Regieren und Nachhaltigkeit – Potenziale und Herausforderungen des nachhaltigen demokratischen Regierens

Nachhaltige Entwicklung auf ökonomischer, sozialer und ökologischer Ebene steht im Mittelpunkt der globalen politischen Ziele für nachhaltige Entwicklung, die 2015 von den Vereinten Nationen verabschiedet wurden – die Sustainable Development Goals. Die Umsetzung dieser Ziele erfordert eine transformative Anpassung von Politik- und Governance-Konzepten an die Prinzipien der Nachhaltigkeit. Daran orientiert sich seit 2016 die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie, deren Weiterentwicklung die Bundesregierung am 10. März 2021 beschlossen hat. Auf Grundlage der Nachhaltigkeitsstrategie soll die Bedeutung nachhaltiger Entwicklung für die Politik der Bundesregierung verdeutlicht und die Verbindlichkeit von Nachhaltigkeitsstrategien, -zielen und -programmen im konkreten Regierungshandeln gestärkt werden.

Dabei wird deutlich, dass es im Kontext von Governance und Nachhaltigkeit nicht nur um Nachhaltigkeitskonzepte und deren Auswirkungen auf politische Strategien geht, sondern auch um die Institutionalisierung von Nachhaltigkeit und nachhaltiger Regierungsführung als Leitprinzip von Politik. Dieser Anspruch an moderne Politik und Regierungen umfasst nicht nur Klimaschutz, Ressourceneffizienz, nachhaltige Mobilität und den Schutz von Biodiversität und Ökosystemen, sondern auch die Gestaltung einer gerechten und lebenswerten Gesellschaft durch nachhaltige Bildung, Forschung, Innovation, Wirtschaft, Sozialpolitik etc.

Im Kontext der Nachhaltigkeitspolitik beschäftigen sich zahlreiche Akteure und Stakeholder auf internationaler, nationaler und lokaler Ebene mit den Potenzialen und Herausforderungen der Verknüpfung von Governance und Nachhaltigkeit. In diesem Zusammenhang stellen sich wichtige interdisziplinäre Fragen nach der gesellschaftlichen Relevanz nachhaltigen demokratischen Regierens, nach den Einflüssen von Nachhaltigkeit auf zentrale Governance- und Politikkonzepte und nach Nachhaltigkeit als Handlungsmaxime in verschiedenen Politikbereichen:

Wie können internationale Empfehlungen zur Stärkung nachhaltigen Regierens auf nationaler und lokaler Ebene umgesetzt werden? Wie kann nachhaltiges Regieren partizipativ gestaltet werden und welche Rolle spielen demokratische Beteiligungsprozesse? Wie kann die soziale Dimension von Nachhaltigkeit in Bezug auf Gerechtigkeit, soziale Ungleichheit und Macht in den Kontext nachhaltigen Regierens gestellt werden? Wie wirkt sich die Ausrichtung der Nachhaltigkeitspolitik von Regierungen auf deren demokratische Legitimität und politische Stabilität aus? Wie institutionalisiert sich Nachhaltigkeit als Grundpfeiler von Regierungshandeln? Wie wird Nachhaltigkeitspolitik von verschiedenen Parteien adaptiert und welche Rolle spielt Nachhaltigkeit in der Parteipolitik? Welche Rolle spielen Nachhaltigkeitspolitik und -prinzipien bei Wahlen wie der Europawahl 2024? Wie gestaltet sich die politische Beratung für nachhaltiges Regieren? Wie wird die rechtliche Verbindlichkeit von nationalen und internationalen Vereinbarungen, insbesondere im Hinblick auf klimapolitische Ziele, sichergestellt?

Diese Fragen verdeutlichen die ganzheitliche Bedeutung von Nachhaltigkeit für aktuelle Themen der Regierungsforschung. Die interdisziplinär ausgerichteten Beiträge des Schwerpunkts führen diese Fragen und darüber hinausgehende Aspekte im Kontext der gesellschaftlichen Relevanz nachhaltigen demokratischen Regierens, der Einflüsse von Nachhaltigkeit auf zentrale Governance- und Politikkonzepte sowie von Nachhaltigkeit als Handlungsmaxime in verschiedenen Politikbereichen beleuchten und dabei theoretische Überlegungen, praktische Beispiele, alternative Perspektiven und umfassende Lösungsansätze zusammen.

Nachhaltigkeit verankern

Nachhaltigkeit spielt nicht nur in der Gesellschaft und der Politik eine Rolle. Neben der Forschung zu diesen Themen können Forschungsinstitute auch einen praktischen Beitrag zur nachhaltigen Transformation leisten, indem sie nachhaltig handeln. Thomas Adisorn, Lena Tholen, Amelie Straßen und Thomas Orbach vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie (WI) zeigen am Beispiel des WI wie ein solches Nachhaltigkeitsmanagement aussehen kann.

Die politische Gestaltung der Nachhaltigkeitstransformation: partizipativ und ökologisch?

Foto: Tilman Schenk

Bürgerbeteiligung in der Nachhaltigkeitstransformation ist zwar wichtig, jedoch nicht ohne Folgen. Wie gestalten sich die ökologischen Folgen der Beteiligung? Jun.-Prof. Dr. Tobias Escher, der an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf lehrt und forscht, wirft einen Blick auf den ökologischen Fußabdruck verschiedener Formen der Bürgerbeteiligung. Welche Faktoren lassen sich beachten, um die Beteiligung möglichst klima- und umweltfreundlich zu gestalten?

 

 

Nachhaltigkeit in der Migrationsgovernance

Die Migrationspolitik und insbesondere die Unterbringung geflüchteter Menschen ist derzeit in aller Munde. Doch wie werden Menschen, die in Geflüchtetenunterkünften leben, geschützt? Dr. Alina Bergedieck, Prof. Dr. Kerstin Rosenow-Williams, die beide an der Hochschule Bonn-Rhein-Siegtätig sind, und Dr. Katharina Behmer-Prinz von der Ruhr-Universität Bochum analysieren, wie Mindeststandards bei der Unterbringung Geflüchteter in Deutschland umgesetzt werden.

Herausforderungen demokratischer Governance in der Energie- und Klimapolitik

Die Energiewende benötigt als umfassendes Transformationsprojekt ein hohes Maß an Koordination, die verschiedene Sektoren und Ebenen miteinschließt, so Dr. Jörg Kemmerzell von der Technischen Universität Darmstadt. Trotz der Formulierung ambitionierter Ziele arbeiten die Institutionen und Prozesse zu Erreichung dieser Ziele langsam und ist der Koordinationsbedarf hoch. Kooperative Formen der Governance wie das Klimakabinett oder der Bund-Länder-Kooperationsausschuss können das Finden gemeinsamer Lösungen unterstützen, da sie sektorale oder parteipolitische Interessen nicht prämieren.

Nachhaltigkeitsberichterstattung – Eine Bestandsaufnahme

Fee Tüshaus, die an der Universität zu Köln forscht und darüber hinaus für das Institut für Nachhaltigkeit, Unternehmensrecht und Reporting tätig ist, wirft einen Blick auf die Nachhaltigkeitsberichterstattung. Die Politik verpflichtet über regulatorische Instrumente immer mehr Unternehmen, Nachhaltigkeitsinformationen in ihre Berichterstattung aufzunehmen. Wie lässt sich der Nutzen dieser Maßnahmen bewerten?

Netto-Null – reine Glaubenssache?!

Das Netto-Null Ziel ist klar, doch der Weg dorthin ist undeutlich. Wie erreichen wir, dass Staaten nicht mehr Emissionen freisetzen als sie der Atmosphäre entziehen können? Durch eine glaubwürdige Klimapolitik!  Dr. Mirjam Kosch, die als Energieökonomin unter anderem in der Verwaltung, als Abgeordnete und Beraterin tätig ist, erläutert an der Hand verschiedener Beispiele, wie eine glaubwürdige Klimapolitik aussehen könnte.

 

Kommunen als Transformationsantreiber: Die Wasserstoffwende in Hamm

Wie kann die klimaneutrale Transformation gelingen? Dr. Gordian Ezazi, der als Referatsleiter im Büro des Oberbürgermeisters der Stadt HammFragen der wirtschaftlichen Entwicklung betreut, erläutert am Beispiel der Wasserstoffwende in Hamm, welchen Beitrag Kommunen zum Gelingen der Energiewende leisten können. Denn bei der Herstellung, Nutzung und dem Transport von Wasserstoff sind Kommunen bereits heute Vorreiter.

 

Governance städtischer Nachhaltigkeitspolitik in Deutschland

© Institut für Politikwissenschaft der TU Darmstadt

Städte werden regelmäßig als entscheidende Akteure und Orte für eine nachhaltige Entwicklung bezeichnet. Um diese zu erreichen, gilt die aktive Einbindung von Bürgerinnen in Policy-Making-Prozesse vielfach als Grundvoraussetzung. Wie Präferenzen der Stadtgesellschaft bei der Initiierung und Verstetigung städtischer Nachhaltigkeitsbemühungen aber tatsächlich einbezogen werden und welche Rolle unterschiedliche kommunale Institutionen hierbei spielen, ist bislang nicht tiefergehend betrachtet worden. Diese Fragestellungen greift Svenja Bauer-Blaschkowski von der TU Darmstadt in diesem Beitrag auf.

 

Vermittlerin, Gestalterin, Korrektiv

Katja Rüskamp und Philipp Offergeld, die im Projektmanagement im Bereich Klimaschutz der Stiftung Mercator tätig sind, werfen einen Blick auf die Rolle der organisierten Zivilgesellschaft für den Klimaschutz. Wie können zivilgesellschaftliche Organisationen gezielt Themen verknüpfen, Koalitionen aufbauen und Kapazitäten entwickeln, um einen Beitrag zum Klimaschutz leisten zu können? Zwei Beispiele aus dem sozialpolitischen Bereich und dem Bereich Mobilität zeigen die zentrale Rolle der Zivilgesellschaft beim Erreichen ambitionierter Klimaziele auf.

Trägheit politischer Veränderungsprozesse

David Kerkenhoff-Szopinski, der neben seiner Tätigkeit als Vorstandsreferent im öffentlichen Dienst mit dem Schwerpunkt (kommunal-)politische Kommunikation den berufsbegleitenden Studiengang „Master of Public Policy“ an der NRW School of Governance der Universität Duisburg-Essen studiert, geht der Frage nach denjenigen Faktoren nach, die für die Schwerfälligkeit und Langwierigkeit von Wandel und Transformation verantwortlich sind. Welche Faktoren erschweren eine nachhaltige Transformation und erklären, dass die Mühlen in diesem drängenden Bereich so langsam laufen?

Nachhaltigkeits-Governance für und in Unternehmen: Über das schwierige Verhältnis von Transparenz und Wirksamkeit

Daniel Schmitt, Spitzlicht

Privatwirtschaftliche Unternehmen verursachen durch ihr Verhalten einen Großteil der Nachhaltigkeitsprobleme wie Ressourcenverschwendung und klimaschädliche Emissionen. Trotzdem sind sie nicht nur die Ursache der Probleme, sondern können auch Teil der Lösung sein, wie Prof. Dr. Brigitte Biermann, Geschäftsführerin der triple innova GmbH und Professorin für Nachhaltiges Produktmanagement an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen, erläutert. In diesem Essay erklärt sie, wie die nachhaltige Entwicklung durch verändertes Wirtschaften entlang globaler Wertschöpfungsketten, durch Technologieentwicklung und Einfluss auf Politik vorangetrieben werden kann.