Schweigen ist feige, Reden ist Gold

Die deutsche Bevölkerung gleicht in der Euro-Krise einem Patienten, der bei vollem Bewusstsein am offenen Herzen operiert wird. Ein Vorgespräch mit den Ärzten hat nicht stattgefunden. Erst während ihm die Brust aufgeschnitten wird, kann der Patient die Chefärztin fragen, warum dieser schmerzhafte und vor allem risikoreiche Eingriff durchgeführt wird. Übertragen auf die Operation der Bundesregierung in der Eurokrise fragt die Bevölkerung die Bundeskanzlerin: Gibt es überhaupt noch Hoffnung für den Euro? Ist Griechenland noch zu retten? Wird die Währungsunion entgegen aller Versprechen nun doch zur Transferunion? Warum soll der deutsche Steuerzahler im nicht ganz unwahrscheinlichen Ernstfall für Pleitestaaten aufkommen, die jahrelang über ihre Verhältnisse gelebt haben? Wird bald die Inflation steigen, während der Lebensstandard sinkt? Die Fragen im Operationssaal werden immer lauter und nachdrücklicher, doch die Bundeskanzlerin geht mit der Selbstherrlichkeit einer Halbgöttin in Weiß darüber hinweg. Sie schweigt und operiert seelenruhig weiter.

Zum Autor: Als Producer im ARD-Studio Washington erlebte Dr. Jan Philipp Burgard den Präsidentschaftswahlkampf von Barack Obama hautnah. Gerade ist im Nomos-Verlag sein Buch darüber erschienen: Von Obama siegen lernen oder ‘Yes, We Gähn!’? Der Jahrhundertwahlkampf und die Lehren für die politische Kommunikation in Deutschland. (mehr …)

Vertrauen als Kitt der Koalition

Wer mit wem? Das war früher einfacher zu beantworten. Fünf-Parteien-Parlamente erschweren die Mehrheitsbildung für stabile Regierungen.

Wer nicht nur rechnerische, sondern belastbare politische Mehrheiten sucht, muss sich auf dem Koalitionsmarkt tummeln. Denn die ehemaligen politischen Lager sind weichgespült. Jeder kann im Prinzip mit jedem! (mehr …)

Die FDP nach der Berlin-Wahl: am Anfang oder am Ende?

Sichtbar inszenierte die FDP wenige Stunden vor Schließung der Wahllokale einen Verzweiflungspopulismus. Europaskepsis sollte punkten. Ressentimentgetriebene Wähler, die es zuhauf gibt, wollte die FDP im Schlussspurt des Wahlkampfs ansprechen. Viele Bürger sind durchaus auch unzufrieden mit den aktuellen Versuchen, die Verschuldungskrise in den Griff zu bekommen.

Da es sich im Kern nicht um eine Euro-Krise, sondern um die Rettung einzelner Banken handelt, bleiben viele Fragezeichen. Warum sollen deutsche Steuerzahler weiter bürgen, wenn es sich um den Erhalt bestimmter Banken dreht? Banken und Finanzmärkte haben mit ihren Produkten zur jetzigen Lage beigetragen. Die Politik hat dies alles deregulierend möglich gemacht. Wo sind die kritischen Stimmen im Parteienspektrum, die diesem Empfinden Ausdruck verleihen, wenn es fraglich bleibt, ob die Mechanismen des bisherigen Krisenmanagements tragen?

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Die logische Folge?! Der Einzug der Piratenpartei in das Berliner Abgeordnetenhaus ist ein erster Schritt, nun müssen weitere folgen.

Die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus hat gezeigt: Totgeglaubte leben länger. Als die Piratenpartei im Jahr 2009 erstmals zu Landtags- und in Folge auch zu den Bundestagswahlen antrat, verstanden es die Akteure etablierter Parteien, Journalistenfragen zu dieser neuen Parteiorganisation mit wenig mehr als einem müden Lächeln zu bedenken. Bei der medialen Analyse der Wahlergebnisse ging es, trotz vergleichsweise guter Ergebnisse, allenfalls in jungen Formaten wie „Wahl im Web“ (ZDF) um die Piraten.  

Der sich an die kleineren Wahlerfolge anschließende interne Reifungsprozess der Piratenpartei ist dabei zuvorderst durch Chaos und Querelen um die innerparteiliche Organisation, bis hin zu Abbrüchen von Parteitagen, gekennzeichnet gewesen. Die öffentliche Bekanntgabe des Scheiterns des Online-Demokratie-Tools „Liquid Democracy“ und der weniger erfolgreiche Ausgang der NRW-Landtagswahl, bei der allenfalls Achtungserfolge in einigen Wahlkreisen erzielt werden konnten, taten das Übrige dazu bei, der jungen Partei die Politikfähigkeit abzusprechen oder ihr gar ein jähes Ende zu prognostizieren.  (mehr …)

Die Initiative und das Referendum in den Gliedstaaten der USA

Seit der Einführung von Volksbegehren und Volksentscheid in Hamburg 1996 haben alle Bundesländer Instrumente direkter Demokratie in ihren Verfassungen aufgenommen. Während auf der kommunalen Ebene die Instrumente des Bürgerbegehren und Bürgerentscheids mittlerweile recht rege genutzt werden, kommen die entsprechenden Instrumente des Volksbegehrens und des Volksentscheids auf der Landesebene jedoch kaum zur Anwendung. Zwar nutzen die Bürger das Verfahren der Volksgesetzgebung seit Anfang der 90er Jahre in stärkerem Maße, dennoch haben von 1947 bis heute insgesamt erst 19 Volksentscheide stattgefunden. Wohlgemerkt: Die Anzahl bezieht sich auf alle Bundesländer zusammengenommen. Dies liegt nicht zuletzt an den vergleichsweise restriktiven Anwendungshürden, die durch Unterschriftenquoren, Sammlungsfristen, Eintragungsformalitäten oder Ausschlussgegenstände errichtet worden sind. Aus zwei Gründen kann man jedoch davon ausgehen, dass diese Hürden in Zukunft gesenkt werden: Zum einen haben die Parteien die ‚Direkte Demokratie‘ als elektorales Gewinnerthema für sich entdeckt und warten mit der Vereinfachung der Volksgesetzgebung in ihren Wahlprogrammen auf. Vor allem aber ist hier die Anwendung der direkten Demokratie auf sich selber zu nennen: Gerade mittels Volksbegehren und Volksentscheid können die Bürger die Anwendungsbedingungen dieser Verfahren verbessern, wie die Beispiele in Hamburg oder Bayern zeigen.

Auch in Nordrhein-Westfalen bekundet die neue Landesregierung die Absicht, die existierenden Verfahren auf Kommunal- und Landesebene ‚bürgerfreundlicher‘ zu gestalten. Um die Debatte über mögliche Reformüberlegungen auf eine breitere Grundlage zu stellen, sollen mit dieser Analyse die reichhaltigen Erfahrungen der US-Bundesstaaten in die Diskussion eingebracht werden. (mehr …)

WIDERSTANDSFÄHIG? – Ansätze und Strukturen zur Anpassung an den Klimawandel in den USA

Während in Deutschland auf Bundes- und größtenteils auch auf Länderebene bereits Anpassungsstrategien an die Auswirkungen des Klimawandels beschlossen wurden, kommt dieses Thema in den USA nur langsam ins Rollen. Wie auch sollen Adaptionsstrategien überhaupt Aufmerksamkeit erfahren, wenn selbst die unter dem progressiveren Obama verfolgten Strategien zur Vermeidung von Klimawandel (Mitigation) immer noch auf starke Skepsis in Politik und Bevölkerung treffen?

Faktoren wie Zeit und Raum (wann und wo wird der Klimawandel spürbar?) sowie Unsicherheit, vor allem im Bereich der Klimafolgenabschätzung und zu erwartenden wirtschaftlichen Kosten, sind große Hindernisse für konkrete Anpassungsstrategien. Ohne jedoch das Handeln stets von diesen Hindernissen beeinflussen zu lassen, sollten in den Überlegungen zu Anpassung an den Klimawandel vor allem Strukturen im Vordergrund stehen, die die Anpassungskapazitäten der Gesellschaft grundlegend erhöhen. Das gleichzeitige Stärken von Widerstandsfähigkeit und Flexibilität sollte das Ziel solcher netzwerkförmigen Strukturen sein. Dazu erscheinen die in diesem Bericht dargestellten und untersuchten Küstenschutzprogramme in den US-Staaten Maryland und Virginia interessant, die ihr Netzwerk von Bundes- bis Lokalebene gespannt haben.

Gerade in Bezug auf die NRW-spezifischen Strukturen mit seinen Landes- und Regionalverbänden sollte die folgende Untersuchung von Interesse sein. Schließlich soll sich dieser Forschungsbericht nicht in die zahlreichen Stimmen einreihen, die durch den Ruf nach mehr „Governance“ statt „Government“ entweder ungewollt mehr `Institutionen´ schaffen oder kaum noch einen konkreten Beitrag für Verbesserungen im Zusammenwirken von Staat und Gesellschaft leisten können. Vielmehr könnten bestehende Strukturen und Institutionen für den Ausbau der Anpassungskapazität genutzt werden.

Um als Akteur aus Verwaltung und Politik eigene „Schlüsse ziehen“ zu können, werden in der vorliegenden Arbeit neue Sichtweisen auf das Thema Adaption theoretisch herausgearbeitet (s. Kap. 3), um so positive Beispiele und Strukturen anhand der netzwerkförmigen Küstenschutzprogramme in den USA aufzuzeigen (s. Kap. 5 und 5.1.). Informationen über die Programme wurden über Recherchen sowie über leitfadengestützte Interviews mit verschiedenen Programm- und (z.T. ehem.) Projektmitarbeitern eingeholt. In Kapitel 6. werden schließlich auf NRW übertragbare und vorbildliche Ansätze dargestellt, die letztendlich zur Verbesserung der Widerstandsfähigkeit der NRW-Regionen beitragen können. (mehr …)

Twitter und das Kanzlerduell 2009 – Ereignisorientierte Echtzeitkommunikation als neue Form der politischen Versammlung

Die Microblogging-Plattform Twitter hat sich in den letzten Jahren von einem reinen Mitteilungswerkzeug zu einem weitgespannten Kommunikationsnetzwerk gewandelt. Politische Entscheidungen, weltbewegende politische Ereignisse, oder sogar Fußballspiele werden von Millionen Twitter-Nutzern begleitet und kommentiert. Die 140-Zeichen-Kommunikation ist in der Realität des sich stetig wandelnden Systems Öffentlichkeit angekommen. Insbesondere die niedrigschwellige, onlinebasierte Kommunikation im Echtzeit-Modus, als begleitendes Element zu öffentlichen Ereignissen, erweist sich als neues Phänomen. Durch Twitter erfährt diese Echtzeitkommunikation an besonderer Präsenz, die sich auch bei der Bundestagswahl 2009 und insbesondere beim Kanzlerduell 2009 zwischen Kanzlerin Angela Merkel und ihrem Herausforderer Frank-Walter Steinmeier zeigte.

Entsteht durch Twitter ein “Echtzeit-Stimmungsbarometer”? Sind die 140-Zeichen Nachrichten zum Kanzlerduell 2009 ein neuer digitaler backchannel zum medialen Ereignis? Oder lässt sich die online-basierte Echtzeit-Debatte viel eher als neue Form der klassischen politischen Versammlung beschreiben? Für die Beantwortung dieser Fragen werden die Strukturen der Echtzeit-Kommunikation bei Twitter im Rahmen des Kanzlerduells 2009 empirisch untersucht. Es wird diesbezüglich hinterfragt, inwieweit diese ereignisorientierte politische Twitter-Nutzung Dynamiken einer klassischen politischen Versammlung aufweist. (mehr …)

Lob des Opportunismus – Die Wandlungsfähigkeit unserer Parteien spricht für, nicht gegen sie. Eine Würdigung

Unsere Parteien lernen und passen sich extrem schnell an. Sie begleiten und organisieren den Wandel. Schocks wie Fukushima lähmen nicht, sondern bringen strategisch denkende Köpfe in allen Parteien hervor.

Es ist Zeit für eine kleine Würdigung dieser Wandlungs- und Lernfähigkeit unserer Parteien. (mehr …)

Nikolaus Blome: Der kleine Wählerhasser. Was Politiker wirklich über die Bürger denken

Der kleine WählerhasserDie deutsche Politikwissenschaft beschäftigt sich seit den 1980er Jahren verstärkt mit dem Themenkomplex der so genannten Politikverdrossenheit. Warum sinkt die Wahlbeteiligung – von einigen wenigen Ausnahmewahlen abgesehen – auf allen politischen Ebenen der Bundesrepublik stetig? Wie ist das vermehrte Desinteresse der Menschen an Parteien und parlamentarischen Prozessen zu erklären und welche Folgen hat dies für unser demokratisches Gemeinwesen?

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Nikolaus Blome: Der kleine Wählerhasser. Was Politiker wirklich über die Bürger denken

Eine Fülle von verschiedenen politikwissenschaftlichen Studien hat sich diesen wichtigen Fragen bereits gewidmet. Dabei wurde augenscheinlich, dass der Begriff „Politikverdrossenheit“ nicht immer treffgenau ist. (mehr …)

Laurence C. Smith: Die Welt im Jahr 2050. Die Zukunft unserer Zivilisation

Die Welt im Jahr 2050Seit Mitte der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts Jahre hat sich eine Zukunftsforschung etabliert, die im Rahmen der Prognostik versuchte, zutreffende Aussagen zu den sozio-ökonomischen und politischen Entwicklungen mit validen wissenschaftlichen Befunden zu erarbeiten.

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Laurence C. Smith: Die Welt im Jahr 2050. Die Zukunft unserer Zivilisation

Die Prognostik, also das lineare Hochrechnen von validen Daten und erkennbaren Trends, ist bald dem Scenario-Building gewichen, da viele der getroffenen Prognosen wie etwa die spektakuläre Fehlinterpretation des Club of Rome zu den “Grenzen des Wachstums” zu kurz griffen, zeitlich nicht stimmten oder schlicht nicht zutrafen. (mehr …)