“Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt” – Wahlen, Vertrauen und koalitionäre Farbenspiele

Am 12. Februar 2023 fand die Wiederholungswahl zum 19. Abgeordnetenhaus von Berlin statt. Dr. Julia Reuschenbach von der Arbeitsstelle für Politische Soziologe der Bundesrepublik Deutschland am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin wirft einen Blick auf die Charakteristika einer Wiederholungswahl, die Phase des Wahlkampfs in Berlin sowie die politischen Themen im Vorfeld der Wiederholungswahl. Die Analyse der „koalitionären Farbenspiele” und das vorläufige Fazit zur Wiederholungswahl lassen mit Spannung erwarten, wie die noch laufenden Koalitionsverhandlungen ausgehen werden – und welche Bündnisse angesichts neuer Konstellationen bei der nächsten Wahl möglich sein werden, so Julia Reuschenbach.

Die Wiederholungswahl zum Berliner Abgeordnetenhaus (AGH) und den Berliner Bezirksverordnetenversammlungen vom 12. Februar 2023 war gleich in mehrfacher Hinsicht ein besonderes Ereignis. Dies ist nicht nur der Tatsache geschuldet, dass schon die vollständige Wiederholung der Wahl – basierend auf einem entsprechenden Urteil des Berliner Verfassungsgerichtshofs – ein Novum darstellte. Daneben wurde die Wahlwiederholung einmal mehr zur Projektionsfläche landesweiter Debatten über die vermeintliche Dysfunktionalität der Hauptstadt und der Berliner Landesverwaltung im Besonderen.

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Schon viel zu berichten, aber auch noch ein weiter Weg voraus: Die Krise der Rechtsstaatlichkeit in der EU

© Joanna Scheffel

Der politische Diskurs über den Verfall der Rechtsstaatlichkeit – einem der zentralen Grundwerte der Europäischen Union – prägt zentrale rechtliche Entwicklungen auf EU-Ebene und könnte, so László Detre vom Ungarischen Helsinki-Komitee und dem Forum Transregionale Studien in Berlin, auch die Zukunft der europäischen Integration bestimmen. Mit Blick auf die Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit, politische Schutzinstrumente und mögliche Wege, die die EU einschlagen könnte, analysiert und diskutiert László Detre vergangene, gegenwärtige und zukünftige Entwicklungen zur Krise der Rechtsstaatlichkeit in der EU.

In Artikel 2 des EU-Vertrags (EUV) ist die Rechtsstaatlichkeit als einer der Grundwerte der Euro-päischen Union verankert, der allen Mitgliedstaaten gemeinsam ist – oder sein sollte. Die theoreti-sche Debatte über die Rechtsstaatlichkeit wird bereits seit langem geführt. Und auch wenn einige Politiker:innen dies in Frage stellen, besteht in Europa ein Konsens über die Kernelemente und die Bedeutung des Rechtsstaatsprinzips, obwohl sich dessen Ausprägungen im Einzelnen von Mitglied-staat zu Mitgliedstaat unterscheiden können.

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Über die kommunikative Wucht von Regierungserklärungen

Wer sich systematisch über das politische Instrument der Regierungserklärung informieren will, findet im Handbuch Politische Rhetorik von Armin Burkhardt – erschienen beim Walter de Gruyter Verlag – viele Antworten, so Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte von der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen. In über 50 Beiträgen von der Geschichte bis zu internationalen Aspekten der politischen Kommunikation wird ein wichtiger Wissensstand dokumentiert. Es wird schnell erkennbar: Sprachgewinn ist Machtgewinn in der politischen Auseinandersetzung.

,,Das Wort hat der Herr Bundeskanzler” – mit diesem Satz erteilt der Bundestagspräsident im Plenum des Deutschen Bundestages dem Bundeskanzler das Wort, der daraufhin seine Regierungserklärung abgibt. An dieser standardisierten Formulierung hat sich seit der ersten Regierungserklärung von Bundeskanzler Konrad Adenauer nichts verändert. Der Redner kann sich nach dieser Einführung der vollen Aufmerksamkeit der Abgeordneten sicher sein. Regierungserklärungen gehören zum Alltag einer parlamentarischen Demokratie.

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Mehr Demokratie durch mehr Mehrheitsentscheide

Julian Plottka von der Universität Passau und der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn befasst sich im neuen Beitrag des Schwerpunktes „Überstaatliches Regieren zwischen Diplomatie und Demokratie – aktuelle Debatten um die Reform der EU“ mit dem Zusammenhang zwischen der Abschaffung nationaler Vetorechte und der Legitimität der EU.  Dabei werden die Output-Legitimation und das „andere Demokratiedefizit“ der EU, die Transparenz des Rates der EU und die Wirksamkeit des Vetos zur Durchsetzung nationaler Interessen ausführlich diskutiert und erörtert. In der Frage des Übergangs zu qualifizierten Mehrheitsentscheidungen auf europäischer Ebene bahnt sich, so Julian Plottka, ein Treppenwitz an.

Nicht erst seit die Ukraine und Moldau im Jahr 2022 eine EU-Beitrittsperspektive erhalten haben, steht die Frage nach der Handlungsfähigkeit der Europäischen Union im Zentrum ihrer Reformdebatte. Wie lassen sich ein „geopolitisches Europa“ im Äußeren und die notwendige Transformation im Inneren mit 27 oder mehr Mitgliedstaaten und wachsender Entscheidungskomplexität erreichen?

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Regieren in der Transformationsgesellschaft

© Jonas Heidebrecht

Die Kooperationsveranstaltung „Regieren in der Transformationsgesellschaft“ der NRW School of Governance und des Instituts der deutschen Wirtschaft widmete sich drei Transformationsclustern: Demographie/Diversität, Digitalisierung und Daseinsvorsorge/Dekarbonisierung. Entlang eines interdisziplinären Zugangs wurden die Teilnehmenden dazu angeregt, den Fallstricken des Transformationsmanagements nachzuspüren und gemeinsam mit Expert:innen erste Lösungsansätze zu skizzieren und zu diskutieren. Dr. Matthias Diermeier, Arno von Schuckmann und Philipp Richter zeichnen den Ablauf, die Ergebnisse und die erarbeiteten Impulse aus der Perspektive politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklungen nach.

Aus den Themen Daseinsvorsorge/Dekarbonisierung, Digitalisierung und demographischer Wandel/Diversität ergeben sich für Gesellschaft und Wirtschaft erhebliche Wandlungsbedarfe. Die gleichzeitige Bewältigung der unterschiedlichen Transformationen stellte sich schon in politisch ruhigeren Zeiten als äußerst herausfordernd dar.

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Die angekratzte Rechtsgemeinschaft

© Bogdan Hinrichs

Die Frage des Vorrangs des Europarechts hat sich in den letzten Jahren durch eine Reihe von Urteilen – unter anderem in Deutschland und Polen – zugespitzt und wird zunehmend nicht nur aus juristischer, sondern auch aus politischer Perspektive diskutiert. Alexander Thiele, Professor für Staatstheorie und Öffentliches Recht an der universitären Fakultät Rechtswissenschaften der BSP Business and Law School Berlin, beschäftigt sich im folgenden Essay mit der Frage, wie diese „Vorrangkrise“ vor dem Hintergrund der Entwicklungen der letzten Jahre mittel- und langfristig überwunden werden kann.

In einem supranationalen Verbund von 27 Mitgliedstaaten sind Integrationskrisen und -rückschläge ebenso erwartbar wie nicht prinzipiell bedrohlich. Rückblickend ist die Europäische Union aus vielen solcher Krisen gestärkt hervorgegangen. Es wäre eher verwunderlich, wenn grundlegende Fragen der europäischen Integration stets harmonisch und ohne größere Konflikte gelöst würden.

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„Es ist die Aufgabe des Bundestages, die Regierung zu kontrollieren und dafür ist das Fragerecht eines des wesentlichen Instrumente.“ – Kurzinterview mit Konstantin Kuhle

© Munir Werner

Konstantin Kuhle ist seit 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages und dort seit 2021 stellvertretender Vorsitzender der FDP-Fraktion. Im März 2022 wurde er zum Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums zur Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes gewählt. Außerdem ist er seit 2018 Generalsekretär der FDP Niedersachsen.


Arnim Grothe und Yannick Peters von der NRW School of Governance fragen Konstantin Kuhle unter anderem nach seinen Einschätzungen zur Innenpolitik und den Konsequenzen seiner erfolgreichen Verfassungsklage im Dezember letzten Jahres. Konstantin Kuhle stand den Masterstudierenden der Vorlesung „Medien und Politik“ (Master Politikmanagement, Public Policy und öffentliche Verwaltung an der NRW School of Governance) von Dr. Kristina Weissenbach in einem rund einstündigen Austausch – welcher in dem vorliegenden Kurzinterview mündete – Rede und Antwort, um insbesondere zum Thema Social Media, aber auch zu den im Kurzinterview dominierenden Aspekten, Einblicke in die Politikpraxis zu geben und zu diskutieren. 

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Europarteien für die EU-Demokratie fit machen: Jenseits der Reform der Verordnung

Die politischen Parteien auf europäischer Ebene sind in der breiteren Öffentlichkeit fast unsichtbar und den meisten europäischen Bürger:innen unbekannt. Derzeit wird in den EU-Institutionen eine neue Reform diskutiert, die ihre politische Rolle stärken soll. Doch wird sie ausreichen? Dieser Frage geht Edoardo Bressanelli, Associate Professor für Politikwissenschaft an der Sant’Anna School of Advanced Studies in Pisa und Senior Visiting Research Fellow am King’s College London, in seinem Essay nach. Der Beitrag ist Teil des  thematischen Schwerpunkts „Überstaatliches Regieren zwischen Diplomatie und Demokratie“ von Regierungsforschung.de und dem Blog “Der (europäische) Föderalist”.

Die Rolle der politischen Parteien auf europäischer Ebene – oder, der Einfachheit halber, Europarteien – ist in Art. 10 (4) des EU-Vertrags definiert, in dem es heißt, dass sie „zur Herausbildung eines europäischen politischen Bewusstseins und zum Ausdruck des Willens der Bürgerinnen und Bürger der Union“ beitragen, und in Art. 12 (2) der EU-Grundrechtecharta, in dem ihre „Ausdrucks“-Funktion hervorgehoben wird.

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Die Richtlinienkompetenz des Kanzlers in einer kollaborativen Lernkoalition

Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen und Direktor der NRW School of Governance an der Universität Duisburg-Essen, bezeichnet das Buch von Volker Busse und Hans Hofmann als eine sehr gute Grundlage, um die öffentlichen Diskurse über die vielfältigen Aufgaben und Arbeitsweisen der Bundesregierung mit Sachkunde anzureichern. Das Buch ermöglicht es, sich systematisch, chronologisch und tabellarisch zu informieren und so auch aktuelle Ereignisse im Bundeskanzleramt im Lichte der bestehenden Entscheidungslogiken zu reflektieren.

Das Bundeskanzleramt ist das Drehkreuz des Kanzler-, Ressort-, Kollegial-, Partei- und Koalitionsprinzips. Unter dem Aspekt des operativen Regierens bilden der Regierungschef und das Bundeskanzleramt das Zentrum der Core Executive. Von hier aus erfolgt die Koordination der Exekutive, die immerhin rund 25.000 Beamte und Angestellte in den Bundesministerien und Bundesbehörden umfasst.

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Die Rückkehr der Reformen

Manuel Müller, Senior Research Fellow am Finnish Institute of International Affairs in Helsinki, wirft einen Blick auf die institutionelle Zukunft der Europäischen Union, skizziert neue Reformdebatten und wagt einen Ausblick auf das europäische Regierungssystem.
Er bildet damit den Auftakt zum Themenschwerpunkt “Überstaatliches Regieren zwischen Diplomatie und Demokratie“, der Diskurse um institutionelle Reformen der EU und die Governance in Europa beleuchtet sowie unterschiedliche europäische Krisen- und Reformdiskurse im Kontext europapolitischer Forschung reflektiert.

Als der Vertrag von Lissabon am 1. Dezember 2009 in Kraft trat, endete für die Europäische Union eine Epoche der Reformen. Über zwei Jahrzehnte hinweg war das europäische Vertragswerk in mehreren Runden grundlegend überarbeitet worden. Einher ging diese Vertiefungsdynamik mit einer enormen Erweiterung der Union, die zwischen 1995 und 2007 von 12 auf 27 Mitgliedstaaten wuchs.

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