Diskussionslagen des Lobbyings: Zwischen Einflussnahme, Mitgestaltung und Transparenz

Auf fast 1000 Seiten beleuchtet das Handbuch Lobbyismus der Herausgeber Andreas Polk und Karsten Mause, erschienen bei Springer VS, den Einfluss von Interessengruppen – von aktuellen Beispielen bis hin zu Einblicken in die Logiken der Politikgestaltung werden aufschlussreiche Einblicke geboten, so Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte von der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen. In dem Handbuch werden die Epistemisierung des Gesetzgebungsprozesses aus vielfältigen Perspektiven und die Grenzen zwischen Beratung und Einflussnahme umfassend diskutiert, womit die Autoren Pionierarbeit geleistet haben, so Korte.

Der Einstieg fällt für den Leser pejorativ aus. Der Einfluss von Interessengruppen wird mit negativen Beispielen – von Maskendeals bis zur FDP-Mövenpick-Affäre – resonanzstark aufgeladen. Dabei ist die Epistemisierung des Gesetzgebungsprozesses neutral betrachtet nichts Negatives. Beratung zur Problemlösung kann jeder gebrauchen. Wann aus Beratung Einflussnahme wird, noch dazu ob sie transparent, legitimiert oder selbstermächtig ist, eröffnet andere Diskussionslagen. Das alles findet sich in der fast 1000 Seiten starken Printausgabe des Lobby-Handbuchs.

(mehr …)

Ist die europäische Demokratie fit für den Klimawandel? Der Fall der “grünen Taxonomie”

© UDE

EU-Demokratie für den Klimaschutz? Demokratische Legitimität und zivilgesellschaftliche Partizipation sind Gegenstand aktueller Diskussionen rund um die EU-Taxonomie und könnten weiterentwickelt werden, um Klimaziele und demokratische Prinzipien effektiver in Einklang zu bringen, so Bohyun Kim vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Duisburg-Essen, die sich in ihrem Essay mit dem Fall der “grünen Taxonomie” auseinandersetzt und umfassend analysiert, wie die EU angesichts einer Vielzahl unterschiedlicher Gruppen und politischer Interessen einen Weg zur Verabschiedung von Rechtsvorschriften in der höchst umstrittenen Frage der Kernenergie gefunden hat.

Die EU setzt sich aktiv dafür ein, „grüner“ zu werden. Im Rahmen des derzeitigen internationalen Klimaregimes sind die 195 Unterzeichnerstaaten des Pariser Abkommens rechtlich verpflichtet, dringende Klimaschutzmaßnahmen zu ergreifen, um die globalen Treibhausgasemissionen zu reduzieren und die globale Erwärmung unter 1,5 °C zu halten. Als einzige regionale Organisation mit UNFCCC-Vertragsstatus ist die EU eine der am schnellsten voranschreitenden Demokratien auf dem Weg zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft.

(mehr …)

Politische Kommunikation im Krisenmodus

© Peter Gwiazda

Linus Pingel, Bachelor-Absolvent der Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen, analysiert Robert Habeck in seiner Rolle als Vizekanzler und Wirtschafts- und Klimaschutzminister im Hinblick auf die kommunikative Bewältigung des Spagats zwischen Klimapolitik, Zeitenwende und Realität. Habeck stelle politische Maßnahmen in einen größeren Zusammenhang und betone positive Zukunftsnarrative, so Pingel. Mit seiner Kommunikationsstrategie schaffe er trotz Unsicherheit Vertrauen und eine positive Atmosphäre für politische Entscheidungen. Der Beitrag zeigt, wie Habeck die Zeitenwende kommunikativ aufgreift, interpretiert und gestaltet.

Ende Februar 2022, fast genau zwei Jahre nachdem Covid-19 die Welt schon einmal schlagartig veränderte, begann der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Die sogenannte „Zeitenwende“ (Scholz 2022), ein erneuter Gewissheitsschwund, stellte die noch junge Ampelregierung vor große Herausforderungen. Erst drei Monate zuvor hatten die Spitzen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP den Koalitionsvertrag mit dem Titel „Mehr Fortschritt wagen” (Bundesregierung 2021) unterzeichnet. Dieser Vertrag enthielt nach Ansicht einiger Beobachterinnen und Beobachter bereits ambitionierte Ziele (siehe u. a. Bergmann 2021: 11-17) und damit auch gestiegene Erwartungen der Wählerinnen und Wähler an die Regierung.

(mehr …)

Über politische Landschaften und epochale Herausforderungen: Deutsche Geschichte im Wandel der Zeit

Horst Möller führt die Leser:innen seines Werks “Deutsche Geschichte – die letzten hundert Jahre. Von Krieg und Diktatur zu Frieden und Demokratie”, erschienen im Piper Verlag, eindrucksvoll durch 100 Jahre Geschichte – mit fundierten Analysen, präzisen Portraits und wichtigen Erarbeitungsfundstücken, so Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte von der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen. Möller beleuchtet politische Herausforderungen und epochale Entwicklungslinien in den europäischen Ländern, während die Lektüre je nach individuellem Profil der Rezipient:innen in Zuversicht oder Pessimismus münden könne, so Korte.

Es kommt darauf an! Eine Floskel, die bei historischen Betrachtungen eine wichtige Rolle spielen kann. Es kommt darauf an, wann man den Blick zurück wagt. Vor Geschichtsdeterminismus kann man nur warnen. Und von dieser Falle ist Horst Möller weit entfernt. Nichts läuft historisch auf einen einzigen Punkt zu. Komplexe Gesellschaften leben das Unwahrscheinliche. Und doch scheint in langen historischen Linien eine Richtungstendenz vorzuherrschen. Bis zum Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine wäre das Licht über die letzten zehn Jahre vermutlich heller ausgeleuchtet worden als es sich heute darstellt.

(mehr …)

Echte Europawahlen gibt es nicht – aber vielleicht in der Zukunft?

Wouter Wolfs vom Public Governance Institute der Universität Leuven und der flämischen Forschungsstiftung befasst sich umfassend mit den Europawahlen und ihrer Entwicklung und stellt fest, dass sie trotz zahlreicher Bemühungen um eine Verbesserung der Wahlen noch nicht zu einem Höhepunkt der europäischen Demokratie geworden sind. Der Beitrag diskutiert verschiedene Vorschläge zur Verbesserung des Wahlsystems, zeigt aber auch auf, dass die Mitgliedstaaten zögern, grundlegende Änderungen umzusetzen.

Wahlen sind der Eckpfeiler jeder Demokratie – das gilt für die nationale Ebene, aber auch für die Ebene der Europäischen Union. Die Wahlen zum Europäischen Parlament können auf einen langen Entwicklungsprozess zurückblicken. Trotz zahlreicher Versuche, sie zu verbessern, ist ihr Rechtsrahmen bis heute mit etlichen Hindernissen gespickt, die verhindern, dass diese Wahlen zu einem echten Höhepunkt der europäischen Demokratie werden.

(mehr …)

Europäische Integration der Zeitenwende: Zwischen Kontrollverlust und Solidarität

Das Jahrbuch der Europäischen Integration 2022 der Herausgeber Werner Weidenfeld und Wolfgang Wessels, veröffentlicht beim Nomos Verlag, bietet eine Meisterleistung an Sachinformationen und hilft dabei, die jeweilige Analyse in den Gesamtkontext der Integration einzuordnen, so Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte von der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen. Die neueste Ausgabe beleuchtet insbesondere den Einschnitt, der in deutscher Terminologie als “Zeitenwende” bezeichnet wird, nachdem der kriegerische Überfall Russlands auf die Ukraine stattgefunden hat. Die Rezension stellt die Frage, wie man unter diesen unvorhersehbaren Bedingungen neue Kategorien und Ströme der Solidarität findet und wie sich Politik in Zeiten der Unberechenbarkeit und des Gewissheitsschwunds verändert.

Es ist die 42. Ausgabe des Jahrbuchs der Europäischen Integration, in dem alle wichtigen Bereiche der Europapolitik zwischen September 2021 und Sommer 2022 analysiert und systematisch eingeordnet werden. Das Schema ist bewährt-bekannt: Die Bilanz, die Institutionen, die Infrastruktur, Innen-, Außenpolitik, die Nachbarn, die Erweiterung, andere Organisationen sowie die Europapolitik aller Mitgliedstaaten. Das ist eine Meisterleistung und das bereits seit 42 Jahren. Neben der Sachinformation über Geschehnisse, Ereignisse und Prozesse bleibt die jeweilige Einordnung der Analyse in den Gesamtkontext der Integration extrem hilfreich.

(mehr …)

Neuer Schwung für die Bürgerbeteiligung in Europa

Arno Mikkor (EU2017EE)

“Reformziel: Eine vollständig integrierte EU-Beteiligungsinfrastruktur” – Dominik Hierlemann und Stefan Roch von der Bertelsmann-Stiftung stellen umfassend heraus, dass sich die meisten Bürger:innen mehr Mitspracherecht in der EU wünschen, aber wenig Vertrauen in die derzeitigen Beteiligungsinstrumente haben. Die Autoren verdeutlichen die Chancen einer vollständig integrierte Beteiligungsinfrastruktur in der EU, die die verschiedenen bereits bestehenden Instrumente zusammenführt und die Bürgerbeteiligung sichtbar und zugänglich macht.

Die Demokratie in Europa ist unter Druck – und macht eher Rück- als Fortschritte. Unter diesem Eindruck, hat die von-der-Leyen-Kommission den Slogan „Neuer Schwung für die Demokratie in Europa“ 2019 zu einer ihrer sechs Prioritäten erklärt. Seitdem hat die EU die Konferenz über die Zukunft Europas durchgeführt und mit innovativen Beteiligungsformaten experimentiert. Ein Ergebnis: Die Kommission will künftig regelmäßig Bürger:innen an Europäischen Bürgerpanels beteiligen.

(mehr …)

Bedrohte Kommunalpolitiker:innen

Gabriel Kurz und Silvia Mommertz vom Lehrstuhl für Public Policy und Landespolitik an der NRW School of Governance der Universität Duisburg-Essen thematisieren im Kontext der Ergebnisse der Großstadtbefragung “Kommunale Repräsentation und gesellschaftliche Vielfalt” die Konfrontation von Kommunalpolitiker:innen in Deutschland mit Beleidigungen, Bedrohungen und tätlichen Übergriffen. Während in ihrem Erfahrungsbericht zur Erreichbarkeit und Interaktion kommunaler Amts- und Mandatsträger:innen bereits umfassende Einblicke in das Themenfeld responsiver Kommunalpolitik gegeben wurden, skizzieren die beiden Autor:innen in ihrem Essay die Bedrohungslage von Kommunalpolitiker:innen und betonen die Notwendigkeit, dem Thema Sicherheit in der Kommunalpolitik mehr Aufmerksamkeit zu widmen und Schutzmaßnahmen zu entwickeln.

In einem Land wie Deutschland ist es ohne große Bedenken möglich, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Während man arbeitet, einkaufen geht oder sich mit Freund:innen in der Öffentlichkeit trifft, hat man grundsätzlich die zweifelsfreie Gewissheit von Sicherheit und Schutz. Diese Selbstverständlichkeit ist für viele Ehrenamtliche, die sich in der Kommunalpolitik engagieren, leider nicht gegeben. Erfahrungen, die von simplen Beleidigungen über zerstörte Wahlkampfmittel bis hin zu Vorfällen reichen, bei denen man aufgrund einer gewaltbereiten Gruppe das eigene Haus nur unter Polizeischutz verlassen konnte, wurden uns von Kommunalpolitiker:innen, die an der Großstadtbefragung 2022 teilgenommen haben, anonymisiert geschildert.

Welche Finalität für die EU-Außenpolitik?

© FIIA

Niklas Helwig vom Finnish Institute of International Affairs und der Universität Tampere analysiert die Reformdebatte zur EU-Außenpolitik angesichts der aktuellen geopolitischen Lage. Vor dem Hintergrund der Diskussionen um die zwischenstaatlich organisierte und auf dem Einstimmigkeitsprinzip basierende EU-Außenpolitik werden verschiedene Reformvorschläge beleuchtet. Es gelte, die langfristige Handlungsfähigkeit der EU im Auge zu behalten, so Helwig, der ein schrittweises Vorgehen bei der GASP-Reform vorschlägt.

Die aktuelle geopolitische Lage erhöht den Reformdruck auf die EU-Außenpolitik. Als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg überraschte die EU manche Beobachter:in mit weitreichenden Entscheidungen in der Sanktionspolitik und der Militärhilfe für die Ukraine. Gleichzeitig hat die Krise altbekannte Debatten neu entfacht: Ist die weitgehend zwischenstaatlich organisierte EU-Außenpolitik in einer Ära des internationalen strategischen Wettbewerbs noch zeitgemäß? Oder sollte das Einstimmigkeitsprinzip zugunsten einer stärker zentralisierten, genuin europäischen Außenpolitik aufgegeben werden?

(mehr …)

AfD Kompakt – über Volksbelauscher und Zumutungsmut

“Was ist neu und was ist alt am Phänomen der AfD? Was verspricht Auswege?” – Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte von der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen untersucht die Zustimmung zur AfD und gibt einen umfassenden Überblick über die Unterstützer-Allianz, die Mobilisierung der Partei als „Profiteur der Angst“ und die Angebotslücken anderer Parteien, die die AfD als Defizitpartei nutzt. Doch es gibt hoffnungsvolle Auswege aus diesem Phänomen, unter anderem die Schaffung einer zuversichtlichen Zukunftserzählung, so Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte.

Die Zustimmung zur AfD übersteigt in den seriösen Wahlumfragen seit Juni 2023 die Zustimmung zur Kanzlerpartei SPD. Wenngleich dies nur politische Stimmungsmessungen und keine Wählerstimmen sind, verändert die politische Symbolik die Wahrnehmung des Parteienwettbewerbs. Nie zuvor in der Geschichte unserer parlamentarischen Demokratie hat eine Protestpartei die regierende Kanzlerpartei in Umfragen überflügelt. Daher der neue Alarmismus.

(mehr …)