diese Konfliktlinie umfasst das Spannungsfeld zwischen globalisierten Weltbürgern und nationalkonservativen Gemeinschaften. Hier entsteht eine Repräsentationslücke, die etablierte Parteien nicht füllen. Trotzdem sollte die Anpassungs- und Wandlungsfähigkeit von Parteien nicht unterschätzt werden.

Der Parteienwettbewerb in Deutschland funktioniert. Dynamisch wechseln sich freie Parteien in Opposition und Regierung ab. Ob die Parteien dabei die Qualität der Demokratie ausreichend sichern, hängt vom Maßstab des Betrachters ab. Wer darauf setzt, dass bewährte Volksparteien diese Garantie übernehmen, zeigt sich enttäuscht, wenn die Mehrzahl der Wählerinnen und Wähler neuen oder kleineren Parteien ihr Zutrauen schenkt. Wer die Parteien als Wächter der Demokratie ansieht, könnte resignieren angesichts des Aufstiegs autoritärer Politiker. Wer die Wahlbeteiligung zum Maßstab erhebt, triumphiert angesichts der deutlich gestiegenen Mobilisierung in den zurückliegenden Jahren. Die Parteien als Politik-Dienstleister machen das, woran die meisten Bürgerinnen und Bürger kein Interesse zeigen: Stellvertretend für alle, diskursiv Probleme zu lösen und sie danach einer legitimierten Entscheidung mit Mehrheit zuzuführen.

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