30 Jahre deutsche Einheit

 

Am 3. Oktober jährt sich die Wiedervereinigung zum dreißigsten Mal. 1990 trat die DDR der Bundesrepublik Deutschland bei. Damit waren fast vierzig Jahre deutsche Teilung beendet. Auch dreißig Jahre nach diesem für Deutschland, Europa und die Welt prägenden Ereignis wirkt sich die Wiedervereinigung auf das politische und gesellschaftliche Leben in Deutschland aus. Während manche in Ostalgie schwelgen und ehemalige DDR-Produkte wieder Absatz finden, fühlen sich viele Ostdeutsche immer noch als Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse und fühlen sich in vielerlei Hinsicht nicht ausreichend repräsentiert. Vorurteile wie „Jammer-Ossis“ und „Besser-Wessis“ sind auch Menschen, die nach der Wende geboren wurden, geläufige Stereotypen. Auch politisch unterscheiden sich Ost und West weiterhin, etwa hinsichtlich Einstellungen der Wählerschaft, Ergebnissen bei Wahlen oder mit Blick auf die Parteien(landschaft). Und auch ökonomisch lassen sich im Jahr dreißig nach der Wiedervereinigung teils gravierende Unterschiede zwischen ostdeutschen und westdeutschen Bundesländern feststellen. Die Diskussionen um den Solidaritätszuschlag sind nur ein Ausdruck dieser Diskrepanz zwischen „Ost“ und „West“.

Vor diesem Hintergrund soll der Schwerpunkt „30 Jahre deutsche Einheit“ die politischen, gesellschaftlichen und historischen Entwicklungen der letzten 30 Jahre in den Blick nehmen und analysieren.

30 Jahre nach der Deutschen Einheit

Wie erinnern wir uns an die DDR und die deutsche Teilung und wie arbeiten wir die SED-Diktatur und das Leben in der DDR auf? Julia Reuschenbach von der Stiftung Berliner Mauer analysiert die geschichtspolitischen Debatten anlässlich des 30-jährigen Jubiläums der deutschen Einheit. Dabei wirft sie einen kritischen Blick auf wichtige Meilensteine, die die Aufarbeitung der DDR-Geschichte prägen. In diesem Zusammenhang spielte oft die SED-Diktatur eine Rolle und kam das alltägliche Leben normaler DDR-Bürgerinnen und Bürger häufig zu kurz.

Generation Einheit – zusammen oder getrennt?

Wolfgang Gaiser und Johann de Rijke, die am Deutschen Jugendinstitutforschten, blicken auf die Unterschiede der politischen Einstellungen bei jungen und älteren Menschen in Ost und West. Sind die nach der Wende Geborenen Repräsentanten des vereinigten Deutschlands? Und inwiefern unterscheidet sich diese Generation von der älteren? Ein Blick in Umfragedaten zeigt: Unterschiede zwischen Ost und West nehmen allmählich ab.

Wählerpolarisierung in Ost- und Westdeutschland

Dr. Jörg Hebenstreit von der Friedrich-Schiller-Universität Jenauntersucht die häufig gestellte Diagnose der wachsenden Polarisierung innerhalb der Wählerschaft. Nicht nur haben Linke und AfD bei den letzten Bundestagswahlen insbesondere in Ostdeutschland Erfolge feiern können, sondern fuhren Union und SPD schlechte Ergebnisse ein. Zwar wurde diese Polarisierung auf parlamentarischer Ebene bisher gut erforscht, ist allerdings noch völlig unklar, ob neben den programmatischen Positionen der Parteien tatsächlich auch die ideologischen Präferenzen der Wähler selbst auseinanderdriften.

30 Jahre Einheit: Auf in‘s Archiv

Im Oktober jährt sich die Deutsche Einheit zum 30 Mal und entfallen die Sperrfristen für Akten. Felix Müller, der an der NRW School of Governanceder Universität Duisburg-Essen forscht, erklärt, warum der Gang in die Archive jetzt wichtig ist. Denn für die Regierungsforschung könnten wichtige Erkenntnisse über die Prozesse und die Entscheidungsfindung hin zur Einheit entstehen.

 

Wie ostdeutsch ist DIE LINKE 30 Jahre nach der Wiedervereinigung?

© Christian Hüller

Dr. Hendrik Träger von der Universität Leipzig analysiert, inwiefern DIE LINKE ihrem Image als Vertreterin der Interessen der Ostdeutschen noch gerecht werden kann. Wie schneidet DIE LINKE bei Bundestags- und bei Landtagswahlen ab? Wie setzen sich die Parteimitglieder zusammen und woher kommen die Menschen, die für die Parteiführung rekrutiert werden? Langsam wandeln sich die innerparteilichen Kräfteverhältnisse zugunsten der “alten” Bundesländer. Damit sind für die nächsten Jahre intensivere Diskussionen über die Ausrichtung der Partei zu erwarten

Ist die Wiederwertschätzung des Nationalstaates seit 1989 reaktionär?

Prof. Dr. Tilman Mayer, der an der Universität Bonn lehrt und forscht, betrachtet die friedliche Revolution 1989, die deutsche Einheit und die Provokationen, die mit diesen Umbrüchen einhergingen und für viele Menschen schwierig waren. Die Nachwendezeit hat uns vielfältige Herausforderungen gestellt, für die es noch keine Lösungen gibt.

 

Der geringe Anteil Ostdeutscher in den Eliten – ein verkanntes Problem

Dr. Lars Vogel von der Universität Leipzig vertritt die These, dass eine elitentheoretische Perspektive auf das Problem der personellen Unterrepräsentation der Ostdeutschen politische Relevanz und theoretische Bedeutung besitzt. Zwar wird diese Unterrepräsentation oft nicht problematisch gesehen. Dennoch legen sowohl eine naive identitätspolitische aber auch eine repräsentationstheoretisch verfeinerte Lesart nahe, dass die personelle Unterrepräsentation der Ostdeutschen ein politisches Problem ist, das als Erklärungsfaktor für die in Ostdeutschland verbreitete kollektive Deprivation und darüber vermittelt für die geringere Demokratiezufriedenheit dort in Betracht zu ziehen ist.

30 Jahre Mauerfall – 30 Jahre Mauer in den Köpfen?

Prof. Dr. Susanne Pickel von der Universität Duisburg-Essen und Prof. Dr. Gert Pickel von der Universität Leipzig gehen 30 Jahre nach Mauerfall und deutscher Einheit der Frage nach der Mauer in den Köpfen ost- und westdeutscher Bürgerinnen und Bürger nach. Zwar sind die Unterschiede kleiner geworden, dennoch sind viele Menschen in Ostdeutschland mit der aktuellen Demokratie weniger zufrieden als in Westdeutschland. Woher kommen diese Unterschiede?

Die umstrittene Treuhandanstalt

Foto: Patrick Slesiona

Dr. Marcus Böick von der der Ruhr-Universität Bochum wirft einen Blick auf die Treuhandanstalt. Insbesondere die Wahlerfolge der AfD in den neuen Bundesländern haben das Interesse an der krisengeplagten „Nachwendezeit“ der frühen 1990er-Jahre verstärkt, in der der erhoffte wirtschaftliche Wandel für viele Menschen Ostdeutschland nicht wie erhofft eintrat. Welche Diskussionen um die Treuhand gab es, wie typisierte sich das Personal dort und was lässt sich aus der Geschichte der Treuhand für das Management abrupten wirtschaftlichen Wandels lernen?